Nr. 33/2021
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(X. c. «Weltwoche»)

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I. Sachverhalt

A. Am 19. November 2020 veröffentlichte die «Weltwoche» einen Artikel von Urs Gehriger mit dem Titel «Stoppt den Diebstahl!». Der Lead lautete «In der Wahlnacht sind offenbar massenweise Wahlzettel aufgetaucht. Sie gingen zu 100 Prozent an Joe Biden. Trumps Anwälte nehmen die Wahlmaschinen der Firma Dominion ins Visier.» Gemäss diesem Artikel habe sich in der Wahlnacht offenbar Seltsames ereignet. Trump habe in einigen Swing States zuerst vorne gelegen. In den Morgenstunden sei die Zählung ausgesetzt worden. Als sie nach paar Stunden wieder aufgenommen worden sei, habe Biden an der Spitze gelegen. In Wisconsin seien plötzlich 140’000 Wahlzettel aufgetaucht. Ähnliches in Michigan. Dort seien 100’000 Stimmen «gefunden» worden. In beiden Fällen seien sie zu 100 Prozent für Biden ausgewiesen. So dreist habe nicht einmal Saddam Hussein gefälscht. Gemäss Trumps Anwalt Rudy Giuliani hätten korrupte Maschinen Stimmen für Trump gelöscht und so Biden zum vermeintlichen Sieg verholfen. Bis dato lägen für diese erschütternden Anschuldigungen keine Beweise vor.

B. Am 20. November 2020 erhob X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Bericht der «Weltwoche». Die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», nachfolgend «Erklärung», seien verletzt. Die Behauptung der «Wahlfälschungen» bei den US-Wahlen und dass in Michigan und Wisconsin 100’000 respektive 140’000 Stimmen für Joe Biden plötzlich aufgetaucht seien, sei falsch und zum Zeitpunkt der Publikation des Artikels unbestätigt gewesen. Ihr sei sogar von den offiziellen Wahlleitern widersprochen und die Sache erklärt worden.

C. Am 1. Februar 2021 nahm Rechtsanwalt Markus Prazeller im Namen der «Weltwoche» zur Beschwerde Stellung. Er beantragte die Abweisung der Beschwerde. Die Redaktion erläutert, dass bereits in der Einleitung zum Artikel darauf hingewiesen worden sei, dass es «offenbar» zu diesen Vorkommnissen gekommen sei und dass diesen Vorwurf Anhänger von Trump äusserten. Der Bericht selbst nehme zu den Vorkommnissen keine Stellung, sei nicht wertend und habe die Beschreibung auch nie als Tatsachendarstellung dargelegt, weshalb das Wahrheitsgebot nicht verletzt sei. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass sich beim starken Anstieg der Wahlergebnisse nicht nur Wahlstimmen für Biden, sondern auch wenige für Trump ergeben haben. Zum Vorwurf, der Bericht beziehe sich auf nicht bestätigte Quellen, erklärt die «Weltwoche», sie habe mit dem einleitenden «offenbar» dem Umstand Rechnung getragen, dass die Aussage, es habe einen plötzlichen Anstieg von Wählerstimmen für Joe Biden gegeben, nicht belegt war. Die Leserschaft habe ohne Weiteres erkennen können, dass es sich um die Wiedergabe von nicht bestätigten Vorwürfen gehandelt habe. Zudem sei die Meinung von an der Sache beteiligten, Trump-nahen Personen wiedergegeben worden, weshalb die Quellen für die Berichterstattung für die Leserschaft augenscheinlich erkennbar gewesen seien.

D. Am 16. Februar 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg und den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 6. Mai 2021 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. Sie lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren. Gemäss Ziffer 3 der «Erklärung» veröffentlichen Journalisten nur Informationen, deren Quellen ihnen bekannt sind und bezeichnen unbestätigte Meldungen ausdrücklich als solche. Sie entstellen weder Tatsachen noch von anderen geäusserte Meinungen. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Aussage, wonach in Michigan und Wisconsin 100’000 beziehungsweise 140’000 Stimmen für Joe Biden «plötzlich» aufgetaucht seien, verstosse gegen die Ziffern 1 und 3 der «Erklärung». Die «Weltwoche» wiederum verweist auf den Kontext des Artikels und erklärt, dass mit der Einleitung mit dem Wort «offenbar» klar erkennbar sei, dass diese Aussagen von Anhängern Trumps stammten und nicht als Tatsache dargestellt seien.

Die «Weltwoche» erklärt richtig, dass im Artikel einerseits auf die Interpretation sämtlicher Leute aus dem Trump-Lager eingegangen wird und sowohl im Lead als auch im Einleitungssatz zum vermeintlichen Wahlbetrug das Wort «offenbar» genutzt wurde. Der Schweizer Presserat stört sich jedoch am letzten Satz dieses Abschnitts, der lautet «So dreist fälschte nicht einmal Saddam Hussein». Damit wird die Behauptung der 100’000 beziehungsweise 140’000 gefälschten Wahlzettel und damit des Betrugs als Tatsache dargestellt, die gemäss Ziffer 3 der «Erklärung» nicht zulässig ist.

Der Schweizer Presserat sieht damit Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.

2. Die «Weltwoche» hat mit dem Artikel «Stoppt den Diebstahl!» vom 19. November 2020 die Ziffer 3 (Quellenbearbeitung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.