Nr. 12/2019
Wahrheitspflicht

(Schwanger-Hilfe.ch c. «SonntagsZeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Am 17. September 2017 veröffentlichte die «SonntagsZeitung» einen Artikel mit dem Titel «Neue Taktik der Gegner der Abtreibung». Der Untertitel lautete: «Sie verstecken sich hinter neutral wirkender Webseite». Der Verein «Schwanger-Hilfe.ch» werbe damit, dass dank seiner Hilfe für Schwangere «die Tür einer freien Entscheidung aufgeht – auch für das Kind. Nun haben sie eine echte Wahl. Und diese respektieren wir.» Der Verein sei jedoch mitnichten neutral, auch wenn die Webseite auf den ersten Blick so daherkomme. Im Vorstand des im Dezember 2015 gegründeten Vereins mit Sitz in Weinfelden TG würden sich altbekannte Abtreibungsgegner wie Werner Messmer, ehemaliger Präsident der Gruppierung «Zum Schutz des ungeborenen Lebens» oder SVP-Mann Pirmin Müller, Gegner der Fristenlösung und Befürworter der Initiative «Abtreibung ist Privatsache» befinden. Die neue Taktik der Abtreibungsgegner sei, nicht mehr als solche erkennbar aufzutreten. Sie agierten im Hintergrund, indem sie vermeintlich objektive Beratungsstellen wie «Schwanger-Hilfe.ch» ins Leben rufen würden. Der Name sei kaum zufällig gewählt, denn er klinge zum Verwechseln ähnlich wie «Hilfeschwanger.ch», das seriöse Angebot des Zürcher Vereins Inselhof Triemli.

Unter dem Zwischentitel «Fotos von abgetriebenen Föten und traumatisierten Frauen» thematisiert der Artikel vorab das Gesuch von «Schwanger-Hilfe.ch» um Aufnahme in den Leitfaden der offiziellen Schwangerschafts-Beratungsstellen im Kanton St. Gallen. Ärztinnen und Ärzte seien gesetzlich verpflichtet, Frauen, die einen Abbruch in Erwägung ziehen würden, diese Liste gegen Unterschrift auszuhändigen. Die Chancen, dass das Ersuchen positiv beantwortet werde, stünden gut, da das Verzeichnis «umfassend» und nicht neutral sein müsse. Aus diesem Grund finde sich auf der Beratungsliste des Kantons Zürich auch die «Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind», die ebenfalls nicht auf den ersten Blick als tendenziös zu erkennen sei. Erst nach ein paar Klicks auf deren Website werde deutlich, dass vor allem die Gegenargumente aufgelistet würden. Es gebe Bilder von abgetriebenen Föten und Geschichten von durch eine Abtreibung traumatisierten Frauen. Auf Nachfrage, weshalb es einen Verein wie «Schwanger-Hilfe.ch» brauche, habe Co-Präsidentin Rosmarie Mopanda erklärt, die bestehenden Beratungsstellen informierten «nur einseitig». Gleichzeitig verneinte sie, dass ihr Verein parteiisch sei. Dies lasse sich auch nicht aus der Tatsache ableiten, dass prominente Abtreibungsgegner im Vorstand vertreten seien, denn «die beraten ja nicht».

B. Am 17. Oktober 2017 reichte der Verein «Schwanger-Hilfe.ch» Beschwerde gegen den Artikel der «SonntagsZeitung» vom 17. September 2017 beim Schweizer Presserat ein. Das Wahrheitsgebot der Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») sei verletzt, da der gerügte Artikel suggestiv und stigmatisierend sei. Dies treffe zuerst auf den Titel zu. Da der Verein «Schwanger-Hilfe.ch» keine klare Positionierung habe und weder für noch gegen die Fristenregelung sei, weil die Beratung keine Entscheidung vorwegnehme, täusche der Titel falsche Tatsachen vor. Zudem handle es sich bei Pirmin Müller und Werner Messmer nicht um Vorstandsmitglieder. Dies sei im Artikel falsch festgehalten worden. Die Gegenüberstellung mit dem Zürcher Verein Inselhof Triemli als seriöses Angebot suggeriere, das Angebot von «Schwanger-Hilfe.ch» sei nicht seriös. Der Zwischentitel «Fotos von abgetriebenen Föten und traumatisierten Frauen» sei für den Leser irreführend. Denn er suggeriere, dass der Verein «Schwanger-Hilfe.ch» Fotos von abgetriebenen Föten und traumatisierten Frauen verwende. Durch die explizite Nennung der Organisation «Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind», die diese Bilder verwende, werde der Verein «Schwanger-Hilfe.ch» in die ideelle Nähe der Organisation gerückt, was nicht zutreffe. Insgesamt rügt der Beschwerdeführer, es werde pauschal unterstellt, der Verein «Schwanger-Hilfe.ch» sei gegen Abtreibungen und würde keine neutralen Beratungen anbieten. Ziel der Beratungstätigkeit sei das Ermöglichen einer echten Wahlfreiheit der Frau, weshalb sich der Verein explizit neutral positioniere.

C. Mit Beschwerdeantwort vom 20. Dezember 2017 beantragte der Rechtsdienst von Tamedia für die «SonntagsZeitung», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Eventualiter sei diese abzuweisen.

Die Beschwerdegegnerin bestreitet den Vorwurf, der Titel des Artikels verletze das Wahrheitsgebot. Dem Handelsregisterauszug des Vereins, den die verantwortliche Journalistin bei ihrer Recherche konsultiert habe, sei zu entnehmen, dass als Zweck des Vereins die «Beratung und Hilfe für ungewollt schwangere Frauen bzw. ihre Familien mit einer lebensbejahenden Ausrichtung» vermerkt sei. Auch auf der Webseite streiche der Verein seine lebensbejahende Ausrichtung explizit hervor, weshalb die Bezeichnung «Gegner der Abtreibung» auf die Selbstdeklarationen des Vereins in einer offiziellen amtlichen Quelle und auf seinem Internetauftritt gestützt sei. Sie stelle keine Stigmatisierung oder Vortäuschung falscher Tatsachen dar und folglich auch keine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung». Bezüglich der Bezeichnung der «altbekannten Abtreibungsgegner» Werner Messmer und Pirmin Müller als Vorstandsmitglieder des Vereins «Schwanger-Hilfe.ch» treffe es zu, dass die beiden Personen keine Vorstandsmitglieder seien. Werner Messmer sei als Botschafter, Pirmin Müller als Öffentlichkeitsbeauftragter im Verein engagiert. Die Falschbezeichnung beruhe darauf, dass die Journalistin durch die Website unter dem Titel «Wie organisieren wir den Verein?» sechs gruppierte Porträts, darunter neben den drei Vorstandsmitgliedern auch jene von Werner Messmer und Pirmin Müller, auffand. Diese Darstellung habe bei ihr den Eindruck erweckt, es handle sich bei allen sechs Personen um Vorstandsmitglieder. Zudem habe die Co-Präsidentin des Vereins «Schwanger-Hilfe.ch» die ihr von der Journalistin vor der Veröffentlichung des Artikels vorgelegten Zitate bezüglich der fehlenden Vorstandszugehörigkeit nicht berichtigt.

Zur von «Schwanger-Hilfe.ch» geltend gemachten fehlenden Seriosität erläutert die «SonntagsZeitung», der Vergleich eines Angebots mit einem seriösen Zweitangebot müsse nicht zwingend implizieren, dass das erste Angebot unseriös sei. Dies stelle eine reine Interpretation des Beschwerdeführers dar. Der beanstandete Zwischentitel markiere eine Überleitung zu jenem Teil des Artikels, in welchem nicht mehr der Beschwerdeführer, sondern die Stiftung «Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind» im Fokus gestanden habe. Aus dem Text gehe klar hervor, dass Letztere und nicht «Schwanger-Hilfe.ch» die betreffenden Fotos auf ihrer Website einsetze.

D. Am 17. Januar 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 9. Mai 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Der Verein «Schwanger-Hilfe.ch» macht eine Verletzung der Wahrheitspflicht geltend. Ziffer 1 der «Erklärung» hält Journalistinnen und Journalisten dazu an, sich an die Wahrheit zu halten. Sie sollen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Der Verein bringt vor, die Bezeichnung als «Gegner der Abtreibung» im Titel sowie im gesamten Artikel entspreche nicht der Wahrheit. Gemäss Eigenaussage von «Schwanger-Hilfe.ch» positioniere sich der Verein nicht und sei deshalb auch weder für noch gegen die Fristenregelung. Die «SonntagsZeitung» argumentiert mit dem Handelsregisterauszug und dem Ausdruck der Webseite des Vereins und schliesst daraus, dass der Verein eine lebensbejahende Ausrichtung habe und mitnichten neutral sei. Für den Schweizer Presserat ist es gestützt auf diese Grundlagen zulässig, die Eigendeklaration des Vereins nicht nur zu hinterfragen, sondern auch zu einem anderen Schluss zu kommen. Den Titel sowie die Bezeichnung des Vereins als Abtreibungsgegner erachtet er somit als mit der Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») vereinbar.

Auch der Vergleich der Namen des Vereins «Schwanger-Hilfe.ch» mit demjenigen des Zürcher Vereins Inselhof Triemli (Hilfeschwanger.ch) und die Bezeichnung von dessen Angebot als «seriös» verletzt die Wahrheitspflicht nicht. Wenn das eine Angebot als seriös qualifiziert wird, das andere als nicht neutral, so heisst dies nicht zwingend, dass das zweite unseriös ist. Diese Interpretation ist eine von vielen möglichen. Im Artikel gibt es keine Hinweise darauf, dass das Angebot unseriös sein sollte. Der Artikel will darauf hinweisen, dass es eine gewisse Stossrichtung hat.

Der Verein rügt weiter, Werner Messmer und Pirmin Müller würden zu Unrecht als Vorstandsmitglieder bezeichnet. Der Beschwerdegegner gibt zu, dass dies im Artikel falsch angegeben wurde. Jedoch sei die Website irreführend gewesen und die Co-Präsidentin des Vereins «Schwanger-Hilfe.ch» habe das falsche Zitat bei entsprechender Vorlage nicht berichtigt. Der Schweizer Presserat sieht die Wahrheitspflicht nicht verletzt, dies aus den folgenden Gründen: Unter der Rubrik «Wie organisieren wir den Verein?» sind neben drei Vorstandsmitgliedern auch die Stellenleiterin Beratung sowie Werner Messmer (mit der Bezeichnung «Alt-Nationalrat/Botschafter») und Pirmin Müller (Bezeichnung als «Freiwilliger, Öffentlichkeitsbeauftragter») mit Foto und gleichem Layout dargestellt. Dass die Journalistin daraus den Schluss gezogen hat, es handle sich bei allen abgebildeten Personen um Vorstandsmitglieder, kann ihr deshalb nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dies umso weniger, als Rosmarie Mopanda, die Co-Präsidentin des Vereins, beim Gegenlesen ihre Aussage, dass auch die prominenten Abtreibungsgegner im Vorstand nicht dazu führten, dass der Verein parteiisch sei, nicht korrigiert habe. Ziffer 1 der «Erklärung» ist somit nicht verletzt.

Schliesslich sieht der Presserat die Wahrheitspflicht auch durch den Zwischentitel «Fotos von abgetriebenen Föten und traumatisierten Frauen» nicht verletzt. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Titel um eine Überleitung zu jenem Teil des Artikels, in welchem nicht mehr der Beschwerdeführer, sondern die «Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind» im Fokus stand. Aus dem Text geht klar hervor, dass letztere die betreffenden Fotos auf ihrer Website einsetzt und nicht der Verein «Schwanger-Hilfe.ch».

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. Die «SonntagsZeitung» hat mit dem Artikel «Neue Taktik der Gegner der Abtreibung» vom 17. September 2017 Ziffer 1 (Wahrheitsgebot) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.