I. Sachverhalt
A. Am 9. Juli 2019 erschien auf der Onlineausgabe von «20 Minuten» ein Artikel unter dem Titel «Mutter schrie panisch, als Chloe (1) in Tod stürzte». Unterzeichnet war der Text mit «scl/20 Minuten». Darin wird beschrieben, dass zwei Tage zuvor ein Baby aus dem elften Stock eines im Hafen von San Juan, Puerto Rico, liegenden Kreuzfahrtschiffes 45 Meter tief zu Boden gefallen und dabei gestorben sei. Möglicherweise sei es dem Grossvater aus dem Arm geglitten. Die betroffene Familie stamme aus dem US-Bundesstaat Indiana.
B. Am gleichen 9. Juli 2019 erhob X. Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen den Bericht von «20 Minuten» mit der Begründung, er verstosse gegen die Ziffern 7 (Schutz der Privatsphäre) und 8 (Schutz der Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») und zwar im Einzelnen gegen die zur «Erklärung» gehörenden Richtlinien 7.2 (unzulässige Identifizierung), 7.3 (Schutz von Kindern), 8.1 (Schutz der Menschenwürde) und 8.3 (Opferschutz).
Begründet wird die Beschwerde folgendermassen: Die Leserschaft erhalte zu viele Informationen über das verunglückte Mädchen und seine Familie, was Richtlinie 7.2 (Identifizierung) verletzte. Richtlinie 7.3 (Schutz von Kindern) sei verletzt, weil «20 Minuten» ein Porträt des verstorbenen Kindes zeige. Richtlinie 8.1 (Menschenwürde) sei verletzt, weil der Leidensschrei der Mutter missbraucht werde, um einen Leseanreiz zu schaffen. Und Richtlinie 8.3 (Opferschutz) sei verletzt, weil Elemente von Leid gezeigt würden, die das Informationsbedürfnis überstiegen, und dies nur um der Sensation willen.
C. Am 28. August beantragte der Rechtsdienst von Tamedia im Namen von «20 Minuten» die Abweisung der Beschwerde. Richtlinie 7.2 (Identifikation) sei nicht tangiert, weil die verschiedenen Angaben über die Person des Mädchens und deren Familie nicht ausreichten, um sie effektiv zu identifizieren. Zudem habe der Anwalt der Familie all diese Angaben den Medien zur Veröffentlichung zukommen lassen. Das gelte auch für das Bild des Mädchens (Richtlinie 7.3). Auch im Hinblick auf Richtlinie 8.1, den Schutz der Menschenwürde, gelte: Die Schilderung des Schmerzes gehe zurück auf die Veröffentlichung der tragischen Geschichte seitens der Familie. Die Emotionalisierung durch die Schilderung des Schmerzes schaffe zudem Empathie. Auch der Vorwurf, der Opferschutz gemäss Richtlinie 8.3 sei verletzt, weil das Unglück im Artikel stark sensationalisiert werde, treffe nicht zu. Es sei nicht Zweck gewesen, zu sensationalisieren, es sei bloss ein trauriger Einzelfall umfassend dargestellt worden, dazu gehöre der emotionale Aspekt. Im Übrigen sei es zwar das Recht des Beschwerdeführers, nach der Relevanz einer Geschichte zu fragen. Das sei aber eine andere Frage als die, ob mit dem Artikel gegen die «Erklärung» verstossen worden sei.
D. Der Presserat teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 4. Mai 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. «20 Minuten» macht geltend, diese Geschichte sei vom Anwalt der Familie den Medien mit allen Angaben hinsichtlich der Personen und inklusive des Bildes des Mädchens zugespielt worden. Der Anwalt wird mit Namen genannt, der Presserat hat keinen Grund, an diesen Angaben zu zweifeln. Das heisst aber, dass die Familie – aus welchen Gründen auch immer – auf den Schutz der Privatsphäre und auf den Opferschutz in dieser ganzen Angelegenheit verzichtet hat. Hinzu kommt, dass aufgrund der örtlichen Distanz sowohl des Unglücks- wie auch des Wohnorts der betroffenen Familie eine Identifikation seitens der Leserschaft einer deutschsprachigen Schweizer Publikation ohnehin unmöglich erscheint. Die Betonung des Schmerzes mag man als unpassend empfinden, sie übersteigt aber nicht das Mass, das in der Berichterstattung über Unglücke, Verbrechen und menschliche Schicksale üblich ist, es ist – gerade angesichts der fehlenden Identifizierbarkeit der Beteiligten – nichts beschrieben, was die Menschenwürde oder den Opferschutz verletzt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. «20 Minuten» hat mit dem Artikel «Mutter schrie panisch, als Chloe (1) in Tod stürzte» vom 9. Juli 2019 die Ziffern 7 (Privatsphäre) und 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.