Nr. 15/2021
Meinungspluralismus / Öffentliche Funktion / Anhören bei schweren Vorwürfen

(X. c. «Zofinger Tagblatt»)

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I. Sachverhalt

A. Am 3. Oktober 2020 erschien im «Zofinger Tagblatt» (ZT) ein Artikel unter dem Titel «Unternehmer weibeln heftig gegen die KVI». Untertitel: «Der regionale Wirtschaftsverband fasste einstimmig die Nein-Parole zur Konzernverantwortungs-initiative.» Gezeichnet war der Text nur mit dem Kürzel der Redaktion «zt».

Der Artikel schildert den Verlauf einer Veranstaltung des Verbandes «Wirtschaft Region Zofingen» (WRZ) zum Thema «Konzernverantwortungsinitiative». Zunächst wird der Präsident des WRZ, Peter Gehler, zitiert, welcher von einschneidenden Konsequenzen für die Wirtschaft gesprochen habe, falls die Initiative angenommen werde. Er gebe ihr gute Chancen dafür, insbesondere weil die Kirchen die Initiative unterstützten. Das wiederum ärgere ihn sehr, er verstehe nicht, dass die Kirchen mit Geldern aus Kirchensteuern eine wirtschaftsfeindliche Initiative unterstützten. Nach dem Hinweis, dass die Veranstaltung von ZT-Chefredaktor Philippe Pfister moderiert worden sei, wird die Gegenseite zitiert: SP-Ortspräsident Michael Wacker habe darauf hingewiesen, dass Unternehmen nicht nur das Recht hätten, Gewinne zu maximieren, sie hätten auch Pflichten. Dazu gehöre verantwortungsvolles Handeln in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt. Betroffen von der Initiative seien nur grosse Firmen und selbst von denen hätten 99 Prozent nichts zu befürchten. Schliesslich kommt wieder der Verbandspräsident zu Wort, der eine Klagewelle kommen sehe, wenn die KVI angenommen werde. Die weltweit einzigartige Haftungsregelung der Initiative könne dazu führen, dass ausländische Konkurrenten Schweizer Unternehmen künftig mit diesem rechtlichen Instrument aus dem Markt drängen.

B. Am 2. November 2020 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, der Artikel des «Zofinger Tagblatt» verletze die Richtlinien 2.2 (Meinungspluralismus), 2.4 (Öffentliche Funktion) und 3 (existiert nicht, gemeint 3.8: Anhörung bei schweren Vorwürfen) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»).

Der Beschwerdeführer (BF) weist darauf hin, dass das Mutterhaus des ZT, die «ZT Medien», Mitglied des Verbandes sei, über dessen Parolenfassung und Informationsveranstaltung hier berichtet worden sei. «ZT Medien» sei bei der Parolenfassung denn auch durch Adrian Gaberthüel vertreten gewesen, habe sich aber geweigert, ihm, dem BF, Auskunft darüber zu geben, wie er gestimmt habe. Der Chefredaktor des ZT, Philippe Pfister, habe darüber hinaus den Info-Anlass persönlich moderiert und später auch den Bericht darüber geschrieben, allerdings ohne dies im gedruckten Artikel mit seinem Kürzel kenntlich zu machen (in der Online-Ausgabe war dies der Fall).

Der BF kritisiert vor allem, dass in diesem Artikel eine Interessenbindung nicht deutlich gemacht worden sei. Das ZT sei an der Veranstaltung in einer Doppelrolle vertreten gewesen. Es sei als Mitglied mit dem Verband WRZ wirtschaftlich verflochten und diesem verpflichtet, unterstütze seine Parole (diese wurde einstimmig gefasst), aber ohne dies transparent zu machen, während es umgekehrt über den Anlass selber berichte «statt diesen politischen Anlass kritisch von mehreren Seiten zu hinterfragen». Das sei ein Verstoss gegen Richtlinie 2.2 zur «Erklärung» (Meinungspluralismus), weil das faktische Monopolmedium ZT damit seine Verpflichtung, eine Vielzahl von Meinungen abzubilden, verletzt habe.

Die Richtlinie 2.4 (öffentliche Funktionen) sieht der BF verletzt, weil durch die Rolle des ZT an der Veranstaltung, insbesondere auch die Anwesenheit des «ZT Medien»-Vertreters Gaberthüel, die journalistische Unabhängigkeit bei der Berichterstattung nicht gewährleistet gewesen sei.

Und die Richtlinie 3 (gemeint 3.8, «Anhörung bei schweren Vorwürfen») sei verletzt, weil das ZT fälschlicherweise suggeriere, Unternehmen müssten im Kanton Aargau Kirchensteuern bezahlen, diesen dann aber keine Möglichkeit zur Stellungnahme einräume. Auch werde unterschlagen, dass innerkirchlich ein Diskurs über die Rolle der Kirchen stattfinde.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 8. Dezember 2020 beantragte der Chefredaktor des «Zofinger Tagblatt», Philippe Pfister, die Beschwerde sei abzuweisen.

Zum beanstandeten Verstoss gegen Richtlinie 2.2 (Meinungspluralismus) sei zunächst festzuhalten, dass er, Pfister, sich nicht an der Abstimmung beteiligt habe und dass Adrian Gaberthüel nicht nur als Vertreter der «ZT Medien» dort gewesen sei, sondern auch als Delegierter des Gewerbeverbandes Zofingen. Wie er abgestimmt habe sei unerheblich, dies sei eine Abstimmung unter Personen, nicht von Unternehmen gewesen, die redaktionelle Unabhängigkeit sei davon nicht betroffen gewesen. Weder der Verwaltungsrat noch die Geschäftsleitung habe Anweisungen erteilt, wie über den Anlass zu berichten sei. Dass das ZT, wie vom BF behauptet, einseitig die Interessen des Verbandes gestützt habe, treffe weder für den fraglichen Artikel noch für die Berichterstattung über die KVI insgesamt zu. Im Artikel kämen die Argumente beider Seiten ausgeglichen zu Wort, er habe als Moderator sehr bewusst Fragen aus einer journalistischen Perspektive gestellt, das ZT nehme seine Rolle im politischen Diskurs gerade auch im Hinblick auf den nötigen Meinungspluralismus ernst.

Zum behaupteten Verstoss gegen die Richtlinie 2.4 weist der Chefredaktor darauf hin, dass diese sich um die Mitgliedschaft in einer Partei und um politische Ämter drehe. Er sei weder in einer Partei noch habe er ein politisches Amt inne. Er stehe in keinem Interessenkonflikt.

Und hinsichtlich der Anhörung bei schweren Vorwürfen (Richtlinie 3.8) weist er darauf hin, dass das fragliche Zitat des Verbandspräsidenten Gehler in seinem Text nicht beinhalte, dass Unternehmen im Kanton Aargau Kirchensteuern bezahlen müssten. Es gehe um ein Argument, das landesweit bezüglich verschiedener Kantone in der Diskussion sei. Abgesehen davon gehe es um ein Zitat und nicht um eine Sachverhaltsdarstellung der Redaktion. Müsste man bei jedem kritischen Zitat Gegenmeinungen einholen, würde die Anhörungspflicht ad absurdum geführt. Hinzu komme, dass das ZT auch die Kirchen in seiner Berichterstattung zur KVI habe zu Wort kommen lassen.

D. Am 15. Dezember 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg sowie den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 31. März 2021 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Dem Beschwerdeführer ist grundsätzlich zuzustimmen bei seiner Forderung nach grösstmöglicher Transparenz in der Berichterstattung, nach der Offenlegung von möglichen Interessenkonflikten. Das fordert nicht nur die von ihm angerufene Richtlinie 2.4, der gleiche Grundgedanke liegt auch der Richtlinie 9.2 zugrunde. In diesem allgemeinen Sinne grösstmöglicher Transparenz wäre es hilfreich gewesen, wenn der Artikel in der Printausgabe des ZT mit dem Namen des Autors und nicht nur mit dem Redaktionskürzel gezeichnet gewesen wäre. Das hätte der Leserschaft zu sehen ermöglicht, dass der Autor des Artikels gleichzeitig auch der Moderator jener Veranstaltung war. Es wäre auch im Sinne von Transparenz gewesen, wenn das ZT signalisiert hätte, dass seine Muttergesellschaft stimmberechtigtes Mitglied der WRZ ist.

Aber beides wird von der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» so nicht gefordert. Die vom BF angeführte Richtlinie 2.4 bezieht sich auf die Unvereinbarkeit von politischen oder sonstigen öffentlichen Ämtern mit journalistischer Tätigkeit. Das steht hier nicht zur Debatte. Der allgemein gehaltene Satz in Richtlinie 2.4, wonach Interessenkonflikte dem Ansehen der Medien schaden, auch im Falle von privaten Tätigkeiten, geht von effektiv bestehenden Interessenkonflikten aus, von Tätigkeiten, «die sich mit der Informationsarbeit überschneiden». Das war vorliegend so nicht der Fall. Wenn ein Vertreter der «ZT Medien» sich für seine Firma als eine von vielen im Berichtsgebiet im Rahmen einer Verbandserklärung gegen die KVI ausspricht, bedeutet das nicht, dass das ZT nicht sachlich über eine Informationsveranstaltung gleichenorts berichten kann, in der diese Initiative diskutiert wird. Eine derart rigide Auslegung von 2.4 würde die politische Berichterstattung vieler Medien zu stark behindern. Richtlinie 2.4 ist nicht verletzt.

2. Die Richtlinie 2.2, welche im speziellen Fall von Monopolsituationen verlangt, dass das betreffende Medium dem Pluralismus der Meinungen Rechnung trägt, ist im Fall des ZT von Belang. Der Chefredaktor geht in seiner Beschwerdeantwort denn auch davon aus, dass das ZT sich verpflichtet fühle, «den politischen Diskurs und Meinungspluralismus» zu fördern. Das war im vorliegenden Artikel durchaus der Fall. Obwohl die veranstaltende Vereinigung (welcher «ZT Medien» angehört) die KVI einstimmig abgelehnt hat, hat das ZT ausgewogen berichtet, der Gegenposition ausreichend Platz gegeben, ihre besten Argumente abgebildet und selber in der Berichterstattung nicht eine klar erkennbare Position bezogen. Richtlinie 2.2 ist damit ebenfalls nicht verletzt.

3. Wenn der Beschwerdeführer davon ausgeht, dass schwere Vorwürfe gegen die Kirchen erhoben worden seien und diese entsprechend gemäss Richtlinie 3.8 hätten angehört werden müssen, trifft das nach der Beurteilung des Presserates nicht zu: Zum einen wurde der Präsident des Verbandes WRZ mit der Aussage zitiert, dass er es nicht verstehen könne, wenn Kirchen mit Steuergeldern eine wirtschaftsfeindliche Initiative unterstützten. Dieser Satz ist das Zitat eines Beteiligten, der zwar durchaus Kritik enthält, aber nicht eine Kritik, die einem «schweren Vorwurf» im Sinne der presserätlichen Praxis enthält, also kein illegales oder vergleichbares Handeln. Zweitens ist es eine kritische Äusserung in einem politischen Diskurs, welche ohnehin unter das «öffentliche Interesse» fällt, welches Richtlinie 3.9 als Ausnahme von der Anhörungspflicht nennt. Und drittens irrt der BF, wenn er kritisiert, dass mit dieser Passage suggeriert werde, Unternehmen müssten im Kanton Aargau Kirchensteuern zahlen. Dem ZT ist zuzustimmen, wenn es darauf hinweist, dass dieses Argument schweizweit diskutiert werde, da Unternehmen in verschiedenen Kantonen Kirchensteuer zu entrichten hätten und dass von einer Aargauer Kirchensteuer nicht die Rede gewesen sei. Die Richtlinie 3.8 wurde nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Das «Zofinger Tagblatt» hat mit dem Artikel «Unternehmer weibeln heftig gegen die KVI» die Ziffern 2 (Meinungspluralismus, öffentliche Funktionen) und 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.