Nr. 25/2021
Wahrheit / Unterschlagen von Informationen / Berichtigung

(Maisano c. «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung»)

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Zusammenfassung

Der damalige Direktor der Klinik für Herzchirurgie am Zürcher Universitätsspital, Francesco Maisano, hat im Oktober 2020 Beschwerde beim Presserat gegen den «Tages-Anzeiger» und die «Sonntagszeitung» eingereicht. Die äusserst umfangreiche Beschwerde betraf mehr als 30 Artikel, die jeweils den Journalistenkodex verletzt haben sollen. In den Artikeln ging es um Vorwürfe, wonach Patienten nicht genügend über Risiken informiert worden seien, um mögliche Gefährdung des Patientenwohls und um den Vorwurf, Maisano habe gegenüber Swissmedic falsche Aussagen gemacht.

Der Presserat ging auf den Vorwurf einer Medienkampagne nicht ein. Zudem lagen viele der Artikel ausserhalb der dreimonatigen Beschwerdefrist. Er hat Maisano deshalb aufgefordert, sich auf wenige exemplarische Artikel zu beschränken.

Der Presserat hatte in der Folge zwei Artikel des «Tages-Anzeiger» zu beurteilen. Die meisten Beschwerdepunkte weist der Presserat zurück: Der Presserat stellte keine Verletzung der Wahrheitspflicht und auch keine Unterschlagung von Informationen fest. Die Journalistinnen und Journalisten hatten die zum Zeitpunkt der Publikation zur Verfügung stehenden Fakten, Recherchen und Untersuchungsergebnisse korrekt wiedergegeben. In einem Punkt heisst der Presserat Maisanos Beschwerde gut: In einem Kommentar am 5. September 2020 wiederholte der «Tages-Anzeiger» Vorwürfe gegen Maisano, erwähnte aber dessen Aussagen dazu nicht. Er hätte zumindest schreiben müssen, dass Maisano die Vorwürfe vehement zurückweist.

Résumé

L’ancien directeur de la clinique de chirurgie cardiaque de l’Hôpital universitaire de Zurich, Francesco Maisano, a porté plainte en octobre 2020 contre le «Tages-Anzeiger» et la «Sonntagszeitung» La plainte très circonstanciée portait sur plus de 30 articles qui auraient violé le code de déontologie des journalistes. Ces articles évoquaient les reproches émis par des patients qui auraient été insuffisamment informés sur les risques qu’ils encouraient, sur la potentielle mise en danger du bien-être des patients et sur les fausses déclarations que Francesco Maisano aurait fait à Swissmedic.

Le Conseil de la presse n’est pas entré en matière sur l’évocation d’une campagne médiatique. De nombreux articles avaient d’ailleurs dépassé le délai de trois mois imposé aux plaintes. Il a donc demandé à Francesco Maisano de se limiter à quelques articles exemplaires.

Le Conseil de la presse a par la suite eu à juger de deux articles du «Tages-Anzeiger». Il rejette la plupart des points soulevés: le Conseil de la presse ne constate aucune atteinte au devoir de vérité ni de déformation d’informations. Les journalistes ont correctement rendu les faits, recherches et résultats de recherches dont ils disposaient à l’heure de la publication. Sur un point, le Conseil de la presse accepte la plainte de Francesco Maisano: dans un commentaire daté du 5 septembre 2020, le «Tages-Anzeiger» a répété des reproches faits à Francesco Maisano sans mentionner ses déclarations à leur sujet. Il aurait dû au moins écrire que Francesco Maisano rejetait ces reproches avec véhémence.

Riassunto

L’allora direttore della clinica universitaria di cardiochirurgia di Zurigo, Francesco Maisano, nell’ottobre del 2020 ha inoltrato un reclamo al Consiglio della stampa contro il «Tages-Anzeiger» e la «Sonntagszeitung». Il reclamo piuttosto corposo interessava oltre 30 articoli in cui si offendeva il codice deontologico. Nei testi si rimproverava di non avere informato a sufficienza i pazienti sui possibili rischi, su eventuali pericoli per la salute e si accusava Maisano di aver rilasciato delle false dichiarazioni nei confronti di Swissmedic.

Il Consiglio non è entrato nel merito dell’accusa di una campagna mediatica. A questo si aggiunge che molti articoli non rientravano nei tre mesi di tempo previsti per inoltrare il reclamo. Su queste basi Maisano è stato invitato a limitarsi a pochi esemplari articoli.

In conclusione il Consiglio si è trovato con due articoli del «Tages-Anzeiger» da valutare. Non avendo riscontrato alcuna offesa all’obbligo di verità e nessuna sottrazione di informazioni, il Consiglio rigetta gran parte dei punti sollevati dal reclamo. Con i fatti a disposizione al momento della pubblicazione, i giornalisti e le giornaliste hanno riportato in modo corretto i risultati delle ricerche e delle indagini. In un punto però il Consiglio della stampa dà ragione a Maisano: in un commento del 5 settembre 2020 il «Tages-Anzeiger» ha riproposto le accuse contro di lui senza però citare le sue dichiarazioni. Avrebbe almeno dovuto scrivere che Maisano rigetteva con forza le accuse a lui rivolte.

I. Sachverhalt

A. Von Mai bis Oktober 2020 publizierten «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung» mehr als 30 Artikel im Zusammenhang mit dem Direktor der Klinik für Herzchirurgie am Zürcher Universitätsspital, Francesco Maisano. Diese befassten sich mit Vorwürfen gegen Maisano, die unter anderem auf Aussagen eines Whistleblowers zurückgehen, welche in einem vom Universitätsspital in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht der Anwaltskanzlei Walder und Wyss näher beleuchtet wurden. Die Artikel sind von mehreren Journalistinnen und Journalisten der Tamedia-Redaktionen gezeichnet.

B. Am 7. Oktober 2020 reichte Francesco Maisano beim Schweizer Presserat eine umfangreiche Beschwerde mit 43 Beilagen gegen eine grosse Anzahl von Artikeln ein, die im «Tages-Anzeiger» oder der «SonntagsZeitung» erschienen waren.

C. Am 10. November 2020 forderte der Presserat den Beschwerdeführer auf, die Beschwerde in gekürzter Form nochmals einzureichen, sich dabei auf zwei, drei typische Artikel zu beschränken und dabei genau anzugeben, wo welche Ziffern des Journalistenkodex, der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») als verletzt betrachtet werden.

D. Am 30. November 2020 reichte Maisano eine gekürzte, aber immer noch sehr umfangreiche Beschwerde mit 32 Anhängen ein. Die Beschwerde beschränkte sich auf drei Artikel: «Maisano entlastet, weil sich ein Toter beschwerte» vom 11. Juni 2020 von Catherine Boss, Roland Gamp und Oliver Zihlmann, «Beurlaubter Klinikchef attackiert Spital, Medien und Prüfer» vom 10. Juli von Catherine Boss und Roland Gamp und «Der Whistleblower wurde verheizt» vom 5. September von Catherine Boss. Mit diesen Artikeln seien Ziffer 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagen von Informationen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt worden. Im Allgemeinen wirft die Beschwerde den Journalistinnen und Journalisten vor, eine einseitige, unfaire und ehrverletzende Medienkampagne geführt zu haben und die Fakten einseitig wiedergegeben zu haben. Zudem sei Entlastendes ausgelassen und Informationen unterschlagen worden.
Die konkreten Beschwerdepunkte:

Artikel «Maisano entlastet, weil sich ein Toter nicht beschwerte» vom 11. Juni:
Dieser Artikel verletze Ziffer 1 und 3 der «Erklärung».
– Die Aussage im Titel sei falsch und diene einzig der Skandalisierung.
– Ebenfalls falsch sei die Behauptung: «Doch dann erfolgte ein plötzlicher Strategiewechsel. Der Mann erhält stattdessen ein völlig neuartiges Implantat». In der Beschwerde wird aus einem Schreiben des Kantonsspitals St. Gallen zitiert. Darin heisst es zu diesem Punkt: «Es kann also keine Rede davon sein, dass ein plötzlicher Strategiewechsel stattgefunden hat, sondern ein in einer sehr komplexen klinischen Situation sich entwickelnder Entscheidungsprozess.»
– Auch die Behauptung, dass bereits der Untersuchungsbericht Walder Wyss eine Gefährdung des Patientenwohls zeige, sei falsch. Der Untersuchungsbericht bestätige explizit, dass das Patientenwohl gerade nicht gefährdet worden sei.

Artikel «Beurlaubter Klinikchef attackiert Spital, Medien und Prüfer» vom 10. Juli:
Der Artikel habe Ziffer 3 und 5 der «Erklärung» verletzt.
– Wider besseren Wissens sei wiederholt worden, der Beschwerdeführer habe Swissmedic gegenüber «zum Teil falsche Angaben» gemacht.
– Es werde unterschlagen, dass er, Maisano, zahlreiche Belege vorgelegt habe, die ihn praktisch vollständig entlasteten.
– Über die 132-seitige Stellungnahme des Beschwerdeführers habe der «Tages-Anzeiger» gerade mal auf einer halben Seite berichtet. Der fehler- und lückenhafte Bericht von Walder Wyss habe hingegen ungleich grössere Medienpräsenz erhalten.

Artikel «Der Whistleblower wurde verheizt» vom 5. September:
Dieser Artikel verletze Ziffer 1, 3 und 5 der «Erklärung».
– Aussagen im Artikel seien masslos übertrieben und stimmten nicht: «Er verschwieg schwerwiegende Komplikationen bei Eingriffen mit Implantaten.» Es seien keine Komplikationen verschwiegen worden.
– «Er klärte die Kranken ungenügend über Risiken auf.» Die Patienten seien allesamt korrekt aufgeklärt worden.
– «In Patientendokumentationen herrschte ein Chaos.» Ein Patientenchaos habe es nie und in keiner Weise gegeben.
– Es werde nicht erwähnt, dass es sich beim Bericht von Walder Wyss um einen lückenhaften Zwischenbericht handle.
– Die umfassende Widerlegung dieser Vorwürfe werde mit keinem Wort erwähnt. Belastendes werde minutiös ausgebreitet, Entlastendes werde ausgelassen.
– Es werde nicht erwähnt, dass die Unschuldsvermutung gelte.

E. Das Präsidium des Presserats hat sich gestützt auf Art. 17 Abs. 2 seines Geschäftsreglements entschieden, sich in der Stellungnahme auf die wesentlichen Beschwerdegründe zu beschränken. Im Schreiben vom 15. Dezember 2020 an die Beschwerdegegnerin Tamedia teilte der Presserat mit, dass er sich auf die geltend gemachte Verletzung der Ziffern 1, 3 und 5 in den Artikeln vom 11. Juni, 10. Juli und 5. September 2020 beschränkt. Damit stellte er implizit klar, dass er auf den Vorwurf einer Medienkampagne nicht eingeht.

F. Am 10. Januar 2021 beantragte der Rechtsdienst der TX Group, der Herausgeberin von «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Der Beschwerdeführer beabsichtige offensichtlich ein Parallelverfahren einzuleiten. Gemäss dem Geschäftsreglement des Presserats Art. 11 sei in einem solchen Fall nicht auf die Beschwerde einzutreten. Ausserdem sei die Beschwerdefrist von drei Monaten in Bezug auf den Artikel vom 11. Juni 2020 nicht eingehalten.

Falls der Presserat doch auf die Beschwerde eintrete, sei die Beschwerde abzuweisen. Sämtliche Vorwürfe wegen einseitiger, unfairer, ehrverletzender und reisserischer Berichterstattung weise die Tamedia-Redaktion zurück. Jeder Artikel sei durch ein grosses öffentliches Interesse begründet.

Die Redaktion zu den Beschwerdepunkten:

Artikel «Maisano entlastet, weil sich ein Toter nicht beschwerte» vom 11. Juni:
– Zum Titel: Es sei belegt, dass ein Patient kurz nach der Operation verstarb. Im Untersuchungsbericht heisse es zudem, es habe sich noch kein Patient beklagt.
– «Plötzlicher Strategiewechsel»: Dieser sei im Bericht Walder Wyss in aller Deutlichkeit so festgehalten: «Es lässt sich aber nicht nachvollziehen, aus welchen Gründen in diesen Fällen kurzfristig die Behandlungsmethode geändert wurde.» Zum Schreiben des Kantonsspitals St. Gallen hält die Redaktion fest, dieses habe ihr nicht vorgelegen. Maisano habe auch nie die mehrfach angebotene Gelegenheit wahrgenommen, zu diesem und anderen Vorwürfen konkret Stellung zu nehmen.
– Gefährdung des Patientenwohls: Es werde nirgends in der ganzen Berichterstattung davon gesprochen, dass eine Patientengefährdung erwiesen sei. Im beanstandeten Artikel heisst es: «Doch neue Fakten zeigen in mehreren Fällen eine mögliche Patientengefährdung.» Es habe gute Gründe gegeben, auf offene Fragen hinzuweisen, die in der Untersuchung Walder Wyss zu wenig beachtet worden seien. Das zeige die spätere zweite Untersuchung und eine Strafanzeige der Zürcher Patientenstelle wegen Körperverletzung. Im Artikel komme zudem die Präsidentin von Swissethics, der Vereinigung der Schweizer Ethikkommissionen, zu Wort. Sie spreche von einer möglichen Patientengefährdung. Und der Vizepräsident der Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften spreche ebenfalls von einer möglichen Patientengefährdung.

Artikel «Beurlaubter Klinikchef attackiert Spital, Medien und Prüfer» vom 10. Juli:
– Zum Vorwurf, Maisano habe gegenüber Swissmedic «zum Teil falsche Angaben» gemacht: Im Untersuchungsbericht stehe, dass «einige Gesuche an die Swissmedic falsche Angaben» enthielten und die Präsentation in Maisanos Publikationen erscheine in verschiedenen Bereichen als geschönt, «wobei teilweise der Verdacht aufkam, dass diese bewusst erfolgt sein könnte».
– Zum Vorwurf, es werde unterschlagen, dass der Beschwerdeführer zahlreiche Belege vorgelegt habe, die diesen praktisch vollständig entlasteten: Maisano sei mehrfach mit den Vorwürfen konfrontiert worden. Dieser habe auf eine Stellungnahme verzichtet. Im Artikel seien zudem mehrere Punkte aus der Stellungnahme Maisano ausführlich aufgenommen worden, um dessen Sicht der Dinge aufzuzeigen.
– Zum Vorwurf der einseitigen Behandlung von Untersuchungsbericht und Stellungnahme: Der Walder-Wyss-Bericht sei eine unabhängige Untersuchung unter Beizug medizinischer Experten im Auftrag des Universitätsspitals Zürich, dagegen sei die Stellungnahme der Anwaltskanzlei Niederer Kraft Frey ein von Maisano bestelltes und bezahltes Parteigutachten. Die beiden Dokumente dürften nicht gleichgesetzt werden. Die zentralen Argumente in der Stellungnahme Maisano seien wiedergegeben worden. Zudem habe Maisano nie eine Richtigstellung verlangt und sei nie auf Gesprächsangebote der Journalistinnen und Journalisten eingegangen.

«Der Whistleblower wurde verheizt» vom 5. September:
– Der Artikel sei als Kommentar auf der Seite Meinungen erschienen. Im Zentrum stehe der Umgang der Spitalleitung mit dem Whistleblower; kritisiert werde vor allem die Leitung des Universitätsspitals Zürich.
– «Er verschwieg schwerwiegende Komplikationen bei Eingriffen mit Implantaten»: Dies sei so im Untersuchungsbericht festgehalten.
– «Er klärte die Kranken ungenügend über Risiken auf»: Maisano habe diese Vorwürfe aus dem Untersuchungsbericht mit seiner Stellungnahme nicht entkräften können.
– «In Patientendokumentationen herrschte ein Chaos»: Maisano bestätige in seiner eigenen Stellungnahme lückenhafte Patientenakten und fehlende Konsistenz der Datenablage.
– Laut Beschwerde handelt es sich bei Walder Wyss nur um einen Zwischenbericht: Für die Redaktion handelt es sich um eine abgeschlossene Untersuchung.
– Die umfassende Widerlegung der Vorwürfe werde mit keinem Wort erwähnt. Belastendes werde minutiös ausgebreitet, Entlastendes ausgelassen: Im Artikel werde ausdrücklich erwähnt, dass nur ein Teil der Kritik durch die externe Untersuchung bestätigt worden sei und dass der Bericht nur teilweise Missstände belege. Alle Aussagen seien aber durch den Untersuchungsbericht bestätigt und durch die Stellungnahme Niederer Kraft Frey nicht entkräftet worden.

G. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Monika Dommann, Michael Furger, Jan Grüebler, Simone Rau und Hilary von Arx an. Simone Rau trat von sich aus in den Ausstand.

H. Francesco Maisano richtete sich am 4. und 8. März 2021 in zwei Mails an den Presserat. Er wies darin auf verschiedene Publikationen und Dokumente hin, die seiner Meinung nach die «höchst parteiische Medienkampagne» der Tamedia-Journalisten gegen ihn nachwiesen. Der Presserat hat diese Schreiben mit Blick auf den am 15. Februar 2021 geschlossenen Schriftenwechsel nicht in seine Beratung einbezogen.

I. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 4. März 2021 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Art. 11 des Geschäftsreglements des Presserats sieht vor, dass der Presserat nicht auf Beschwerden eintritt, «wenn ein Parallelverfahren (insbesondere bei Gerichten oder bei der UBI) eingeleitet wurde oder vorgesehen ist». Der Beschwerdeführer schreibt, er habe «nach wie vor keinen Zivilprozess gegen die Beschuldigten eingeleitet». Der Presserat kann nicht beurteilen, ob später doch noch ein solches Verfahren eingeleitet wird. Zudem will und kann der Presserat das Recht, ein Gericht anzurufen, nicht antasten. Deshalb tritt er auf die Beschwerde ein.

2. Bereits bei der Einreichung der ersten Beschwerde am 7. Oktober 2020 lag die Publikation des Artikels vom 11. Juni mehr als drei Monate zurück. Damit wurde die vom Geschäftsreglement Art. 11 vorgegebene Frist bei diesem Artikel nicht eingehalten. Dies machte auch der «Tages-Anzeiger» in seiner Beschwerdeantwort geltend. Der Beschwerdeführer weist dagegen darauf hin, dass die «systematische Medienkampagne als Tateinheit anzusehen» sei. Deshalb sei die Frist eingehalten worden. Der Presserat betrachtet jedoch die Artikel einzeln, da es sich jeweils um abgeschlossene, für sich alleinstehende Texte handelt. Daher beurteilt der Presserat diesen Artikel nicht.

3. Der Presserat hat nicht zu prüfen, ob sich Francesco Maisano korrekt verhalten hat und ob die Vorwürfe gegen ihn gerechtfertigt sind. Der Presserat hat lediglich zu entscheiden, ob sich die Journalistinnen und Journalisten in den beanstandeten Artikeln an den Medienkodex gehalten haben. Das heisst beispielsweise, ob schwerwiegende Vorwürfe belegt sind und ob Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben worden ist. Den Vorwurf, es habe sich um eine Medienkampagne gehandelt, untersucht der Presserat nicht. Er hat den Parteien bereits am 15. Dezember 2020 mitgeteilt, dass er sich auf drei Artikel beschränkt. Entscheidend ist, ob sich die Journalistinnen und Journalisten in den einzelnen Artikeln an den Medienkodex gehalten haben. Der Presserat hält fest, dass er damit einen kleinen Teil der Berichterstattung über Francesco Maisano untersucht, weitere Facetten und Medienberichte nicht in seine Beurteilung einbezieht und somit auch keine Einschätzung über die ganze Medienberichterstattung in dieser Sache abgibt. Dazu ist das vorliegende Verfahren, welches sich gemäss Beschwerde auf drei respektive zwei Berichte des «Tages-Anzeiger» fokussiert, nicht in der Lage.

Auch in der zweiten, immer noch umfangreichen Beschwerde sind viele Vorwürfe allgemein gefasst, und es ist oft nicht klar, mit welcher Aussage in den Artikeln welche Ziffern der «Erklärung» verletzt worden sein sollen. Der Presserat beschränkt sich deshalb darauf, konkrete Beschwerdepunkte zu beurteilen.

Artikel «Beurlaubter Klinikchef attackiert Spital, Medien und Prüfer» vom 10. Juli:
– Der Vorwurf, Maisano habe gegenüber Swissmedic «zum Teil falsche Angaben» gemacht, war nach dem damaligen Kenntnisstand durch den Untersuchungsbericht Walder Wyss gestützt und der Redaktion vom Unispital selbst bestätigt worden.
– Der Beschwerdeführer kritisiert, er habe zahlreiche Belege vorgelegt, die ihn praktisch vollständig entlasten würden. Diese Belege seien unterschlagen worden. Für den Presserat ist nicht klar ersichtlich, welche Belege gemeint sind. Es dürfte sich hauptsächlich um die Stellungnahme Niederer Kraft Frey handeln. Diese ist Haupt-Gegenstand des beanstandeten Artikels und wird ausführlich erwähnt. Nach Beurteilung des Presserats kommen wichtige Argumente Maisanos zur Geltung, darunter schwere Vorwürfe zur Qualität der Untersuchung Walder Wyss. Maisano hat darauf verzichtet, zu konkreten Fragen und Vorwürfen der Journalistinnen und Journalisten Stellung zu nehmen. Damit hat er auch darauf verzichtet, die erwähnten Belege vorzulegen.
– Der Untersuchungsbericht habe im «Tages-Anzeiger» viel mehr Raum erhalten als seine Stellungnahme zum Bericht, kritisiert der Beschwerdeführer. Es gibt eine journalistische Pflicht zur Fairness, dazu zählt aber nicht eine Pflicht zu einer quantitativ messbaren Ausgewogenheit. Zur Fairnesspflicht gehört, dass bei solch schweren Vorwürfen dem Kritisierten die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wird. Dies ist offensichtlich geschehen. Zudem werden im Artikel wichtige Punkte aus der von Maisano in Auftrag gegebenen Stellungnahme Niederer Kraft Frey wiedergegeben.
– Da die Journalistinnen und Journalisten davon ausgehen konnten, dass sie die Wahrheitspflicht nicht verletzt hatten, bestand auch keine Pflicht zur Berichtigung.

Die Ziffern 3 (Unterschlagen von Informationen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung» sind nicht verletzt.

Kommentar «Der Whistleblower wurde verheizt» vom 5. September:
– Der Beschwerdeführer bezeichnet mehrere Aussagen in diesem Kommentar als falsch: «Er verschwieg schwerwiegende Komplikationen bei Eingriffen mit Implantaten», «er klärte die Kranken ungenügend über Risiken auf», «in Patientendokumentationen herrschte ein Chaos». Der «Tages-Anzeiger» wiederholt hier Vorwürfe aus dem Untersuchungsbericht. Die Formulierung im Artikel ist nicht ideal. Es wird nicht unmittelbar klar, dass diese Vorwürfe aus dem Untersuchungsbericht stammen. Bei genauem Lesen kann dieser Bezug aber hergestellt werden. Es handelt sich also um eine handwerkliche Ungenauigkeit, nicht aber um einen Fehler.
– Hat der «Tages-Anzeiger» Maisanos Position genügend zur Geltung gebracht? Tatsächlich werden im Kommentar mehrere, teils schwere Vorwürfe gegen Maisano wiederholt. In der zur «Erklärung» gehörenden Richtlinie 3.9 heisst es, auf eine Anhörung könne ausnahmsweise verzichtet werden, «wenn ein Vorwurf und die zugehörige Stellungnahme bereits früher öffentlich gemacht worden sind. Zusammen mit dem Vorwurf ist die frühere Stellungnahme wiederzugeben». Maisano hat zwar nicht auf konkrete Fragen der Redaktion reagiert. Trotzdem waren die Aussagen von Maisano aus anderen Veröffentlichungen bekannt. Der «Tages-Anzeiger» hat diese auch selber immer wieder veröffentlicht. Indem die Redaktion in diesem Kommentar die Aussagen Maisanos zu den teils schweren Vorwürfen nicht erwähnt hat, hat sie Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt.
– Hat der «Tages-Anzeiger» genügend darauf hingewiesen, dass es sich um ein laufendes Verfahren handelte? Mit dem Hinweis, dass das Universitätsspital Strafanzeige gegen Maisano eingereicht hat, wird dem Publikum nach Einschätzung des Presserats klar, dass es sich nicht um ein abgeschlossenes Verfahren handelte.

Die Ziffern 1 und 5 der «Erklärung» sind nicht verletzt, wohl aber die Ziffer 3.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Der «Tages-Anzeiger» hat mit dem Kommentar «Der Whistleblower wurde verheizt» vom 5. September 2020 die Ziffer 3 (Ausnahmen der Anhörungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) hat er mit diesem Artikel nicht verletzt.

3. Mit dem Artikel «Beurlaubter Klinikchef attackiert Spital, Medien und Prüfer» vom 10. Juli 2020 hat der «Tages-Anzeiger» die Ziffer 3 (Unterschlagen von Informationen) und 5 (Berichtigung) nicht verletzt.