I. Sachverhalt
A. Am 19. November 2020 veröffentlichten die «Schaffhauser Nachrichten» einen Artikel mit dem Titel «Eine solche Haftung ginge zu weit». Der Lead lautete: «Rechtsprofessor Walter Stoffel sagt, was ein Ja zur Initiative ‹Für verantwortungsvolle Unternehmen› für Schweizer Firmen ändern würde, warum Klagen für einen Geschädigten eine Hürde bleibt und der Gegenvorschlag nicht zu unterschätzen ist.» Inhalt des Artikels ist ein Interview mit Rechtsprofessor Walter Stoffel der Universität Fribourg über die «Konzernverantwortungsinitiative», die am 29. November 2020 zur Abstimmung vorgelegt wurde. Als Antwort auf die ersten beiden Fragen erläuterte Stoffel, die Initiative verlange, dass der Gesetzgeber auf die Bedürfnisse der KMU Rücksicht nehme. Das derzeitige Parlament in seiner Zusammensetzung würde gemäss seiner Einschätzung entsprechend Rücksicht nehmen. Betroffen seien Unternehmen mit Sitz in der Schweiz mit einem Umsatz ab 80 Millionen Franken und mit über 500 Mitarbeitern. KMUs nur dann, wenn sie zum Beispiel mit Konfliktmaterialien wie Diamanten, Gold oder Koltan wirtschafteten. Insgesamt könne kein Unternehmen ganze Lieferketten kontrollieren. Eine solche Haftung ginge zu weit, und das verlange der Initiativtext auch nicht.
B. Am 19. November 2020 erhob X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Artikel der «Schaffhauser Nachrichten». Er bringt vor, Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») sei verletzt, da der Titel nicht mit dem Inhalt des Artikels übereinstimme. Der Kontext des Zitats verkehre die Aussage in ihr Gegenteil, da der Nachsatz fehle. Die Antwort Stoffels zur zweiten Frage sei «(…) Ganze Lieferketten kann kein Unternehmen kontrollieren. Eine solche Haftung ginge zu weit, und das verlangt der Initiativtext auch nicht». Dies sei im Widerspruch zum Titel «Eine solche Haftung ginge zu weit». Da die Haftung das zentrale Anliegen der Initiative sei, müsse es der Autorin bewusst gewesen sein, dass ihr Titel missverstanden werden würde, nämlich dass die Initiative zu weit gehe.
C. Am 2. Februar 2021 nahm Robin Blanck, Chefredaktor der «Schaffhauser Nachrichten», zur Beschwerde von X. Stellung. Grundsätzlich sei an der Verwendung eines Zitats bei der Titelgebung eines Interviews nichts auszusetzen, zumal es sich um eine Aussage handle, die im Text so vorkomme. Dies bedeute wiederum aber nicht, dass auch ein Zitat in eine inhaltlich andere Richtung weisen könne, als es der zugehörige Artikel tue. Im Gegenteil zur Interpretation des Beschwerdeführers, der im Titel verwendete Konjunktiv «ginge» beziehe sich auf eine künftige Umsetzung, sei im Text klar erkennbar, dass Stoffel diese Aussage auf sein Votum beziehe, dass Unternehmen ihre gesamten Lieferketten gar nicht vollständig kontrollieren könnten. Der Konjunktiv beziehe sich in Tat und Wahrheit auf die Vorstellung, dass eine komplette Überwachung der Lieferkette möglich sei. Das Zitat allein zu betrachten und den gesamten Gesprächstext auszublenden werde der Sache in keiner Form gerecht und es lasse sich kein Verstoss gegen das Wahrheitsgebot gemäss Ziffer 1 der «Erklärung» ableiten, zumal die zitierte Aussage auch im Text vorkomme. Die Stellungnahme 25/2018 des Presserats (Titel der «SonntagsZeitung» «Hausärzte – So ungenau untersuchen sie») zu irreführenden oder überspitzten Titeln sehe vor, dass bei einem scharfen Titel sogleich im Lead, somit in der Nähe des Titels, eine Auflösung zu erfolgen habe. Die Leserschaft sei mit den entsprechenden Erläuterungen rasch in der Lage, den Titel richtig zu verstehen. Bereits in der zweiten Antwort des Interviews könne ein allfälliges Missverständnis im Titel des beanstandeten Artikels aufgelöst werden. Zwar habe die Redaktion eine Abstimmungsempfehlung zur Ablehnung der Vorlage herausgegeben, aber in einem klar erkennbaren Meinungsgefäss. Eine Einflussnahme via Titelsetzung werde abgewiesen.
D. Am 16. Februar 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg und den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 6. Mai 2021 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägung
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des in Ziffer 1 der «Erklärung» verankerten Wahrheitsgebots geltend. Dieses verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten. Er bringt vor, der Titel stimme nicht mit dem Inhalt des Artikels überein und werde aus dem Kontext gerissen. Die Chefredaktion der «Schaffhauser Nachrichten» entgegnet, der Titel komme so auch im Artikel bereits als Antwort auf die zweite Frage vor. Der Titel entspreche damit der Wahrheit und sei nicht irreführend.
Zwar könnte aus dem Titel bei erstmaligem Lesen geschlossen werden, Stoffel wende sich gegen den Inhalt der gesamten Initiative. Allerdings geht aus dem Lead hervor, dass er als Rechtsprofessor interviewt wird, der differenziert ausführt, was für Konsequenzen die Initiative für Schweizer Unternehmen hätte. Seine Aussage steht im Konjunktiv und wirft somit die Frage auf, auf welche Haftung sich die Aussage genau bezieht. In seinem Halbsatz macht Stoffel im Text genau diese Aussage, wobei der Leser diese im Text etwas suchen muss, da diese als Antwort auf die zweite Frage gemacht wird.
Der Schweizer Presserat sieht zwar Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt, sieht bei der Betitelung jedoch eine gewisse «journalistische Ungenauigkeit» als gegeben an, da die Lesart des Beschwerdeführers nicht ganz ausgeschlossen werden kann, wenn nur der Titel gelesen wird.
III. Feststellungen
1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
2. Die «Schaffhauser Nachrichten» haben mit dem Artikel «Eine solche Haftung ginge zu weit» vom 19. November 2020 die Ziffer 1 (Wahrheitssuche) und die dazugehörige Richtlinie 1.1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.