Nr. 30/2001
Grenzen der Kulturberichterstattung

X. c. «NZZ» Stellungnahme des Presserates vom 6. Juni 2001

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I. Sachverhalt

A. Am 27. November 2000 veröffentlichte die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) unter dem Titel «Künstlers Tun und Verantwortung» eine Besprechung von Peter Hagmann über ein Konzert des Philharmonia Orchestra London, das unter der Leitung des deutschen Dirigenten Christian Thielemann in der Zürcher Tonhalle abgehalten worden war. Der Journalist betonte in seinem Artikel die «sensationelle Begeisterung», die das Konzert und insbesondere der Dirigent beim Publikum hervorgerufen habe ebenso wie das herausragende musikalische Handwerk von Orchester und Leitung, fragte aber kritisch, wofür dieses Potential eingesetzt werde.

Darf, stellte Hagmann zur Diskussion, die Partitur der «Meistersinger» von Wagner «(…) so unverstellt militaristisch gespielt werden, dürfen durch Kunst so direkt Instinkte geweckt werden, die nur zu rasch ausser Kontrolle geraten? (…) Mit der Arroganz des Spätgeborenen weckt er Geister, die gebannt schienen – und die Menschen, die ihnen begegnen, geraten erwartungsgemäss ausser Rand und Band. Nahtlos verbinden sich das mit gewissen geistigen, gesellschaftlichen und politischen Strömungen, die seit 1989 vorherrschen. Das alles liesse sich in guten Treuen diskutieren, wäre da nicht ein Weiteres. Wie keiner unter den Dirigenten seiner Generation pflegt Christian Thielemann das Image eines Rechtskonservativen. Eben erst haben die Agenturen – im Zusammenhang mit dem Gezänk um die drei Berliner Opernhäuser und die Besetzung der führenden Positionen in diesen Instituten – eine antisemitische Äusserung zu Daniel Barenboim, dem künstlerischen Leiter der Staatsoper unter den Linden gemeldet. Die Insistenz, mit der Thielemann (…) diese Aussage hat dementieren lassen, obwohl sein Name in diesem Zusammenhang gar nicht explizit genannt worden ist, weist darauf hin, dass hinter diesem Rauch ein Feuer steckt. Fragen zu diesem Themenkreis weist der Dirigent unwirsch zurück; hier werde von den Medien etwas aufgebauscht, was seine Sache nicht sei. Sein Repertoire (…) spricht jedoch eine andere Sprache. Erst recht tun es sein Auftreten und sein Musizieren (…) Scharf gescheitelt und irritierend in die Stirn gezogen seine Frisur. Und gern rückt ihm in der Ekstase des Dirigierens die Hand ins Kreuz: an jene Stelle, wo der auf ein Uniformstück zurückgehende Frack eine Naht trägt und wo bei der Pose des Heerführers die Linke zu ruhen hat. Das mögen Äusserlichkeiten sein; im Falle von Christian Thielemann sind sie nicht ganz bedeutungslos. (…)»

B. Am 29. November 2000 stellte der NZZ-Leser X. der Redaktion einen Leserbrief zu, worin er Inhalt und Ton des Artikels als «hinterhältige und bösartige Diffamierung eines Künstlers» kritisierte.

C. Nach telefonischer Kontaktnahme mit X. veröffentlichte die NZZ in ihrer Ausgabe vom 8. Dezember 2000 zusammen mit anderen – zustimmenden und kritischen – Leserbriefen zur Konzertkritik von Peter Hagmann eine gekürzte Fassung des Briefes vom 29. November 2000.

D. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2000 an die NZZ kritisierte X. die Art und Weise der Kürzung seines Leserbriefes und bat, seinen Brief an den Presserat weiterzuleiten. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn die NZZ den Leserbrief nicht abgedruckt hätte, «als ihn so zu verstümmeln».

E. Mit Schreiben vom 19. Februar und 23. April 2001 gelangte X. (nachfolgend: Beschwerdeführer) an den Presserat. Er beschwerte sich darüber, «dass der Kritiker den gegenüber Herrn Thielemann erhobenen Vorwurf antisemitischer Äusserungen nicht nur aufgegriffen hat – obwohl das mit dem Konzert nichts zu tun hat – sondern gar ausführt, der Umstand, dass Thielemann sich gegen die ihm unterstellten Äusserungen gerichtlich wehre, beweise, dass an den Vorwürfen etwas dran sein müsse». Insbesondere die Formulierung «Wo Rauch ist, ist auch Feuer» sei mit einem verantwortungsvollen Journalismus nicht vereinbar. Diese Kritik sei auch der wesentliche Inhalt seines Leserbriefes gewesen. Der Kritiker habe das wohl auch richtig verstanden und deshalb ausgerechnet die darauf bezogenen Passagen weggelassen.

F. Der Präsidium des Presserates wies die Behandlung der Beschwerde seiner 1. Kammer zu, der Peter Studer als Präsident sowie die Mitglieder Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli, Silvana Ianetta, Philip Kübler, Kathrin Lüthi und Edy Salmina angehören.

G. Die NZZ wies die Beschwerde mit Schreiben vom 25. Mai 2001 als unbegründet zurück. Es sei üblich, dass bei Konzertbesprechungen auch Analysen und übergreifende Einordnungen vorgenommen würden. Mit dem Einbezug der Berliner Debatte rund um eine gegen Daniel Barenboim gerichtete antisemitische Äusserung einer namentlich nicht bekannten Person aus dem Berliner Kulturleben habe der Rezensent wahrheitsgetreu berichtet und somit die Fairness nicht verletzt. «Die Äusserung von Kritik, auch wenn sie deutlich ist, und die Erwähnung der Kontroverse, die sich aus jener Geisteshaltung heraus entsponnen hat, die der Rezensent des Werkes durch den Dirigenten herausgehört hat, kann nicht als sachwidrig bezeichnet werden. (…) Der Artikel versucht den Zusammenhang zwischen ästhetischer und ideologischer Position herauszuarbeiten. Ein solcher Versuch mag schwierig, ja problematisch sein; verboten ist er aber sicher nicht.» Hinsichtlich der Kürzung des Leserbriefes machte die NZZ geltend, aufgrund der ansehnlichen Zahl der Leserbriefe, die zu diesem Artikel eingingen, habe der Leserbrief des Beschwerdeführers schon aus Platzgründen nicht vollständig abgedruckt werden können. Aus den veröffentlichten Passagen gehe immerhin seine grundsätzliche Ablehnung der Konzertbesprechung hervor. In den gekürzten Passagen des Leserbriefes seien zum Teil heftige Schmähungen gegenüber dem Rezensenten enthalten gewesen («an Schäbigkeit kaum zu überbietendes Bubenstück», «unanständig in höchstem Mass»). Schliesslich habe der Beschwerdeführer die Formulierung des Rezensenten «dass hinter diesem Rauch ein Feuer steckt», falsch verstanden und sie nicht im Gesamtzusammenhang der Konzertbesprechung gesehen. «Eine Publikation dieses Teils des Briefes hätte eine Richtigstellung durch die Redaktion verlangt, was auf der Leserbriefseite nicht zu leisten ist.» Insgesamt seien die Kürzungen deshalb zulässig gewesen, und hätten der journalistischen Sorgfaltspflicht entsprochen. Die nachfolgenden Briefe des Beschwerdeführers seien unbeantwortet geblieben, weil aus Gründen der Arbeitsüberlastung über bereits publizierte Briefe keine Korrespondenz geführt werden könne.

H. Mit Schreiben vom 18. Juni 2001 hielt der Beschwerdeführer in Entgegnung auf die Stellungnahme der NZZ vom 25. Mai 2001 daran fest, dass mit dem Sprichwort «wo Rauch ist, ist auch Feuer» keineswegs nur der Auftritt von Thielemann in Zürich beleuchtet, sondern vielmehr auch dessen angebliche antisemitische Äusserungen in Berlin angesprochen worden seien.

I. Mit Schreiben vom 27. Juni 2001 reichte die NZZ einen Artikel der «Berliner Zeitung» vom 22. Juni 2001 mit dem Titel «Wer sagte ‹Juderei›?» und dem Untertitel «Christian Thielemann scheitert mit seine Klage gegen Wolfgang Girnus» nach. Der Artikel berichtete über die noch nicht rechtskräftige Abweisung einer Klage von Christian Thielemann, mit der dem PDS-Abgeordneten Wolfgang Girnus untersagt werden sollte, weiterhin zu behaupten, Thielemann habe über den von ihm erhofften Abschied Daniel Barenboims von Berlin gesagt: «Jetzt hat die Juderei in Berlin ein Ende.» Die NZZ halte zwar an ihrer Auffassung fest, dass sich die Bemerkung im NZZ-Artikel, dass «hinter diesem Rauch ein Feuer steckt», auf die Grundhaltung Thielemanns im besprochenen Konzert beziehe und nicht auf die Diskussion in Berlin. Sollte der Presserat dies wider Erwarten anders lesen, könne der beigelegte Artikel hilfreich sein zur Beurteilung der Berliner Diskussion in dieser Sache.

K. Mit Schreiben vom 6. Juli 2001 reagierte der Beschwerdeführer auf die Eingabe der NZZ vom 27. Juni 2001 und machte sinngemäss geltend, allein aus der Tatsache, dass Thielemann den erwähnten Prozess in Berlin verloren habe, könnten keinerlei Schlussfolgerungen über den Wahrheitsgehalt der über ihn verbreiteten Gerüchte gezogen werden.

L. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 6. Juni 2001 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Berichterstattung über kulturelle Ereignisse, zumal eine Rezension, enthält unbestrittenermassen immer auch subjektive, wertende Gesichtspunkte. Aus der Warte der journalistischen Berufsethik kommt hier dementsprechend die Kommentarfreiheit gemäss Ziff. 2 der «Erklärung» zum Tragen. Der Presserat hat in ständiger Praxis daran festgehalten, dass dem Kommentar, namentlich bezüglich der Tonalität, ein grosser Freiraum einzuräumen ist. Dessenungeachtet gelten aber die berufsethischen Grenzen der Kommentarfreiheit auch für die Kulturberichterstattung. In kommentierenden Texten muss das Publikum in die Lage versetzt werden, die Wertungen des Kommentators ausgehend von den dem Kommentar zu Grunde gelegten Fakten nachzuvollziehen und sich eine eigene Meinung zu bilden. Aus dem Fairnessprinzip und der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Privatsphäre ist zudem abzuleiten, dass sich ein Kommentar insbesondere auch dann durch eine gewisse Fairness auszeichnen sollte, wenn darin Einschätzungen von Personen wiedergegeben werden (vgl. u.a. die Stellungnahmen vom 30. Juni 1992 i. S. Sch. c. Baillod / «L’Impartial», in: Sammlung 1992, S. 35ff.; vom 20. Februar 1998 i.S. S. c. NZZ, Sammlung 1998, S. 48ff. vom 1. Oktober 1999 in Sachen H. c. «Zuger Presse», in: Sammlung 1999, 128ff.).

2. Es ist nicht Aufgabe und Kompetenz des Presserates, über die Berechtigung der gegenüber dem Dirigenten Thielemann in der NZZ wiedergegebenen Vorwürfe des Rechtskonservatismus und des Antisemitismus zu urteilen. Für die Zulässigkeit der wertenden Einordnung der «Berliner Diskussion» genügt es allerdings bereits, dass sich die NZZ in diesem Zusammenhang zumindest auf eine Agenturmeldung von Associated Press vom 25. Oktober 2000 zu «angeblich antisemitischen Äusserungen im Umfeld der Opernreform» und einen Bericht der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» vom 18. Oktober 2000 abstützen konnte. Sie hat die in diesen Berichten enthaltenen Fakten korrekt wiedergegeben. Dem Bericht der NZZ ist dazu zu entnehmen, dass «Nachrichtenagenturen» im Zusammenhang mit einem Streit rund um die drei Berliner Opernhäuser berichteten, es sei eine antisemitische Äusserung zu Daniel Barenboim gemeldet worden. Ebenso enthält der Artikel den Hinweis, Christian Thielemann habe dementiert, dass diese Äusserung von ihm stamme, wie er auch generell dementiere, dass eine solche Haltung «seine Sache» sei. Ausgehend von diesen unbestrittenen Fakten ist die Leserschaft der NZZ durchaus in der Lage, die darüber hinausgehenden pointierten Wertungen des Autors als solche zu erkennen und diese entweder als spekulativ zurückzuweisen oder sie im Gegenteil zu teilen. Der Presserat hat u.a. in seiner Stellungnahme i.S. D. c. «Weltwoche» vom 24. Mai 2000, Sammlung 2000, S. 133ff. darauf hingewiesen, dass in einer kommentierenden Berichterstattung auch eine scharf kritisierende, parteiergreifende, einseitige, pointierte Meinungsäusserung mit der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» vereinbar ist, solange das Publikum in der Lage ist, zwischen Fakten und Wertungen unterscheiden zu können und sich eine eigene Meinung zu bilden. An diesem Grundsatz ist auch hier festzuhalten, weshalb die Beschwerde hinsichtlich der sinngemäss geltend gemachten Verletzungen der Ziff. 1 (Wahrheitssuche), 3 (Unterschlagung wesentlicher Informationselemente) und 7 der «Erklärung» (Unterlassung sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen») als unbegründet abzuweisen ist.

3. Eine Verletzung von Ziff. 7 der «Erklärung» könnte allenfalls darin gesehen werden, dass der Autor in seiner Rezension auch Äusserlichkeiten wie die Frisur oder die Gesten von Christian Thielemann zur Stützung seiner Thesen heranzieht. Dies wurde vom Beschwerdeführer zumindest in seinem Leserbrief als «widerwärtig» gerügt. Diesbezüglich gilt es zwischen der Kommentarfreiheit und dem Anspruch auf die Respektierung der Privatsphäre abzuwägen. Der Presserat hat sich zu dieser Frage in seiner Stellungnahme i.S. C. c. «FACTS» vom 31. Januar 2001 wie folgt geäussert: «Bei der Berichterstattung über persönliche Belange ist eine gewisse Zurückhaltung angebracht. Denn auch Personen des öffentlichen Lebens haben einen Anspruch auf den Schutz ihrer Privatsphäre. Dies jedenfalls soweit als ihre Funktion in der Öffentlichkeit nicht betroffen ist (Stellungnahme vom 6. September 1993 i.S. Z. c. «24 Heures», Sammlung 1993, S. 32ff.). Die vom Beschwerdeführer als diffamierend empfundenen Aussagen (…) beziehen sich nicht auf den Beschwerdeführer als Privatperson, sondern allein auf seine Stellung in der Öffentlichkeit. Bei den vom Beschwerdeführer gerügten Aussagen handelt es sich teils um (…) wiedergegebenen Werturteile von Dritten, teils um Werturteile des Autors. Entscheidend erscheint auch hier, dass diese Werturteile für die Leserschaft nachvollziehbar als solche erkennbar sind und zudem auch die Fakten dargelegt werden (…) von denen die Werturteile ausgehen.» Auch an diesen Grundsätzen ist in Bezug auf die vorliegende Beschwerde festzuhalten. Die Tätigkeit eines Dirigenten spielt sich in der Öffentlichkeit ab. Bei der Berichterstattung können auch Äusserlichkeiten wie Gesten und Frisur eine Rolle spielen. Der Bericht der NZZ gibt auch hier die Fakten wieder, auf denen die teilweise weit gehenden Werturteile des Autors beruhen, und ebenso wird die Leserschaft wiederum in die Lage versetzt, zwischen kommentierenden Werturteilen und Fakten unterscheiden zu können.

4. Soweit der Beschwerdeführer die aus seiner Sicht sachlich nicht gerechtfertigte Art und Weise der gekürzten Wiedergabe seines Leserbriefs rügt, ist vorab daran zu erinnern, dass es gemäss ständiger Praxis des Presserates erstens im Ermessen der Redaktion liegt, ob sie einen Leserbrief abdrucken will und zweitens die «Erklärung» zwar auch für die Bearbeitung von Leserbriefen massgebend ist, der Presserat jedoch nur bei offensichtlichen Verletzungen der berufsethischen Pflichten (vorliegend z.B. der Unterschlagung wichtiger Informationselemente) einschreitet (vgl. dazu zuletzt eingehend die Stellungnahme 21/2001 i.S. W. c. «Tages-Anzeiger» vom 5. April 2001 mit zahlreichen Hinweisen auf weitere Stellungnahmen). Dem Beschwerdeführer ist zwar zuzugestehen, dass die Heranziehung des Sprichworts, wonach hinter dem Rauch auch ein Feuer stecke, entgegen der Auffassung der NZZ von der Leserschaft durchaus auch direkt auf den Vorwurf der möglicherweise antisemitischen Haltung von Thielemann bezogen werden kann. Bei einem Gesamtvergleich der ungekürzten mit der von der NZZ gekürzten Fassung des Leserbriefes ist aber festzustellen, dass auch in der abgedruckten gekürzten Fassung die Kritik des Beschwerdeführers deutlich aufscheint. Hinzu kommt, dass der Vorwurf der Diffamierung sowohl hinsichtlich der Interpretation von Frisur und Gestik als auch des Vorwurfs des Antisemtitismus in zwei weiteren in der gleichen Ausgabe der NZZ abgedruckten Leserbriefen wiedergegeben wird (vgl. hierzu auch die Stellungnahme i.S. W. c. «Coop-Zeitung» vom 30. März 2000, Sammlung 2000, S. 76ff.) so dass insgesamt von einer offensichtlichen Verletzung von Ziff. 3 der «Erklärung» nicht die Rede sein kann.

5. Als offensichtlich unbegründet abzuweisen ist schliesslich die Rüge des Beschwerdeführers, die NZZ-Redaktion habe es pflichtwidrig unterlassen, seine Korrespondenz an den Presserat weiterzuleiten oder seine entsprechende Anfrage zumindest zu beantworten. Aus der «Erklärung» kann weder eine berufsethische Pflicht abgeleitet werden, dass Redaktionen einen Sachverhalt auf Wunsch eines Lesers dem Presserat zu unterbreiten hätten, noch dass sämtliche Interventionen von Lesern zu beantworten wären. In seiner Stellungnahme 8/2001 i.S. FSJ/SLJ c. Jeannet vom 2. Februar 2001 hat der Presserat darauf hingewiesen, dass sich die «Erklärung» in erster Linie auf die Recherche und Veröffentlichung von Informationen bezieht, weshalb sich der Presserat bei der Beurteilung von Vorgängen innerhalb einer Redaktion eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Dies ändert zwar nichts daran, dass der Presserat nach wie vor empfiehlt, Zuschriften von Lesern grundsätzlich zu beantworten. Doch ist dies letztlich dem weiten Ermessen der Redaktionen überlassen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

2. Die Grenzen der Kommentarfreiheit gelten auch für die Kulturberichterstattung. Auch in Rezensionen von kulturellen Veranstaltungen muss das Publikum in die Lage versetzt werden, die Wertungen ausgehend von den dem Kommentar zu Grunde gelegten Fakten nachvollziehen zu können und sich eine eigene Meinung zu bilden.

3. Aus dem Fairnessprinzip und der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Privatsphäre ist abzuleiten, dass sich ein Kommentar insbesondere dann durch eine gewisse Fairness auszeichnen sollte, wenn darin Einschätzungen von Personen wiedergegeben werden. Bei der öffentlichen Tätigkeit eines Dirigenten dürfen jedoch auch Äusserlichkeiten wie Gesten und Frisur kommentiert werden, sofern die Leserschaft auch diesbezüglich zwischen Werturteilen und Fakten unterscheiden kann.

4. Von einer offensichtlichen Unterschlagung von wichtigen Informationselementen durch die Kürzung eines Leserbriefes kann keine Rede sein, wenn die Grundhaltung des Leserbriefschreibers in der gekürzten Version nach wie vor deutlich zum Ausdruck kommt und zudem der angeblich unterschlagene Vorwurf in zwei gleichzeitig abgedruckten Leserbriefen wiedergegeben wird.

5. Redaktionen sind berufsethisch nicht verpflichtet, einen Sachverhalt von sich aus oder auf Wunsch eines Lesers dem Presserat zu unterbreiten.