Nr. 19/2023
Menschenwürde / Diskriminierung

(X. und Y. c. «Gipfel Zytig»)

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Zusammenfassung

Die «Gipfel Zytig» hatte auf ihrer Witzseite ein Doppelbild publiziert: Oben zwei schwarze Menschen, die je einen deutschen Pass vor die Kamera halten, ins Bild eingefügt der Kommentar: «Wir sind Deutsche.» Darunter die Köpfe zweier Löwen mit dem Satz: «Und wir sind Vegetarier.» Die «Gipfel Zytig» («Das Organ für den Tourismus im Prättigau, in der Landschaft Davos und im Albulatal sowie im Engadin») hat damit den JournalistInnenkodex verletzt.
Der Presserat hält in seiner Stellungnahme fest: Perfide wird durch bildnerische, textliche und typografische Stilmittel ein Sinnzusammenhang zwischen den beiden Bildern hergestellt. Schwarze Menschen, die von sich sagen, sie seien Deutsche, werden als Lügner dargestellt. Dadurch werden sie in ihrer Menschenwürde verletzt.

Résumé

La « Gipfel Zytig » a publié deux images sur sa page humoristique. Sur celle du haut, on voyait deux hommes noirs présentant un passeport allemand à la caméra avec le commentaire « Wir sind Deutsche » (nous sommes allemands). Sur celle du bas, on voyait les têtes de deux lions et la phrase : « Und wir sind Vegetarier » (et nous, nous sommes végétariens). La « Gipfel Zytig » (l’organe du tourisme dans le Prättigau, la région de Davos, la vallée de l’Albula et l’Engadine) a, du fait de cette publication, enfreint le code de déontologie des journalistes.
Le Conseil suisse de la presse note dans sa prise de position qu’un lien perfide est établi entre les deux images par des moyens picturaux, textuels et typographiques : tout cela suggère que des hommes noirs qui se disent allemands sont des menteurs. Il s’agit là d’une violation de leur dignité humaine.

Riassunto

La «Gipfel Zytig» ha pubblicato una doppia foto sulla pagina dedicata alle barzellette: in alto, due persone di colore di fronte alla macchina fotografica, ognuna con un passaporto tedesco in mano. Nella didascalia si legge: «Siamo tedeschi»; subito sotto, le teste di due leoni con la frase: «e noi siamo vegetariani». Così facendo, la «Gipfel Zytig» («Das Organ für den Tourismus im Prättigau, in der Landschaft Davos und im Albulatal sowie im Engadin», ovvero l’organo per il turismo nelle valli di Prettigovia, Davos e Albula così come nell’Engadina), ha violato il codice dei giornalisti.
Il Consiglio della stampa, nella sua dichiarazione, afferma che viene creato in modo perfido un nesso contestuale fra le due immagini, mediante dispositivi stilistici figurativi, testuali e tipografici. I neri che dicono di essere tedeschi sono ritratti come dei bugiardi. Questo viola la loro dignità umana.

I. Sachverhalt

A. Am 30. November 2022 publizierte die «Gipfel Zytig» auf Seite 15 in der Rubrik «Hitsch Bärenthaler’s Schnellschüsse» zwei Fotografien. Auf der einen sind die Köpfe zweier schwarzer Menschen abgebildet, die je einen deutschen Pass vor die Kamera halten. Rechts von den beiden schwarzen Menschen ist eine deutsche Flagge zu sehen. Im Bild ist ein Textfeld angebracht, auf dem in weisser Schrift auf schwarzem Hintergrund der Satz «Wir sind Deutsche.» zu lesen ist. Unterhalb der Abbildung der beiden schwarzen Menschen mit dem deutschen Pass ist eine Fotografie der Köpfe zweier Löwen zu sehen. Auch in diesem Bild befindet sich ein Textfeld, auf dem in weisser Schrift auf schwarzem Hintergrund der Satz «Und wir sind Vegetarier.» zu lesen ist. Die Seite «Hitsch Bärenthaler’s Schnellschüsse» besteht aus einer Anordnung von verschiedenen Bildern und Kurztexten.

B. Am 15. Dezember 2022 reichten X. und Y. eine Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Das «Doppelfoto» auf Seite 15 verstosse gegen das in Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») festgelegte Diskriminierungsverbot. Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit zum Gegenstand hätten, seien diskriminierend und würden die Menschenwürde verletzen. Es könne nicht sein, dass eine Zeitung rassistische und erniedrigende «Auswüchse» verbreite.

C. Am 20. Februar 2023 erfolgte die Beschwerdeantwort des CEO der Gipfel Media AG, Heinz Schneider. Er verweist auf die Presse- und Meinungsfreiheit und betont, dass die «Gipfel Zytig» seit 30 Jahren einen Beitrag zur Meinungsbildung leiste. Gewissen Personen passe die Art und Weise, wie die «Gipfel Zytig» gemacht werde, nicht. Jedes Bild könne letztlich verschieden interpretiert werden. Es sei nie die Absicht gewesen, irgendjemanden mit dem Bild zu diskriminieren. Inhaltlich geht Schneider nicht auf die beiden Bilder ein, gegen die sich die Beschwerde richtet.

D. Das Präsidium des Presserats wies die Beschwerde seiner 3. Kammer zu, bestehend aus Jan Grüebler (Präsident), Annika Bangerter, Monika Dommann, Christina Neuhaus, Simone Rau, Pascal Tischhauser und Hilary von Arx.
E. Die 3. Kammer hat die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 6. März 2023 und auf dem Korrespondenzweg behandelt.

II. Erwägungen

1. Der Presserat hat zu prüfen, ob das Doppelbild gegen Ziffer 8 des JournalistIinnenkodexes («Erklärung der Pflichten und Rechte der JournalistInnen und Journalisten») verstossen hat. Diese hält fest, dass JournalistInnen die Menschenwürde respektieren und in ihrer Berichterstattung in Text, Bild und Ton auf diskriminierende Anspielungen, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit, die Religion, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, Krankheiten sowie körperliche oder geistige Behinderung zum Gegenstand haben, verzichten. Richtlinie 8.1 (Achtung der Menschenwürde) besagt, dass sich die Informationstätigkeit an der Achtung der Menschenwürde zu orientieren hat und Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) präzisiert, dass Journalistinnen und Journalisten deshalb den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung abwägen und die Verhältnismässigkeit wahren.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Presserat in seiner langjährigen Praxis betont hat, dass die Informationsfreiheit Voraussetzung für die Wahrheitssuche ist. Und er hat festgehalten, dass kein Thema grundsätzlich von Satire ausgeschlossen ist und auch Übertreibungen und Zuspitzen zulässig sind. In seiner Stellungnahme 8/1996 zu den medienethischen Grenzen satirischer Medienbeiträge hat er aber auch klar festgehalten, dass die Fakten stimmen müssen, von denen die Satire ausgeht, und Lügen auch dann Lügen bleiben, wenn sie als «Satire» deklariert werden.

Die beiden beanstandeten Bilder sind in der Rubrik «Hitsch Bärenthaler’s Schnellschüsse» erschienen, die offenbar eine Art Witzseite ist. Die beiden Bilder wurden auf dieser Seite zusammen mit sechs weiteren Bild- und Textbeiträgen publiziert. Die Bildbeiträge «Wir sind Deutsche.» und «Und wir sind Vegetarier.» befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft und werden durch einen Rahmen, welcher die beiden Bildbeiträge umfasst, explizit in einen Zusammenhang gesetzt. Durch fotografische, bildnerische, textliche und typografische Stilmittel wird ein Sinnzusammenhang der beiden Bilder hergestellt. Dieser Sinnzusammenhang entsteht erstens durch die Ähnlichkeit der Motive (zwei Köpfe von Menschen und zwei Köpfe von Tieren, die in die Kamera blicken). Zweitens durch die typografische Gestaltung der Textfelder, die als einzige Textfelder auf der Seite in weisser Schrift auf schwarzem Hintergrund gehalten sind («Wir sind Deutsche.» und «Und wir sind Vegetarier.»). Und drittens durch die Verwendung des Wortes «Und», womit die Bildbeiträge auch auf Ebene des Textes miteinander verbunden werden. Für die Leserinnen und Betrachter der Rubrik «Hitsch Bärenthaler’s Schnellschüsse» liegt somit die Schlussfolgerung eines Sinnzusammenhangs nahe. Entgegen der Aussage im Textfeld sind Löwen keine Vegetarier. Daraus soll folgen, dass Schwarze keine Deutschen sein können. Schwarze, die von sich sagen, sie seien Deutsche, werden somit als Lügner dargestellt.

Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen mehrfach argumentiert, sich selbst nicht als Hüter der «politischen Korrektheit» zu sehen. Demgegenüber ist im Journalistenkodex klar festgehalten, dass Journalistinnen und Journalisten die Meinungsfreiheit und den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung abzuwägen haben. Durch die Parallelisierung von schwarzen Menschen und Löwen wird im Doppelbild ein in der Geschichte des Rassismus tief verankertes Stereotyp verwendet. Indem die Legitimität ihrer Staatsbürgerschaft in Frage gestellt wird, werden schwarze Menschen mit deutschem Pass in ihrer Menschenwürde verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde gut.

2. Die «Gipfel Zytig» hat mit dem Doppelbild in der Rubrik «Hitsch Bärenthaler’s Schnellschüsse» vom 30. November 2022 gegen Ziffer 8 (Menschenwürde, Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.