Zusammenfassung
Der «Blick» berichtete mehrfach über einen Tweet von Nationalrat Andreas Glarner über den Gendertag einer Schule und sprach dabei von einer «Hetze». Glarner reichte beim Presserat Beschwerde ein und machte geltend, er hätte zu diesem schweren Vorwurf angehört werden müssen. Nach der bisher geltenden Praxis des Presserats wäre dies nicht der Fall gewesen, denn gegen jemand hetzen ist nicht «illegales oder vergleichbares Handeln». Mit der neuen Regelung der Richtlinie 3.8 jedoch lautet das Kriterium «Vorwürfe gelten als schwer, wenn sie gravierendes Fehlverhalten beschreiben oder sonstwie geeignet sind, jemandes Ruf nachhaltig zu schädigen». Der Vorwurf «Hetzen», insbesondere in Kombination mit den einzelnen beschriebenen Elementen des Tweets («Wer greift durch und entlässt die Schulleitung?» Abbildung der Telefonnummer der zuständigen Mitarbeiterin der Schule) erfüllt nach Einschätzung des Presserats das Kriterium eines «gravierenden Fehlverhaltens». Entsprechend hätte Glarner angehört werden müssen. Der Presserat ergänzt, dass derartig pointierte Einschätzungen weiter möglich bleiben müssen, es geht auch nicht darum, den redaktionellen Befund zu neutralisieren, sondern es geht darum, der kritisierten Partei gegenüber Fairness walten zu lassen. Länge und Platzierung der Stellungnahme sind Sache der Redaktion, sie richten sich insbesondere nach der Art des Textes.
Résumé
«Blick» a publié plusieurs articles concernant un tweet du conseiller national Andreas Glarner à propos de la journée en tous genres qui devait se tenir dans une école et a utilisé le mot «hetzen» (attiser la haine). Andreas Glarner a déposé une plainte auprès du Conseil suisse de la presse, arguant qu’il aurait dû être entendu face à ces reproches graves. Cela n’aurait pas été nécessaire dans le cadre de l’ancienne pratique, car «attiser la haine» n’est pas un «comportement illégal ou du même ordre». La nouvelle directive 3.8 qualifie cependant les reproches de graves «lorsqu’ils font état de comportements gravement répréhensibles ou sont susceptibles de nuire sévèrement à la réputation de quelqu’un». De l’avis du Conseil suisse de la presse, le reproche contenu dans le mot «hetzen», notamment en association avec les éléments décrits («Wer greift durch und entlässt die Schulleitung?» [qui va intervenir et congédier la direction de l’école ?], publication du numéro de téléphone de la collaboratrice responsable), remplit le critère du «comportement gravement répréhensible». Andreas Glarner aurait donc dû être entendu. Le Conseil suisse de la presse ajoute que les journalistes doivent pouvoir continuer à formuler des critiques acérées; il ne s’agit pas d’obliger les rédactions à se montrer neutres, mais de permettre aux personnes visées de bénéficier de toute l’équité requise. La place à accorder aux explications de ces personnes est du ressort des rédactions et dépend en particulier du type de contribution.
Riassunto
Il «Blick» ha riferito più volte di un tweet del Consigliere nazionale Andreas Glarner sulla Giornata delle identità di genere di una scuola, definendolo «incitamento all’odio» (originale hetzen). Glarner ha inoltrato un reclamo presso il Consiglio della stampa, sostenendo che avrebbe dovuto essere ascoltato riguardo a questa grave accusa. Secondo la prassi del Consiglio della stampa in vigore fino alla fine di aprile 2023, questo non sarebbe stato possibile, poiché l’incitamento all’odio non era considerato «un’azione illegale o simile». Tuttavia, con la nuova regolamentazione della Direttiva 3.8, il criterio è il seguente: «Le accuse sono considerate gravi se descrivono comportamenti profondamente scorretti e possono altrimenti danneggiare in modo serio la reputazione di qualcuno». L’accusa di «incitamento all’odio», in particolare in combinazione con i singoli elementi descritti nel tweet («Wer greift durch und entlässt die Schulleitung?» Chi si prende la briga di licenziare la direzione della scuola?; riproduzione del numero di cellulare della persona responsabile della scuola), secondo il Consiglio della stampa rientra nel criterio di «comportamento profondamente scorretto». Di conseguenza, Glarner avrebbe dovuto essere ascoltato. Il Consiglio della stampa aggiunge che valutazioni incisive di questo tipo devono rimanere possibili; non si tratta di annullare gli accertamenti redazionali bensì di essere corretti nei confronti della controparte. L’estensione e il posizionamento del parere sono di competenza della redazione, in particolare a dipendenza del tipo di testo.
I. Sachverhalt
A. Am 10. Mai 2023 publizierte «Blick» in seiner Onlineausgabe einen Beitrag mit der Überschrift «‹Schulleitung entlassen› SVP-Glarner hetzt gegen Gender-Tag an Schule in Stäfa ZH». Im Artikel geht es um einen geplanten, obligatorischen Thementag an der Schule zu Geschlechter- und Gleichstellungsfragen. Der Einladungsbrief wurde von Nationalrat Andreas Glarner auf seinem Twitter-Konto veröffentlicht, verbunden mit der Frage «Wer greift durch und entlässt die Schulleitung?». «Blick» berichtet, «Telefonterror durch Unbekannte», die Empörungswelle im Netz habe für die Schule unangenehme Folgen. «Schulverwaltung und Sozialarbeiter erreichen viele Anrufe von Unbekannten.» Im Weiteren kommt die Schulpräsidentin zu Wort. Ein «Gender-Tag» werde in der zweiten Sekundarschule seit zehn Jahren durchgeführt, die Thematik gehöre zum Lehrplan 21. Die Eltern seien frühzeitig detailliert über die Veranstaltung informiert worden, negative Reaktionen oder Abmeldungen habe es nicht gegeben.
Bis Ende Mai 2023 wurden auf «Blick» (online) verschiedene weitere Beiträge zum Tweet von Nationalrat Glarner, den weiteren Ereignissen rund um den Gender-Tag der Schule Stäfa sowie Reaktionen von Behördenmitgliedern und PolitikerInnen publiziert. Die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner wird mit einer Aussage zitiert, die sie gegenüber dem Regionaljournal Zürich-Schaffhausen von SRF gemacht haben soll. Demnach sagte sie in der Sendung: «Wer in dieser Art Hetze betreibt und Personendaten veröffentlicht, nimmt seine Verantwortung als Politiker nicht wahr.» (12. Mai 2023). Im selben Beitrag hat Steiner laut «Blick» auch kritisiert, dass Nationalrat Glarner den Einladungsbrief der Schule integral veröffentlicht habe, mit Namen und Telefonnummer einer Sozialarbeiterin.
Weitere Beiträge berichten über die Absage des Tages aufgrund der Drohungen, über Reaktionen von «Blick»-LeserInnen («Glarner hat keinen Anstand und beweist es immer wieder», 12. Mai 2023) und zitieren den örtlichen SVP-Präsidenten. Dieser sieht Glarner nicht als «Hetzer», er habe nicht zu Gewalt aufgerufen. Die Veröffentlichung der Handynummer sei aber «überflüssig» gewesen, das sei «nicht die Flughöhe eines Nationalrates» (14. Mai 2023). Zudem äussert sich eine Kantonsrätin der SVP kritisch zur geplanten Veranstaltung. Die Schule habe mit dieser Einladung einen Fehler gemacht. Man distanziere sich jedoch von jeglichen Drohungen («Zoff um ‹Gender-Tag› erreicht Zürcher Kantonsrat», 15. Mai 2023).
Nachdem der Gender-Tag aus Sicherheitsgründen abgesagt werden musste, werden die Einschätzungen und das Vorgehen der kommunalen Behörden aufgezeigt («Stäfa kritisiert Glarner wegen Gender-Shitstorm aufs Schärfste», 17. Mai 2023; «Es geht nicht um Buben, die im Röckli herumrennen», 21. Mai 2023). Gemäss Gemeindepräsident sind die Drohungen, einschliesslich Morddrohungen gegen Mitarbeitende der Schule und letztlich die Absage klar auf den Tweet von Andreas Glarner zurückzuführen: «Glarner weiss ganz genau, welche Klientel er uns auf den Hals hetzt.» Am 18. Mai 2023 berichtet «Blick» (online) zudem über erhöhte Sicherheitsmassnahmen für eine geplante Lesung «Drag Story Time» der Zürcher Pestalozzi-Bibliothek, nachdem in den sozialen Medien zum Widerstand dagegen aufgerufen worden sei. Auch Nationalrat Glarner habe dazu einen Tweet abgesetzt mit dem Wortlaut: «Die Unterwanderung nimmt ihren Lauf» (Titel des Beitrags: «Polizei muss Drag-Kinderlesung in Zürich schützen»).
Im gleichen Monat erschien noch ein «Blick»-Beitrag, der Glarner und die Folgen von dessen Tweet zum Gender-Tag thematisiert («SVP-Chiesa gibt Glarner den Segen», 28. Mai 2023) sowie ein weiterer Text, der über Abgänge in der Aargauer SVP berichtet, die Glarner präsidiert («SVP-Glarner verliert seine treue Vize-Präsidentin», 22. Mai 2023).
B. Am 6. Juni 2023 reichte Nationalrat Andreas Glarner beim Schweizer Presserat eine Beschwerde gegen den «Blick» bzw. dessen Onlineausgabe ein und führt insgesamt zehn Beiträge im Zeitraum zwischen dem 12. und 28. Mai 2023 auf. «Blick» habe gegen ihn eine «Kampagne» gefahren und ihn nicht zu Wort kommen lassen. Dagegen habe er bei der zuständigen Politik-Chefin protestiert, was diese «zunächst» unbeantwortet gelassen habe. Der Beschwerdeführer sieht die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt. Es dürfe nicht sein, dass «eine Zeitschrift derart einseitige, schwerwiegende Vorwürfe erhebt und laufend über mich berichtet, ohne mir auch nur den Hauch einer Chance zur Stellungnahme einzuräumen».
C. Am 2. August 2023 beantragte die anwaltlich vertretene Ringier AG bzw. die Redaktion von «Blick» Nichteintreten bzw. Abweisung der Beschwerde. Falls auf die Beschwerde eingetreten werde, sei aufgrund der «notorischen ‹Klagefreude›» des Beschwerdeführers zu befürchten, dass die Stellungnahme des Presserates in einem späteren gerichtlichen Verfahren genutzt werde. Dies sei gerade dadurch belegt, dass der Beschwerdeführer angebe, «bislang noch» kein gerichtliches Verfahren angestrengt zu haben (Parallelverfahren).
Im Weiteren kritisiert die Redaktion, dass der Beschwerdeführer seine Beschwerde nicht begründe, da er keinen spezifischen Artikel oder Passagen bezeichne, die er als verletzt erachte. Auch aus diesem Grund sei die Beschwerde abzuweisen.
Gemäss «Blick» werden in den beanstandeten Artikeln zudem keine schweren Vorwürfe erhoben, die eine Beschwerde rechtfertigen würden. «Blick» habe lediglich über die Geschehnisse berichtet sowie die aufgrund des Tweets entstandene «kontrovers geführte Diskussion medial abgebildet und den Beteiligten eine Plattform zur Meinungsäusserung gegeben». Dabei seien auch «Unterstützer» des Beschwerdeführers wie SVP-Präsident Chiesa zu Wort gekommen. Entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers sei dies keine einseitige Berichterstattung gewesen.
In den beiden weiteren Artikeln zur Veranstaltung in Zürich und zum Rücktritt der Vizepräsidentin der SVP Aargau sei nur indirekt auf Glarner Bezug genommen worden. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb Glarner der Redaktion eine Kampagne vorwerfe.
D. Am 8. August 2023 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde der 1. Kammer zugewiesen, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg.
E. Die 1. Kammer des Presserats hat die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 8. September 2023 beraten. Die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) war verschärft worden und kurz vor Publikation der «Blick»-Artikel in Kraft getreten (1. Mai 2023). Da sie im vorliegenden Fall erstmals zur Anwendung kommen würde, beschloss die 1. Kammer, die Beschwerde dem Plenum des Presserats vorzulegen.
F. Das Plenum des Presserats hat die Beschwerde an seiner Sitzung vom 13. November 2023 sowie auf dem Korrespondenzweg behandelt. Pascal Tischhauser ist von sich aus in den Ausstand getreten.
Die frühere Praxis des Presserates definierte einen schweren Vorwurf als «illegales oder vergleichbares Verhalten». Gemäss der neuen Richtlinie 3.8 gelten Vorwürfe «als schwer, wenn sie gravierendes Fehlverhalten beschreiben oder sonstwie geeignet sind, jemandes Ruf schwerwiegend zu schädigen». Da der Beschwerdeführer pauschal zehn Artikel nannte, nicht aber konkrete Textstellen bezeichnete, die seiner Meinung nach «schwere Vorwürfe» enthielten und gegen die «Erklärung» verstiessen, war es dem Gremium nicht möglich, die fraglichen Kriterien im Einzelnen anzuwenden – sonst hätte es selbst herausdestillieren müssen, worin die «schweren Vorwürfe» in den Augen des Beschwerdeführers bestehen könnten. Das Plenum verlangte deshalb eine Präzisierung seitens des Beschwerdeführers.
G. Am 4. Juli 2024 bat der Presserat den Beschwerdeführer um eine Ergänzung seiner Eingabe mit der Bitte, «insbesondere präzise die einzelnen Passagen anzugeben», die seiner Meinung nach «schwere Vorwürfe» darstellten, mit Kopie an die Beschwerdegegnerin, den «Blick».
H. Am 18. Juli 2024 wandte sich der Anwalt des «Blick» an den Presserat und beantragte eine Widerrufung der angesetzten Frist zur Einreichung einer zusätzlichen Beschwerdebegründung. Dieses Vorgehen widerspreche den Vorschriften des Geschäftsreglements des Presserates, wenn eine Beschwerde unzureichend gewesen sei. Vielmehr müsse auf Grundlage der bestehenden Akten entschieden werden.
I. Mit Schreiben vom 6. August 2024 entschied das Präsidium des Presserates, den Antrag auf Widerrufung der Frist zur zweiten Begründung abzuweisen und informierte die Parteien entsprechend. Der Grund für die Abweisung lag darin, dass die Begründung der Beschwerde – wegen der Neuregelung von Richtlinie 3.8, die nun eine präzise Bezeichnung der «schweren Vorwürfe» und der entsprechenden Textstellen erfordert – für eine Beurteilung zu allgemein gefasst war. Es ist langjährige Praxis des Presserats, unvollständige Eingaben präzisieren zu lassen. Dass dies erst in diesem Stadium des Verfahrens und erst durch das Plenum erfolgte, ist unüblich und der Diskussion um die erstmalige Anwendung der neuen Richtlinie 3.8 geschuldet.
J. Am 13. August 2024 reichte der Beschwerdeführer eine ergänzende Stellungnahme ein. Er verweist darin wieder auf die zehn Artikel des «Blick». Es werde ihm in den Texten «‹Hetze›, ‹Verantwortungslosigkeit›, ‹kein Anstand›, ‹masslose Gier›, ‹Missbrauch› und Ähnliches mehr vorgeworfen». Er erwähnt knapp die massgeblichen Passagen. Diese bestehen vor allem aus Zitaten von interviewten Personen, darunter: Eine Exekutivpolitikerin werfe ihm vor, er hetze gegen den Gender-Tag und nehme seine Verantwortung als Politiker nicht wahr; er habe dies «ohne Kenntnis der Faktenlage getan», zudem habe er «Personendaten veröffentlicht», diese seien aber öffentlich gewesen. Diverse Leser würden ihm vorwerfen, er habe «keinen Anstand» und beweise das immer wieder. Ein Vertreter der Gemeinde habe gemäss «Blick» gesagt, «Glarner gehe es nur darum, ein Thema wahlkämpferisch auszuschlachten», zudem werde ihm «masslose Gier nach politischer Aufmerksamkeit» unterstellt und vorgeworfen, er «übernehme keine Verantwortung». In zwei Fällen zitiert der Beschwerdeführer redaktionellen Eigentext des «Blick»: Es werde darin «ohne Quellenangabe» behauptet, es habe [weil er die Stimmung angeheizt habe, Anm. Presserat] «Drohungen gegen Leib und Leben» gegeben. Es werde suggeriert, er «verlöre immer mehr Verbündete und es brodle gewaltig» in seiner Partei.
All dies entspreche unseriöser, tendenziöser und verletzender Berichterstattung. Bei zehn Artikeln über einen Politiker mit teils schweren Vorwürfen müsse diesem die Chance gegeben werden, seinen Standpunkt zu verteidigen. Zudem sei festzuhalten, dass er «eben nicht einen harmlosen ‹Gender-Tag› kritisiert, sondern die Einladung hierzu hatte das Transgender-Logo abgebildet» – was nach Meinung des Beschwerdeführers bei einem Gendertag nicht geht.
K. Am 30. September 2024 nahm der Anwalt von Ringier für «Blick» Stellung zur ergänzten Beschwerde. Inhaltlich führe die ergänzte Beschwerde nicht weiter als die ursprüngliche, nach wie vor lege der Beschwerdeführer nicht dar, welche wörtlichen Passagen belegen sollten, dass die Richtlinie 3.8 verletzt sei und Vorwürfe gravierenden Fehlverhaltens gegen ihn vorgebracht wurden, die geeignet seien, seinen Ruf dauerhaft zu schädigen. Glarner rede von einer Kampagne, wo einfach öffentlich geäusserte Kritik an seinem Verhalten aufgearbeitet werde. Als Politiker müsse er sich pointierte Kritik gefallen lassen, wenn er selber dermassen polarisierende Aussagen mache. Es lägen insbesondere deshalb keine schweren Vorwürfe vor, weil der zugrundeliegende Sachverhalt ja unbestritten sei. Der Beschwerdeführer habe die in den Artikeln thematisierten Äusserungen effektiv gemacht. Zudem bestehe die in acht der beanstandeten Artikel geäusserte Kritik aus inhaltlichen Auseinandersetzungen von Dritten mit den Äusserungen des Beschwerdeführers, weshalb es auch bei diesen nicht um «Vorwürfe» gehe, mit denen er hätte konfrontiert werden müssen, sondern um punktuelle Reaktionen auf sein Vorgehen. Es gehe dabei um Werturteile, mit denen der Beschwerdeführer nicht habe konfrontiert werden müssen, er sei «mit seinen in den öffentlichen Medien erfolgten Äusserungen, die ebenfalls in den Artikeln abgebildet sind, bereits zur Thematik zu Wort gekommen».
II. Erwägungen
1. Gemäss Geschäftsreglement des Presserats (Art. 9 Abs. 3) ist bei der Einreichung einer Beschwerde anzugeben, ob in der gleichen Angelegenheit rechtliche Schritte hängig oder beabsichtigt sind. Die blosse Vermutung der Redaktion «Blick», es könnte künftig zu einem Gerichtsverfahren kommen, ist gemäss der konstanten Praxis des Presserates kein Grund für ein Nichteintreten. Die Minimalanforderung an eine gültige Beschwerde ist mit dem Verweis auf zehn Textstellen und die durch diese verletzte Richtlinie – wenn auch sehr knapp (meist nur Stichworte bezogen auf Zitate) – erfüllt: Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein.
2. Zum Aspekt «schwerer Vorwurf»: In der Sache selbst ist zu prüfen, ob in einem der Beiträge Vorwürfe erhoben werden, die eine Anhörung zwingend erforderlich machen. Gemäss der revidierten Richtlinie 3.8 ist dies dann gegeben, wenn die Vorwürfe «gravierendes Fehlverhalten beschreiben oder sonstwie geeignet sind, jemandes Ruf schwerwiegend zu schädigen».
Die vom Beschwerdeführer beanstandeten Artikel geben generell den Sachverhalt bezüglich seines Tweets zum «Gender-Tag» an der Schule in Stäfa wieder, sie berichten von den Folgen für die Betroffenen und sie zitieren verschieden situierte Politiker und Politikerinnen sowie Leserinnen und Leser mit ihren Stellungnahmen und Reaktionen. Der Beschwerdeführer selber benennt die Gesamtheit der Berichterstattung innerhalb der fraglichen zweieinhalb Wochen als Vorwurf gravierenden Fehlverhaltens.
Im Einzelnen hat der Beschwerdeführer explizit zu einer massiven Intervention (Entlassung) gegen die Schulleitung aufgerufen. Dazu hat er einen Brief der Schule einschliesslich Namen und Telefonnummer einer involvierten Mitarbeiterin weiterverbreitet. Sein Tweet hatte einen starken Aufforderungscharakter («Wer greift durch und entlässt die Schulleitung?») und es liegt in der Natur von Social Media, eine möglichst grosse Publikumswirkung entfalten zu wollen. In seiner ergänzenden Stellungnahme schreibt er zwar, es sei ihm in seinem Tweet gar nicht um «einen harmlosen Gender-Tag» gegangen, sondern darum, dass das Transgender-Logo auf die Einladung gedruckt worden sei. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass ein Nationalrat mit langjähriger kommunaler Exekutiverfahrung und einschlägiger negativer Erfahrung mit provozierenden Tweets, ein solches Vorgehen bewusst wählt und wissen muss, was er damit auslöst.
«Blick» formulierte in der Folge in seinen Onlineartikeln Vorwürfe, die als schwer bezeichnet werden können. So heisst es im Titel des ersten Artikels vom 10. Mai 2023: «Schulleitung entlassen: SVP-Glarner hetzt gegen Gender-Tag an Schule in Stäfa». Im Beitrag vom 14. Mai 2023 wird postuliert, dass die Veranstaltung abgesagt wurde, «weil Nationalrat Andreas Glarner seine Anhänger aufwiegelte». Tags darauf schreibt «Blick» (online), dass der «Telefon-Terror und Drohungen» vom Beschwerdeführer «angeheizt» worden seien. Alle übrigen vom Beschwerdeführer angeführten Textstellen bestanden aus Qualifikationen Dritter.
Ob der Gebrauch des Ausdrucks «hetzen» für sich allein bereits ein gravierendes Fehlverhalten beinhaltet, kann offenbleiben. Im vorliegenden Kontext (Aufforderung «Schulleitung entlassen», «etwas unternehmen», Einbezug der Telefonnummer einer Beteiligten), erscheint der Ausdruck «hetzen» aber als eine Charakterisierung seitens des «Blick», die ein «gravierendes Fehlverhalten» beinhaltet. Dies insbesondere mit der Verwendung des Ausdrucks in einem Titel, aber auch zweimal prominent im Text. Gemäss der überarbeiteten Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) hätte die Redaktion des «Blick» deshalb dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu einer Stellungnahme einräumen müssen. Dies unabhängig davon, ob der Vorwurf wahr ist oder nicht (siehe Erwägung 3). Die Anhörungspflicht dient nicht der Verifizierung eines Vorwurfs, vielmehr verlangt Richtlinie 3.8 «gemäss dem Grundsatz ‹audiatur et altera pars›, den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, Stellung zu nehmen». Die journalistische Pflicht gemäss der neuen Richtlinie 3.8 wurde in diesem Punkt verletzt.
Zur Klarstellung: Es liegt weiterhin in der freien Entscheidung einer Redaktion, eine solche Bewertung vorzunehmen. In welcher Form und Länge die dann erforderliche Stellungnahme des oder der Betroffenen anschliessend vermerkt wird, ist Sache der Redaktion (Richtlinie 3.8, Abs. 2). In den nachfolgenden Artikeln hätte dann die früher eingeholte Stellungnahme erwähnt werden können.
3. Zum Aspekt «Kampagne»: Der Beschwerdeführer stellt in seiner Argumentation primär darauf ab, dass die Fülle der Berichterstattung (zehn Artikel in zweieinhalb Wochen) einer Kampagne gegen ihn entspreche und er gerade deswegen hätte angehört werden müssen. Dass die Berichterstattung angesichts der Relevanz des Sachverhalts wie auch der zeitlichen Abfolge der Ereignisse in mehreren Artikeln erfolgte, ist nicht zu beanstanden und auch nicht aussergewöhnlich. Ein nationaler Politiker muss damit rechnen, dass sich die Medien über eine gewisse Zeitspanne hinweg und aus verschiedenen Perspektiven mit ihm befassen. Dies insbesondere, wenn diese Person mit aussergewöhnlichen Wortmeldungen auftritt, die in voraussehbarer Weise viel Empörung und Aufsehen erregen. Richtlinie 3.8 (Anhören bei schweren Vorwürfen) ist in Bezug auf diesen Aspekt der Beschwerde jedenfalls nicht anwendbar.
III. Feststellungen
1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.
2. «Blick» online hat mit dem Artikel «‹Schulleitung entlassen› SVP-Glarner hetzt gegen Gender-Tag an Schule in Stäfa ZH» vom 10. Mai 2023 die Ziffer 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» dadurch verletzt, dass dieser zu dem darin erhobenen schweren Vorwurf nicht Stellung nehmen konnte.