Nr. 29/2022
Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung

(X. c. «Tagblatt der Stadt Zürich»)

Drucken

Zusammenfassung

Der Presserat hat eine Beschwerde gegen das «Tagblatt der Stadt Zürich» gutgeheissen. Im November 2021 veröffentlichte die Zeitung einen Artikel über eine Veranstaltung zum Thema Führung, Strategie und Entscheidungsfindung mit alt Bundesrat Christoph Blocher. Eine Mitarbeiterin der veranstaltenden Firma hatte den Text verfasst. Sie lobte den Anlass in den höchsten Tönen, wies auf die nächste Veranstaltung hin und publizierte eine Web-Adresse, auf der Videos vom beschriebenen Anlass für Geld bestellt werden können. Die Zeitung brachte diesen Text wie einen redaktionellen Text und wies nirgends darauf hin, wer den Text verfasst hat. Der Presserat entschied, dass es sich dabei um Schleichwerbung handelt und die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt worden ist.

Résumé

Le Conseil de la presse a accepté une plainte contre le «Tagblatt der Stadt Zürich». En novembre 2021, le journal avait publié un article sur une manifestation organisée sur le thème de la conduite, de la stratégie et de la prise de décision avec l’ancien conseiller fédéral Christoph Blocher. L’auteure du texte était une collaboratrice de la société organisatrice. Elle y vantait la manifestation en des termes particulièrement élogieux, signalait la prochaine manifestation et publiait une adresse web à laquelle il était possible de commander des vidéos de la manifestation moyennant paiement. Le journal présentait cet article comme un texte rédactionnel, omettant d’indiquer qui en était l’auteur. Le Conseil de la presse a tranché: il s’agissait de publicité clandestine et il y avait donc atteinte à la «Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste».

Riassunto

Il Consiglio della stampa ha approvato un reclamo contro il «Tagblatt der Stadt Zürich». Nel novembre del 2021 il giornale aveva pubblicato un articolo relativo a un evento dedicato alla leadership, alla strategia e al processo decisionale con la partecipazione dell’ex Consigliere federale Christoph Blocher. Il testo era stato redatto da una collaboratrice della società organizzatrice. Dopo aver elogiato l’evento nei toni più elevati, essa aveva segnalato il seguente evento e pubblicato un indirizzo web in cui i video dell’evento descritto potevano venir ordinati a pagamento. Il giornale aveva pubblicato questo testo come se si fosse trattato di un editoriale, senza indicare in nessun luogo chi lo avesse scritto. Il Consiglio della stampa ha deciso che si tratta di pubblicità occulta e che la «Dichiarazione dei doveri e dei diritti dei giornalisti» è stata violata.

I. Sachverhalt

A. Am 10. November 2021 erschien im «Tagblatt der Stadt Zürich» (nachfolgend Tagblatt) ein Artikel mit dem Titel «Alternativen sind ein Muss», gezeichnet von Sonia Riveiro. Er handelt von einer Veranstaltung mit Unternehmer und alt Bundesrat Christoph Blocher als Protagonist. Sie trägt den Titel «Grundschritt der Führung: Strategielehre und Entscheidfindung» und wurde organisiert und angeboten vom Unternehmen CA-Media, und zwar unter dem Slogan «Flowcast on Tour». «Flowcast» ist ein Podcast von CA-Media, in dem der Firmengründer mit Persönlichkeiten über ihr jeweiliges Rezept für Erfolg und Lebensglück spricht. Der ganzseitige Text beschreibt die eintägige, von Showeffekten flankierte Veranstaltung wohlwollend und unkritisch und bezeichnet sie als «Führungs-Seminar». Der Artikel wird ergänzt mit einem Bild, das der Veranstalter zur Verfügung gestellt hat. Am Ende des Textes wirbt die Autorin für die nächste Ausgabe der Veranstaltungsreihe «Flowcast on tour» und weist auf weitere Angebote des Unternehmens hin, samt Nennung der Website.

B. Am 14. Dezember 2021 (erste unvollständige Eingabe 11. November 2021, Nachfrist gewährt) reichte X. Beschwerde gegen den Artikel beim Schweizer Presserat ein. Der Artikel verletze Ziffer 10 (Werbung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Die Beschwerdeführerin argumentiert, der Artikel sei Werbung für das Unternehmen CA-Media und für Christoph Blocher. Beide würden im besten Licht dargestellt. Es werde aber nirgends darauf hingewiesen, dass es sich hier um einen bezahlten Inhalt oder um einen Input von Dritten handle. Zudem gebe es keinen Hinweis darauf, dass Christoph Blocher Eigentümer des Tagblatts sei.

C. Am 23. März 2022 schreibt die Chefredaktorin des «Tagblatt der Stadt Zürich», Lucia M. Eppmann, in ihrer Beschwerdeantwort, für die Publikation des Artikels sei «keinerlei Geld geflossen». In der Themenwahl sei das Tagblatt frei. Zudem verweist sie auf ein E-Mail an die Beschwerdeführerin, in der sie festhält, dass Veranstaltungsjournalismus ein fester Bestandteil einer Lokalzeitung sei. Es gebe keinen Grund, diese Veranstaltung zu unterschlagen, nur weil Christoph Blocher Verleger von Swiss Regiomedia sei (das Unternehmen gibt unter anderem das Tagblatt heraus). Veranstaltungen wie diese stiessen auf ein grosses Interesse der Leserschaft. Deshalb gebe es auch keinen Grund, ihr die «wertvolle Information» über die nächste Ausgabe von «Flowcast on tour» vorzuenthalten.

In einer nachträglich eingeforderten Stellungnahme zur Autorin des Artikels schreibt die Chefredaktorin am 17. Mai 2022, dass dem Tagblatt die Ressourcen fehlten, um selbst eine ganztätige Veranstaltung abzudecken. Daher habe man die Organisatoren gebeten, das Grundmaterial für den Artikel zu liefern, damit die Redaktion den Beitrag mit Nachfragen zusammenstellen konnte. Es sei eine gebräuchliche Praxis, anhand von Pressemitteilungen, eingesandten Texten oder bestelltem Grundmaterial Artikel zu verfassen.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Monika Dommann, Michael Furger, Jan Grüebler, Simone Rau und Hilary von Arx an.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 6. Juli 2022 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerdeführerin sieht Ziffer 10 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Welche Richtlinie sie genau meint, lässt sie offen. Aufgrund ihres Beschwerdetextes kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Richtlinie 10.1 handelt. Die Richtlinie lautet wie folgt:

Die deutliche Trennung zwischen redaktionellem Teil/Programm und Werbung bzw. bezahltem oder durch Dritte zur Verfügung gestelltem Inhalt ist für die Glaubwürdigkeit der Medien unabdingbar. Inserate, Werbesendungen und bezahlte oder durch Dritte zur Verfügung gestellte Inhalte sind gestalterisch von redaktionellen Beiträgen klar abzuheben. Sofern sie nicht optisch/akustisch eindeutig als solche erkennbar sind, müssen sie explizit als Werbung deklariert werden. Journalistinnen und Journalisten dürfen diese Abgrenzung nicht durch Einfügen von Schleichwerbung in der redaktionellen Berichterstattung unterlaufen.

Demnach sind Redaktionelles und Werbung deutlich zu trennen. Und Werbung klar zu deklarieren. Journalisten dürfen diese Abgrenzung nicht durch Schleichwerbung in redaktionellen Berichten unterlaufen. Genau das ist hier aber nach Meinung der Beschwerdeführerin passiert.

2. Der Artikel ist gänzlich unkritisch und beschreibt die Veranstaltung ausschliesslich in positiven Worten. Dies allein ist kein Verstoss gegen den Journalistenkodex. Schwerer wiegen drei weitere Befunde. Erstens ist die Autorin keine Journalistin des Tagblatts, sondern eine Mitarbeiterin des Veranstalters CA-Media. Zweitens macht sie im Text Werbung für die nächste Veranstaltung und die Website der Firma. Dort werden die «Führungs-Seminare» mit Christoph Blocher als Video- oder Audio-Aufzeichnungen zum Kauf angeboten, zum Teil für mehrere hundert Franken. Der Text ist also sehr stark kommerziell ausgerichtet. Aufgrund der begeisterten Beschreibung des Anlasses ist er sprachlich und inhaltlich mit einer Publireportage vergleichbar. Ob dabei Geld geflossen ist oder nicht, spielt keine grosse Rolle. Der Text hat einen starken Werbeeffekt zugunsten der Firma, ist aber nicht als Werbung deklariert. Und der Benefit für das Tagblatt kann auch darin bestehen, dass die Redaktion ohne Aufwand und kostenlos zu einem seitenfüllenden Inhalt mit einer prominenten und zugkräftigen Persönlichkeit gekommen ist. Drittens kommt der Werbebeitrag gestalterisch im normalen Layout des Tagblatts daher. Und firmiert im Seitenkopf unter der redaktionellen Rubrik «Aktuell». Gestützt auf all diese Elemente ist der Beitrag als Schleichwerbung zu charakterisieren.

3. Es trifft zu, dass kleine Redaktionen wie jene des Tagblatts keine personellen Ressourcen haben, um ganztägige Veranstaltungen journalistisch abzudecken und sie sich daher häufig auf eingesandtes Material abstützen. Dieses Verfahren befreit eine Redaktion aber nicht von der Verantwortung, Schleichwerbung im redaktionellen Teil zu verhindern. Auch eingesandtes Material muss nach medienethischen Grundsätzen aufbereitet und publiziert werden. Tut eine Redaktion das nicht oder kann sie das nicht leisten und publiziert sie einen eindeutigen Werbebeitrag in der Form, wie hier das Tagblatt jenen über den Blocher-Showcase, dann ist zumindest im Kopf das redaktionelle «Aktuell» durch eine Kennzeichnung als «Werbung», «Inserat» oder «Anzeige» zu ersetzen. Und am Fuss der Seite ein Hinweis folgender Art anzubringen: «Dieser Beitrag wurde dem Tagblatt von der veranstaltenden Firma CA-Media zur Verfügung gestellt. Die Verfasserin arbeitet für CA-Media.» (Vergleiche dazu die Stellungnahmen 67/2019 und 6/2020 zu versteckter Werbung.)

4. Dass der Protagonist der Veranstaltung – Christoph Blocher – gleichzeitig Verleger und Besitzer des Tagblatts ist, ist eine interessante Feststellung, hat aber mit dem Vorwurf der Schleichwerbung nichts zu tun. Wäre derselbe Artikel über eine Veranstaltung mit einem anderen Gast publiziert worden, würde das nichts an der Sachlage ändern. Es ist zwar grundsätzlich denkbar, dass Christoph Blocher seine Redaktion zu einer Berichterstattung aufgefordert oder ermuntert hat. Doch das lässt sich nicht nachweisen. Grundsätzlich gilt alt Bundesrat Christoph Blocher immer noch als Person, die in breiten Kreisen der Bevölkerung auf grosses Interesse stösst. Die Entscheidung, eine Veranstaltung mit ihm zum Gegenstand einer medialen Berichterstattung zu machen, kann sehr gut rein journalistisch begründet werden. Im Sinn der Transparenz wäre es aber wünschenswert gewesen, Blocher als Eigentümer des Tagblatts zu nennen.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde gut.

2. Das «Tagblatt der Stadt Zürich» hat mit dem Artikel «Alternativen sind ein Muss» vom 10. November 2021 die Ziffer 10 (Werbung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.