Nr. 7/2024
Wahrheit / Berichtigung

(Herzog c. kath.ch)

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I. Sachverhalt

A. Am 8. Oktober 2022 veröffentlichte das Online-Portal «kath.ch» einen Artikel gezeichnet von Redaktionsleiter Raphael Rauch unter dem Titel «‹Alternative zu kath.ch›: Rosmarie Schärer arbeitet künftig für Niklaus Herzog». Darin wird berichtet, dass die bisherige Mitarbeiterin Schärer künftig für die Konkurrenz-Seite «swiss-cath.ch» schreiben werde. Deren Chefredaktor Herzog wird im Folgenden charakterisiert als sehr konservativer Theologe, er «mische mit» beim «Marsch fürs Läbe» oder bei der Gruppierung «Pro Ecclesia». Weiter heisst es: «Bis vor kurzem war er auch Mitglied der Bioethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenz. Warum er dieser nicht mehr angehört, ist unklar. Die Schweizer Bischöfe scheinen ihn jedenfalls nicht zu vermissen: Auf Anfrage gab es keine Stellungnahme und auch keinen Dank zu seinem Abgang.»

Im Weiteren wird darüber berichtet, dass auch der Geschäftsführer von «swiss-cath.ch» ein sehr konservativer Katholik sei, ehemaliger Präsident der Jungen SVP, jemand, der sich gegen den politischen Islam in der Schweiz einsetze, gegen Migranten und Klimaaktivisten. Dass Schärer «kath.ch» verlassen habe, liege daran, dass ihr Stellenpensum aus Geldmangel auf 50 Prozent reduziert habe werden müssen. Sie arbeite als Folge davon jetzt nicht nur für die andere Website, sondern auch für das Bistum Chur.

B. Am 7. Januar 2023 reichte Niklaus Herzog, der im Artikel beschriebene Chefredaktor von «swiss-cath.ch», Beschwerde gegen den Artikel beim Schweizer Presserat ein. Er macht einen Verstoss gegen die Ziffer 1 (Wahrheit), die Ziffer 5 (Berichtigungspflicht) und die Ziffer 8 (Schutz der Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend.

Zur Begründung führt er an, die Behauptung, er sei unter unklaren Umständen aus der Bioethik-Kommission der Bischofskonferenz ausgeschieden, sei wahrheitswidrig. Er sei nie Mitglied dieser Kommission gewesen (Verstoss gegen Ziffer 1 der «Erklärung»). An diesem Verstoss gegen die Wahrheitspflicht ändere auch nichts, dass später eine Gegendarstellung veröffentlicht worden sei und sich Autor Rauch entschuldigt habe, dies jedoch erst vier Tage nach Erscheinen des Artikels. Zudem verstosse der verächtliche Duktus, in welchem die Passage verfasst worden sei, gegen seine Menschenwürde (Ziffer 8 der «Erklärung»).

Die Pflicht zur Berichtigung (Ziffer 5 der «Erklärung») sei verletzt, weil eine Richtigstellung, die auf seine Intervention hin erfolgte, im Online-Text zwar vorgenommen worden sei (Eliminierung der betreffenden Passage), aber ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, welche Passagen des ursprünglichen Textes von der Änderung betroffen gewesen seien. Es sei nur eine Floskel am Schluss des Artikels eingefügt worden, mit dem Wortlaut: «geändert am 8. 10., 16 Uhr». Zum Beleg dafür legt der Beschwerdeführer einen Ausdruck des Artikels bei, der mit «08.10.22, 17.42» datiert ist. Zudem sei der Untertitel «Niklaus Herzog ist nicht mehr Mitglied der Bioethik-Kommission» trotz allem im Text verblieben. Auch beinahe drei Monate nach Veröffentlichung des Artikels fehle noch immer der Hinweis darauf, welche Passage des Artikels berichtigt worden sei. Auch dies belegt der Beschwerdeführer mit einem Ausdruck, der vom 6. Januar 2023 datiert ist.

C. Am 18. April 2023 nahm Chefredaktor Charles Martig für die Redaktion von «kath.ch» zur Beschwerde Stellung. Er beantragt, auf die Beschwerde sei gemäss Artikel 11 des Geschäftsreglements nicht einzutreten, weil sie offensichtlich unbegründet sei und weil die Redaktion den fraglichen Sachverhalt unverzüglich korrigiert und sich dafür entschuldigt habe.

Zur Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung» führt er aus: Die Beschwerdegegnerin, die Redaktion «kath.ch», konzediere – für den Fall, dass doch eingetreten werde –, der ursprüngliche Artikel sei nicht korrekt gewesen. Niklaus Herzog sei darin mit Roland Graf verwechselt worden. Dieser Mangel werde aber dadurch geheilt, dass eine unverzügliche Berichtigung erfolgt sei. Die Ziffer 1 der «Erklärung» sei infolgedessen nicht verletzt.

Zu Ziffer 5 (Berichtigung) der «Erklärung»: Es sei eine Berichtigung korrekt vorgenommen worden, damit sei der Fehler geheilt und Ziffer 5 mit ihrer Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) seien nicht verletzt worden. Dies, weil der Text noch am Erscheinungstag um 16 Uhr korrigiert worden sei. Der beanstandete Passus sei gestrichen worden, zusätzlich sei folgender Zusatz am Schluss des Artikels hinzugefügt worden: «Geändert am 8. 10., 16 Uhr: In einer ersten Fassung hatten wir Niklaus Herzog mit Roland Graf verwechselt. Wir bitten, dies zu entschuldigen. Eine Gegendarstellung finden Sie hier; eine Entschuldigung hier». Weiter führt die Beschwerdegegnerin aus, die publizierte Gegendarstellung «erfolgte am 9. 10. 2022, und nicht wie vom Beschwerdeführer dargelegt am 12. 10. 2022». Der von «kath.ch» als Beleg für die am 8. Oktober 2022 vorgenommenen Änderungen beigelegte Ausdruck des Artikels stammt gemäss Vermerk auf der Kopie vom 18. April 2023.
«kath.ch» führt weiter aus, dass sie am 12. Oktober 2022, also vier Tage nach Publikation des beanstandeten Artikels, einen weiteren Text veröffentlicht habe, in welchem sie festhalte, dass sie sich für einen Fehler entschuldige. Sie habe die beiden Theologen Niklaus Herzog und Roland Graf miteinander verwechselt. Die Behauptung, Herzog sei Mitglied der Bioethik-Kommission der Bischofskonferenz gewesen, sei falsch. «Richtig ist, dass dies Roland Graf war – dieser aber die Kommission aus unbekannten Gründen verlassen hat.» Weiter zitiert der Redaktor dort den Beschwerdeführer bezüglich seiner heutigen Funktionen und endet mit «Ich bitte Niklaus Herzog und Roland Graf um Entschuldigung für die Verwechslung!».

Weiter stellt die Beschwerdegegnerin zu den Widersprüchen in den beiden Darstellungen fest, dass sie sich nicht erklären könne, weshalb auf dem Ausdruck des Artikels seitens des Beschwerdeführers vom 8. Oktober um 17.42 Uhr der falsche Zwischentitel noch immer enthalten gewesen sei und weshalb die Hinweise auf die Korrekturen, insbesondere auf die Gegendarstellung und die Entschuldigung nicht aufgeschienen seien (ausser dem Vermerk «geändert am 8. 10., 16 Uhr»). Ebenso wenig sei klar, weshalb der Ausdruck des Beschwerdeführers, datiert mit 6. Januar 2023, die Hinweise auf die vorgenommenen Änderungen ebenfalls nicht enthalten habe. Fest stehe, dass alle Änderungen vorgenommen worden seien wie eingangs beschrieben.

Zu Ziffer 8 (Respektierung der Menschenwürde) der «Erklärung» stellt die Beschwerdegegnerin fest, dass die Formulierung «Bis vor kurzem war er auch Mitglied der Bioethik-Kommission der Schweizer Bischofskonferenz. Warum er dieser nicht mehr angehört, ist unklar. Die Schweizer Bischöfe scheinen ihn jedenfalls nicht zu vermissen: Auf Anfrage gab es keine Stellungnahme und auch keinen Dank zu seinem Abgang» keinen «verächtlichen Duktus» habe, wie vom Beschwerdeführer kritisiert. Sie sei kein Verstoss gegen die Menschenwürde. Die Formulierung sei eine pointierte Einschätzung oder persönliche Wertung. Zudem sei sie wenige Stunden nach der Publikation gelöscht worden.

D. Gestützt auf Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Presserats behandelt das Präsidium des Presserats Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder die von untergeordneter Bedeutung erscheinen.

E. Am 30. November 2023 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gestützt auf Artikel 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements vom Präsidium des Presserats behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

F. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 27. Mai 2024 verabschiedet.

 

II. Erwägungen

1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. Art. 11 des Geschäftsreglements sieht lediglich vor, dass nicht eingetreten wird, «wenn (…) sich die betroffene Redaktion oder die Journalistin/der Journalist bei einer Angelegenheit von geringer Relevanz bereits öffentlich entschuldigt und/oder Korrekturmassnahmen ergriffen hat». Hier geht es nicht um eine Angelegenheit von geringer Relevanz: Wenn im Rahmen von grundsätzlichen religiösen Debatten eine katholische Publikation dem Redaktionsleiter einer anderen katholischen Publikation vorwirft, unter unklaren Umständen aus einer bischöflichen Kommission ausgeschieden zu sein, dann geht es unter anderem um dessen Stellung in der Kirche und damit durchaus um eine «Angelegenheit von Relevanz».

2. Die kritische Bemerkung über den Chefredaktor einer konkurrierenden Publikation war anerkanntermassen falsch. Entlastend ist allerdings anzuführen, dass der Redaktionsleiter nach eigenem Bekunden versucht hatte, seine Recherche zu verifizieren. Er schrieb im Artikel selber, warum der Chefredaktor der bischöflichen Kommission «nicht mehr angehört, ist unklar. Die Schweizer Bischöfe scheinen ihn jedenfalls nicht zu vermissen: Auf Anfrage gab es keine Stellungnahme und auch keinen Dank zu seinem Abgang.» Hätte die Bischofskonferenz geantwortet, hätte sie die Redaktion «kath.ch» rechtzeitig über den Irrtum aufgeklärt und es wäre nicht zu der Verwechslung gekommen. Das heilt jedoch nicht die Tatsache, dass die Behauptung, der Beschwerdeführer sei aus der Ethikkommission ausgeschieden, falsch ist. «kath.ch» verstiess damit gegen die Pflicht, sich an die Wahrheit zu halten. Ziffer 1 der «Erklärung» ist somit verletzt.

3. Es stellt sich somit die Frage, ob auch die erfolgte Richtigstellung ungenügend war und gegen die Ziffer 5 der «Erklärung» bzw. Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) verstiess, wie der Beschwerdeführer geltend macht. In Analogie zu Art. 11 des Geschäftsreglements und in Zusammenfassung der bisherigen Entscheide des Presserats lässt sich festhalten, dass eine Berichtigung den Anforderungen an eine Richtigstellung genügt, wenn die Korrektur
– mehr als eine Ungenauigkeit betrifft, die für die Leserschaft nicht wichtig ist (andernfalls ist sie gar nicht erforderlich, vgl. Stellungnahme 24/2023)
– unverzüglich erfolgt (Ziffer 5 der «Erklärung»)
– die wesentlichen richtigzustellenden Fakten anführt
– für die durchschnittliche Leserin, den durchschnittlichen Leser transparent ist (vgl. Stellungnahme 78/2021), das heisst, es muss klar werden, was falsch war und was neu richtigerweise gilt und
– unmittelbar beim Text auf die Änderung hinweist und der korrekte Sachverhalt nicht nur kommentarlos im Text selber angeführt wird (grundsätzliche Feststellungen des Presserats zur Berichtigung von Online-Texten in Stellungnahme 29/2011).

4. Zunächst stellt sich die Frage, ob die Korrektur in «kath.ch» «unverzüglich» erfolgt ist. Unbestritten ist, dass die Redaktion noch am Erscheinungstag um 16 Uhr reagiert und die fragliche Passage eliminiert hat. Damit ist dem Kriterium «unverzüglich» Rechnung getragen.

Umstritten ist hingegen, ob die unverzüglich erfolgte Korrektur hinreichend war. Nach der – mit einem Ausdruck von 17.42 Uhr belegten – Darstellung des Beschwerdeführers bestand die erste Korrektur nur darin, dass der fragliche Textausschnitt gelöscht wurde und dass am Ende des Textes vermerkt wurde «geändert am 8.10., 16 Uhr». Damit wäre dem Kriterium «für die LeserInnen transparent» nicht Genüge getan. Es erschliesst sich bei der Lektüre nicht, was falsch war und weshalb welche Änderung vorgenommen wurde. Die Gegenseite bestreitet dies mit dem Hinweis, es sei schon um 16 Uhr alles enthalten gewesen: Hinweis auf die Art der Änderung, Hinweis auf die Gegendarstellung und Hinweis auf die eigene Entschuldigung. Hier steht Aussage gegen Aussage. Allerdings stellt «kath.ch» gleich anschliessend selber fest, dass die Gegendarstellung erst am 9. Oktober erfolgt sei. Die Darstellung des Beschwerdeführers, wonach die korrekte Berichtigung schon am 8. Oktober 2022 stattgefunden habe, kann «kath.ch» nicht wirklich belegen, da der Ausdruck, der dies beweisen soll, erst im April 2023 erstellt wurde. Damit besteht mindestens ein erheblicher Zweifel an der Darstellung von «kath.ch» bezüglich einer zeitnahen, hinreichenden Korrektur, mindestens aber steht Aussage gegen Aussage. Dass im Weiteren auch nach den Korrekturmassnahmen ein Zwischentitel im Text verblieben sei, der die falsche Behauptung gegenüber dem Beschwerdeführer weiter aufrechterhielt («Niklaus Herzog ist nicht mehr Mitglied der Bioethik-Kommission»), wird von «kath.ch» nur mit der Bemerkung «nicht erklärbar» beantwortet.

Es kommt hinzu, dass «kath.ch» in den von ihr selber angeführten Texten zwar jeweils auf die Verwechslung hinwies, aber nicht andeutete, dass diese Verwechslung zu Unrecht zu einem sehr negativen Eindruck bezüglich des Beschwerdeführers beitrug. Hinsichtlich Transparenz liess die Korrektur insgesamt Wünsche offen. Der Presserat sieht die Ziffer 5 der «Erklärung» bzw. Richtlinie 5.1 verletzt.

5. Was die vom Beschwerdeführer angeführte Verletzung seiner Menschenwürde angeht, so kann der Presserat dieser Einschätzung nicht zustimmen. Diese Bestimmung der «Erklärung» bezieht sich auf die Diskriminierung von Menschengruppen und auf Personen, die Opfer von Kriegen und Terror sind, welchen mit Respekt begegnet werden müsse. Der Beschwerdeführer ist ein Theologe, der mit seiner neuen Website öffentliches Gehör sucht. Er muss als jemand, der die Öffentlichkeit sucht, Kritik, auch zugespitzte Kritik, in Kauf nehmen. Ziffer 8 (Menschenwürde) der «Erklärung» ist somit nicht verletzt.

 

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.

2. «kath.ch» hat mit dem Artikel «‹Alternative zu kath.ch›: Rosmarie Schärer arbeitet künftig für Niklaus Herzog» vom 8. Oktober 2022 die Ziffern 1 (Wahrheit) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.