Nr. 21/2020
Schutz der Privatsphäre / Schutz von Kindern

(Mumenthaler c. «Basellandschaftliche Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Am 5. Juni 2019 publizierte die «Basellandschaftliche Zeitung» (bz Basel) einen von Samuel Hufschmid gezeichneten Artikel unter dem Titel «Basler Bildungspolitiker schickt Tochter nach Lörrach ans Gym». Darin wird erläutert, dass Stephan Mumenthaler, FDP-Fraktionspräsident im Basler Grossen Rat und Mitglied der Bildungskommission, ein Politiker, der die Qualität der Basler Schulen regelmässig hart kritisiere, seine Tochter über die Grenze ins Gymnasium im deutschen Lörrach schicke. Die Frage, ob auch sein Sohn in Lörrach zur Schule gehe, lasse Mumenthaler unbeantwortet. Im weiteren Verlauf geht der Artikel dann unabhängig von Mumenthaler u. a. der Frage nach, wie viele Basler Kinder in Deutschland zur Schule gehen, was das kostet und wie es umgekehrt aussieht.

B. Ebenfalls am 5. Juni 2019 erhob Stephan Mumenthaler Beschwerde gegen die «bz Basel» mit der Begründung, der Artikel verletze seine Privatsphäre. Das sei ein Verstoss gegen die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») und gegen die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 7.3, welche speziell den Schutz von Kindern betrifft.

Was ihn selber angehe, so lasse sich aus seiner politischen Tätigkeit im Bildungsbereich kein öffentliches Interesse an der Schulwahl seiner Kinder ableiten. Es bestehe kein sachlicher Zusammenhang zwischen den beiden Bereichen und überdies habe die Wahl der Schule stattgefunden, noch bevor er in den Grossen Rat eingetreten sei. Also bestehe auch kein zeitlicher Zusammenhang.

Zudem sei mit ihrer Nennung im Artikel auch die Privatsphäre seiner Kinder verletzt worden. Die Verletzung der Privatsphäre insgesamt wiege umso schwerer, als der Artikel gross aufgemacht gewesen sei, mit einem grossen Foto auf der Frontseite des regionalen Bundes.

C. Am 5. August 2019 beantragte der Chefredaktor der «bz Basel», Patrick Marcolli, der Presserat möge «nicht weiter auf die Beschwerde des Herrn Mumenthaler eintreten». Er begründet dies damit, dass der Beschwerdeführer (BF) einer der bekanntesten Politiker in Basel sei, einer, der sich speziell einen Namen als Bildungspolitiker gemacht habe. Es sei unter den gegebenen Umständen klar, dass die politischen und damit öffentlichen Aktivitäten des BF den Kern der Berichterstattung bildeten und dass damit ein öffentliches Interesse gegeben sei.

D. Der Presserat teilte den Parteien am 23. August 2019 mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 20. April 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde wurde fristgerecht eingereicht und erfüllt die formalen Anforderungen. Es ist aus der Beschwerdeantwort nicht ersichtlich, weshalb die «bz Basel» einen Antrag auf Nichteintreten stellt. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass die «bz Basel» eher eine Ablehnung der Beschwerde meinte als ein Nichteintreten. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2. Bei der Frage, ob die Privatsphäre des BF verletzt sei (Ziffer 7 der «Erklärung») ist ausschlaggebend, ob ein öffentliches Interesse an der Publikation des zweifellos privaten Sachverhalts bestand. Die Frage, wo seine Kinder zur Schule gehen, betrifft aber inhaltlich direkt einen der politischen Tätigkeits- und damit auch Verantwortungsbereiche des BF in seinem Verhältnis gegenüber der Öffentlichkeit. Ein führender Politiker, eine führende Politikerin im Bereich Bildungspolitik muss sich der – immer wieder einmal diskutierten – Frage stellen, wo er, wo sie die eigenen Kinder zur Schule schickt und weshalb. Diese Frage ist im Sinne der Transparenz in der politischen Diskussion von öffentlichem Interesse. Das Argument des BF, wonach kein inhaltlicher Zusammenhang bestehe zwischen der Schulung seiner Kinder und der Schulpolitik in Basel, leuchtet nicht ein. Der Zusammenhang erscheint, im Gegenteil, angesichts seiner Aktivitäten auf diesem Gebiet offensichtlich.

Dass der Entscheid für das deutsche Gymnasium vor des BF Eintritt in den Grossen Rat gefallen ist, macht ebenfalls keinen Unterschied. Die von der Öffentlichkeit im politischen Prozess zu beurteilende Persönlichkeit entsteht ja nicht erst mit dem Tag nach der Wahl. Es ist vielmehr der BF, der mit seinem (absolut legitimen!) Entscheid, in der Politik für seine bildungspolitischen Überzeugungen zu kämpfen, Öffentlichkeit hergestellt hat. Ziffer 7 der «Erklärung» ist nicht verletzt.
3. Die Frage, ob die beiden Kinder des BF in ihrer Privatsphäre verletzt sind, stellt sich anders. Hier ist die Schwelle höher als bei einer erwachsenen Person des öffentlichen Lebens. Erstens sind sie selber nicht öffentliche Personen. Und zweitens sind sie nicht erwachsen, beides erhöht die Schwelle erheblich. Die «bz Basel» macht in dieser Hinsicht geltend, sie habe das Kindeswohl durchaus berücksichtigt, indem sie sich im Vorfeld der Publikation erkundigte, ob ein spezieller Grund für die spezifische Schulwahl vorliege (Behinderung, besonders ausgerichtete Schule o. ä.). Erst nachdem man erfahren habe, dass dies nicht der Fall sei, habe man sich zur Veröffentlichung entschlossen.

Diese Nachfrage allein würde nach Ansicht des Presserates nicht ausreichen, um den Schutz von Kindern ausser Acht zu lassen. Da es aber erstens gar nicht möglich gewesen wäre, dieses durchaus im öffentlichen Interesse liegende Thema aufzugreifen, ohne den Schulort und damit indirekt die Kinder anzusprechen, weil es sich zweitens bei den beiden nicht mehr um eigentliche Kinder, sondern um Jugendliche, um Gymnasiasten, handelt und weil ihnen drittens auch gar nichts nachgesagt wird, was sie stark belasten müsste, sieht der Presserat auch Richtlinie 7.3, den Schutz der Kinder, nicht verletzt. Es wird im Artikel nur festgestellt, dass sich ihre Eltern seinerzeit, bei der Wahl für ein Gymnasium, für ein deutsches entschieden haben. Das betrifft primär die Eltern. Und der Vater hat mit seinem Entscheid, sich in Sachen Bildungspolitik öffentlich stark zu engagieren, selber Öffentlichkeit in diesem Themenbereich hergestellt. Dies galt letztlich auch bezogen auf die – von den Eltern zu verantwortende – Wahl einer Schule für die Kinder.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «bz Basel» hat mit dem Artikel «Basler Bildungspolitiker schickt Tochter nach Lörrach ans Gym» vom 5. Juni 2019 die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.