Zusammenfassung
Die Titel der CH Media Gruppe veröffentlichten im April 2021 in einer fünfteiligen Serie die Ergebnisse einer grösseren Recherche über die Restrukturierung der Eidgenössischen Zollverwaltung und Christian Bock, den Direktor der Zollverwaltung. In jedem Beitrag wurde ein anderer Aspekt der Umstrukturierung, respektive des Verhaltens von Bock thematisiert. Unter anderem ging es dabei um die Absicht, fast die gesamte Zollverwaltung zu bewaffnen oder um Bocks Führungsstil und dessen Auftritte in der Öffentlichkeit. Das Eidgenössische Finanzdepartement, zu welchem die Zollverwaltung gehört, erhob beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen die Berichterstattung. Generell diskreditiere die Artikelserie eine Kaderperson der Bundesverwaltung mit einseitigen, unausgewogenen und diffamierenden Aussagen. Private Episoden, die mit Bocks Funktion in der Zollverwaltung kaum etwas zu tun hätten, würden geschildert, die Berichterstattung sei zum Teil unwahr, verletze die Pflicht zum sorgfältigen Umgang mit Quellen sowie die Privatsphäre des Amtsdirektors und dessen Menschenwürde.
Der Presserat wies die Beschwerde in den wesentlichen Punkten ab. Lediglich Hinweise auf religiöse Aktivitäten des Direktors sowie auf das Verhalten seines Sohnes seien nicht durch ein öffentliches Interesse gedeckt und verletzten die Privatsphäre.
Résumé
Les titres du groupe CH Media avaient publié en avril 2021 une série de cinq articles sur les résultats d’importants travaux de recherche sur la restructuration de l’Administration fédérale des douanes et Christian Bock, son directeur. Chaque article abordait un autre aspect de la restructuration, ou du comportement de Christian Bock. Il y était notamment question de l’intention d’armer presque toute l’administration des douanes ou du style de conduite de Christian Bock et de ses apparitions publiques. Le Département fédéral des finances, auquel l’Administration fédérale des douanes est rattachée, a porté plainte contre la série auprès du Conseil suisse de la presse. Il estime, de manière générale, que la série discrédite un cadre de l’administration fédérale en publiant des déclarations partiales, biaisées et diffamatoires. Elle exposait selon lui des épisodes privés, n’ayant quasiment rien à voir avec la fonction de Christian Bock dans l’Administration fédérale des douanes, le compte rendu était partiellement faux et il portait atteinte au devoir de précaution envers les sources ainsi qu’à la sphère privée et la dignité du directeur.
Le Conseil de la presse a rejeté la plainte sur les principaux points. Il estime cependant que les indications concernant les activités religieuses du directeur et le comportement de son fils ne sont pas d’intérêt public et violent la sphère privée.
Riassunto
Nell’aprile del 2021 il gruppo CH Media aveva dedicato un’ampia ricerca, condensata in cinque articoli, alla riorganizzazione dell’Amministrazione federale delle Dogane (Afd) e al suo direttore, Christian Bock. In ogni servizio era lumeggiato un aspetto dell’attività dell’Afd e il ruolo ogni volta svolto dal direttore. In particolare, descritto era il potenziamento da lui personalmente ispirato per quasi tutti i comparti della grande azienda, del quale ogni volta verso l’esterno egli si assumeva la responsabilità. Contro il servizio ha presentato un reclamo al Consiglio della stampa il Dipartimento federale delle finanze, dal quale l’Afd dipende. L’accusa era di diffamazione di un alto funzionario della Confederazione operata con descrizioni unilaterali oppure esagerate. In particolare, il reclamo criticava il coinvolgimento del direttore in circostanze particolari in cui, per la sua funzione, egli non avrebbe avuto parte, riferendo cose in parte non vere, omettendo la verifica delle fonti e mancando di rispetto per la sfera privata e la dignità personale della persona criticata.
Sui punti essenziali della critica, il Consiglio della stampa ha respinto le argomentazioni del Dipartimento. Il servizio è stato giudicato manchevole solo su due punti: il mancato rispetto delle credenze religiose del direttore e gli accenni al ruolo di suo figlio: gli unici punti del servizio per i quali non era dato l’interesse pubblico.
I. Sachverhalt
A. Zwischen dem 19. und dem 26. April 2021 erschien in den Blättern und Online-Seiten der CH Media eine Serie von fünf Artikeln von Henry Habegger über die Reorganisation des Zollwesens und insbesondere über den dabei führend tätigen Direktor der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV), Christian Bock.
a) Im ersten Beitrag vom 19. April wurde Amtsdirektor Bock unter dem Titel «Ein Chefbeamter zum Fürchten» charakterisiert als «Mann mit zwei Gesichtern». In den «Dutzenden Gesprächen», die CH Media mit Personen geführt habe, die mit oder unter ihm gearbeitet hätten, werde Bock geschildert als einerseits charmant, rhetorisch begabt, blitzgescheit, von schneller Auffassungsgabe. Andererseits aber als «unberechenbar, verletzend, grob», als einer, der «gegen oben, seinen Bundesrat, buckle und gegen unten, sein Personal, keine Rücksicht kennt». Wer ihm widerspreche, sei erledigt, reihenweise sei Personal, vorab Kaderleute, unter ihm ausgeschieden. Als Beispiel für seinen Führungsstil dient, in welch ruppiger Art er vor Jahren das Bundesamt für Messwesen (METAS) umgebaut habe, was zu Kritik bis hin zu politischen Interventionen geführt habe. Schliesslich wird auch seine Zugehörigkeit zu einer Freikirche thematisiert. Die Anfragen von CH Media zum «Klima der Angst», das heute in der Zollverwaltung herrsche, beantworte diese mit dem Hinweis auf Transformationsprozesse, die immer Unsicherheit generierten. Zum Schluss wird Bocks Vorgesetzter, Bundesrat Ueli Maurer, zitiert mit den Worten «Bock sei ein ‹schwieriger Mensch›», dennoch – so der Schluss des Artikels – sei es Bock, der das 400 Millionen teure Digitalisierungsprojekt des Zolls umsetze.
b) Der zweite Artikel vom 20. April 2021 steht unter dem Titel «General Bock – Waffenfreund in Fantasieuniform baut Zoll um». Darin geht es darum, dass Christian Bock im Rahmen der von ihm geleiteten Reform der Zollverwaltung alle 4500 Mitarbeitenden «funktionsgerecht bewaffnen» wolle. Bisher seien das nur die 2200 Mitarbeitenden gewesen, die für Personenkontrollen zuständig seien. Bock selber sei bei bestimmten – wenig passenden – Gelegenheiten bewaffnet, mit Schutzweste und in einer Uniform aufgetreten, die den Rang eines Obersten signalisiere; auf Anfrage
werde aber beschieden, er führe keinen militärischen Rang. Bock habe das Grenzwachtkorps (GWK) im Rahmen der Reorganisation faktisch «ausradiert» und in den Bereich «Operationen» integriert, den er selber leite. Der als kompetent und gut vernetzt beschriebene bisherige Chef des GWK sei von Bock belächelt und ohne Verabschiedung in den vorzeitigen Ruhestand entlassen worden. Weiter wird erwähnt, dass ein Teil der Reformen schon umgesetzt werde, obwohl die gesetzliche Grundlage noch fehle und dass ein Grossteil der Chefstellen gar nicht öffentlich ausgeschrieben würden, zwei Drittel der neuen Chefs hätten keine Führungserfahrung. Schliesslich: Bocks Sohn sei neuerdings auch Grenzwächter. Er trete arrogant auf, er habe zu verstehen gegeben, dass man ihn als Sohn des Chefs besser nicht durch die Prüfung fallen lasse.
c) Der dritte Artikel vom 21. April 2021 steht unter dem Titel «Bocks Gesetz – Überwachung total?». Er beschäftigt sich mit der «enormen Machtfülle», welche die von Bock betriebene Revision des Zollgesetzes ihm selber sichern werde. Er habe zwei junge Juristen zu dessen Ausarbeitung angestellt, diesen klare inhaltliche Vorgaben erteilt und ihnen für die Ausarbeitung verboten, mit den erfahrenen Juristen des Departements zu reden. Entsprechend sei das Resultat herausgekommen, das Gesetz sei in der Vernehmlassung auf «vernichtende» Kritik gestossen. Es ziele darauf ab, aus der bisher schwergewichtig als Fiskalbehörde funktionierenden Zollverwaltung eine «Sicherheitsbehörde» zu machen, die Abgrenzung von Zuständigkeiten sei zu wenig scharf, es beinhalte Übergriffe in kantonale Hoheitsbereiche, es führe faktisch die vom Schweizer Volk abgelehnte Bundessicherheitspolizei auf anderem Weg ein. Insbesondere erhalte der Zoll fast uneingeschränkte Kompetenz zur Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten. Das werde nicht nur vom Datenschutzbeauftragten des Bundes kritisiert. Die Zollverwaltung umgekehrt rede die Probleme klein, sie beantworte die Bedenken mit dem Hinweis, dass die Mehrheit der Konsultierten die Digitalisierung und Vereinfachung der Prozesse begrüsse.
d) Der Artikel vom 23. April 2021 ist betitelt mit «Die Rambos von General Bock». Dieser beschreibt eine Sondereinheit des Schweizer Zolls (Mobiles Einsatzkommando, «MEK Helvetia»), illustriert mit Bildern aus einem deutschen Fachblatt, in welchem Mitglieder dieser Einheit schwerbewaffnet in Kampfmontur posieren. Es wird darüber berichtet, dass dieser Truppe neben eigenem Gerät auch Ausrüstung der Armee zur Verfügung stehe sowie eigene Fahrzeuge vom Kleintransporter bis zur Luxuskarosse. Die Einheit sei zwar nicht von Direktor Bock geschaffen worden, aber er habe die bisher kleine, diskret auftretende Truppe ins Rampenlicht gestellt, was fragwürdig sei. Wie gross die Truppe heute sei, werde vom Zoll nicht bekanntgegeben. Ihre Notwendigkeit werde aber insbesondere von Vertretern der Kantone bestritten. Sie sei unnötig, man habe vergleichbare Einheiten schon bei Bund und Kantonen zur Verfügung.
e) Der letzte Artikel vom 26. April 2021 trägt den Titel «Wie Zolldirektor Bock auf Dienstfahrt fast einen ‹Renitenten› stellte». Darin wird geschildert, wie Direktor Bock und seine Stellvertreterin in Uniform und bewaffnet auf einer Bahnreise nach Basel von einem Zugbegleiter um Unterstützung gebeten worden seien, weil ein «Renitenter» im Zug sei, den es zu konfrontieren gelte. Dieses Vorgehen sei üblich. Wenn uniformierte Sicherheitsleute an Bord seien, würden diese zur Unterstützung herbeigerufen. Direktor Bock und seine Begleiterin hätten dies aber nicht getan, sondern eine Patrouille an den Zielbahnhof Basel beordert. Der fragliche Passagier sei aber schon in Liestal ausgestiegen. Bock mache «einen auf dicke Hose», um dann aber nicht einzugreifen, wenn er gebraucht werde, kritisiere ein Grenzwächter. Im Weiteren geht der Artikel der Frage nach, wie sinnvoll es sei, wenn Kaderleute bewaffnet werden und ob sie für den Waffengebrauch überhaupt ausgebildet seien. Antwort der Zollverwaltung: Ja, sie sind.
B. Am 3. Mai 2021 reichte das Generalsekretariat des Eidgenössischen Finanz-departements Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Das Präsidium wies diese gestützt auf Art. 9a des Geschäftsreglements des Presserates zur Nachbearbeitung zurück, weil sie zu wenig genau benannte, welche Passagen der Texte gegen welche Bestimmung der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung) verstossen sollen. Am 1. Juni reichte der Beschwerdeführer eine neue, präzisere Beschwerde ein. Darin macht er geltend, drei der fünf Artikel verletzten die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Quellenbearbeitung), 7 (Privatsphäre) und 8 (Schutz der Menschenwürde) der «Erklärung».
Generell diskreditiere die Artikelserie eine Kaderperson der Bundesverwaltung mit einseitigen, unausgewogenen und diffamierenden Aussagen. Private Episoden würden geschildert, die mit dem Inhalt der Berichterstattung kaum etwas zu tun hätten, diese könnten mit einem öffentlichen Interesse nicht gerechtfertigt werden. Hier werde ein Chefbeamter bewusst lächerlich gemacht. Und die schiere Zahl von Artikeln mit dieser Stossrichtung verletze die Ziffer 8 (Menschenwürde).
Insbesondere kritisiert der Beschwerdeführer:
a) Im ersten Artikel (19. April 2021: «Ein Chefbeamter zum Fürchten») werde nicht nur mit anonymen Zitaten Kritik an der Amtsführung des EZV-Direktors geübt, sondern auch seine charakterliche Integrität in Zweifel gezogen. Die Behauptung, es seien reihenweise Kaderleute unter ihm ausgeschieden, sei nicht belegt und nicht wahr und verstosse damit gegen die Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheit). Dasselbe gelte für die Behauptung, Bundesrätin Simonetta Sommaruga habe kiloweise Briefe vom Personal erhalten. Zudem seien die Hinweise auf seine Zugehörigkeit zu einer Freikirche diskriminierend und verstiessen gegen die Ziffer 8 der «Erklärung». Schliesslich sei das Zitat von Bundesrat Maurer («Bock sei ‹ein schwieriger Mensch›») nicht zutreffend.
b) Im Artikel vom 20. April («General Bock – Waffenfreund in Fantasieuniform baut Zoll um») werde wahrheitswidrig behauptet, das Grenzwachtkorps sei «ausradiert», also abgeschafft worden (Ziffer 1 der «Erklärung» – Wahrheitsgebot). Es bestehe aber mit Rechten und Pflichten weiter, die Bereiche Zoll und GWK seien nur unter einer Führung zusammengelegt worden, die beiden Personalkategorien blieben aber bestehen. Das sei dem Autor auch so mitgeteilt worden. Dasselbe gelte für die Behauptung, ein Grossteil der Chefstellen sei nicht ausgeschrieben worden und zwei Drittel der neuen Chefs habe keine Führungserfahrung: Dem Autor sei mitgeteilt worden, dass dies nicht stimme, dass die überwiegende Mehrheit der Stellen nicht im Berufungsverfahren besetzt worden sei. Und der Hinweis auf Bocks Sohn als Mitarbeiter der Zollverwaltung unter dem Schutz seines Vaters verletze die Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung»).
c) (oben e) Der Beitrag vom 26. April («Wie Zolldirektor Bock auf Dienstfahrt fast einen ‹Renitenten› stellte») zeige deutlich, dass es dem Autor darum gehe, den EZV-Direktor zu diffamieren, ja lächerlich zu machen. Er stimme inhaltlich nicht (Ziffer 1 der «Erklärung») und es würden hier wichtige Informationen unterschlagen (Ziffer 3 der «Erklärung»). Zudem sei die Behauptung, Bock gönne sich jährlich einen längeren Jagdurlaub falsch und verletze seine Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung»).
C. Mit Beschwerdeantwort vom 12. August 2021 beantragte der Anwalt der CH Regionalmedien AG (CH Media), auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Eventualiter sei sie abzuweisen. Den Antrag auf Nichteintreten begründet die Beschwerdegegnerin (BG) damit, dass die fraglichen Artikel keine Artikel der «Erklärung» verletzten, sie seien ausführlich recherchiert.
Den Antrag auf Abweisung begründet CH Media unter anderem mit folgenden Argumenten:
a) Einleitend wird darauf hingewiesen, dass der Artikelserie umfassende Recherchen vorausgegangen seien. So seien ca. 35 Personen befragt worden, Angehörige der eidgenössischen Räte, Mitarbeitende von Departementsvorstehern, Mitarbeitende der Bundesverwaltung, welche unter Direktor Bock gearbeitet hätten, acht gegenwärtige Mitarbeitende der Zollverwaltung, sechs ehemalige Mitarbeitende der Zollverwaltung und zehn ehemalige Mitarbeitende der METAS. Die Vielzahl der Quellen habe es erlaubt, einzelne Aussagen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
b) Der (in der überarbeiteten Form der Beschwerde nicht mehr erhobene) Vorwurf, den Kritisierten angesichts schwerer Vorwürfe nicht angehört zu haben (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung»), wird zurückgewiesen. Dieser habe auf die Möglichkeit einer persönlichen Stellungnahme verzichtet. Der Pressestelle seien hingegen mehrfach Fragen zur Reorganisation der EZV und zur Rolle des Direktors unterbreitet worden.
c) Das – teilweise vom Beschwerdeführer bestrittene – öffentliche Interesse an der Berichterstattung stehe ausser Zweifel. CH Media unterbreitet zum Beweis zehn Vernehmlassungsantworten einzelner Kantone, die sich sehr kritisch zum neuen Zollgesetz äusserten, drei parlamentarische Vorstösse, die sich mit dem schlechten Betriebsklima bei der EZV auseinandersetzen und sechs Medienberichte, welche sich schon vor der Artikelserie mit einzelnen darin angesprochenen Themen befasst haben. Sowohl die neuen Strukturen in der Zollverwaltung als auch das Verhalten dessen, der für diesen Bereich und dessen Gestaltung verantwortlich sei, lägen klar im Bereich des öffentlichen Interesses.
d) Zum ersten Artikel («Ein Chefbeamter zum Fürchten»): Das «reihenweise Ausscheiden von Kaderleuten» sei nicht – wie vom BF kritisiert – unbelegt, sondern in allen Punkten von mindestens zwei Personen bestätigt. Diese nicht namentlich zu erwähnen sei aufgrund der möglichen Repressalien berechtigt. Zudem werden vier Belegstellen geliefert, in welchen das Thema Probleme mit dem Personal bereits öffentlich angesprochen worden ist. Der Hinweis auf die «kiloweisen Briefe», welche bei Bundesrätin Sommaruga eingegangen seien, werde vom BF gar nicht als unwahr bezeichnet, es könne entsprechend auch kein Verstoss gegen die Wahrheitspflicht vorliegen. Zudem sei es auch dort aus dem gleichen Grund (Furcht vor Repressalien) nicht möglich gewesen, die Quelle zu nennen. Und der Hinweis auf Direktor Bocks Zugehörigkeit zu einer Freikirche: Die Mitgliedschaft in einer solchen Vereinigung sei dann von öffentlichem Interesse, wenn die betroffene Person ihre Religiosität öffentlich zelebriere. Die Information selber stütze sich auf eine öffentliche Quelle, auf Agenden der FEG Muri-Gümligen. Für das Zitat von Bundesrat Maurer («schwierige Person») verweist CH Media auf eine vom Autor als zuverlässig eingeschätzte Quelle, eine Verifizierung beim betreffenden Bundesrat würde auf eine Nichtgenehmigung des Zitates, also «faktisch auf eine Zensurierung hinauslaufen».
e) Zum Artikel vom 20. April («General Bock – Waffenfreund in Fantasieuniform baut Zoll um»): Die Formulierung, wonach das Grenzwachtkorps «ausradiert» worden sei, beziehe sich darauf, dass die Bezeichnung zu Beginn des Jahres 2020 nicht mehr verwendet worden sei. Sie sei erst später wieder aufgetaucht. Als Beleg dafür werden je ein ausführlicher Dienstbefehl von Januar und Juni sowie je ein Screenshot «Operationen» von Januar und August unterbreitet, in welchen im ersten Fall nicht mehr und im zweiten dann wieder vom GWK die Rede ist. Und es wird darauf hingewiesen, dass die Gegenposition des BF ohnehin im Artikel Erwähnung gefunden habe. CH Media habe demnach nicht gegen die Wahrheitspflicht verstossen. Dass ein Grossteil der Chefstellen in der neuformierten Zollverwaltung nicht ausgeschrieben, sondern per Berufung vergeben worden sei, bestreite der BF nicht. Dieser verweise auf seine Stellungnahme, in welcher festgestellt worden sei, dass die Mehrheit der Stellen ausgeschrieben worden sei. Das sei im Artikel denn auch wiedergegeben worden. Im fraglichen Passus sei es aber um die Chefstellen gegangen. Der entsprechende Hinweis stütze sich auf diverse Gespräche mit «Personen, die mit den Berufungsverfahren bei der EZV vertraut sind». Beide Aussagen träfen zu, sowohl diejenige der EZV hinsichtlich der Gesamtzahl der Stellen wie auch diejenige im Artikel hinsichtlich der Chefs. Und was die Erwähnung des Sohnes von Direktor Bock und dessen Anstellung in der EZV betrifft, so stammten die entsprechenden Aussagen von verschiedenen unabhängigen Quellen. Das Thema dort sei allfälliger Nepotismus in der Verwaltung, und das sei von öffentlichem Interesse. Zudem benenne der BF nicht, worin die Verletzung der Privatsphäre eigentlich bestehe.
f) Der Hinweis auf den jährlichen Jagdausflug von Direktor Bock im Artikel vom 26. April «Wie Zolldirektor Bock auf Dienstfahrt fast einen ‹Renitenten› stellte» verletze nicht dessen Privatsphäre. Er zeige zum einen, dass der Beschriebene, welcher weite Teile der Zollverwaltung bewaffnen wolle, im Umgang mit Waffen eigentlich erfahren sei. Das sei im fraglichen Zusammenhang relevant. Zum anderen zeige die entsprechende Bebilderung (Dienstwagen beim Jägerhöck) auch, wie wenig Bock trenne zwischen dem Hobby Jagen und seiner beruflichen Tätigkeit. Was den Vorfall im Zug nach Basel angeht, so beruft sich die BG auf drei verschiedene unabhängige Quellen. Es liege weder eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheit) noch von Ziffer 3 (Umgang mit Quellen) der «Erklärung» vor. Dieses Vorkommnis zu schildern sei relevant vor dem Hintergrund, dass Direktor Bock eine grosse Zahl von Mitarbeitenden neu mit Waffen ausrüsten wolle, womit sich diese in genau solchen schwierigen Situationen wiederfinden könnten, mit denen selbst der waffenerprobte Chef nicht zurechtkam. Wegen der Bewaffnung der meisten ZollmitarbeiterInnen sei das Thema auch in der öffentlichen Diskussion. Als Belege werden politische Stellungnahmen von Grünen und SP sowie der Gewerkschaft Garanto angeführt.
D. Am 5. Oktober 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Max Trossmann, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.
Am 19. Januar 2022 teilte das Präsidium den Parteien mit, es teile den Fall der 1. Kammer zu, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, sowie Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg.
E. Die 1. Kammer des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 1. Februar 2022 und auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. Die von CH Media vorgebrachte Begründung für ihren Antrag auf Nichteintreten (gut recherchiert, alles wahr) entspricht nicht den Anforderungen des Geschäftsreglements (Art. 11), sondern kann nur Gegenstand einer materiellen Überprüfung sein.
2. Zunächst zu den beiden übergreifenden Beschwerdegründen:
Was die Frage angeht, ob ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung dieser Art über den Direktor der EZV besteht, geht der Presserat zunächst davon aus, dass seine Amtsführung, seine Eignung dazu, sein Umgang mit dem Personal und die daraus folgenden Konsequenzen für die Arbeit der Behörde sowie der Inhalt und die Konsequenzen der Umstrukturierungen von erheblichem öffentlichen Interesse sind. Das gilt insbesondere auch für die Frage nach der Notwendigkeit und Grösse eines mobilen Einsatzkommandos, von dessen Kompetenzen in Abgrenzung zu kantonalen Polizeikorps, aber speziell auch im Bereich der Erhebung von Personendaten bis hin zur umstrittenen Bewaffnung der meisten MitarbeiterInnen.
Wo die persönlichen Verhältnisse von Direktor Bock ins Spiel gebracht werden, stellt sich die Frage nach dem öffentlichen Interesse verstärkt. Als Verantwortlicher für eine Verwaltungseinheit mit 4500 MitarbeiterInnen ist der Direktor der Zollverwaltung zwar sicher eine Person des öffentlichen Interesses, entsprechend ist die Schwelle zur Wahrung der Privatsphäre tiefer als allgemein bei Privatpersonen. Bezogen etwa auf seine Politik einer Bewaffnung fast aller MitarbeiterInnen ist seine persönliche Affinität zu Waffen und Uniformen von Interesse. Etwa dass das so weit geht, dass er nicht nur uniformiert, sondern sogar bewaffnet Bahn fährt. Auch der Umstand, dass er offenbar Berufliches und Privates nicht strikt voneinander trennt, wenn er etwa im polizeilichen Blaulicht-Einsatzwagen zum privaten Anlass erscheint, steht im Zusammenhang mit Fragen des Führungsstils. An seiner religiösen Zugehörigkeit besteht umgekehrt grundsätzlich kein öffentliches Interesse, es sei denn, diese manifestiere sich in seiner beruflichen Tätigkeit als Amtsdirektor in einer problematischen Weise. Dasselbe gilt für seinen Sohn: Der ist im Zusammenhang mit seinem Vater ebenfalls nicht von öffentlichem Interesse, auch nicht, wenn er wie sein Vater bei der EZV arbeitet und sich dabei auf diesen beruft. Nur wenn damit fragwürdige oder illegale Vorgänge verbunden wären, die den Vater betreffen. Zusammenfassend: Der grosse Teil der vermittelten Informationen liegt fraglos von öffentlichem Interesse. Bei den Bemerkungen über die Religion und den Sohn des Direktors war das jedoch nicht der Fall. Dies betrifft vorerst nur das öffentliche Interesse, noch nicht die eigentlichen Fragen von allfälliger Diskriminierung oder einer Verletzung der Privatsphäre (s. u. Erwägung 5).
3. Anhörung zu schweren Vorwürfen (Ziffer 3 der «Erklärung», Richtlinie 3.8): Diese war in der ursprünglichen Beschwerde verschiedentlich angesprochen, ist jedoch in der konkretisierten, auf konkrete Passagen bezogenen zweiten Version nicht mehr angeführt.
4. Verstösse gegen die Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung», Richtlinie 1.1): Ein zentraler Punkt der Beschwerde betrifft den Satz, mit Bocks Reform sei das Grenzwachtkorps «ausradiert» worden. Diese Behauptung sei nicht wahr und verstosse damit gegen die Pflicht zur Wahrheitssuche: Die Formulierung ist zugespitzt, aber es wird in diesem Zusammenhang der BF, das Finanzdepartement selber ausführlich zitiert, welches erläutert, dass und weshalb das GWK organisatorisch anders eingeteilt worden sei, dass es aber weiterexistiere. Für den Durchschnittsleser, die Durchschnittsleserin, auf welche der Presserat jeweils abstellt, entstand insgesamt der Eindruck, dass das Grenzwachtkorps nominell nicht mehr existiert habe, weil es anders zugeteilt, einer anderen Stelle zugeordnet worden sei. Damit entstand keine Verletzung der Wahrheitspflicht.
Zu den weiteren kritisierten Verletzungen von Ziffer 1 sei zusammenfassend festgehalten, dass der Autor angibt, sich auf die Aussagen von insgesamt 35 verschiedenen Personen zu stützen, dass seinen Schilderungen eine gründliche Recherche vorausgegangen sei. Wenn er gestützt darauf schildert, es hätten viele von Bocks Untergebenen den Dienst quittiert oder seien in tiefere Chargen versetzt worden, dann sieht der Presserat keinen Grund, daran zu zweifeln, insbesondere weil die Zustände in der EZV auch Gegenstand öffentlicher Diskussionen in Medien und Politik gewesen waren. Es steht allenfalls Aussage gegen Aussage. Dasselbe gilt für den angeblichen Ausspruch von Bundesrat Maurer. Der Presserat sieht dessen Richtigkeit nicht verifiziert oder widerlegt und kann entsprechend nicht urteilen. Was die angeblich mangelnde Ausschreibung von Chefstellen betrifft, bestätigte die Medienstelle dem Journalisten im Mailwechsel, dass «einzelne Führungsfunktionen» direkt ernannt wurden. Hält dann aber nur sehr allgemein fest, «die überwiegende Mehrheit der Stellen» würden ausgeschrieben. Ähnlich beim Vorfall im Zug: Der BF bestreitet den Wahrheitsgehalt der Schilderung, aber ohne sich darüber zu äussern, was denn wirklich geschehen sein soll. Im Fall der «kiloweisen» Briefe, die Bundesrätin Sommaruga vom Personal des Messamtes METAS erhalten haben soll, sind allerdings Zweifel angebracht. Bis aus einer ganzen Reihe von Zuschriften mehrere Kilogramm werden, braucht es sehr viel, hier muss von einer rhetorischen Übertreibung ausgegangen werden. Das entspricht allenfalls einer handwerklichen Ungenauigkeit im Sinne der Presseratspraxis, aber nicht einem Verstoss gegen die Wahrheitspflicht. Denn der eigentliche Sachverhalt, nämlich dass es viele Beschwerden bis an höchste Stelle gegeben habe, wird als solcher nicht bestritten und nicht tangiert.
Der Presserat erkennt insgesamt keinen Verstoss gegen die Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung».
5. Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung) und Diskriminierung (Ziffer 8 der «Erklärung», Richtlinie 8.2): Der Beschwerdeführer macht geltend, der Hinweis auf Christian Bocks religiöse Zugehörigkeit verletze die Ziffer 8, er diskriminiere eine Person aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit. Diskriminierung im Sinne von Ziffer 8 der «Erklärung» setzt voraus, dass die Erwähnung von Ethnie, Religion und dergleichen geeignet sei, negative Vorurteile gegen Minderheiten zu bestärken. Das steht hier nicht im Vordergrund. Was aber zur Debatte steht ist, ob die Erwähnung seiner Zugehörigkeit zu einer Freikirche die Privatsphäre verletzt (Ziffer 7). CH Media sagt nein, weil ein Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit bestanden habe (Bibelstunden im Berufsumfeld). Angesichts des Umstandes, dass der Artikel aber in der fraglichen Passage selber den BF zitiert, welcher derartige Aktivitäten klar verneint, dass der BF weiter diesen Sachverhalt auch im Austausch mit dem Autor klar verneint hatte und dass kein plausibilisierender Beleg angeführt wird, erscheint der Exkurs über den Glauben von Christian Bock als ein zu weitgehender Eingriff in seine Privatsphäre. Daran ändert auch der Einwand der BG nichts, wonach die Zugehörigkeit von Christian Bock zur Freikirche in einem öffentlichen Register einsehbar sei. Nicht alles, was irgendwie öffentlich zugänglich ist, ist damit auch öffentlich bekannt (siehe Stellungnahme 9/2019 oder 72/2020: «Die alleinige Tatsache, dass jemand in einem öffentlichen Register aufgeführt wird, macht sie [die betroffene Frau] noch nicht öffentlich»). Das öffentliche Interesse an Bocks Religiosität ist nicht genügend erstellt; es liegt somit eine Verletzung der Privatsphäre vor.
Dasselbe gilt für den Passus über seinen Sohn (grossspuriges Auftreten, Verweis auf seinen Vater im Falle der Eignungsprüfung). Dieser Passus verletzt zwar nicht die Privatsphäre des Vaters, wohl aber die des Sohnes. Die BG begründet diesen Passus mit dem Hinweis auf mögliche Vetternwirtschaft, auf Nepotismus. Dass der Sohn sich seinen beruflichen Weg mit Verweis auf seinen Vater bahne, beträfe Direktor Bock aber nur, wenn er das Verhalten des Sohnes billigte oder förderte. Das wird aber nicht behauptet, sondern nur insinuiert.
Die Ziffer 7 der «Erklärung» (Privatsphäre) wurde mit diesen zwei Passagen verletzt.
6. Was die vom Beschwerdeführer angesprochene Verletzung der Menschenwürde (Ziffer 8 der «Erklärung», Richtlinie 8.1) angeht, die allein schon in der schieren Quantität der Artikel und damit der Angriffe auf die Person des Amtsdirektors bestehe, so sieht der Presserat darin weniger eine Verletzung der Menschenwürde, als allenfalls eine unverhältnismässig breit angelegte Kritik und damit eine Verletzung des in der Präambel festgeschriebenen Prinzips der Fairness. In der Tat ist davon auszugehen, dass die Recherchen des Autors mit ihren vielen Facetten möglicherweise auch in einem etwas weniger aussergewöhnlichen Format hätten vermittelt werden können. Die verschiedenen Artikel drehten sich aber alle um einen oder mehrere Themenbereiche innerhalb einer komplexen Materie, welche legitimerweise für sich selber standen. Und in allen steht Christian Bock als Initiator und Verantwortlicher für die beschriebenen Vorgänge im Zentrum. Alles in allem rechtfertigt sich infolgedessen auch unter diesem Titel keine Rüge.
III. Feststellungen
1. Der Presserat weist die Beschwerde in der Hauptsache ab.
2. CH Media hat mit der Artikelserie über Zolldirektor Bock die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» in den meisten der monierten Punkte nicht verletzt.
3. Die Passagen über die religiöse Zugehörigkeit des Amtsträgers sowie über das Auftreten von dessen Sohn verletzten die Ziffer 7 der «Erklärung» (Schutz der Privatsphäre).