I. Sachverhalt
A. a) Am 7. Oktober 2021 veröffentlichte der «Teletext» der SRG einen Artikel gezeichnet mit dem Titel «93 % der Verstorbenen nicht geimpft». Im Text wird Bezug genommen auf neueste Zahlen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) betreffend die Anzahl von Menschen, die seit Ende Januar (2021, der Presserat) verstorben oder ins Spital eingewiesen worden seien. Es wird ausgeführt, dass von 1681 verstorbenen Menschen 93 Prozent nicht gegen das Coronavirus geimpft gewesen seien. Nur rund sieben Prozent seien schon zweimal geimpft gewesen. Bei den Hospitalisierten liege diese Quote bei knapp sechs Prozent. Die meisten der geimpften Verstorbenen seien zudem älter gewesen als 80 Jahre. Das BAG schreibe dazu, dass solche Impfdurchbrüche zu erwarten gewesen seien, da die Wirksamkeit der Impfstoffe zwar sehr hoch sei, jedoch unter hundert Prozent liege.
b) Am 8. Oktober nahm «20Minuten.ch» die gleichen neuen Zahlen des BAG auf in einem Artikel unter dem Titel «93 Prozent der Covid-Todesfälle sind Ungeimpfte». Auch in diesem Artikel wird – neben der Feststellung, dass der Impfstoff «Moderna» etwas besser schütze als «Pfizer/Biontech» – das Zahlenmaterial des BAG zusammengefasst mit der Feststellung, dass von den Todesfällen seit Ende Januar 2021 nur sieben Prozent «geimpft» (im Titel), respektive «mit doppelter Impfung» versehen gewesen seien (Text).
B. Am 18. Oktober 2021 hat X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die beiden Artikel eingereicht. Er macht einen Verstoss gegen die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Entstellung von Tatsachen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend. Er beantragt, die Beschwerdegegner seien aufzufordern, gemäss Ziffer 5 der «Erklärung» eine Pressemitteilung mit den berichtigten Informationen zu veröffentlichen und fordert eine beschleunigte Behandlung seiner Beschwerde, sodass der Entscheid und die Berichtigung noch vor der Volksabstimmung zum Covid-Gesetz am 28. November 2021 ergehen könne.
Zur Begründung führt er aus, die vom BAG am 1. Oktober 2021 publizierten Zahlen seien von den beiden Medien falsch wiedergegeben worden. Bei richtiger Betrachtung der BAG-Zahlen werde ersichtlich, dass zwar sehr wohl nur 122 Verstorbene nachgewiesenermassen vollständig geimpft gewesen seien, dass aber die Behauptung, alle anderen seien ungeimpft gewesen, völlig falsch sei. Die entsprechende Zahl setze sich nämlich zusammen aus 790 nicht geimpften, 77 teilweise geimpften und vor allem aus 702 Personen, von denen der Impfstatus nicht bekannt gewesen sei. Das BAG weise ausdrücklich darauf hin, dass sich unter diesen 702 sicher weitere vollständig und teilweise Geimpfte befänden, was – so der BF –bedeute, dass die Behauptung, nur sieben Prozent Geimpfte seien an Covid gestorben, mit Sicherheit falsch sei. Der Beschwerdeführer sieht in diesem falschen Umkehrschluss eine gezielte Desinformation der Öffentlichkeit, ein solcher Fehler lasse sich nicht mit mangelndem Statistik- oder Zahlenverständnis erklären.
C. Am 14. Dezember 2021 hat der Rechtsdienst der TX Group namens der Redaktion von «20 Minuten» Stellung zur Beschwerde genommen und beantragte deren Abweisung, soweit überhaupt darauf einzutreten sei. «20 Minuten» bestreitet einleitend entschieden, mit dem Artikel bewusste Desinformation betrieben zu haben. Die Redaktion konzediert hinsichtlich der Wahrheitspflicht, dass ein falscher Umkehrschluss vorgenommen worden sei, als man aus sieben Prozent geimpften an Covid Verstorbenen fälschlicherweise auf 93 Prozent ungeimpfte geschlossen habe. Sie ergänzt, dass, wenn man den erheblichen Teil an Fällen mit unbekanntem Impfstatus ausklammere, immer noch nur knapp 13 Prozent Geimpfte und 87 Prozent Ungeimpfte oder nicht vollständig Geimpfte an Covid verstorben seien. Die Annahme des Beschwerdeführers sei zu bezweifeln, wonach unter denjenigen, deren Impfstatus nicht bekannt war, ein hoher Anteil von Geimpften sein dürfte, denn gerade unter den Gefährdetsten, den Alten, sei die Impfquote schon im April besonders hoch gewesen. Jedenfalls bedürfe es genauerer, nach Altersgruppen aufgeschlüsselter Zahlen, um aussagekräftige Schlüsse ziehen zu können.
Was den gerügten Verstoss gegen die Ziffer 3 der «Erklärung» betrifft, so seien keine wichtigen Informationselemente unterschlagen worden, man habe nur statistische Daten ungenau interpretiert. Der Beschwerdeführer führe auch gar nicht aus, was er unter diese Ziffer beanstande. Eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht weise man entschieden zurück.
Des weiteren weist «20 Minuten» darauf hin, dass man in der Online-Version des Artikels am 24. November 2021 eine Berichtigung vorgenommen und sich für den Fehler entschuldigt habe.
D. Am 15. Dezember 2021 beantwortete die für den deutschsprachigen «Teletext» verantwortliche Redaktion «Teletext Nachrichten» von SRF die Beschwerde, ohne einen Antrag zu stellen. «Teletext» anerkennt, fehlerhaft informiert zu haben. Man habe gestützt auf eine Meldung der Agentur SDA, laut welcher bislang 119 vollständig Geimpfte verstorben seien, was sieben Prozent der gesamten Todesfälle bedeute, irrtümlich angenommen, die übrigen 97 (sic) Prozent seien ungeimpft gewesen. Die Redaktion bedaure diesen Fehler. Die Annahme jedoch, dass man gezielt desinformiere, werde entschieden zurückgewiesen. Die Redaktion berichte seit eineinhalb Jahren regelmässig über die Zahlen des BAG, aus diesem einen Fehler auf eine bewusste Desinformation zu schliessen «befremde». «Teletext» habe auf ihrer Korrekturen-Seite den richtigen Sachverhalt geschildert und sich für den Fehler entschuldigt.
E. Am 7. Februar 2022 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Präsidium des Presserats behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Max Trossmann, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.
F. Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 4. März 2022 verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer macht geltend, es sei in einer gesellschaftlich sehr relevanten Thematik in Titel und Text wahrheitswidrig berichtet worden. Dem ist in beiden Fällen zuzustimmen. Sowohl der «Teletext»-Titel «BAG: 93 % der Verstorbenen nicht geimpft» wie auch derjenige von «20 Minuten»: «93 Prozent der Covid-Todesfälle sind Ungeimpfte» waren inhaltlich falsch und dies in einem sehr zentralen Punkt innerhalb eines gesellschaftlich breit und heftig umstrittenen Themas. Dasselbe gilt für die darauf folgenden Texte. Beide Redaktionen haben die Fehlleistungen konzediert und bedauert, der Sachverhalt ist unbestritten, wenn auch auf Seiten von «20 Minuten» mit etwas relativierenden Formulierungen.
Dem Beschwerdeführer ist recht zu geben: Angesichts der Relevanz und der gesellschaftlichen Brisanz des Themas ist von den Redaktionen besondere Sorgfalt und Umsicht im Umgang mit der Materie geboten. Die vorliegenden Texte erfüllen diesen Anspruch nicht, sie entsprechen einem klaren Verstoss gegen die journalistische Wahrheits- und Sorgfaltspflicht und somit gegen Ziffer 1 der «Erklärung».
2. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer den spezifischen Verstoss gegen Ziffer 3 der «Erklärung» nicht begründet hat, bildet diese Bestimmung ohnehin eine Spezifizierung der Ziffer 1 und ist entsprechend mit der Rüge zu Ziffer 1 der «Erklärung» eingeschlossen.
3. Zu Ziffer 5 (Berichtigung) der «Erklärung»: Die geforderte Berichtigung ist in beiden Fällen erfolgt, allerdings bei «20 Minuten» erst am 24. November 2021, bei «Teletext» sogar erst am 15. Dezember 2021, also eineinhalb respektive über zwei Monate nach der fehlerhaften Meldung. Angesichts der Tatsache, dass die Beschwerde den beiden Parteien am 9. November 2021 zugestellt wurde und dass es – gerade angesichts der Ende November 2021 bevorstehenden Abstimmung – um ein dringliches Thema ging, erfolgten diese Richtigstellungen entschieden zu spät. Der Presserat stellt diesbezüglich einen Verstoss gegen die Ziffer 5 der «Erklärung» fest.
III. Feststellungen
1. Der Presserat heisst die Beschwerde grösstenteils gut.
2. «Teletext» und «20 Minuten» haben mit den Artikeln «93 Prozent der Verstorbenen nicht geimpft» vom 7. Oktober 2021 respektive «93 Prozent der Covid-Todesfälle sind Ungeimpfte» vom 8. Oktober 2021 die Ziffern 1 (Wahrheitsgebot) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.