Zusammenfassung
Text D
Résumé
TEXT F
Riassunto
TEXT I
I. Sachverhalt
A. Am 15. Januar 2021 veröffentlichte das Onlineportal «blick.ch» einen Beitrag in Zusammenhang mit der eidgenössischen Abstimmung zur elektronischen Identität. Unter der Spitzmarke «Abstimmung zum E-ID-Gesetz» titelt der Beitrag «Darum brauchen wir eine elektronische Identität». Anstelle des Autorennamens steht in der Beitragsansicht «In Kooperation mit digitalswitzerland», in der Teaser-Ansicht erscheint dieser Hinweis nicht. Der Beitrag beschreibt die Vorlage mit allen Vorteilen. Im Mittelteil eingefügt ist eine Text-Box mit dem Logo von «digitalswitzerland» gepaart mit den Empfehlungen von Bundesrat, Parlament, Kantonen, Gemeinden (in hervorgehobener Schrift) und anderen, die Vorlage anzunehmen. Der beigefügte Button «Mehr Infos zur E-ID» verursacht inzwischen eine Fehlermeldung.
Im Schlussabsatz erscheint kurz ein kritisches Argument, welches gleich entkräftet wird. Darauf folgt ein eingebettetes Erklärvideo des Youtube-Kanals E-Government Schweiz, worin das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) die Funktionsweise der elektronischen Identität erklärt.
Gleichentags wurde dieser Text auch auf der Online-Plattform der «Schweizer Illustrierten» (SI) veröffentlicht. Der Link auf den Online-Beitrag der SI wird zudem via Facebook gepostet. Als Post-Text dient der Lead des Beitrags, welcher mit «Gesponsert» gekennzeichnet ist.
All diese Beiträge lösten kritische Reaktionen in den sozialen Medien und später auch in Online-Publikationen aus.
B. Am 18. Januar 2021 aktualisiert «blick.ch» seinen Beitrag und fügt am Beitragsende eine Textbox hinzu. Unter dem Titel «Dies ist ein bezahlter Beitrag» wird erklärt, dass unter einem Text mit der Kennzeichnung «in Kooperation mit» ein Inhalt verstanden werde, der im Auftrag eines Kunden erstellt und von diesem bezahlt worden sei. Der Beitrag sei von «Brand Studio» erstellt, journalistisch aufbereitet und entspreche den Qualitätsanforderungen der «Blick»-Gruppe. Gleichzeitig entfällt das Erklärvideo des EJPD.
C. Am 26. Januar 2021 aktualisiert «blick.ch» den Beitrag erneut und fügt als ersten Satz des Lauftextes des Artikels (in kursiver Schrift hervorgehoben) folgenden Satz ein: «Bei diesem Inhalt handelt es sich um politische Werbung.» Die Autorenzeile wurde ebenfalls aktualisiert: Anstelle des Eintrages «In Kooperation mit digitalswitzerland» steht nunmehr «Das ist ein bezahlter Beitrag, präsentiert von digitalswitzerland».
Der Facebook-Post ist unterdessen mit «Bezahlte Werbepartnerschaft» gekennzeichnet.
D. Mit Schreiben vom 26. Januar 2021 erhob der Verein «Digitale Gesellschaft» Beschwerde gegen den Artikel beim Schweizer Presserat und machte einen Verstoss gegen die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») gehörende Richtlinie 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) geltend. Die Beschwerde wird gemäss Beschwerdeführerin (BF) von 2000 Personen (beigelegte Liste) und weiteren Vereinen unterstützt.
Im Allgemeinen rügt die BF, der Verstoss wirke besonders schwer, da er eine eidgenössische Abstimmungsvorlage (7. März 2021) betreffe und im Vorfeld der Abstimmung publiziert worden sei. Es handle sich um unzulässiges politisches Native Advertising, was eine «höchst problematische Manipulation demokratischer Prozesse» bedeute und bis anhin in der Schweizer Presse nicht üblich gewesen sei. Deshalb bittet die BF auch um eine Entscheidung des Presserates noch vor dem Abstimmungstermin. Die BF verlangt auch, ein Exempel zu statuieren, damit sich das politische Native Advertising nicht etabliere.
Im Konkreten sei der Beitrag gestalterisch nicht wie von Richtlinie 10.1 gefordert vom redaktionellen Teil abgehoben. Im Gegenteil zeichne sich der Beitrag durch dieselbe Typographie und Gliederung wie journalistische Artikel von «blick.ch» aus.
Die Kennzeichnung des Artikels mit «in Kooperation mit» rügt die BF als ungenügend. Auch die später beigefügte Box («Dies ist ein bezahlter Beitrag …») mit der Erklärung, was die Formulierung «in Kooperation mit» bedeute, reiche nicht, da die meisten LeserInnen nicht bis zum Artikelende vordrängen. Es handle sich hier letztlich um den Kauf von Anzeigefläche, der als solcher transparent zu machen sei. Der Beitrag stelle lediglich die Argumente des Interessenverbandes der schweizerischen Wirtschaft «Digitalswitzerland» dar. Im journalistischen Gewand eines Artikels täusche der Beitrag Ausgewogenheit und Neutralität vor, versuche jedoch lediglich, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Zudem habe das Medienhaus Ringier vor einem Jahr politisches Native Advertising selber noch abgelehnt, da es der Policy der «Blick»-Gruppe nicht entspreche (Zitat der Medienstelle von Ringier in Medienwoche, 21.01.2020). In diesem Zusammenhang weist die BF darauf hin, dass der CEO und Managing Partner bei der Ringier AG, Marc Walder, auch den Interessenverband «Digitalswitzerland» mitbegründet habe und in führender Position mitpräge. Walder sei somit sowohl als Urheber als auch bei der Veröffentlichung verantwortlich.
Weiter rügt die BF, dass die Bewerbung dieses Beitrags über die Social-Media-Kanäle des Medienhauses Ringier – in diesem konkreten Fall der «Schweizer Illustrierten» – eine «Vertiefung» des Verstosses bedeute. Zudem fördere auch die Verlinkung des Beitrages durch Suchmaschinen die Wertung des Beitrags als journalistischen Artikel.
E. Mit Schreiben vom 5. März 2021 (noch vor der Abstimmung, Anm. des PR) nahm das Anwaltsbüro Rutschmann Schwaibold Partner im Namen der «Blick»-Gruppe Stellung, wies einen Verstoss gegen Richtlinie 10.1 zurück und beantragte, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. Die Beschwerdegegnerin (BG) bestätigt, dass «blick.ch» am 18. Januar 2021 «eine (keineswegs nötige) Klarstellung», wie sie die Beschwerdeführerin aufführt, publiziert habe. Damit bestehe kein schützenswertes Interesse an der Beschwerde mehr. Mit der Kennzeichnung «in Kooperation mit digitalswitzerland» sei klargestellt, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen redaktionellen Beitrag handle. Eine offengelegte Zusammenarbeit reiche. Die Richtlinie 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) zur «Erklärung» sei der BG bewusst und unbestritten. Sie stellt dieser die Finanzierungsschwierigkeiten der Presse gegenüber. Ausserdem entziehe die zweite Aktualisierung mit geänderter Autorenzeile und erstem Satz im Lauftext («Bei diesem Inhalt handelt es sich um politische Werbung») der Beschwerde die Grundlage. Zudem bestreitet die «Blick»-Gruppe, dass es sich um «gekaufte Anzeigefläche» – wie von der BF angeführt – handle.
Die BG bestreitet im Weiteren jeglichen Manipulationsvorwurf und betont, dass der Beitrag keine falschen Tatsachenbehauptungen enthalte. Der Leserschaft stehe es frei, den Argumenten zu folgen oder nicht. Dies gelte auch für die allererste Version des Beitrags. Als völlig irrelevant bezeichnet die BG, was bei den Suchmaschinen mit den Beiträgen geschehe. Zwischen der Verbreitung des beanstandeten Beitrages auf der Facebook-Seite der SI und dem Artikel selbst sieht «Blick» keinen Zusammenhang.
Zusätzlich zu den zwei Aktualisierungen im konkreten Fall führt die BG eine Eigeninitiative der «Blick»-Gruppe zu ihren Gunsten an. Am 28. Januar 2021 (und somit gemäss BG vor der Zustellung der Beschwerde) habe «blick.ch» einen Beitrag («Transparenz ist uns wichtig», «So deklariert Blick bezahlte Inhalte») über die Deklaration der Artikel publiziert und in den sozialen Medien geteilt.
Schliesslich seien die angeführten 2000 Personen und supportierenden Vereine irrelevant, da die Unterschriften nicht verifizierbar speziell für diesen Fall gesammelt worden seien.
F. Am 16. März 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde von der 1. Kammer des Presserats behandelt, bestehend aus Susan Boos (Präsidentin), Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg. Susan Boos trat von sich aus in den Ausstand.
G. Die 1. Kammer hat die Beschwerde in ihrer Sitzung vom 6. April 2021 behandelt und auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. Gemäss dem Geschäftsreglement des Presserates ist jedermann beschwerdeberechtigt. Der Verein «Digitale Gesellschaft» reicht als Beschwerdeführer, womit die Frage nach der Relevanz der eingereichten Namensliste mit UnterstützerInnen der Beschwerde hier nicht von Belang ist. Auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf ein Zitat des Hauses Ringier vor einem Jahr («Politisches Native Advertising entspricht nicht der Policy der Blick-Gruppe», Medienwoche, 21. Januar 2020) ist für die Frage des Eintretens nicht relevant.
Dem Antrag der BG auf Nichteintreten wegen geheilter Verletzung (Geschäftsreglement Art. 11) durch die Aktualisierungen des Beitrages folgt der Presserat ebenfalls nicht. Diese Bestimmung gilt lediglich bei Angelegenheiten von geringer Relevanz. Die geltend gemachte Vermischung von politischer Werbung und redaktionellem Teil im Beitrag ist nicht von geringer Relevanz.
2. Die BF macht Verstösse gegen die Richtlinie 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) zur «Erklärung» geltend. Diese verlangt: «Inserate, Werbesendungen und bezahlte oder durch Dritte zur Verfügung gestellte Inhalte sind gestalterisch von redaktionellen Beiträgen klar abzuheben. Sofern sie nicht optisch/akustisch eindeutig als solche erkennbar sind, müssen sie explizit als Werbung deklariert werden.» Gemäss der BG reicht die Kennzeichnung «in Kooperation mit» in der Autorenzeile (ursprünglicher Beitrag) völlig aus. Gemäss der BF in keinem Fall.
Der Presserat stimmt mit der BF überein, dass dies im ursprünglichen Beitrag klar nicht der Fall ist. Der Beitrag erscheint im «blick.ch»-üblichen Layout und ist in seiner ersten Version höchstens anhand der kleinen Autorenzeile als Werbung identifizierbar. Die Anmerkung «in Kooperation mit digitalswitzerland» erscheint wohl in der Artikelansicht, ist jedoch zwischen dem grösser und fettgedruckten Lead (oberhalb) und dem Bild (unterhalb) nicht eindeutig und klar wahrnehmbar. Zudem ist «in Kooperation mit» eine diffuse Umschreibung, aufgrund derer es der Leserschaft nicht eindeutig ersichtlich ist, dass es sich um bezahlten Inhalt, also um Werbung handelt. Der usprüngliche Beitrag hebt sich somit gestalterisch nicht vom redaktionellen Teil ab und ist auch nicht klar als Werbung deklariert. Damit ist Richtlinie 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) zur «Erklärung» verletzt, was nach Auffassung des Presserates im Falle einer politischen Werbung vor einer Abstimmung besonders ins Gewicht fällt.
3. Der Presserat kommt zum Schluss, dass auch die zweite Version des Artikels mit beigefügter Textbox am Ende des Artikels nicht der Richtlinie entspricht. Auch hier ist der Beitrag weder gestalterisch abgehoben noch eindeutig und schnell wahrnehmbar als Werbung deklariert. Die Textbox spricht wohl fettgedruckt von einem «bezahlten Beitrag», erklärt jedoch, dass dieser Inhalt von «Brand Studio» produziert wurde, journalistisch aufbereitet sei und den Qualitätsanforderungen der «Blick»-Gruppe entspreche. Der Umstand, dass die Box am Ende des Textes steht, bedeutet jedoch, dass diese Anmerkung nicht die ganze Leserschaft erreicht. Zudem hat der Presserat bereits in der Stellungnahme 4/2019 empfohlen, «bei der Publikation von Native Advertisings künftig nicht bloss in Fussnoten kenntlich zu machen, dass es sich um bezahlte Beiträge handelt. Das die Geschäftsbeziehung verschleiernde Wortgebilde ‹In Kooperation mit …›, welches das Vertrauen der Leserschaft in den Journalismus zu untergraben vermag, soll grundsätzlich ersetzt werden durch den unmissverständlichen Begriff ‹Werbung›.»
4. Die dritte und aktuelle Version des Beitrags hingegen ist in ihrer Eindeutigkeit beispielhaft gelöst. Der erste Satz im Lauftext («Bei diesem Inhalt handelt es sich um politische Werbung») gepaart mit der zweiteiligen Autorenzeile «Das ist ein bezahlter Beitrag, präsentiert von digitalswitzerland» schafft an richtiger Stelle die nötige Transparenz.
Was jedoch den Beitrags-Teaser auf der Übersichtsseite von «blick.ch» betrifft, so verbleibt dieser mit Titel und Foto ohne Kennzeichnung und steht so direkt neben den Teasern für redaktionelle Beiträge. Da dieser Teaser in der Regel aus redaktionellen Elementen des Beitrags gebildet wird (Titel, Foto und Spitzmarke), bedürfte es auch hier einer Kennzeichnung.
5. Was weiter die Verbreitung des Links zum Beitrag via Facebookpage betrifft, so erkennt der Presserat nicht auf einen zusätzlichen Verstoss. Die ursprüngliche Kennzeichnung des Posts nur mit «Gesponsert» ist zwar auch hier nicht eindeutig genug. Unterdessen weist der Post in der deutschen Version aber die ausreichende Kennzeichnung «Bezahlte Werbepartnerschaft» auf. In dubio pro reo geht der Presserat davon aus, dass die Ringier AG diese Option bei der ersten Version nicht zur Verfügung stehen hatte. Dies, weil Facebook seine Werbedienste permanent aktualisiert und nicht immer alle Optionen für alle Seiten zugänglich sind. Wie beim Online-Teaser gilt auch hier, dass der Post als Werbung kenntlich sein muss.
6. Für den nicht gerügten Beitrag der «Schweizer Illustrierten», zu welchem der Link des Facebook-Posts hinführt, gilt dasselbe wie für den gerügten Online-Beitrag von «blick.ch», da die Beiträge beinahe identisch sind.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.
2. Die Ringier AG hat mit dem Teaser und dem Beitrag «Abstimmung zum E-ID-Gesetz: Darum brauchen wir eine elektronische Identität» mangels Deklaration als bezahlter Beitrag gegen Ziffer 10 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.