I. Sachverhalt
A. Am 15. Februar 2018 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (nachfolgend BaZ) einen Text von David Klein unter dem Titel «Eine seltsame Art der Kulturförderung» mit dem Untertitel «Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG bevorzugt und protegiert pflegeleichte Pop-Protagonisten». Die Autorenzeile benennt «David Klein Musiker in Basel», in der Ausgabe auf der Website ist dieser Hinweis, oben rechts, seitlich abgesetzt vom Artikel, schlecht zu erkennen. In einem ausführlichen Text setzt sich der Autor kurz vor der umstrittenen Volksabstimmung zur Gebührenfinanzierung des öffentlichen Radio und Fernsehens «No Billag» sehr kritisch mit der Musikauswahl der Deutschschweizer SRG-Sender auseinander. Und weiter auch mit dem Phänomen, dass sich viele Kulturschaffende für die SRG und ihre Gebührenfinanzierung einsetzten. Klein behauptet, dieser Einsatz sei nicht freiwillig, «hinter den Kulissen» werde von «Druck seitens der SRG» gesprochen. Diese halte sich seit Jahren populärmusikalische «notorische Profiteure» aus dem Pop-Gewerbe, diese hingen am SRG-Gebührentopf und könnten anders am Markt niemals überleben. Wenn diese nun die SRG verteidigten, dann sei das «so, wie wenn italienische Politiker davor warnen würden, ihre Machenschaften ohne die Mafia nicht mehr fortführen zu können». In diesem Zusammenhang wird SRF-Radio- und Fernsehdirektor Rudolf Matter als «Capo di tutti i capi» bezeichnet. Ein Musikverantwortlicher von SRF wird als «Mann ohne nennenswerte Qualifikationen» bezeichnet, der als früherer Mitarbeiter eines Plattenlabels als «V-Mann» bei SRF installiert worden sei, welcher «seinen ehemaligen Arbeitgebern und sonstigen Amigos den Zugriff auf die begehrten Promokanäle bei SRF garantiert».
Weiter führt Klein aus, diese «Verfilzung» habe dazu geführt, dass TeilnehmerInnen an Musikwettbewerben der SRG mit «an Sittenwidrigkeit grenzenden Knebelverträgen» an die Produktionsfirma Universal gebunden würden. Zu diesem Vorwurf wird zwar der SRF-Rechtsdienst zitiert, welcher sage, solche Verträge seien branchenüblich. Dieser Stellungnahme von SRF folgt die Bemerkung des Autors, der SRF-Rechtsdienst würde «vermutlich auch unbezahlte Kinderarbeit in Indien als branchenüblich und okay bezeichnen». Klein zählt weitere Beispiele auf, welche nach seiner Ansicht die Verbandelung der SRG mit einzelnen privaten Produzenten belegten. Darauf folgt eine Auseinandersetzung Kleins mit dem Kulturbegriff der SRG. Die «Kommerzorgien» auf deren Sendern hätten mit der Erfüllung des gesetzlich vorgegebenen Kulturauftrags nichts zu tun. Der Bildungsauftrag werde «bis zur Missachtung ausgehöhlt». Es müsse mehr Geld in die (nicht kommerzielle) Kultur fliessen, nicht weniger. Die SRG verbanne alles, was nicht Quote generiere, ins programmliche Niemandsland. Dagegen wehrten sich aber die Künstler nicht, sie verpflichteten sich, «wohlwissend um die mafiösen Verbandelungen zwischen SRG und Musikindustrie, weiterhin der Omertà».
B. Mit E-Mail vom 15. Februar 2018 versandte der gleiche Autor, David Klein, eine Medienmitteilung, in welcher er auf seinen Artikel hinwies und dabei die wichtigsten Vorwürfe wiederholte: Die SRG nütze ihre Vormachtstellung schamlos aus und betreibe eine Wettbewerbs- und Marktverzerrung. Musiker, welche auf grosse Deals hofften, bissen nicht die Hand, welche sie dereinst füttern könnte. Es ist wieder die Rede von mafiösen Verbandelungen und der Omertà, welche diese begleiteten.
C. Mit Schreiben vom 10. April 2018 erhob Rechtsanwalt Rudolf Mayr von Baldegg namens der SRG und von SRF-Direktor Rudolf Matter Beschwerde gegen den Artikel der BaZ und die Medienmitteilung von David Klein. Es werden geltend gemacht Verstösse gegen folgende Ziffern der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»): Ziffer 1 (Wahrheitspflicht), Ziffer 3 (Umgang mit Quellen), dort insbesondere Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), weiter gegen Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre), Ziffer 8 (Respekt der Menschenwürde) und Ziffer 9 (journalistische Unabhängigkeit).
Im Einzelnen moniert die Beschwerde, dass verschiedene Passagen des Textes die Tatbestände der «Herabsetzung» im Sinne des UWG und der «üblen Nachrede» im Sinne des StGB erfüllten.
Was die medienethische Seite betreffe, so sei die Ziffer 1 der «Erklärung» verletzt, weil die BaZ nicht transparent gemacht habe, dass hier nicht ein unabhängiger Journalist berichte, sondern ein Interessengebundener, nämlich ein Musiker, der mit der SRG nicht zufrieden sei. Weiter seien die von diesem vorgebrachten Vorwürfe und Verdächtigungen falsch. Die Beschwerde erwähnt allerdings nicht, welche Passagen genau inwieweit falsch seien. Schliesslich trenne die BaZ nicht klar genug zwischen Fakten und Kommentar (Richtlinie 2.3). Weiter sei das Fairnessprinzip verletzt, weil die Beschuldigten nicht zu den schweren Vorwürfen angehört worden seien. Insbesondere nennen die Beschwerdeführer den Vorwurf bewusster Wettbewerbsverzerrungen, von mafiösen Verbandelungen verbunden mit dem Vorwurf des berüchtigten Schweigegebotes der Mafiosi (Omertà), den Vorwurf der Korruption und «der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung», wenn Rudolf Matter als «Capo di tutti i capi» bezeichnet werde. Sodann wird genannt der Vorwurf, die SRG höhle ihren Bildungsauftrag aus bis zur Missachtung. Zu keinem dieser und weiterer Vorwürfe hätten sich die Beschwerdeführer äussern können, was unfair sei und insbesondere Richtlinie 3.8 verletze. Im Weiteren seien einzelne Vorwürfe als «unverhältnismässige Werturteile» zu taxieren, welche das Verhältnismässigkeitsprinzip und damit auch den Respekt vor der Menschenwürde (Ziffer 8) und die Privatsphäre (Ziffer 7) verletzten. Schliesslich fehle dem Autor als einem Musiker, der im Musikmarkt eigene Interessen vertrete, die notwendige journalistische Unabhängigkeit (Ziffer 9).
D. Am 14. Juni 2018 informierte der Presserat die «Basler Zeitung» über die Beschwerde, sandte ihr die Beschwerdeunterlagen und bat die Chefredaktion um eine Stellungnahme bis zum 19. Juli 2018.
Die Chefredaktion der BaZ hat das Schreiben nicht beantwortet.
Am 26. September 2018 erinnerte der Presserat die Chefredaktion der BaZ an die ausstehende Antwort und erstreckte die Frist bis zum 8. Oktober 2018.
Die Chefredaktion der BaZ hat auch auf dieses Schreiben nicht reagiert.
E. Am 31. Oktober 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, der Schriftenwechsel sei abgeschlossen, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 26. August 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Eintreten: Da die Verantwortlichen der Beschwerdegegnerin BaZ keine Antwort auf die Beschwerde unterbreitet haben, ist die für eine Stellungnahme des Presserates erforderliche Aktenlage nicht gegeben. Dennoch beschliesst das Präsidium Eintreten auf die Beschwerde, wenn auch in kursorischer Form. Das Geschäftsreglement verlangt zwar als Basis des Verfahrens eine Beschwerde und eine Antwort des Beschwerdegegners. Aber es schliesst ein anderes Vorgehen nicht aus. Im vorliegenden Fall würde ein Nichteintreten all jene Redaktionen benachteiligen, welche gemäss den Regeln des Presserates eine Antwort vorlegen und bereit sind, sich mit Kritik an ihrer Arbeit auseinanderzusetzen.
Diese kritische Auseinandersetzung darüber, was medienethisch zulässig ist und was nicht, ist gerade in dieser Zeit von besonderer Bedeutung, da die Glaubwürdigkeit der Medien von verschiedenen Kreisen in Frage gestellt wird, da das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Medien sinkt. Auf die Beschwerde wird – kursorisch – eingetreten.
2. Fairness, Anhören bei schweren Vorwürfen: Der Text des Artikels erscheint von Aufmachung und Länge als ein journalistischer Beitrag der BaZ zum Thema Kulturpolitik der SRG. Vom Inhalt her erweist er sich andererseits als ein Kommentar, in Teilen als eine Polemik gegen die Kulturveranstalterin SRF. Dass der Autor als «Musiker in Basel» identifiziert wird, könnte helfen, den Text besser einzuordnen, nämlich als das Stück eines Betroffenen, aber der Hinweis ist – online – zu klein und zu wenig sichtbar.
Unabhängig von der Frage, wie der Text einzuordnen sei, steht aber fest, dass nicht nur Berichte, sondern auch Kommentare von der Redaktion auf die Einhaltung der grundlegenden journalistischen Gebote zu prüfen sind. Dazu gehört etwa die Verpflichtung zur Wahrheit oder das Fairnessprinzip, in concreto die Verpflichtung, Betroffene im Falle schwerer Vorwürfe zu Wort kommen zu lassen.
Nach der langjährigen Praxis des Presserats gilt als «schwerer Vorwurf» ein Verhalten, das illegal ist, oder illegalem Gebaren gleichkommt (Stellungnahmen 4/2018, 37/2017, 35/2017, etc.).
Wenn man einer Person vorwirft, die von ihr vertretene Politik (hier: die Programmpolitik) sei korrupt, sie entspreche der eines Verbrechersyndikats, sie werde mit dem Mittel der Drohung durchgesetzt, dann ist das erstens nachvollziehbar zu begründen und zweitens muss der Betroffene zum Vorwurf Stellung nehmen können. Das war hier nicht der Fall, Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und damit auch Ziffer 3 der «Erklärung» sind mit diesem Text klar verletzt.
3. Die übrigen von den Beschwerdeführern angesprochenen Verletzungen werden hier nicht weiter behandelt. Dazu müsste eine vollständige Aktenlage vorliegen, was aufgrund der Weigerung der (damaligen) Chefredaktion der BaZ nicht der Fall ist. Dasselbe gilt für die von den Beschwerdeführern aufgeführten Verstösse gegen das UWG und das StGB. Der Presserat misst Texte nur an den Anforderungen der «Erklärung», nicht an denen gesetzlicher Bestimmungen.
4. Die von den Beschwerdeführern ebenfalls angefochtene Medienmitteilung des Autors wird nicht beurteilt. Gegenstand von Presseratsbeschwerden sind nur von Medien veröffentlichte Texte. Dieser Versand stammte vom privaten Account des Autors. Das sagt ebenfalls nichts aus zur Frage der Rechtslage.
III. Feststellungen
1. Der Schweizer Presserat verurteilt das Verhalten der damaligen Chefredaktion der «Basler Zeitung», welche sich der Prüfung eines Artikels durch den Presserat nicht gestellt hat. Dieses Verhalten schadet dem Ansehen des Journalismus. Gerade in Zeiten, da das Vertrauen in die Medien schwindet, ist es von zentraler Bedeutung, dass diese sich einer kritischen Diskussion ihrer Arbeit stellen und sich bemühen, die Vorgaben der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» einzuhalten. Diese Vorgaben haben sich die Schweizer Journalisten selber gegeben und sich darauf verpflichtet.
2. Mit dem Artikel «Eine seltsame Art der Kulturförderung» vom 15. Februar 2018 hat die «Basler Zeitung» in klarer Weise gegen die Ziffer 3 der «Erklärung» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verstossen.
3. Die weiteren von den Beschwerdeführern angesprochenen Verletzungen der «Erklärung» werden hier angesichts der unvollständigen Aktenlage nicht bewertet.