Zusammenfassung
Der Presserat hat aufgrund zweier Beschwerden entschieden, dass eine Frontseite von «20 Minuten» dem Gebot, Werbung und redaktionellen Inhalt klar zu trennen, nicht entsprochen hat.
Die Zeitung hatte auf der Front ein Inserat mit dem Text «Sollen türkische Richter unser Minarettverbot aushebeln können? Wer das nicht will, sagt JA zur Selbstbestimmungsinitiative!» abgedruckt. Dabei war die Illustration eines Minaretts in der gleichen Farbe gehalten wie das Logo von «20 Minuten». Zwar habe der Verlag den gängigen Kriterien für die Trennung von Inhalt und Werbung Rechnung getragen, sagt der Presserat, indem für das Inserat eine andere Schrift verwendet worden sei als für die übliche Frontseite, auch sei der Auftraggeber «Egerkinger Komitee» erwähnt gewesen und es habe eine Kennzeichnung «Anzeige» gegeben. Aber dieser Hinweis war kaum sichtbar und das erwähnte Komitee einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Vor allem aber war alles auf einer einzigen grafischen Ebene angelegt und daher entstand für die Leserschaft zu wenig Klarheit über die Frontseite, die üblicherweise immer die wichtigsten Informationen enthält.
Anders beurteilte der Presserat die Seite 2: Dort sei der Unterschied zwischen der politischen Werbung links und dem redaktionellen Inhalt rechts auf den ersten Blick klar geworden und zwar aufgrund des völlig verschiedenen Schriftbildes auf der linken und der rechten Seite. Hier habe kein falscher Eindruck entstehen können und dies, obwohl hier die erforderliche Kennzeichnung als «Anzeige» fehlte.
Résumé
Le Conseil de la presse a décidé, à la suite de deux plaintes, qu’une page de titre de «20 Minuten» avait enfreint le principe de séparation claire entre publicité et contenus rédactionnels.
Le journal avait publié en première page une annonce disant «Sollen türkische Richter unser Minarettverbot aushebeln können? Wer das nicht will, sagt JA zur Selbstbestimmungsinitiative!» (les juges turcs doivent-ils pouvoir miner notre interdiction des minarets? si vous pensez le contraire, dites OUI à l’initiative sur l’autodétermination). L’annonce contenait une illustration montrant un minaret de la même couleur que le logo de «20 Minuten». Si l’éditeur a observé les critères usuels de séparation de la publicité et des contenus, estime le Conseil de la presse, en utilisant une autre police de caractères que pour la une normale, et si le nom du commanditaire – le «Egerkinger Komitee» – était bel et bien indiqué, tout comme la mention «Anzeige» (annonce), tout ça était à peine visible et le comité en question est peu connu du grand public. Et surtout, l’annonce était placée sur le même plan graphique, de sorte qu’il régnait un certain flou pour le lecteur au sujet de la une, qui présente normalement les informations les plus importantes.
La position du Conseil de la presse concernant la page 2 n’est pas la même: la séparation entre la publicité politique à gauche et les contenus rédactionnels à droite y est visible d’emblée et ce, en raison des caractères totalement différents utilisés à gauche et à droite. Cette page ne pouvait induire en erreur, même en l’absence de la mention «Anzeige», pourtant requise.
Riassunto
Il Consiglio della stampa, accogliendo due reclami contro „20 Minuten“, ha di nuovo constatato una violazione del principio della separazione tra testo redazionale e pubblicità.
Il giornale aveva pubblicato in prima pagina un’inserzione pubblicitaria dal titolo: „Dovrebbero i giudici turchi vanificare il divieto costituzionale della costruzione di minareti? Chi è contrario dica „sì“ all’iniziativa per l’autodeterminazione“. Nell’annuncio figurava l’immagine di un minareto dello stesso colore della testata del giornale. Il giornale aveva pur tenuto conto di alcune precauzioni atte a distinguere l’inserzione dal contenuto redazionale: per esempio usando caratteri di stampa diversi da quelli della prima pagina abituale, citando un „Egerkinger Komitee“ come autore dell‘appello e inserendo la scritta: „Anzeige“. Ma tale rimando – risponde il Consiglio della stampa accogliendo due reclami presentati contro il giornale – era piccolissimo e del Comitato di Erkingen nessuno sa nulla. Poteva dunque sussistere confusione tra la forma abituale della prima pagina del quotidiano e la fattura di quella prima pagina in particolare, tale da indurre in errore i lettori.
Per quanto riguarda la seconda pagina di quel numero, in cui risultano chiaramente contrapposti – anche con l’uso di caratteri diversi – il testo pubblicitario a sinistra e il commento redazionale a destra, il Consiglio della stampa è stato del parere che la distinzione fosse chiara, benché nella pagina non figurasse, come sarebbe stato necessario, la scritta: „Pubblicità“.
I. Sachverhalt
A. Am 20. November 2018 erschien die gedruckte Ausgabe von «20 Minuten» mit einer Front und einer Seite 2 bestehend ausschliesslich aus Werbung. Auf der Front war unter dem blauen Logo «20 Minuten» zu lesen: «Sollen türkische Richter unser Minarettverbot aushebeln können?» Darunter: «Wer das nicht will, sagt JA zur Selbstbestimmungsinitiative!», wobei das JA deutlich grösser gesetzt ist als der Rest des Textes. Rechts neben dem Text ist auf der ganzen Höhe der Zeitungsseite ein Minarett abgebildet, mit der hohen Turmspitze im gleichen Blau wie das Logo der Zeitung. Unten links ist unter der Aufforderung «Jetzt abstimmen gehen!» in etwas kleinerer Schrift der Auftraggeber des Inserates «Egerkinger Komitee, Postfach 23, 8416 Flaach» aufgeführt. Oben rechts, über dem Minarett findet sich in kleiner Schrift das Wort «ANZEIGE». Der ganze Text ist in einer anderen Schrift gesetzt als das übrige Blatt.
Auf der Seite 2 des Blattes wird unter der grossen Überschrift «Arbeitslos dank fremden Richtern!» eine offenbar sehr besorgte Frau abgebildet. Darunter der Text: «Der EU-Gerichtshof hat die österreichischen Massnahmen gegen Lohndumping für ungültig erklärt. Die EU will auch unsere Massnahmen gegen Lohndumping aushebeln.» Darunter, grösser, «Schweizer Recht statt fremde Richter. JA zur Selbstbestimmungsinitiative!» Das «JA» ist wieder wesentlich grösser als der Rest des Textes. Zuunterst wieder der Hinweis auf den Auftraggeber: «Egerkinger Komitee, Postfach, 8416 Flaach». Der Hinweis «Anzeige» fehlt auf dieser Seite. Die Schrift des gesamten Textes ist erneut anders als im Blatt.
B. Am 20. November 2018 richtete sich X. mit einer Beschwerde an den Schweizer Presserat. Er kritisierte, dass es für den Durchschnittsleser nicht erkennbar sei, ob es sich auf der Frontseite um einen Beitrag oder die Meinung des Presseerzeugnisses handle. Es werde nur in ganz kleiner Schrift oben rechts darauf hingewiesen, dass es sich um eine Anzeige handle. Zudem seien das Logo und das Minarett in der gleichen Farbe gehalten, was einen zusätzlichen Zusammenhang zwischen dem Produkt und der Aussage herstelle. Er halte das für unzulässig und sehe darin einen Verstoss gegen Richtlinie 2.3 «Trennung von Fakten und Kommentar» zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Es gehe nicht an, dass ein so breit gestreutes Gratiserzeugnis kurz vor einer Abstimmung «so krass Werbung mache für eine Seite».
Am 21. November 2018 richtete sich Y. ebenfalls, mit einer sehr kurz gehaltenen Beschwerde, an den Presserat. Er kritisierte, dass die optisch unklare Trennung zwischen politischer Anzeige und dem Logo der Zeitung auf der Front die Richtlinie 10.1 der «Erklärung» verletze.
C. Das Präsidium des Presserates entschied, die beiden Beschwerden zu vereinen und bat den Verlag Tamedia, welcher «20 Minuten» herausgibt, um eine Stellungnahme zu den beiden Beschwerden.
D. Die Stellungnahme der Beschwerdegegnerin Tamedia erfolgte am 30. Januar 2019. Zur Beschwerde von X., wonach die Anzeige gegen Richtlinie 2.3 verstosse (Trennung von Fakten und Kommentar), wird erwidert, dass diese Bestimmung nicht anwendbar sei, da es sich beim fraglichen Text um eine Anzeige handle. Richtlinie 2.3 hingegen beziehe sich auf journalistische Texte. Deswegen sei auf die Beschwerde nicht einzutreten. Ergänzend wird angeführt, dass «20 Minuten» allen Inserenten offenstehe, auch politischen Parteien. Es wäre unzulässig und höchst undemokratisch, wenn «20 Minuten» politisch Position beziehen würde, indem sie gewisse Meinungen nicht zuliesse. Die Gegenseite bei dieser Abstimmung habe ebenfalls schon ganzseitig für ihr Anliegen werben können.
Zur Beschwerde von Y., wonach die Anzeige gegen Richtlinie 10.1 verstosse (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung), hält Tamedia fest, die Anzeige sei vom redaktionellen Teil klar abgegrenzt und mit dem Hinweis «Anzeige» auch deklariert. Es werde nicht die gleiche Schriftart verwendet wie im redaktionellen Teil und es werde deklariert, wer der Urheber der Anzeige sei.
E. Am 1. März 2019 teilte der Presserat den Parteien mit, auf die Beschwerde werde eingetreten, sie werde der 1. Kammer des Presserates zugewiesen, bestehend aus Francesca Snider (Präsidentin), Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini und Casper Selg.
F. Die 1. Kammer hat die Beschwerde in ihrer Sitzung vom 24. Juni 2019 und auf dem Korrespondenzweg behandelt.
II. Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer X. kritisiert, es sei nicht erkennbar, dass die Frontseite eine Anzeige enthalte und nicht die Meinung des Blattes. Er bezeichnet dies als Verletzung der Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar). Tamedia macht geltend, diese Bestimmung richte sich nur gegen journalistische Inhalte, welche Bericht und Kommentar nicht sauber trennten und nicht gegen Anzeigen und sei damit auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar. Dem ist zuzustimmen, Richtlinie 2.3 richtet sich in der Tat gegen die Vermengung der beiden journalistischen Textsorten und ist nicht auf Anzeigen anwendbar.
In seiner Begründung weist X. weiter darauf hin, dass der Hinweis «Anzeige» zu klein sei, als dass er vom Leser erkannt werde und darauf, dass das Logo der Zeitung und die hohe Spitze des Minaretts in der gleichen Farbe gehalten seien, was auf eine Verbindung zwischen Zeitung und Inhalt hindeute. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer mit all diesen Argumenten offensichtlich einen Verstoss gegen die Trennung von Werbung und redaktionellem Teil meint (Richtlinie 10.1) und dafür mit Richtlinie 2.3 die falsche Bestimmung angeführt hat. Gemäss ständiger Praxis korrigiert der Presserat einen derartigen Mangel, wenn er einer Person unterläuft, die mit dem Medienrecht nicht vertraut ist. Entsprechend sind seine Argumente auch unter dem Gesichtspunkt von Richtlinie 10.1 zu prüfen. Dies erfolgt im Folgenden gemeinsam mit der Beschwerde von Y.
2. Beschwerdeführer Y. macht eine Verletzung der Richtlinie 10.1 geltend (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung). Er erwähnt dazu als Begründung lediglich die «unklare Trennung zwischen politischer Anzeige und dem eigenen Logo, der Marke der Zeitung».
3. Richtlinie 10.1 verlangt im Interesse der Glaubwürdigkeit der Medien ein klares Abheben von redaktionellem Teil und Werbung, respektive bezahltem, von Dritten zur Verfügung gestelltem Inhalt. Sofern solche Inhalte nicht eindeutig als Werbung erkennbar sind, müssen sie explizit als Anzeigen deklariert werden. Die Beschwerdegegnerin macht geltend, diese Abgrenzung sei gegeben, alle massgebenden Anforderungen seien erfüllt: Der Werbetext sei klar vom redaktionellen Teil abgegrenzt, es werde nicht dieselbe Schriftart verwendet wie im redaktionellen Bereich und es werde klar deklariert, wer Urheber des Inserates sei. Mit dem Erfüllen dieser Anforderungen sei eine Deklaration als Anzeige nicht erforderlich. Dennoch sei genau dies zusätzlich mit dem Hinweis «Anzeige» auch noch erfolgt.
Diese Feststellungen treffen in weiten Teilen zu: Der Werbetext steht auf einer anderen Seite als der im Innern des Blattes folgende redaktionelle Text. Respektive, bezogen auf das Inserat der gleichen Organisation auf der Seite 2, der Text kommt vor dem redaktionellen Inhalt auf der folgenden Seite 3. Eine äusserliche Trennung ist in diesem Sinne gegeben. Es wird in der Tat auch eine andere Schriftart verwendet als im redaktionellen Teil. Und der Urheber des Inserats ist klar deklariert. Zusätzlich ist das Inserat auf der Front, wenn auch in sehr kleiner Schrift, als Anzeige deklariert.
Dennoch fragt sich im Fall der Frontseite, wo bezahlter Inhalt und redaktioneller Text sich nicht – wie im Blattinnern üblich – gegenüberstehen, ob das Inserat als alleiniger Inhalt der Seite klar als Anzeige zu erkennen ist, wie Richtlinie 10.1 dies verlangt: Diese Frage hat der Presserat intensiv diskutiert, es geht hier, dies sei vorausgeschickt, nicht um eine Frage von «klar richtig» und «klar falsch», sondern um das Abwägen von Nuancen:
Auf Anhieb sieht man auf der Frontseite das Logo «20 Minuten» im üblichen Blau, im gleichen Blau die Spitze eines Minaretts. Alles Übrige ist schwarz-weiss. Am grössten der Text «Wer das nicht will, sagt JA zur Selbstbestimmungsinitiative!».
Die Frontseite einer Zeitung enthält üblicherweise die wichtigsten oder interessantesten Informationen eines Blattes. Hier also wird für den flüchtigen, nicht mediengeschulten Durchschnittsleser, der das Gratisblatt aus dem Kasten nimmt, sichtbar: 20 Minuten – Minarett – Ja zur Selbstbestimmungsinitiative.
Dieser erste Eindruck würde sich verflüchtigen, wenn dem Leser auf andere Weise sofort klar würde, dass es um ein Inserat geht. Das ist hier aber nicht der Fall: Der Hinweis «Anzeige» ist im Verhältnis zum anderen Text sehr klein und kaum sichtbar, ganz oben rechts am Rande. Und der Hinweis auf die politische Urheberschaft ist zwar in der Tat zuunterst enthalten, aber er erklärt sich nicht auf Anhieb: Kaum jemand weiss, was das Egerkinger Komitee ist, was es also mit dem Inhalt der Frontseite auf sich hat. Das wäre allenfalls anders, wenn dort Migros oder Mazda stünde, wenn es also klar um einen Werbeinhalt ginge. Wenn Bilder von Teppichen, Autos oder heruntergesetzten Elektronikartikeln zu sehen wären. Das ist aber bei einem hochpolitischen Thema auf der Front nicht dasselbe. Und dass die Schriftart anders ist als im redaktionellen Teil, ist wiederum eine Anforderung, die zwar im normalen Fall von Nutzen ist, wenn man nämlich den Vergleich hat: einerseits einen redaktionellen Text, daneben, in anderer Schrift und anderem Layout etwas offensichtlich anderes. Mangels dieser Vergleichbarkeit wird das aber im speziellen Fall einer Frontseite dem durchschnittlichen Leser nicht auf Anhieb auffallen.
All dies würde noch immer keine Rolle spielen, wenn das Logo und der restliche Inhalt der Frontseite deutlich voneinander getrennt erschienen. Wenn eine optische Markierung signalisierte: hier das Zeitungslogo, dort, klar abgetrennt und als solches erkennbar, etwas ganz anderes als Zeitungsinhalt, nämlich Werbung! Dass die Leserschaft also nicht, wie üblich, die wichtigsten Informationen auf der Frontseite erwarten kann. Eine solche grafisch unmissverständliche Darstellung hatte der Presserat im Fall 45/2004 zu beurteilen: Links oben auf der Frontseite das Zeitungslogo, darum herum in Knallrot ein Inserat, das es «auch dem hintersten und unaufmerksamsten Betrachter klar» gemacht habe, «dass es sich um pure Werbung» gehandelt habe (Stellungnahme 45/2004).
Im vorliegenden Fall aber überlagert sich beides in der Darstellung: Das Logo erscheint innerhalb des Inserats, und in der Farbgebung sind Logo und der optische Hauptinhalt, das Minarett, gleich eingefärbt. Die Trennung ist nicht auf Anhieb klar ersichtlich, es befindet sich alles auf der einen, gleichen grafischen Ebene.
Anders sieht es aus im Fall der Seite 2. Die sieht auf Anhieb eher aus wie Abstimmungswerbung, weil das Logo der Zeitung fehlt und weil der Unterschied der Schrift und des Layouts im Vergleich zur daneben sichtbaren redaktionellen Seite 3 sofort ins Auge fällt. Hier ist die von Richtlinie 10.1 geforderte klare optische Unterscheidbarkeit gegeben. Auch wenn auf dieser Seite der Hinweis auf die Anzeige bedauerlicherweise fehlt.
Der Presserat hat in seiner Praxis regelmässig strenge Anforderungen an die Abtrennung und Erkennbarkeit von Anzeigen gestellt. Etwa in Stellungnahme 23/2011, wo neben der optischen auch an die begriffliche Trennung hohe Ansprüche gestellt werden, oder in Stellungnahme 41/2005, wo explizit darauf hingewiesen wird, dass umgekehrt die Trennung nicht nur begrifflich, sondern auch optisch klar sein muss. Dies unterstreicht auch Stellungnahme 26/2001, auch dort wird beides gefordert: optische und begriffliche Trennung, und zwar so, dass es für den durchschnittlichen Leser klar ist.
Diese von Richtlinie 10.1 geforderte klare Trennung ist im Fall der Seite 2 gegeben, im Fall der Frontseite jedoch nicht.
4. Der Hinweis der Beschwerdegegnerin, sie hätte das Inserat gar nicht ablehnen können, weil sie zuvor schon ein ähnliches, auf der Front aufgemachtes Inserat der Gegenseite gedruckt habe, ein solcher Schritt wäre politischer Zensur gleichgekommen, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang: Den Umschlag einer Zeitung nur mit Werbung zu versehen ist nicht untersagt. Sie muss nur klar und deutlich als das erkennbar sein, vom Inhalt der Zeitung klar, also für den Durchschnittsleser sofort ersichtlich, abgesetzt sein.
5. Ob es auch wünschbar ist, dass Zeitungen ihre prominentesten Seiten ausschliesslich der Werbung zur Verfügung stellen, ist eine andere Frage, speziell im Fall von politischer Werbung. In seiner Stellungnahme 45/2004 hat der Presserat schon für einen Fall von kommerzieller Werbung festgehalten, dass es hier zwar um Fragen gehe, welche letztlich die Verleger im Gespräch mit den Chefredaktionen zu beantworten hätten, dass aber der Presserat das Mittel der «Ummantelung» einer Zeitung mit Werbung «anzweifle». Auf diese Weise schleiche sich Werbung nicht nur langsam in den redaktionellen Teil ein, sondern sie verdränge diesen «auf brutale Weise», indem er das «Schaufenster der Redaktionsleistung» vollständig ersetze. Umso problematischer stellt sich die Lage dar, wenn selbst politische Werbung das Schaufenster der Redaktionsleistung ersetzt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. «20 Minuten» hat mit der Art der Platzierung des Inserates «Ja zur Selbstbestimmungsinitiative» auf seiner Frontseite vom 20. November 2018 Ziffer 10 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt) verletzt.
2. Dagegen hat «20 Minuten» mit der Platzierung der Werbung «Ja zur Selbstbestimmungsinitiative» auf der Seite 2 die Ziffer 10 der «Erklärung» nicht verletzt.
3. Auch hat «20 Minuten» mit der Platzierung der Werbung «Ja zur Selbstbestimmungsinitiative» auf der Frontseite Ziffer 2 der «Erklärung» (Trennung von Fakten und Kommentar) nicht verletzt.