I. Sachverhalt
A. Der «Tages-Anzeiger» (TA) veröffentlichte am 7. März 2018 einen von Andreas Valda gezeichneten Artikel unter dem Titel «Anlegerschutz wird weiter demoliert» zu einer Debatte im Ständerat über das Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg) und das Finanzinstitutsgesetz (Finig). Darin wird erläutert, dass es bei der einen Vorlage darum gehe, welche Rechte einzelne Anleger im Fall von bestimmten Anlageverlusten haben sollen. Bei der zweiten gehe es darum, wer unabhängige Vermögensverwalter beaufsichtige. Dieser Entwurf, der dem Ständerat vorliege, sei brisant, weil dort nämlich vorgesehen sei, dass die Vermögensverwalter sich selber überwachen dürften. In einem zweiten Teil des Artikels wird unter dem Titel «Anwalt: ein schlechter Witz» neben Anderen der «auf Anlegerschutz spezialisierte Anwalt S. P.» zitiert, welcher sage: «Dieser Vorschlag ist – bei allem Respekt – ein schlechter Witz und unseriös». Später wird S. P. zitiert mit der Bemerkung, die Beratung dieser Thematik sei an einem Tiefpunkt angelangt in einem Prozess, der zeige, «wie sich diese Berufsgruppen gegen effiziente Regulierung wehren».
B. X. reichte am 12. März 2018 beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen diesen Artikel ein. Dieser verstosse gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Freiheit der Information) und 3 (Unterschlagen wichtiger Informationselemente) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Verbunden mit der Beschwerde wurden Anträge gestellt, die ausserhalb der Kompetenz des Presserates liegen (Weisung an die Redaktion, Richtigstellung etc.). Auf entsprechende Aufforderung reichte der Beschwerdeführer am 15. März 2018 eine neu formulierte Beschwerde ein, in welcher er erneut eine Verletzung der Ziffern 1, 2 und 3 geltend macht.
In der Begründung kritisiert er nicht den eigentlichen Inhalt des Artikels, sondern er macht geltend, die Bezeichnung des Anwalts S. P. im Artikel als «ein auf Anlegerschutz spezialisierter Zürcher Anwalt» verletze Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht), weil S. P. «nicht auf Anlegerschutz, sondern auf Abzocke von Anlegern/Gläubigern spezialisiert ist». Der Autor habe sich insofern wider besseres Wissen nicht an die Wahrheit gehalten. (Der betreffende Anwalt wird im ganzen Schriftsatz mit Ausdrücken charakterisiert, die hier um der Stellungnahme willen genannt sein müssen, die aber als ehrenrührig oder beleidigend verstanden werden können. Deswegen wird sein Name in dieser Stellungnahme im Zusammenhang mit den Anwürfen bewusst nicht explizit erwähnt, auch wenn er im Artikel genannt war.)
Weiter verletze die Bezeichnung des S. P. auch Ziffer 2 (Verteidigung der Freiheit von Information) der «Erklärung», weil Autor Valda im Artikel praktisch dazu aufrufe, Anleger und Gläubiger möchten sich «vertrauensvoll an den genannten Abzocker wenden».
Schliesslich sei Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagung von wichtigen Informationselementen) verletzt, weil der Autor Tatsachen wider besseres Wissen vorsätzlich entstelle, gemeint: die behauptete mangelnde Redlichkeit des Anwalts S. P.
Die von der Geschäftsstelle im Zusammenhang mit der Rückweisung der ersten Version der Beschwerde gestellte Frage an den Beschwerdeführer, ob er denn Kontakt mit dem Autor gesucht habe, um ihn über seine gegenteilige Erfahrung mit dem Anwalt zu informieren, beantwortete der Beschwerdeführer mit der Bemerkung, das habe er getan, der Autor habe aber nicht darauf reagiert. Das zeige nur «wie abgehoben und interessengebunden er als TA-Schreiber tatsächlich» agiere.
C. Mit Schreiben vom 9. Juli 2018 beantragt der Rechtsdienst von Tamedia Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Zunächst wird erläutert, dass auf die Beschwerde nicht eingetreten werden dürfe, weil sie «offensichtlich unbegründet» sei. Dazu wird angeführt, dass der Beschwerdeführer verlange, der «Tages-Anzeiger» müsste den S. P. als «auf Abzocke von Anlegern/Gläubigern spezialisierten» Anwalt bezeichnen. Diese Formulierung wäre ehrverletzend, der «Tages-Anzeiger» würde sich damit zivil- und strafrechtlich haftbar machen. Abgesehen davon würde der «Tages-Anzeiger» damit auch gegen die zur «Erklärung» gehörenden Richtlinien 1.1 und 8.1 verstossen. Hinzu komme, dass weder die Beschwerde noch die dort verlinkten Online-Dokumente die Frage beantworteten, weshalb Anwalt S. P. ein «Abzocker» sein soll. Weitere Gründe für ein Nichteintreten seien unter anderen: eine fehlende Angabe zum nicht gleichzeitig eingeleiteten Gerichtsverfahren, sodann, dass die vom Presserat angeregte direkte Kontaktnahme mit dem Autor nicht in der behaupteten Form stattgefunden habe und dass es offensichtlich um ein querulatorisches Anliegen gehe.
Für den Fall, dass der Presserat dennoch auf die Beschwerde eintreten sollte, beantragt Tamedia Ablehnung der Beschwerde.
Zur behaupteten Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht) wird argumentiert, der Anwalt S. P. sei in der Tat ein auf Anlegerschutz spezialisierter Rechtsanwalt. Zum Beleg dafür dienen unter anderem sein Lebenslauf, eine Reihe von Artikeln verschiedener Medien, in denen er um seine Einschätzung gebeten wurde, Vernehmlassungen zu eidgenössischen Vorlagen, welche von S. P. verfasst worden seien, sowie eine Art Referenz der «Schweizerischen Stiftung für Konsumentenschutz» («… wir mit ihm in Austausch sind, oder auch bei Fragen kontaktieren, um seine Meinung anzuhören»). Weiter nimmt Tamedia ausführlich Bezug auf die früheren sehr belasteten Beziehungen des Anwalts S. P. zum Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einem Konkursfall und den darauffolgenden Gerichtsverfahren im Kanton Schwyz, welche für den Presserat aber nicht von Belang sind.
Schliesslich wird erwähnt, dass die Bemerkung des Beschwerdeführers nicht der Wahrheit entspreche, wonach er mit dem Autor des Beitrags Kontakt aufgenommen habe, ohne dass dieser geantwortet habe. Als Beleg dafür wird ein E-Mailaustausch zu den Akten gegeben, aus dem hervorgeht, dass Autor Valda dem Beschwerdeführer sehr wohl geantwortet hat.
Zur behaupteten Verletzung der Ziffer 2 der «Erklärung» (Verteidigung der Freiheit der Information) stellt Tamedia fest, dass nicht nachvollziehbar sei, worin diese bestehen könne. Die vom Beschwerdeführer behauptete «Werbung für einen Abzocker» habe nicht stattgefunden und der Vorwurf der «Abzocke» bleibe unbegründet.
Zur behaupteten Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagung wesentlicher Elemente) wird festgestellt, dass der Artikel sich nicht um den Anwalt S. P. gedreht habe, sondern um die beiden Gesetze Fidleg und Finig, zu denen der Anwalt neben Anderen als Experte befragt worden sei. Insofern habe keine Pflicht bestanden, sich weiter über ihn zu äussern.
D. Am 14. November 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, der Schriftenwechsel sei abgeschlossen, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
E. Der Beschwerdeführer hat dennoch am 17. November 2018 eine vier Seiten lange Duplik eingereicht, die aber nicht berücksichtigt werden kann. Nach Art. 12 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Presserates besteht kein Anspruch der Parteien auf einen zweiten Schriftenwechsel. Wenn dennoch ein solcher akzeptiert würde, müsste die Beschwerdegegnerin ihrerseits wieder darauf replizieren dürfen. Für all dies besteht aber nach der Einschätzung des Presseratspräsidiums kein Anlass, entschieden wird auf der üblichen Basis von Beschwerde und der Beschwerdeantwort.
F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 29. Juli 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Grundsätzlich entspricht die Beschwerdeschrift eher einer Polemik gegen eine Person, den im Text des Artikels erwähnten Anwalt, als einer ernsthaften Auseinandersetzung mit einem journalistischen Text. Aus seinen Unterlagen geht auch hervor, dass der Beschwerdeführer inhaltlich eigentlich die gleichen Anliegen (Anlegerschutz) vertritt wie dieser Anwalt. Es geht denn auch nicht wirklich um den Inhalt des Artikels, sondern nur darum, dass der Anwalt S. P. nicht als «Abzocker» bezeichnet worden ist.
2. Zur gerügten Verletzung des Wahrheitsgebotes, Ziffer 1 der «Erklärung»: Hier ist festzuhalten, dass die Beschwerdegegnerin Tamedia zur Genüge belegt, dass S. P. ein Anwalt mit erheblicher Erfahrung auf dem Gebiet des Anlegerschutzes ist. Damit wird auch belegt, dass er legitimerweise als Experte in einem Beitrag zum Anlegerschutz befragt wird. Der Beschwerdeführer bestreitet auch nicht primär die inhaltliche Kompetenz des S. P., er macht vielmehr immer wieder dessen angebliches «Abzocken» von Anlegern und Gläubigern zum Thema. Er macht also letztlich geltend, dass S. P. vor allem aufgrund seines behaupteten Geschäftsgebarens, also letztlich aus charakterlichen Gründen nicht geeignet sei, als Auskunftsperson zu dienen. In der Frage des Geschäftsgebarens steht Aussage gegen Aussage, der Presserat kann in solchen Situationen nicht urteilen und charakterliche Beurteilungen können ohnehin nicht Gegenstand von Stellungnahmen des Presserates sein.
Abgesehen davon war nicht die Person von S. P. Gegenstand des Artikels, sondern die Beurteilung zweier Gesetzesvorlagen. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass der «Tages-Anzeiger» in der Tat zivil- und gegebenenfalls sogar strafrechtlich haftbar werden könnte, wenn er Charakterisierungen im Sinne des Beschwerdeführers publizieren würde, was dieser erklärtermassen erwirken will. Insgesamt ist dieses Anliegen des Beschwerdeführers abwegig. Ziffer 1 der Erklärung ist nicht verletzt.
3. Zur gerügten Verletzung von Ziffer 2 der «Erklärung»: Diese verpflichtet Journalistinnen und Journalisten, sich mit ihrer Berichterstattung gegen Versuche zu wehren, die Freiheit der Information, die Freiheit des Kommentars, der Kritik sowie die Unabhängigkeit oder das Ansehen ihres Berufs zu beschränken. Es bleibt vollkommen unergründlich, worin der Versuch bestehen soll, die Freiheit der Information zu beschränken, wenn ein Experte befragt wird, der angeblich charakterlich nicht genügen soll. Dass der «Tages-Anzeiger» in diesem Artikel praktisch dazu aufrufe, «Anleger und Gläubiger mögen sich vertrauensvoll an den genannten Abzocker wenden», ist aus dem Bericht von Andreas Valda nirgends herauszulesen. Und selbst wenn doch, wäre dies sicher keine Verletzung dieser speziellen Bestimmung. Ziffer 2 der «Erklärung» ist nicht verletzt.
4. Zur angeblichen Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagen wichtiger Informationselemente): Wie bereits mehrfach ausgeführt, war die Person oder gar der Charakter des Experten S. P. nicht Gegenstand des Beitrages, sondern die Gesetzesentwürfe «Fidleg» und «Finig». Insofern wurden keine wichtigen Elemente unterschlagen, wenn auf das – angebliche – Geschäftsgebaren einer von mehreren Auskunftspersonen im Artikel nicht eingegangen wurde.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Der «Tages-Anzeiger» hat mit dem Artikel «Anlegerschutz wird weiter demoliert» vom 7. März 2018 weder Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) noch die Ziffern 2 (Freiheit der Information) oder 3 (Unterschlagen von Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.