Nr. 37/2011
Fehlende Beschwerdebegründung

(Curaviva Thurgau c. «Kreuzlinger Nachrichten»)

I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «Verlorene Wertschätzung» berichtete Hanspeter Rusch am 27. Januar 2011 in den «Kreuzlinger Nachrichten» über einen Arbeitskonflikt im Alterszentrum Kreuzlingen. Dieses habe bisher als «Paradebeispiel für gute Pflege» gegolten, laufe nun aber Gefahr, den «guten Ruf in kürzester Zeit zu ruinieren». Wenn man den über Altersheime kursierenden Geschichten Glauben schenke, sei es nicht verwunderlich, dass Betagte die Pflege zu Hause einem Aufenthalt in einem Pflegeheim je länger je mehr vorzögen.

Die «Spitze des Eisbergs» sei im Alterszentrum Kreuzlingen mit der Entlassung des heute 56-jährigen langjährigen Pflegedienstleiters erreicht. Dieser habe im Juni 2009 ein Burnout erlitten. Als er im November 2009 seine Arbeit wieder aufgenommen habe, sei seine Stelle als Pflegedienstleiter bereits an seine Stellvertreterin übergeben worden. Und als er per 1. November 2010 wieder zu 100 Prozent arbeitsfähig war, habe er praktisch gleichentags die Kündigung erhalten. Mitarbeitern, die sich für den Entlassenen zur Wehr setzten, sei bedeutet worden, sie könnten gleich mitgehen. Der Leiter des Altersheims habe sich mehrfach geweigert, gegenüber der Zeitung zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen, da er nicht glaube, dass die Angelegenheit die Öffentlichkeit etwas angehe. Er habe sieben Jahre gut mit dem Betroffenen zusammengearbeitet, der die Entlassung selber verschuldet habe.

Im zugehörigen Kommentar («Gefährliche Journalisten») kritisiert Rusch, der Heimleiter lasse es am nötigen Fingerspitzengefühl vermissen. «Mit seiner Verweigerung zur Stellungnahme tat er sich keinen Gefallen. Zugegeben, Journalisten werden dann gefährlich, wenn man sich ihnen verschliesst und zum eigenen Schutz keine Auskunft geben will. (…) Hier stellt sich schon die Frage: Ist dieser Mann am falschen Platz und seiner Aufgabe als Führungspersönlichkeit nicht gewachsen? Dabei geht es nicht alleine um die Kündigung. Nein, meines Erachtens sind die Drohungen gegenüber dem Personal viel schlimmer und unzulässig. Ich denke, in der Privatwirtschaft müsste ein solcher Chef sofort den Hut nehmen.»

B. Am 18. April 2011 gelangte Curaviva Thurgau, Verband der Alters- und Pflegeheime Thurgau, mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Bericht samt Kommentar an den Schweizer Presserat. Der Verfasser diskreditiere pauschal Alters- und Pflegeheime. Es treffe keineswegs zu, dass Betagte die Pflege zu Hause einem Aufenthalt im Altersheim vorzögen. Im Gegenteil führten die meisten Heime im Kanton Thurgau lange Wartelisten. Die durch eine scharfe Kontrolle und entsprechende Standards gesicherte Qualität der Heime im Kanton Thurgau sei hoch. Curaviva wundere sich zudem, wie die «Kreuzlinger Nachrichten» dazu kämen, einen angesehenen, erfahrenen Heimleiter abzuqualifizieren.

C. Am 19. April 2011 forderte das Presseratssekretariat den beschwerdeführenden Verband gestützt auf Artikel 8 Absatz 2 des Geschäftsreglements des Presserats auf, in einer ergänzenden Begründung anzugeben, gegen welche Punkte der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» beziehungsweise der zugehörigen Richtlinien der beanstandete Bericht der «Kreuzlinger Nachrichten» verstosse.

D. Am 17. Juni 2011 legte Curaviva Thurgau in einem ergänzenden Schreiben an den Presserat die Hintergründe der umstrittenen Entlassung des ehemaligen Pflegedienstleiters des Alterszentrums Kreuzlingen näher dar. Zusammenfassend macht Curaviva geltend, der Altersheimleiter habe sich lange Zeit für den Gekündigten eingesetzt, letztlich sei die Trennung aber unumgänglich geworden. Der Journalist habe ohne genaues Hintergrundwissen einen sehr einseitigen Artikel aufgebaut und den Altersheimleiter zu Unrecht beschuldigt. «Wer die Hintergründe des gesamten Szenarios kennt, kann nur den Kopf schütteln über diese unsachliche Berichterstattung. Sie beruht auf einer grossen Unkenntnis der Sachlage. Wir sind der Meinung, dass sowohl der Bericht wie auch der Kommentar in grober Weise die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt.» Der Bericht spiegle in keiner Weise die tatsächlichen Umstände der Kündigung wider. Weil der Heimleiter aus verständlichen Gründen dem Journalisten keine Auskunft habe geben wollen, habe sich dieser mit einer Verdachtsberichterstattung gerächt. Hinzu komme, «dass Herr Rusch in seinem Artikel unterschwellig, zu Unrecht, generell die Alters- und Pflegeheime verunglimpft».

E. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

F. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Esther Diener-Morscher und Vizepräsident Edy Salmina, hat die vorliegende Stellungnahme per 9. September 2011 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Artikel 8 des Geschäftsreglements des Presserats sind Beschwerden zu begründen. Der Presserat hat den Beschwerdeführer ausdrücklich auf Absatz 2 dieser Bestimmung hingewiesen, wonach in der Beschwerdebegründung anzugeben ist, gegen welche Punkte der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» beziehungsweise der zugehörigen Richtlinien der beanstandete Bericht nach Auffassung des Beschwerdeführenden verstösst. In der Beschwerdebegründung fehlt trotz dieser Aufforderung jeglicher Verweis auf die «Erklärung». Auf die Beschwerde ist schon deshalb nicht einzutreten.

2. Darüber hinaus weist der Presserat darauf hin, dass aus der «Erklärung» keine Pflicht zu «objektiver» Berichterstattung abzuleiten ist. Vielmehr lässt die Berufsethik auch Raum für einseitige und fragmentarische Sichtweisen (vergleiche zuletzt die Stellungnahme 17/2011 mit weiteren Hinweisen). Mithin haben die «Kreuzlinger Nachrichten» nicht allein schon dadurch gegen die Berufsethik verstossen, indem sie in einem Bericht über einen Arbeitskonflikt in anwaltschaftlicher Weise den Standpunkt einer der Parteien einnehmen. Zumal die Zeitung vor der Veröffentlichung des Berichts im Januar 2011 den Altersheimleiter mit den gegenüber ihm erhobenen Vorwürfen konfrontierte und es diesem unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes des Gekündigten ohne Weiteres möglich gewesen wäre, insbesondere auch zum Vorwurf Stellung zu nehmen, Mitarbeitern, die sich für den ehemaligen Pflegedienstleiter einsetzen wollten, seien eingeschüchtert worden.

Darüber hinaus stellt der Presserat fest, dass die «Kreuzlinger Nachrichten» vor der Publikation eines weiteren Berichts zum Thema (Artikel vom 17. März 2011: «Musste gehen, aber wieso?; «Das Imperium schlägt zurück») sowohl dem Altersheim Kreuzlingen als auch Curaviva Thurgau nochmals die gleichen Fragen zur umstrittenen Entlassung stellte und sich beide im Wesentlich mit der Antwort begnügten, die Entlassung des leitenden Angestellten – einer zu wesentlichen Teilen mit öffentlichen Geldern finanzierten Institution – gehe die Öffentlichkeit nichts an. Wer derart defensiv kommuniziert, muss sich in der Folge nicht über eine unter Umständen einseitige, verzerrende Berichterstattung wundern.

III. Feststellungen

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.