I. Sachverhalt
A. Am 19. Dezember 2018 unterbreitete Oswald Sigg (der Beschwerdeführer, BF) der Zeitung «Der Bund» einen Artikel (ca. 3000 Zeichen), in welchem er auf die schwierige Situation des Berner Puppentheaters (BPT) und auf eine laufende Petition zu dessen finanzieller Subvention an den Berner Stadtpräsidenten aufmerksam machen wollte. Sigg gehört dem Gönnerkreis des BPT an. Die Kulturredaktorin Regula Fuchs antwortete noch gleichentags per Mail mit der kurzen Bemerkung, man habe über das Thema «Notstand bei den Kellerbühnen» kürzlich erst ausführlich geschrieben und wenn es tatsächlich zur Schliessung kommen sollte, «werde man selber in die Tasten greifen». Der BF hielt diese Antwort für «widerwärtig respektlos», es entspann sich ein längerer Mailwechsel, zunächst mit einem weiteren Redaktor, schliesslich mit dem Chefredaktor, welcher den BF darauf aufmerksam machte, dass der «Bund» keinen Artikel publiziere, welcher den Stadtpräsidenten direkt angreife, ohne diesem das Recht auf Erwiderung zu gewähren. Zudem habe der «Bund» die gegenwärtige Situation des BPT mit einem Artikel und in Leserbriefen eingehend thematisiert. Der «Bund» schlug dem BF vor, seinen Text abgeändert einzureichen. Statt einer Beschäftigung mit der – inzwischen abgelehnten – Subvention, verbunden mit einer deutlichen Kritik an der Kulturpolitik der Stadt und dem Stil des Stadtpräsidenten, solle der BF doch einen Text unterbreiten, der mehr in die Zukunft blicke, darauf, wie dem BPT in der neuen Situation noch geholfen werden könne. Auf dieses Angebot verzichtete der BF jedoch, mit der Begründung, dafür habe ihm «jedes Verständnis gefehlt».
Im Mai 2019 hat der BF dann festgestellt, dass die Redaktorin, welche seinen Beitrag abgelehnt hatte, Mitglied der öffentlichen Kommission ist, die über das Subventionsgesuch des BPT entschieden habe. Dieser Sachverhalt sei mit der journalistischen Unabhängigkeit unverträglich und komme einem Missbrauch von Insiderwissen gleich. Sie habe ihm dann – so der BF – am Telefon erklärt, die Kommission, in der sie sitze, entscheide nicht über die fraglichen Gelder, sie habe im Übrigen auch die Berichterstattung über die Berner Kleintheater bewusst der Kollegin überlassen. Der Chefredaktor hat in einem weiteren Telefongespräch diese Position gestützt.
B. Am 19. Juni 2019 erhob der BF Oswald Sigg Beschwerde beim Schweizer Presserat. Der «Bund» habe mit seinem Verhalten gegen die zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (im Folgenden «Erklärung») gehörende Richtlinie 2.4 (Öffentliche Funktionen) verstossen. Die Zeitung habe das Recht der Öffentlichkeit, die Wahrheit zu erfahren, verletzt, erstens damit, dass sie den unterbreiteten Artikel nicht veröffentlicht habe und zweitens damit, dass dieser Entscheid getroffen worden sei seitens einer Redaktorin, welche in der fraglichen Sache eine öffentliche Funktion erfülle und damit nicht unabhängig sei. Mit der Doppelfunkton der Journalistin sei weiter die Unabhängigkeit und das Ansehen des Berufes und der «Bund»-Redaktion tangiert.
C. Für die Beschwerdegegnerin «Der Bund» (BG) antwortete am 16. September 2019 der Rechtsdienst der Tamedia. Er beantragt eine vollumfängliche Ablehnung der Beschwerde. Was die vom BF angesprochene Richtlinie 2.4 (Öffentliche Funktionen) betreffe, so sei festzuhalten, dass die Zugehörigkeit der Kulturredaktorin Fuchs zur «Kommission für Theater und Tanz» keine politische Funktion im Sinne von Richtlinie 2.4 sei, sondern eine Teilnahme in einem Expertengremium, vergleichbar mit einer Jury. Dort sei, analog zur Funktion in der Zeitung, das Expertenwissen der Autorin zum Zweck der Beurteilung eines kulturellen Projekts gefragt. Dabei gehe es aber nicht um längerfristige Subventionierungen, wie sie für das Berner Puppentheater zur Diskussion gestanden haben, dafür sei die städtische Kulturabteilung zuständig. Weiter sei die Tatsache, dass die Journalistin Mitglied jener Kommission sei, öffentlich publiziert – dafür wird eine Website des Kantons angegeben. Zudem sei durch interne Regeln sichergestellt, dass MitarbeiterInnen in solchen Fällen in den Ausstand träten. So habe die Journalistin Fuchs bewusst nie über das Puppentheater geschrieben. Es gebe keinen Interessenkonflikt.
Was die Ablehnung des Artikels des BF an sich angeht, so verweist der «Bund» darauf, dass das Thema Puppentheater zum fraglichen Zeitpunkt schon behandelt worden sei, ein Artikel und einige Leserbriefe hätten die prekäre Situation des BPT geschildert. Entsprechend entbehre der Vorwurf des BF jeder Grundlage, wonach der «Bund» in dieser Frage Partei genommen oder der Öffentlichkeit Information vorenthalten habe.
Der vom BF vorgelegte Text sei als redaktioneller Artikel nicht geeignet gewesen, allenfalls als Meinungsbeitrag. Aber auch für diese gelte beim «Bund», dass sie gewisse Standards einhalten müssten und keine polemischen, persönlich verletzenden Aussagen enthalten dürften. Der Chefredaktor habe dem BF einen Vorschlag gemacht, wie sich der Gastbeitrag allenfalls anpassen lasse, der BF habe es aber abgelehnt, in Form eines «Tribüne»-Meinungsartikels Stellung zu nehmen. Der BF habe keinen Anspruch darauf, dass von ihm eingereichte Texte publiziert werden.
D. Der Presserat teilte den Parteien am 11. Oktober 2019 mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident.
E. Das Präsidium des Presserates hat die vorliegende Stellungnahme per 20. April 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. Der BF sieht Richtlinie 2.4 (Öffentliche Funktionen, Unvereinbarkeit von Journalismus und öffentlichen Ämtern) als verletzt an, implizit spricht er auch davon, dass Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheit) tangiert sei.
2. «Interessenkollision, Befangenheit und Intransparenz» lauten die Vorwürfe, welche der BF vorbringt, wenn er davon spricht, der «Bund» habe Richtlinie 2.4 verletzt. Die Interessenkollision und die Befangenheit sieht er darin, dass die Journalistin, die seinen Artikel abgelehnt hat, Mitglied einer Kommission sei, welche über das Schicksal des BPT entschieden habe. Hier habe eine Interessenkollision stattgefunden. Die Redaktion verneint dies. Langfristige Subventionen, wie sie für das Puppentheater zur Diskussion gestanden hätten, würden nicht von dieser Kommission entschieden. Infolgedessen sei die Kollegin auch nicht befangen gewesen. Zudem trete sie bei Themen dieser Art in den Ausstand. Eine Interessenkollision finde nicht statt. Und was die Transparenz betrifft, sei diese hergestellt: Ihre Funktion sei bekannt, auf der Webseite der Stadt Bern nachzuschlagen. Also öffentlich zugänglich und kommuniziert.
Richtlinie 2.4 verlangt, dass Journalisten, Journalistinnen grundsätzlich keine öffentlichen Funktionen wahrnehmen sollen. Falls dies doch geschehe, sei auf eine strikte Trennung der Funktionen zu achten und der Leserschaft sei dieser Umstand zur Kenntnis zu bringen. Mit der «öffentlichen Funktion» ist primär an politische Ämter gedacht, aber nicht nur. Auch Funktionen innerhalb der Wirtschaft und weitere sind damit angesprochen.
Die Rolle in einer städtischen Kunstkommission, welche selber keine Entscheide trifft, aber Entscheidvorschläge macht, ist in ihrer Tragweite und in ihrem Potenzial für Interessenkonflikte nicht zu vergleichen mit einem politischen Amt. Dennoch sind auch hier Befangenheit und Interessenkonflikte in der Berichterstattung über einen Kreis von Themen möglich. Infolgedessen ist dem BF Recht zu geben, wenn er fordert, dass allfällig relevante Interessen transparent gemacht werden. Dafür reicht eine Nennung auf der verborgenen Ebene einer städtischen Website – wie im vorliegenden Fall – eindeutig nicht aus, wie die BG meint. Das muss in jedem Fall eines Artikels deklariert werden, in welchem eine mögliche Kollision der Interessen auftritt (es sei denn, die beiden im Konflikt stehenden Rollen der Autorin seien weitherum bekannt; vgl. dazu Stellungnahme 2/2013). In concreto spielt das alles aber keine Rolle, weil es ja nicht um einen publizierten Artikel geht, sondern um einen Entscheid, nicht zu publizieren. «Das Publikum», welches laut Richtlinie 2.4 transparent über die Funktionen hätte informiert werden müssen, konnte mangels eines Anlasses, mangels eines Artikels, gar nicht informiert werden. Es ist in diesem speziellen Fall nur die eine Person, der BF, der über einen spezifischen Sachverhalt nicht informiert war.
Wenn man aber zusätzlich davon ausgeht, wie der «Bund» erläutert, dass die betreffende Kommission gar keinen Entscheid zum Thema Puppentheater zu fällen hatte, hat bei der journalistischen Entscheidung gegen den Text des BF kein konkreter Interessenkonflikt bestanden. Richtlinie 2.4 ist auch in diesem Sinne nicht verletzt.
3. Die Frage, ob der «Bund» die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») verletzt hat, ist klar zu verneinen, wenn es um die Ablehnung des Artikels des BF geht. Keine Publikation ist verpflichtet, zugesandte Texte zu drucken. Wenn der BF von der «Verweigerung» seines Artikels spricht, geht er implizit von einem Recht aus, das ihm vorenthalten wurde. Das ist nicht der Fall. Umso weniger als das fragliche Thema im «Bund» in zwei verschiedenen Formaten behandelt wurde und dass dieser dem BF ja die Möglichkeit einer anders formulierten Stellungnahme angeboten hat.
Der BF sieht die Wahrheitspflicht aber auch dadurch verletzt, dass die Doppelmitgliedschaft in der «Bund»-Kulturredaktion und in der Theaterkommission der Stadt Bern verschwiegen worden sei. Auch hier gilt: Es ist nicht eine Leserschaft, der etwas nicht transparent gemacht worden ist. Es ist allein der BF, dem etwas nicht bekannt gemacht wurde. Richtlinie 2.4 schützt mit seiner Informationspflicht über etwaige zusätzliche Funktionen einer Autorin die Leserschaft eines Artikels. Hier jedoch wurde nichts publiziert. Ziffer 1 der «Erklärung» ist nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. «Der Bund» hat mit dem Entscheid vom 19. Mai 2019, einen Artikel des BF nicht zu publizieren und damit, dass diesen Entscheid eine Kulturredaktorin gefällt hat, welche Mitglied der Berner «Kommission für Theater und Tanz» ist, nicht gegen die Ziffern 1 und 2 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.