Zusammenfassung
Ein Leser störte sich an einem Beitrag eines Automobiljournalisten, der im Vorfeld der Abstimmung über das CO2-Gesetz im Sommer 2021 in der Lokalzeitung «Zürich 2» erschienen war. In seiner Beschwerde an den Presserat machte der Leser Verstösse gegen die Wahrheitspflicht geltend und sah unter anderem auch die geforderte klare Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung verletzt. Zudem monierte er, es liege ein undeklariertes Sponsoring beziehungsweise eine Koppelung von redaktionellem Berichten und Werbung vor.
Der Presserat weist die Beschwerde grösstenteils ab. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht sieht er nur in der Behauptung, bei einer Annahme des CO2-Gesetzes müssten «intakte Ölheizungen ersetzt werden». Das ist nicht richtig, womit ein Verstoss gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» vorliegt. In allen anderen Punkten sieht das medienethische Gremium aber keine Verstösse. Bei dem Meinungsbeitrag handelt es sich gemäss der Lokalzeitung weder um eine Marketingkampagne noch um einen bezahlten Werbebeitrag. Mit der Spitzmarke «Tribüne» ist der Meinungsbeitrag auch klar als solcher erkennbar. Zudem erschliesst sich der Leserschaft auf Anhieb, dass der Autor der Automobilbranche gegenüber positiv eingestellt ist, womit sich die im Kommentar transportierte Meinung ohne Weiteres einordnen lässt.
Résumé
Un lecteur a été quelque peu irrité par l’article d’un journaliste automobile paru dans le journal local «Zürich 2» à l’approche de la votation sur la loi sur le CO2, durant l’été 2021. Dans la plainte qu’il a adressée au Conseil de la presse, il invoque des atteintes au devoir de vérité et juge que la séparation claire entre partie rédactionnelle et publicité n’a pas été respectée. Il évoque en outre un sponsoring caché ou un couplage entre article rédactionnel et publicité.
Le Conseil de la presse rejette largement la plainte. Il ne voit une atteinte au devoir de vérité que dans l’affirmation que l’acceptation de la loi sur le CO2 signifierait que «intakte Ölheizungen ersetzt werden» (qu’il faudrait remplacer des chauffages au mazout en bon état). L’affirmation est inexacte et porte donc atteinte à la «Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste». Sur tous les autres points, l’organe de défense de l’éthique des médias ne constate aucune violation. L’article d’opinion n’est, selon le journal local, ni une campagne de marketing, ni un article publicitaire payé. Le surtitre «Tribüne» montre clairement qu’il en va d’une opinion. De plus, le lecteur voit d’emblée que l’auteur est favorable à la branche automobile, de sorte que l’avis véhiculé dans le commentaire est facile à classer.
Riassunto
Un lettore criticava il contributo di uno giornalista specialista di motori, apparso sul giornale locale «Zürich 2» in occasione della votazione federale sulla legge «co2» dell’estate 2021. Nel reclamo presentato al Consiglio della stampa è messo in causa soprattutto il rispetto della verità e l’obbligo di separazione tra la parte redazionale e quella pubblicitaria, denunciato inoltre uno sponsoring non dichiarato.
Il Consiglio della stampa ha respinto il reclamo su quasi tutti i punti. È di fatto inesatta l’affermazione che l’accettazione del disposto di legge avrebbe obbligato a sostituire impianti di riscaldamento (diesel) funzionanti. Tale inesattezza rappresenta un mancato rispetto della verità. Su tutti gli altri punti invece il servizio appare inappuntabile. Ma, soprattutto, il giornale precisa che l’articolo è apparso in una rubrica chiaramente indicata come «Tribuna» e il pezzo di opinione è chiaramente riconoscibile come tale. Il Consiglio della stampa osserva che anche la vicinanza dell’autore al mondo dei motori era evidente.
I. Sachverhalt
A. Am 27. Mai 2021 veröffentlichte die Lokalzeitung «Zürich 2» einen Artikel von Jürg Wick mit dem Titel «CO2-Gesetz ist monetär diktiert». Der Beitrag handelt von der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung unmittelbar bevorstehenden Volksabstimmung vom 13. Juni 2021, bei der es um einen Richtungsentscheid gehe: «Bleibt die Schweiz eher bürgerlich, oder tendiert sie nach links, wie es von den Medien, inklusive SRF, ziemlich durchsichtig postuliert wird?»
Autor Wick bezieht klar Stellung gegen das vom Bundesrat vorgelegte und vom Parlament beschlossene Gesetz. Der «so genannte Klimawandel» dominiere zwar, doch handle es sich gar nicht um einen Wandel, sondern «um einen Anstieg der durchschnittlichen Temperaturen, wie es ihn in den zurückliegenden 150 000 Jahren regelmässig gab, mit daraufhin zuverlässig wieder sinkenden Temperaturen». Aktuell lebe die Menschheit in angenehmen Zeiten, worüber sie sich – auch wenn «Defaitisten» dies anders sähen – gerade in einer Pandemie freuen sollte.
In die Diskussionen um das Gesetz sei die Betonindustrie nicht eingebunden worden, schreibt Wick. Falls die Stimmbevölkerung dem CO2-Gesetz zustimme, müssten «intakte Ölheizungen (…) ersetzt werden». Die Abstimmung greife tief in das Portemonnaie der Bürger hinein, Transporte würden «sicher teurer». Zwölf Rappen mehr pro Liter Treibstoff wären verkraftbar, so Wick, «aber im Kampf gegen den ‹Klimawandel› wird es nicht helfen, weil die Ölmultis darauf reagieren können». Eine Annahme des Gesetzes nütze lediglich dem Staat und seinen Angestellten. Letztere hätten – anders als Beschäftigte in der freien Marktwirtschaft – noch jede wirtschaftliche Holperstrecke ohne Lohneinbussen überstanden.
B. Am 28. Mai 2021 erhob X. Beschwerde beim Schweizer Presserat und monierte einen Verstoss gegen die Ziffern 1, 2, 3 und 10 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»).
Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) sei erstens verletzt, weil die Überschrift eine Meinung als Fakt darstelle – sie suggeriere dem Leser, er könne guten Gewissens «nach Geldbeutel» abstimmen; zweitens habe es einen so steilen Temperaturanstieg – anders als behauptet – in den letzten 150 000 Jahren nicht gegeben; und drittens sei die Behauptung, dass intakte Ölheizungen im Fall einer Annahme der CO2-Initiative ersetzt werden müssten, sachlich falsch.
Richtlinie 2.2 (Meinungspluralismus) sei verletzt, weil der Artikel den Sachverhalt «Klimawandel» einseitig und falsch darstelle und weil Wissenschaftler, die die Gefahren des Klimawandels seit Jahrzehnten aufzeigten, einseitig als «Defaitisten» verunglimpft würden.
Ferner seien die Richtlinien 3.2 (Medienmitteilungen), 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) und 10.2 (Sponsoring, Koppelung von redaktionellen Berichten und Werbung) verletzt. Dies deshalb, weil unklar sei, ob es sich beim Artikel um eine bezahlte Marketingkampagne im Kundenauftrag von «JW-Automotive» handle und wer diese finanziert habe. «Aufgrund der Verquickung des Autors mit Automobilinteressen sollte klar gekennzeichnet sein, ob es sich um einen redaktionellen Beitrag, einen Kommentar der Privatperson Jürg Wick oder um eine bezahlte Kampagne handelt – inklusive einer Offenlegung seiner Partikularinteressen und beruflichen Bindungen in diesem Bereich.» Die Zeitungsseite mit der am Kopf stehenden Bezeichnung «Die Seite für den Autofahrer» sei optisch genauso gestaltet wie die Rubrik «Vermischtes» auf der nebenliegenden Seite.
C. Am 5. Juli 2021 antwortete «Zürich 2» auf die Beschwerde mit einer von Thomas Hoffmann verfassten Stellungnahme. Zunächst weist der Redaktor daraufhin, dass auf der vom Beschwerdeführer angefertigten Fotokopie des Zeitungsartikels das Wichtigste abgeschnitten sei und daher fehle: die Spitzmarke «Tribüne», die den Text als persönlichen Meinungsbeitrag ausweise.
Betreffend der vom Beschwerdeführer behaupteten Verletzung von Richtlinie 1.1 schreibt Hoffmann, bei einem Meinungsbeitrag dürfe und solle die Meinung auch in der Überschrift zum Ausdruck kommen. Zu einem mit der aktuellen Entwicklung vergleichbaren Temperaturanstieg sei es in den zurückliegenden 150 000 Jahren sehr wohl gekommen, wie sowohl der Online-Enzyklopädie Wikipedia als auch der Webseite «Welt der Physik» zu entnehmen sei. Hingegen könne die Aussage, wonach intakte Ölheizungen bei einem Ja zur CO2-Initiative ersetzt werden müssten, «in dieser verkürzten Form tatsächlich missverständlich aufgenommen werden».
Richtlinie 2.2 sei nicht tangiert, weil es sich nicht um einen Artikel, sondern um einen persönlichen Meinungsbeitrag handle. Zudem stelle die Bezeichnung «Defaitisten» keine Verunglimpfung dar und richte sich auch gar nicht gegen jene Personen, die der Beschwerdeführer erwähne (also die den Klimawandel bestätigenden Wissenschaftler).
Richtlinie 3.2 sei nicht verletzt, da es sich beim Beitrag weder um eine Marketingkampagne noch um einen bezahlten Werbebeitrag handle (solche Publireportagen würden in der Zeitung «Zürich 2» stets entsprechend ausgewiesen). Die geforderte klare Kennzeichnung sei mit der Spitzmarke «Tribüne» angebracht worden. Auf die Richtlinien 10.1 und 10.2 geht Hoffmann nicht direkt ein.
D. Der Presserat wies die Beschwerde seiner 1. Kammer zu, der Susan Boos (Präsidentin), Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg angehören.
E. Die 1. Kammer des Presserats beriet den Fall an ihrer Sitzung vom 1. Februar 2022 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer moniert, der Artikel von «Zürich 2» verletze mit drei Aussagen Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) der «Erklärung». Zuzustimmen ist ihm, dass die Behauptung, bei einem Ja zum CO2-Gesetz müssten «intakte Ölheizungen (…) ersetzt werden», sachlich falsch ist. Dies konzediert im Übrigen auch die Beschwerdegegnerin, wenn sie in ihrer Beschwerdeantwort schreibt, diese Aussage könne «in dieser verkürzten Form tatsächlich missverständlich aufgenommen werden». Die Wahrheitspflicht ist verletzt.
Hingegen ist die Aussage im Titel, wonach das CO2-Gesetz monetär diktiert ist, als Meinungsäusserung zulässig, zumal der Artikel – worauf noch einzugehen ist – mit der Bezeichnung «Tribüne» erkennbar als Kommentar gekennzeichnet ist.
An der Grenze des Zulässigen bewegt sich Jürg Wick, der Verfasser des Meinungsbeitrags, mit der Aussage, beim «so genannte(n) Klimawandel» handle es sich «um keinen Wandel, sondern um einen Anstieg der durchschnittlichen Temperaturen, wie es ihn in den zurückliegenden 150 000 Jahren regelmässig gab, mit daraufhin zuverlässig wieder sinkenden Temperaturen, bis hin zur Unbewohnbarkeit auf über 50 Grad Nord».
Gemäss übereinstimmendem Konsens nahezu sämtlicher weltweit mit dem Thema befassten Wissenschaftler ist die durchschnittliche Temperatur noch nie so abrupt angestiegen wie zuletzt. Von früheren Anstiegen unterscheidet sich der gegenwärtige Klimawandel zudem durch die nachgewiesene Tatsache, dass er von menschlichen Handlungen hervorgerufen wurde und wird. Insofern ist die Darstellung Wicks zumindest verkürzt und unvollständig, womöglich gar irreführend; falsch aber ist der von ihm verfasste Satz nicht: Tatsächlich stiegen die Temperaturen in den letzten 150 000 Jahren mehrfach an und sanken danach wieder. Nach Einschätzung des Presserats verletzt die von Wick innerhalb eines Meinungsbeitrags gewählte Formulierung die Wahrheitspflicht deshalb nicht.
2. Der Beschwerdeführer hält Richtlinie 2.2 (Meinungspluralismus) für verletzt, weil der Artikel den Sachverhalt Klimawandel einseitig und falsch darstelle und Wissenschaftler, die vor dessen Gefahren warnten, einseitig als «Defaitisten» verunglimpfe.
Richtlinie 2.2 hält fest, dass der Meinungspluralismus zur Verteidigung der Informationsfreiheit beiträgt. Er sei notwendig, wenn sich ein Medium in einer Monopolsituation befindet.
Auf den vorliegenden Artikel ist Richtlinie 2.2 nach Ansicht des Presserats nicht anwendbar. Zum einen handelt es sich bei der Lokalzeitung «Zürich 2» nicht um ein Medium in einer Monopolsituation – in der Stadt Zürich erscheinen mehrere Tages- und Wochenzeitungen und sind verschiedene Onlineredaktionen tätig, die Meinungsvielfalt ist gewahrt. Zum anderen erschien im Vorfeld der Volksabstimmung über die CO2-Initiative in den Schweizer Medien eine Vielzahl Artikel zur Thematik. Gemäss dem Abstimmungsmonitor des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich war die Tonalität mehrheitlich positiv. Selbstverständlich dürfen Journalisten die Vorlage jedoch auch kritisch beleuchten; nicht nur, aber erst recht, wenn ihr Artikel als Kommentar erkennbar ist.
3. Der Beschwerdeführer sieht Richtlinie 3.2 (Medienmitteilungen) verletzt, ohne dies weiter auszuführen. Dasselbe gilt für die Richtlinien 10.1 (Trennung zwischen redaktionellem Teil und Werbung) und 10.2 (Sponsoring, Pressereisen, Koppelung von redaktionellen Berichten und Werbung).
Richtlinie 3.2 besagt: «Medienmitteilungen von Behörden, Parteien, Verbänden, Unternehmen oder anderer Interessengruppen sind als solche zu kennzeichnen.» Richtlinie 10.1 verlangt, dass Inserate und bezahlte oder durch Dritte zur Verfügung gestellte Inhalte gestalterisch klar von redaktionellen Beiträgen abgehoben werden. Gemäss Richtlinie 10.2 ist bei gesponserten Medienberichten der Name des Sponsors transparent zu machen und ist die freie Themenauswahl und -bearbeitung durch die Redaktion zu gewährleisten. Zudem sind redaktionelle Beiträge, die als «Gegenleistung» zu Inseraten veröffentlicht werden, unzulässig.
«Zürich 2» versichert in ihrer Beschwerdeantwort, es handle sich beim fraglichen Artikel von Jürg Wick weder um eine Marketingkampagne noch um einen bezahlten Werbebeitrag und weist auf ihre redaktionelle Praxis hin, Publireportagen stets entsprechend auszuweisen. Der Presserat sieht keinen Anlass, an der Darstellung der Beschwerdegegnerin zu zweifeln. Bei Wicks Artikel handelt es sich um einen pointierten Meinungsbeitrag, der mit der Spitzmarke «Tribüne» für die Leserschaft klar als solcher erkennbar ist. Der Beschwerdeführer belegt seine Vermutung nicht, dass Gegner des CO2-Gesetzes hierfür Geld oder andere Gegenleistungen geboten haben.
Von einer Redaktion zu verlangen, bei einem regelmässigen oder gar ständigen Autor unterhalb jedes Artikels wie auch immer geartete Partikularinteressen offenzulegen, scheint übertrieben. Wer «Zürich 2» regelmässig liest, weiss, dass Jürg Wick der Automobilbranche positiv gegenübersteht (ein Eindruck, der sich auch bei der Lektüre des unterhalb der «Tribüne» platzierten Artikels «Ein Cadillac wird sozialverträglich» aufdrängt). Dies bemerkt aber auch, wer bloss die «Tribüne» liest, ohne zuvor jemals einen Text dieses Autors gelesen zu haben. Die Leserschaft kann die im Kommentar transportierte Meinung somit ohne Weiteres einordnen.
Der Artikel stellt keinen Verstoss gegen die Richtlinien 3.2, 10.1 und 10.2 dar.
III. Feststellungen
1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.
2. «Zürich 2» hat mit einer wahrheitswidrigen Aussage im Artikel «CO2-Gesetz ist monetär diktiert» vom 27. Mai 2021 gegen Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.
3. Andere vom Beschwerdeführer monierte Aussagen stellen hingegen keinen Verstoss gegen Ziffer 1 der «Erklärung» dar. Ebenso wenig hat «Zürich 2» die Ziffern 2 (Meinungspluralismus), 3 (Medienmitteilung) und 10 (Trennung von redaktionellem Teil und Werbung; Koppelung von redaktionellen Berichten und Werbung) der «Erklärung» verletzt.