Nr. 22/2018
Wahrheitspflicht

Fairmedia c. «Basler Zeitung» Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 6. Juli 2018

Drucken

Zusammenfassung

«Basler Zeitung» bezichtigte Kreis zu Unrecht,
Raubkunst-Fall «verschwiegen» zu haben

Der Schweizer Presserat rügt die «Basler Zeitung» (BaZ), weil sie in einem Artikel über Raubkunst die Unwahrheit geschrieben hat. Die Zeitung hatte im Januar 2018 behauptet, der Basler Historiker Georg Kreis habe einen grossen Fall von Raubkunst aus dem Jahr 1933 «unter den Teppich gekehrt» bzw. «verschwiegen». Die BaZ unterstellte Kreis, er habe einen speziellen Fall von Raub- oder Fluchtkunst in der Raubkunst-Studie der Bergier-Kommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg bewusst unterschlagen.

Der Presserat hiess eine Beschwerde gegen die BaZ teilweise gut. Die «Basler Zeitung» hätte nicht schreiben dürfen, der Historiker habe den Fall «unter den Teppich gekehrt» bzw. «verschwiegen». Sie hätte lediglich feststellen können, Kreis habe den Fall nicht erwähnt. Und sie hätte Kreis zu seinen Motiven befragen müssen. Wenn er bis zum Redaktionsschluss nicht erreichbar war, so hätte die BaZ ihre Bemühungen, eine Stellungnahme zu erhalten, im Artikel dokumentieren sollen.

Résumé

La «Basler Zeitung» a accusé Georg Kreis à tort d’avoir «tu» une affaire d’art spolié

Le Conseil suisse de la presse blâme la «Basler Zeitung» (BaZ) parce qu’elle n’a pas écrit la vérité dans un article traitant d’art spolié. Le journal avait affirmé en janvier 2018 que l’historien bâlois Georg Kreis avait «mis sous le tapis» ou «tu» une importante affaire d’art spolié datant de 1933. La BaZ impute à Georg Kreis d’avoir sciemment passé sous silence une affaire spéciale d’art spolié ou d’art en fuite dans l’étude correspondante de la Commission Bergier Suisse – Seconde Guerre mondiale.

Le Conseil de la presse a accepté partiellement une plainte contre la BaZ. La «Basler Zeitung» n’aurait pas dû écrire que l’historien avait «mis sous le tapis» ou «tu» l’affaire. Elle aurait pu se contenter de constater qu’il ne l’avait pas évoquée. Et elle aurait dû entendre Georg Kreis sur ses motifs. S’il lui avait été impossible de le joindre avant la clôture de la rédaction, la BaZ aurait dû mentionner dans l’article les efforts engagés pour avoir son avis.

Riassunto

La «Basler Zeitung» accusò Kreis a torto di avere «taciuto» un caso di arte rubata

Il Consiglio svizzero della stampa critica la «Basler Zeitung» (BaZ) per non aver scritto il vero in un articolo sull’arte rubata. Nel gennaio 2018, il giornale aveva affermato che lo storico basilese Georg Kreis aveva «passato sotto silenzio» o «taciuto» un grosso caso di arte trafugata nel 1933. La BaZ ha insinuato che Kreis nello studio sull’arte rubata della Commissione Bergier Svizzera – Seconda Guerra Mondiale avesse deliberatamente taciuto un caso particolare di arte rubata o trafugata.

Il Consiglio della stampa ha parzialmente accolto il reclamo contro la BaZ. La «Basler Zeitung» non avrebbe dovuto scrivere che lo storico aveva «passato sotto silenzio» o «taciuto» questo caso; avrebbe potuto semplicemente dichiarare che Kreis non lo aveva menzionato. Inoltre avrebbe dovuto richiedere a Kreis le proprie motivazioni. Se non è stato possibile raggiungerlo entro la scadenza editoriale, la BaZ avrebbe dovuto documentare nell’articolo i propri sforzi per ottenere una sua presa di posizione.

I. Sachverhalt

A. Am 18. Januar 2018 erschien in der «Basler Zeitung» (BaZ) ein Artikel von Joël Hoffmann mit dem Titel «Georg Kreis verschwieg Basler Raubkunst-Akte». Im Untertitel formuliert die BaZ: «Der Historiker hat in der Bergier-Kommission die Belege für Kauf der Glaser-Sammlung unter den Teppich gekehrt». Der Artikel führt aus, die BaZ habe recherchiert, dass der Basler Historiker Georg Kreis Dokumente zur Raubkunst-Akte Curt Glaser vor der Öffentlichkeit verborgen habe. Kreis sei als Mitglied der Bergier-Kommission verantwortlich für die Studie zum Thema Raubkunst gewesen. Er habe Kenntnis von Unterlagen zum heiklen Kauf der Glaser-Sammlung durch das Basler Kunstmuseum im Jahr 1933 gehabt. Er habe aber einen der wohl grössten Fälle von Raubkunst in der Schweiz verschwiegen und so das Basler Kunstmuseum vor unangenehmen Schlagzeilen bewahrt. Kreis habe im Artikel keine Stellung nehmen wollen. Es folgen Ausführungen zum Fall Glaser, vor allem dazu, wie das Basler Kunstmuseum 1933 die Sammlung Glaser zu «billigen Preisen» habe erwerben können.

Im letzten Teil des Artikels argumentiert die BaZ, dass sich der Historiker Kreis widerspreche. In einem Fall von Raubkunst, der ebenfalls den Kunstsammler Glaser betreffe, habe Kreis dies klar als Fall von Raubkunst deklariert. Es gehe dabei um einen Fall, in dem das Kunstmuseum Zürich ein Ölbild von Edvard Munch von Glaser zu einem Spottpreis erworben habe. Im Fall von Zürich gehe es bloss um ein einziges Werk, im Basler Fall hingegen um 120 Werke. Trotzdem erwähne Kreis die Auktion von 1933 weder im Schlussbericht der Bergier-Kommission noch in der ausführlichen Studie dazu. Dies sei ein Widerspruch.

Schliesslich zeigt die BaZ anhand einer Fussnote in der Studie zur Raubkunst auf, dass Kreis die Belege zur Auktion von 1933, bei der das Basler Kunstmuseum die Werke von Glaser gekauft hat, gekannt haben müsse. Trotzdem habe er den Fall nicht erwähnt.

B. Am 20. März 2018 reichte der Verein Fairmedia Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Der Verein sei beschwerdeberechtigt und Georg Kreis selbst habe Kenntnis von der Beschwerde. Die Voraussetzungen für ein Eintreten des Presserats seien gegeben. Der Verein Fairmedia beantragt ausserdem, von den Verfahrenskosten von SFr. 1000.— befreit zu werden, da Fairmedia ein gemeinnütziger Verein sei, der kostenlose Beratungen und Unterstützungen biete und von Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert werde.

Fairmedia sieht Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten», die Wahrheitspflicht, verletzt.

Es gebe zwei Unwahrheiten im Artikel der BaZ: Erstens, dass Georg Kreis willentlich den Fall der möglichen Basler Raubkunst nicht erwähnt habe, obwohl er Kenntnis von Dokumenten dazu gehabt habe. Zweitens, dass Georg Kreis alleine für die Studie der Bergier-Kommission zur Raubkunst verantwortlich gewesen sei.

Die BaZ werfe Georg Kreis zu Unrecht vor, «… Belege für Kauf der Glaser-Sammlung unter den Teppich gekehrt» zu haben. Die BaZ liefere keine Belege für diese Behauptung. Auch nicht zu der Feststellung, Kreis habe «… einen der grössten Fälle von Raubkunst […] der Schweiz verschwiegen». Kreis habe am 19. Januar 2018 in der «TagesWoche» Stellung genommen und ausgeführt, dass der Bergier-Bericht mit ausgewählten Beispielen gearbeitet habe. Es sei nicht das Ziel gewesen, alle Fälle von Raubkunst abzuhandeln. Dies gehe klar aus dem Bericht selbst bzw. aus der Studie dazu hervor.

Als zweite Verletzung der ersten Ziffer der «Erklärung» zur Wahrheitspflicht sieht Fairmedia die Feststellung: «Der Historiker war verantwortlich für die Studie zum Thema Raubkunst.» Dies suggeriere, Kreis sei alleine für die Studie zum Thema Raubkunst verantwortlich gewesen. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Kreis habe auch zu diesem Vorwurf Stellung genommen, im erwähnten Artikel der «TagesWoche». Sowohl aus dem Bergier-Bericht als auch aus der Studie dazu gehe hervor, dass verschiedene Autoren daran beteiligt gewesen seien. Kreis sei also bloss Mit- und nicht Hauptverantwortlicher.

C. Am 11. Mai 2018 nahm die anwaltlich vertretene «Basler Zeitung» Stellung zu den Vorwürfen. Die Beschwerde sei in allen Punkten abzuweisen. Es sei kein Erlass der Verfahrenskosten zu gewähren; eine schlüssige Begründung dafür fehle.

Die BaZ argumentiert, man habe sehr wohl Belege für die belastenden Passagen. Der Artikel zeige stringent auf, wie der Autor zum Schluss komme, dass Georg Kreis «ohne ersichtlichen Grund den damaligen Kauf der Glaser-Sammlung durch das Kunstmuseum Basel unerwähnt liess». Man habe mittels der Angaben in der Fussnote 66 der Studie zur Raubkunst aufgezeigt, dass Kreis die Belege für den Kauf zu billigen Preisen gekannt habe. Kreis habe 2002 Kenntnis von Unterlagen gehabt, die das Basler Kunstmuseum belastet hätten. Trotzdem habe er den Fall nicht in seinen Bericht aufgenommen.

Die BaZ widerspricht dann der Argumentation der Beschwerdeführerin, Kreis habe die Vorwürfe im Artikel der «TagesWoche» vom 19. Januar 2018 widerlegt. Das Argument, man habe nur einzelne Beispiele in den Bericht bzw. in die Studie aufnehmen können, sei nicht stichhaltig. Der Fall der Sammlung von Curt Glaser sei exemplarisch und «wegen seiner hohen Bedeutung besonders hervorgehoben und ausgebreitet worden». Somit könne die Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt sein.

Die BaZ weist auch den zweiten Vorwurf der Unwahrheit zurück: Georg Kreis sei als Mitglied der Bergier-Kommission explizit für das Thema Raubkunst verantwortlich gewesen. Es sei klar, dass er weitere Mitarbeiter gehabt habe. Die Verantwortung für den Bericht liege aber klar bei Kreis. Demnach liege keine Verletzung der Wahrheitspflicht vor. Im Artikel habe die BaZ ausserdem nirgends gesagt, dass Kreis «Alleinverantwortlicher» gewesen sei.

Die BaZ weist schliesslich darauf hin, dass Georg Kreis «mehrfach die Möglichkeit hatte, sich zu dieser Sache zu äussern […]. Von dieser Möglichkeit wollte er aber keinen Gebrauch machen.»

D. Fairmedia hat, wie unter B. erwähnt, den Antrag gestellt, von den Verfahrenskosten von SFr. 1000.— für Organisationen, Unternehmen und Institutionen gemäss Artikel 20 des Geschäftsreglements des Presserats befreit zu werden. Die Geschäftsstelle des Presserats hat den Antrag gutgeheissen. Dies mit der Begründung, dass Fairmedia als Verein unentgeltliche Beratungen anbietet.

E. Das Präsidium des Presserats teilte den Fall der 1. Kammer zu, die ihn an ihrer Sitzung vom 5. Juni 2018 und auf dem Korrespondenzweg behandelte. Der 1. Kammer gehören die Präsidentin Francesca Snider und die Mitglieder Dennis Bühler, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini, Casper Selg und David Spinnler an. Casper Selg trat von sich aus in den Ausstand.

II. Erwägungen

1. Die Bedingungen für das Eintreten des Presserats auf die Beschwerde sind gegeben. Auf die Beschwerde wird somit eingetreten.

2. Ist die Wahrheitspflicht verletzt worden (Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»)? Die Beschwerdeführerin argumentiert, die BaZ behaupte ohne Begründung, Georg Kreis habe wissentlich und mit Absicht den möglichen Fall von Basler Raubkunst sowohl im Bergier-Bericht als auch in der spezifischen Studie zur Raubkunst nicht erwähnt. Die BaZ als Beschwerdegegnerin verweist im Wesentlichen auf die Informationen einer Fussnote in der Studie zur Raubkunst als Beleg dafür, dass Kreis vom Fall des Basler Kunstmuseums wusste, welches die Sammlung Curt Glasers zu einem tiefen Preis erwerben konnte. Zudem argumentiert die BaZ, Georg Kreis habe keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen wollen.

Zur Begründung der BaZ ist zu sagen, dass diese zwar als Beweis dafür taugen kann, dass Georg Kreis von dem fraglichen Kauf des Basler Kunstmuseums wusste. Offen bleibt allerdings, aus welchem Grund Georg Kreis und seine MitautorInnen diese Informationen nicht verwendeten, um den Fall in der Studie zur Raubkunst zu erwähnen oder abzuhandeln. Somit ist es nicht zulässig, Kreis eine Intention zu unterstellen. Dies macht die BaZ aber, vor allem mit den Notionen «verschweigen» im Titel und im Lauftext des Artikels und «unter den Teppich kehren» im Untertitel des Artikels. Dazu kommt, dass die BaZ behauptet, Georg Kreis habe keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen wollen. Aus den eingereichten Unterlagen ist ersichtlich, dass die BaZ Kreis via Mail aufgefordert hat, Stellung zu nehmen. Die BaZ räumte Kreis eine Frist von 5¾ Stunden für die Stellungnahme ein. Es liegt keine Antwort von Georg Kreis auf diese Anfrage vor. Es lässt sich also lediglich feststellen, dass die BaZ Kreis eine kurze Frist zur Stellungnahme eingeräumt hat. Ob Georg Kreis innerhalb dieser Frist nicht Stellung nehmen konnte oder wollte, ist für den Presserat nicht eruierbar. Die BaZ hätte mit dem Artikel zuwarten können, um die in diesem Fall doch zentrale Stellungnahme von Kreis einzuholen. Oder die BaZ hätte zumindest eine Formulierung aufnehmen können, wonach Kreis für eine Stellungnahme nicht erreicht werden konnte. Im Ergebnis liefert die BaZ keine Begründung für ein absichtliches Verschweigen von bekannten Tatsachen durch Georg Kreis. Ziffer 1 der «Erklärung» ist somit verletzt.

3. Fairmedia wirft der BaZ eine zweite Unwahrheit vor: Die BaZ behaupte, Georg Kreis sei alleine verantwortlich gewesen für das Thema Raubkunst im Bergier-Bericht und in der Studie zur Raubkunst. Dies entspreche nicht den Tatsachen, neben Kreis hätten noch verschiedene weitere MitarbeiterInnen an der Studie und am Bericht gearbeitet.

Die BaZ argumentiert dagegen, es gehe aus der Präsentation der Mitglieder der Bergier-Kommission auf der Homepage der «Unabhängigen Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg» UEK hervor, dass Georg Kreis die Verantwortung für das Thema Raubkunst innehabe. Ausserdem habe die BaZ nirgends behauptet, Kreis sei «alleine» für das Thema verantwortlich.

Auf der Homepage der UEK werden die Mitglieder der Kommission zwar vorgestellt, unter ihnen auch Georg Kreis. Es werden aber keine thematischen Verantwortlichkeiten genannt. Allerdings schreibt die BaZ, dass Georg Kreis für das Thema Raubkunst «verantwortlich» sei. Dies suggeriert für den Durchschnittsleser nicht, dass er alleine verantwortlich war. Für den Presserat ist eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» in diesem Punkt somit nicht erstellt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Die «Basler Zeitung» hat mit der Feststellung im Artikel vom 18. Januar 2018, Georg Kreis habe die Basler Raubkunst-Akte unter den Teppich gekehrt, Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen. Die «Basler Zeitung» hat mit der Feststellung in demselben Artikel, Georg Kreis sei für die Studie zum Thema Raubkunst verantwortlich, Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt.