Nr. 30/2020
Wahrheit / Unterschlagen wichtiger Informationen / Berichtigung / Schutz der Privatsphäre

(W. c. «SonntagsBlick» und «Blick.ch»)

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I. Sachverhalt

A. Am 28. April 2019 erschien im «SonntagsBlick» und online auf «Blick.ch» ein Artikel von Fabian Eberhard unter dem Titel «Neonazi-Polizist patrouilliert für die SBB». Darin wird berichtet, dass «P.W.», ein bewaffneter Mitarbeiter der Bahnpolizei und früherer Kantonspolizist in Appenzell Ausserrhoden, ein bekennender Rechtsradikaler sei. Als Beleg dafür werden Bilder aus seinem Facebook-Account gezeigt: Ein Bild, mit welchem dem «Onkel» (gemeint sei damit Adolf Hitler) zum Geburtstag gratuliert wird, der Gruss an den Führer wird mit «GruSS» buchstabiert; weiter ist eine Pistolenpatrone zu sehen mit dem Text «Die Pille für kriminelle Ausländer und soz. Schmarotzer, schnell wirksam, 100% sicher» und schliesslich ist ein schwarzer Stein zu sehen, bemalt mit dem Totenkopfsymbol und den SS-Runen links und rechts davon. Des Weiteren sind Bilder von P.W. zu sehen, die ihn in seinem früheren Beruf als Polizist mit Maschinengewehr zeigen, in winterlicher Umgebung, mit Mütze, die sein Gesicht praktisch vollständig verdeckt. Das eine davon sei anlässlich eines Einsatzes aufgenommen, bei welchem er den Auftrag gehabt habe, die Teilnehmer des WEF in Davos zu beschützen. Im Weiteren sieht man P.W. bei Einsätzen als Bahnpolizist, mit unkenntlich gemachtem Gesicht.

Der Autor stellt fest, dass P.W. trotz seiner Funktion als Polizist aus seiner Gesinnung kein Hehl mache. Darauf angesprochen habe sich die Arbeitgeberin SBB «wortkarg» gegeben. Ihr Sprecher betone nur, dass menschenverachtendes, rassistisches Verhalten nicht toleriert werde. Offenbar, so der Text, sei P.W.s Einstellung den Vorgesetzten nie aufgefallen. Genauso wenig wie offenbar seinem früheren Arbeitgeber, der Kantonspolizei Ausserrhoden, welche ihn mit dem Maschinengewehr habe die Staatschefs dieser Welt bewachen lassen. Weiter wird darauf hingewiesen, dass Rechtsradikale bei der Polizei auch in anderem Zusammenhang ein Problem darstellten, dass P.W. kein Einzelfall sei.
In einem separaten Kommentar unter dem Titel «Es gilt Nulltoleranz» weist Autor Eberhard gleichentags darauf hin, dass zwar die Zusammensetzung von Polizeikorps zu Recht einen Spiegel der Gesellschaft bilde, dass aber der rechtsextreme Teil davon nicht einbezogen werden dürfe, denn die Polizei sei häufig mit Randgruppen konfrontiert, etwa mit Migranten, und im schlimmsten Fall könnten Rechtsradikale mit Gewaltfantasien im Polizeidienst zum öffentlichen Sicherheitsrisiko werden. Deshalb habe als Richtschnur zu gelten: Nulltoleranz.

Am 30. April 2019 erschien auf «Blick.ch» ein weiterer Artikel mit dem Titel «SBB stellen Neonazi frei». Darin wird berichtet, das vom «SonntagsBlick» angeführte Gedankengut von P.W. verstosse laut einer Stellungnahme der Bahn gegen die moralische Haltung der SBB, dass deswegen eine Untersuchung eingeleitet worden sei und die SBB P.W. während der Dauer dieser Untersuchung freigestellt habe. Der Artikel weist im Weiteren darauf hin, dass die Unschuldsvermutung gelte und er rekapituliert kurz das im Artikel des «SonntagsBlick» Geschilderte.

B. Am 17. Juli 2019 erhob der in den Artikeln beschriebene P.W. (Beschwerdeführer, im Folgenden BF) Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen die Berichterstattung von «SonntagsBlick» und «Blick.ch» mit der Begründung, sie verstosse gegen die Ziffern 1, 2, 3, 4, 5 und 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Im Einzelnen führt er an: Verstösse gegen die zur «Erklärung» gehörenden Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche) und 2.3 (Trennung Bericht – Kommentar), gegen Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagen wichtiger Informationselemente), Richtlinie 4.1 (Verschleierung des Berufs), 4.2 (verdeckte Recherchen) und gegen Ziffer 7 der «Erklärung» (in diesen drei Fällen gemeint: unlauterer Erwerb und Veröffentlichung von Bildern, Verletzung der Privatsphäre) und er fordert eine Berichtigung gemäss Ziffer 5 der «Erklärung».

Zur Begründung sagt der BF, der Autor «dichte» ihm eine «nationalsozialistische Einstellung an». Er schildert selber die vom Autor beschriebenen Bilder aus seinem Facebook-Account und bestreitet nicht deren Inhalt oder Authentizität, sondern er macht geltend, deren Interpretation sei mit «nationalsozialistisch», «Wutbürger» und «rechtsextremen Aktivitäten nachgehend» semantisch nicht korrekt und führt verschiedene Quellen zur Relativierung dieser Begriffe an. Der Schluss von der zitierten Gratulation an den Führer auf eine nationalsozialistische Einstellung in dem Sinne, dass er den Führer so hoch schätze, dass dies moralisch verwerflich sei, sei nicht zulässig, er trete nicht für den Nationalsozialismus ein. Um ihm so etwas nachzuweisen, müsste das mit mehr Bildern klareren Inhalts belegt werden. Er sei auch kein «Wutbürger», er habe nie an irgendwelchen Protesten teilgenommen. Ebenso sei die Methode zweifelhaft, mit der der Autor an die Bilder auf seinem Facebook-Account herangekommen sei.

Zum Bild mit der Patrone und der Bemerkung «Die Pille für kriminelle Ausländer …» macht er geltend, er habe darunter einen Eintrag gemacht, der ihn entlastet hätte, der aber unterschlagen worden sei, was eine Unterschlagung wichtiger Informationen gemäss Ziffer 3 der «Erklärung» darstelle. Auch im Kommentar und im Artikel, zwei Tage später, nach seiner Freistellung, sei er wieder als Verehrer Hitlers, als Neonazi bezeichnet worden und als einer, der Gewalt gegen Ausländer propagiere. Zu einem seiner Bilder bemerkt der BF, dieses sei satirisch gemeint gewesen.

C. Am 17. Juli 2019 unterbreitete der Presserat den Beschwerdegegnern (BG) «SonntagsBlick» und «Blick.ch» die Beschwerde zur Beantwortung, wobei die breit angelegte Beschwerde gemäss Art. 17 Abs. 2 des Geschäftsreglements des Presserats (Beschränkung auf die wesentlichen Beschwerdegründe) beschränkt wurde auf die Beurteilung nach den Ziffern 1, 3, 5 und 7 der «Erklärung».

D. Am 12. August 2019 beantragten die anwaltlich vertretenen «SonntagsBlick» und «Blick.ch» Abweisung der Beschwerde, soweit überhaupt darauf einzutreten sei.

In erster Linie wird geltend gemacht, dass der BF den Sachverhalt ja selber bestätige. Er beschreibe die Bilder von seinem Facebook-Auftritt selber völlig korrekt, er bestreite gar nichts. Er sage nur, es werde ihm etwas «angedichtet», das sei aber nicht der Fall, die Qualifikationen «Neonazi», «Wutbürger» und «rechtsextrem» ergäben sich klar aus den geschilderten Inhalten der Bilder. Der BF bestreite beispielsweise nicht, dass mit dem «Onkel» Hitler gemeint sei und er bestreite nicht, dass mit den beiden «S», Hitlers «SS», die Schutzstaffel gemeint war. Wenn er den Geburtstagsgruss an Hitler praktisch bestätige, aber bestreite, dass das eine Huldigung an Hitler sei, dann fehle die Erklärung dafür, was das denn sonst sein soll. Dasselbe gelte für die anderen von «SonntagsBlick» und «Blick.ch» angesprochenen Inhalte.

Wenn der BF geltend mache, es habe kein öffentliches Interesse für die Verletzung seiner Privatsphäre mit der Veröffentlichung der Bilder gegeben, er sei ein unbescholtener Polizist, der sich immer korrekt verhalten habe, so sei es im Gegenteil von grossem öffentlichem Interesse, zu erfahren, dass Rechtsradikale in den Staatsorganen zugange seien. Und weiter zum Stichwort Privatsphäre: Mit der Initialisierung des Namens und lauter Fotos, die sein Gesicht nicht hätten erkennen lassen, sei der BF genügend anonymisiert worden. Zur Unterschlagung wichtiger Elemente, welche der BF darin sieht, dass ein ihn entlastender Kommentar seinerseits unter einem der Bilder nicht erwähnt worden sei, wird angemerkt, dieser Kommentar stelle gar nichts in Frage, was der «SonntagsBlick» festgestellt habe, im Gegenteil, er belege das gänzlich fehlende Niveau, mit dem hier kommuniziert werde.

Dass die Redaktion Bilder von einem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil verwendet habe, sei unbedenklich, erstens weil das Profil eben öffentlich zugänglich sei, aber vor allem, weil dort mit Politischem an die Öffentlichkeit gegangen werde und dieses damit eben nicht mehr Privatsache sei.

Zur Frage der Berichtigung von falschen Betitelungen des BF stellt «Blick» fest, dass es nichts zu berichtigen gebe, wo nichts falsch sei.

E. Der Presserat teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident.
F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 4. Mai 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Bei der Frage, ob Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) verletzt sei, ist festzustellen, dass der BF die Sachverhaltsdarstellung nicht bestreitet. Er bestreitet nur deren Beurteilung. Er bestätigt den Inhalt der Bilder und damit die Gratulation an Hitler mit dem ausdrücklichen Bezug auf die Waffen-SS, weiter die Darstellung einer Pistolenkugel als schnell wirksame Medizin für unbotmässige Ausländer und die Abbildung eines Steins mit Totenkopf, dem Zeichen des bedingungslosen Einsatzes für Hitler, und den SS-Runen daneben. Wobei er eines der Bilder als «ironisch gemeint» verstehen will. Die anderen jedoch nicht.

Der Beschwerdeführer setzt sich stattdessen mit der Semantik von Ausdrücken wie «Nationalsozialist», «Wutbürger» und «Rechtsextreme» auseinander. Aber – und das ist für den Presserat entscheidend – er deutet mit keinem Wort an, wo er denn sonst politisch stehe oder was er denn anderes mit diesen Bildern gemeint haben könnte als die eklatant offensichtlichen Bezüge zum Nationalsozialismus. Den Beschwerdegegnern ist Recht zu geben, wenn sie sagen, allein eines der drei Bilder weise hinreichend auf eine rechtsextreme, dem Nationalsozialismus zugeneigte Haltung hin. Oder umgekehrt formuliert: Wer nicht als Anhänger des Nationalsozialismus gesehen werden will, verbreitet sicher nicht derartiges nationalsozialistisches Bildmaterial, jedenfalls nicht ohne gleichzeitig klar zu machen, dass man sich vom Inhalt entschieden distanziert. Der Presserat sieht deshalb die Verpflichtung zur Wahrheitssuche (Richtlinie 1.1) nicht verletzt.

2. Der BF macht geltend, die BG hätten eine wichtige Information unterschlagen, indem sie einen Kommentar zu einem Bild auf seiner Facebook-Seite nicht mitgeliefert hätten. In diesem Kommentar sagt er in der Tat unter anderem, man solle diejenigen Ausländer, «die sich integrieren auch dementsprechend behandeln». Das könnte man als Differenzierung weg von einem fremdenfeindlich-gewalttätigen Standpunkt verstehen und entsprechend einbeziehen müssen. Dies wird wiederum sehr fraglich angesichts des übrigen Inhalts dieses kurzen Textes, der ordinär und gewalttätig erscheint und damit die vorgenommene Differenzierung als mindestens widersprüchlich erscheinen lässt. Ziffer 3 (Unterschlagung wichtiger Informationen) der «Erklärung» ist nicht verletzt.

3. Was die Verletzung der Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) angeht, so ist festzuhalten, dass der Presserat in seiner Praxis betreffend private Bilder von Websites eine differenzierte Beurteilungsweise verfolgt. Grundsätzlich ist, gemäss Stellungnahme 35/2008, nicht alles, was Private an Bildern auf nicht passwortgeschützten Websites hochladen, für eine – via Massenmedien – massiv erweiterte Öffentlichkeit gedacht. Wenn aber ein direkter Bezug zwischen dem öffentlich zugänglichen Bild und dem Gegenstand einer Berichterstattung besteht, ist die Verwendung zulässig. Im konkreten Fall besteht ein ganz offensichtlicher Zusammenhang von Bildern einer öffentlich zugänglichen Facebook-Seite und dem Gegenstand der Berichterstattung.

Die Bilder, welche den BF selber zeigen, sind zudem allesamt so, dass man sein Gesicht nicht erkennen kann, auch sein Name ist hinreichend anonymisiert. Und das erforderliche öffentliche Interesse an der Veröffentlichung ist zweifellos gegeben, wenn es darum geht, ob politisch Radikale im öffentlichen Dienst, speziell bei der Polizei tätig sind, dies gilt unabhängig davon, wie der Einzelne sich bisher verhalten hat. Ziffer 7 (Privatsphäre) der «Erklärung» ist nicht verletzt.

Angesichts all des bisher Gesagten ist den Beschwerdegegnern darin Recht zu geben, dass es keinen Anlass zu einer Berichtigung gibt. Ziffer 5 der «Erklärung» ist ebenfalls nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Der «SonntagsBlick» hat mit den Artikeln «Neonazi-Polizist patrouilliert für die SBB» und «Es gilt Nulltoleranz» vom 28. April 2019 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen), 5 (Berichtigung) und 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.

3. Der «Blick» hat mit dem Artikel «SBB stellen Neonazi frei» die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen), 5 (Berichtigung) und 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung» nicht verletzt.