Zusammenfassung
In seiner Stellungnahme 2/2019 stellt der Presserat fest, dass Journalisten heute die Öffentlichkeit selbst direkt ansprechen können, ohne den Weg von Medien zu benützen. Der Presserat betont jedoch, dass Journalisten, die sich in sozialen Netzwerken äussern, grundsätzlich verpflichtet sind, die berufsethischen Regeln einzuhalten. Dabei ist dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung zu tragen, insbesondere ist die charakteristische Spontaneität sozialer Netzwerke zu berücksichtigen und die dort praktizierte breite Meinungsfreiheit. Die Verpflichtung zum Einhalten der Berufsregeln gilt nicht, wenn sich Journalisten zu Fragen äussern, die ihr Privatleben betreffen.
Résumé
Dans sa prise de position 2/2019, le Conseil de la presse constate que les journalistes peuvent aujourd’hui s’adresser au public directement, sans passer par l’intermédiaire d’un média. Cependant le CSP estime que quand ils s’expriment sur les réseaux sociaux, ils sont en principe tenus au respect des règles déontologiques. Mais «il convient de tenir compte du principe de proportionnalité, en considérant notamment la spontanéité caractéristique des réseaux sociaux ainsi que la large liberté d’expression qui y est pratiquée». L’exigence du respect des règles professionnelles ne s’applique pas quand les journalistes s’expriment sur des sujets touchant à leur vie privée.
Riassunto
Nella sua presa di posizione 2/2019 il Consiglio della stampa constatava che i giornalisti possono rivolgersi direttamente al pubblico senza passare attraverso di un organo d’informazione. Quando si esprimono sulle reti sociali, essi sono in linea di principio tenuti al rispetto della deontologia professionale. Conviene però tener conto del principio di proporzionalità, considerando soprattutto le caratteristiche di spontaneità che caratterizzano le reti sociali, come pure la grande libertà di espressione che vi regna. Le regole della deontologia non si applicano ai giornalisti quando si esprimono su temi inerenti alla propria sfera privata.
I. Sachverhalt
A. Mit dem Aufkommen des Internets und der sozialen Medien hat sich das Gesicht der Medien radikal verändert. Diese sind nicht nur auf allen Verbreitungskanälen verfügbar, sondern es speisen auch viele (journalistische oder nicht-journalistische) Informationswebseiten und Propagandaseiten die öffentliche Debatte. Darüber hinaus können Journalisten die Öffentlichkeit selbst direkt ansprechen, dies ohne den Weg von Medien zu benützen. Diese Entwicklungen stellen die Frage nach dem Zuständigkeitsbereich des Presserats neu.
B. Der Stiftungsrat des Schweizer Presserats hat an seiner Sitzung vom 21. November 2017 den Presserat beauftragt, gegebenenfalls Änderungen des Geschäftsreglements des Presserats vorzuschlagen, um die Zuständigkeit des Presserats klarer zu definieren.
C. An seiner Sitzung vom 26. Januar 2018 hat das Präsidium des Presserats beschlossen, die Prüfung dieser Frage einer Arbeitsgruppe zu übertragen. Die Arbeitsgruppe setzte sich – nach Konsultation der Mitglieder des Presserats – wie folgt zusammen: Michel Bührer, Jan Grüebler, Michael Herzka, Denis Masmejan, David Spinnler, Dominique von Burg (Vorsitz) und Ursina Wey.
D. Die Arbeitsgruppe hat in ihren Sitzungen vom 12. März und 7. Mai 2018 zwei grundsätzliche Stellungnahmen erarbeitet. Die eine bezieht sich auf Journalisten in sozialen Netzwerken, die andere auf Informationsseiten im Internet.
E. Die vorliegende Stellungnahme, die vom Plenum des Presserats am 24. Mai 2018 und auf dem Korrespondenzweg verabschiedet wurde, ist dem Zuständigkeitsbereich des Presserats für die Tätigkeit von Journalisten in sozialen Medien gewidmet.
II. Erwägungen
1. Artikel 2 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserats definiert dessen Zuständigkeitsbereich wie folgt: «Die Zuständigkeit des Schweizer Presserats erstreckt sich auf den redaktionellen Teil oder damit zusammenhängende berufsethische Fragen sämtlicher öffentlicher, periodischer und/oder auf die Aktualität bezogener Medien.» Auf der Grundlage dieses Artikels hat der Presserat stets Beschwerden gegen ein Medium und nicht gegen einen einzelnen Journalisten in Betracht gezogen.
2. Zu einem Zeitpunkt, in dem sich Journalisten direkt an die Öffentlichkeit wenden können, ohne dass eine Publikation einen redaktionellen Prozess durchläuft, liegt es auf der Hand, diese Praxis zu überprüfen. Dies umso mehr, als der Journalistenkodex selbst eine «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» – und nicht der Medien – ist. Anders ausgedrückt: Nichts hindert den Presserat daran, Beschwerden gegen einzelne Journalisten zu prüfen.
3. Einige europäische Presseräte präzisieren bereits, dass Journalisten ihre berufsethischen Regeln einhalten müssen, unabhängig davon, über welchen Verbreitungskanal sie sich äussern. So hat der «Conseil de déontologie journalistique» (CDJ) des frankofonen Teils Belgiens in seiner Stellungnahme vom 13. Oktober 2010 festgehalten, dass bei Personen, die «Informationsmitteilungen auf einem digitalen Medium, das für eine unbestimmte und nicht beschränkte Öffentlichkeit bestimmt ist, verbreiten, davon auszugehen ist, dass sie dort eine Tätigkeit journalistischer Art ausüben. Sie sind daher verpflichtet, die berufsethischen Regeln einzuhalten.» Als weiteres Beispiel sei der niederländische Presserat genannt. Dieser legt in seinen Richtlinien fest, dass «alle im Journalismus tätigen Personen die Verantwortung für die von ihnen verbreiteten Informationen übernehmen müssen (….), dies unabhängig vom Medium oder der Plattform».
4. Soziale Netzwerke setzen von Natur aus auf Spontaneität und widmen sich grossenteils dem Privatleben. Was die dort stattfindenden Meinungsdebatten betrifft, so zeichnen sie sich durch eine sehr breite Meinungsfreiheit aus. Für die Journalisten, die sich in sozialen Netzwerken individuell äussern, sollten diese Charakteristiken berücksichtigt werden. Ihre berufsethischen Pflichten beziehen sich nicht auf ihr Privatleben und müssen ihnen einen genügend grossen Spielraum für die freie Äusserung ihrer Meinung gewähren. Diese Pflichten beschränken sich daher auf Beiträge journalistischer Art, die sie verbreiten.
5. Wenn ein Journalist im Rahmen einer Recherche Informationen oder Meinungen über soziale Netzwerke einholt, ist er zudem verpflichtet, seinen Beruf gemäss Ziffer 4 der «Erklärung» («Keine unlauteren Methoden bei der Beschaffung von Informationen, Tönen, Bildern und Dokumenten») bekannt zu geben – mit Ausnahme derjenigen Fälle, die die Praxis des Schweizer Presserates vorsieht.
6. Journalisten, die sich individuell in sozialen Netzwerken äussern, muss somit ein gewisser Spielraum eingeräumt werden. Dies gilt jedoch nicht für die Webseiten journalistischer Medien. Diese müssen die Bestimmungen der «Erklärung» auch dann genau einhalten, wenn sie auf sozialen Medien publizieren.
III. Feststellungen
1. Journalisten, die sich in sozialen Netzwerken äussern, sind grundsätzlich verpflichtet, die berufsethischen Regeln einzuhalten. Dabei ist jedoch dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung zu tragen, insbesondere unter Berücksichtigung der charakteristischen Spontaneität sozialer Netzwerke und der dort praktizierten breiten Meinungsfreiheit. Ausserdem gelten die berufsethischen Regeln nicht, wenn sich Journalisten zu Themen äussern, die ihr Privatleben betreffen.
2. Journalisten, die soziale Netzwerke zu Recherchezwecken nutzen, müssen die berufsethischen Regeln einhalten, insbesondere jene, welche die Lauterkeit der Recherche betreffen.
3. Journalistische Medien, die sich in sozialen Netzwerken äussern, sind verpflichtet, die berufsethischen Regeln gleich wie in den andern Verbreitungsformen zu respektieren.