Nr. 2/1998
Umgang mit Schock- und People-Bildern Stellungnahme vom 20. Februar 1998

Drucken

I. Sachverhalt

A. An seiner Sitzung vom 19. September 1997 in Zürich hat der Presserat beschlossen, im Anschluss an die Diskussion über das Verhalten von „Paparazzis“ beim Tod von Prinzessin Diana und wegen immer häufiger verbreiteter schockierender Bilder aus Konfliktgebieten eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Sie sollte prüfen, ob die in der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verankerten ethischen Regeln zum Persönlichkeitsschutz und zur Verwendung von Bildern angepasst und gegebenenfalls ergänzt werden müssen.

Der Arbeitsgruppe gehörten Christian Schwarz, Roger Blum, Präsident des Presserats, Daniel Cornu, Vizepräsident des Presserats, Sylvie Arsever und Enrico Morresi an. Sie tagte am 15. Dezember 1997 und am 16. und 21. Januar 1998. In Hearings am 15. Dezember 1997 und am 21. Januar 1998 befragte sie Dr. Ludwig Hasler, stellvertretender Chefredaktor des „St. Galler Tagblatts“ (lehrt zusätzlich Medientheorie an der Universität St. Gallen und an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen), Dr. Bruno Glaus, Rechtsanwalt, Verfasser der Dissertation „Das Recht am eigenen Wort“ (Bern 1997), Hans-Ueli Blöchliger, Leiter der Bildagentur Keystone, Mario Aldrovandi, Chefredaktor von „Tele Züri“, Laura Bucciarelli, Bildredaktorin beim „Journal de Genève“, und Michael von Graffenried, Fotograf.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe waren sich einig, dass ihr Ziel sein müsse, über die Prüfung einer Anpassung oder Ergänzung der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ hinaus in jedem Fall einige praxisbezogene Regeln zur Bildpublikation zu formulieren, ähnlich jenen betreffend die Namensnennung bei der Gerichtsberichterstattung.

B. Die Hearings befassten sich mit den drei Themenkreisen „People-Bilder“ und „Schockbilder“ von Kriegen und Konfliktgebieten sowie „Schockbilder“ von Unglücksfällen und Verbrechen.

Ludwig Hasler sagte in der Befragung, im Wettlauf der Medien um Marktanteile entwickle sich eine Reizspirale. Um die Aufmerksamkeit des Publikums zu sichern, müssten die optischen Reize gesteigert werden. Diese Steigerung erfolge sowohl betreffend die Methode (immer nähere Aufnahmen) als auch punkto Inhalt (Durchbrechung von Tabus). Visualisierung heisse stets auch Emotionalisierung. Damit verbunden sei eine Verschiebung der Grenzen von Privatsphäre und Öffentlichkeit; diese Entwicklung berge für beide Seiten Gefahren. Privatheit könne nicht mehr ungestört privat sein.

Schreckensbilder, so sagte Ludwig Hasler, seien „im Prinzip sinnvoll und erlaubt, denn sie sind wichtig gegen das Vergessen und Verdrängen“. Zweierlei sei jedoch in jedem Fall zu schützen und bilde Grenzen: 1. das abgebildete Schicksal (Schutz vor subjektiver Verletzung), 2. das Auge des Betrachters (Schutz vor objektiver Verletzung). Hasler nannte als Beispiel das historisch gewordene Bild eines auf einer Strasse rennenden, nackten Mädchens im Vietnamkrieg. Auf diesem Bild sei kaum Gewalt zu sehen, es habe jedoch emotional aufgerüttelt und zum Widerstand gegen den Vietnamkrieg angeregt. Wichtig sei somit die Wirkungsfunktion eines Bildes, das heisst: Tun wir mit der Publikation dieses oder jenes Bildes etwas gegen den Horror, den es zeigt? „Wenn die Funktion glaubhaft gemacht werden kann, spricht nichts gegen die Publikation.“ In jedem Fall dürfe ein Mensch durch die Publikation einer Foto aber nicht ein zweites Mal hingerichtet werden.

Beim Abdruck schockierender Bilder ist nach Meinung von Ludwig Hasler auch zwischen dem Wirkungskreis eines Mediums zu unterscheiden: Für das direktbetroffene Publikum würde er die betreffenden Bilder veröffentlichen, nicht aber global verbreiten, da sie in diesem Fall kaum dienlich wären, das weitere Publikum für das dargestellte Problem zu sensibilisieren. Masslos publiziert härteten Schockbilder ab.

Zum konkreten Fall von Bildern, welche die Folterung einer Frau auf Ost-Timor zeigen, wobei das Gesicht der Frau durch ein Tuch verdeckt ist, sagte Ludwig Hasler, die Frau werde auf ihre blosse Körperlichkeit reduziert, sie werde in doppelter Beziehung „versachlicht“: sie werde zum Gegenstand von Brutalität, der Betrachter könne keinen Bezug zu dieser Person entwicklen. Das heisse: diese Frau wurde „Frau allgemein“. Die Menschenwürde würde dann verletzt, wenn die Person als Individuum identifizierbar wäre. Kriterium sei somit die Unverwechselbarkeit. Hasler verweist dabei auf einen Text von Heinrich Böll, in dem dieser zwischen individuellem und allgemeinem Schrecken unterscheidet. Über eine einzelne Person könne jedoch das allgemeine Leiden kenntlich werden.

Bei der Publikation von Bildern von Unglücksfällen und Verbrechen seien, so sagte Ludwig Hasler, Familienangehörige und Freunde der betroffenen Personen zu berücksichtigen. Zu fragen sei ferner, in welcher Präsentationsform sich ein Bild eigne. Hasler meinte: „Unfallbilder sind nur zum Gaffen da. Es ist nicht nötig, den Schrecken auf der Strasse zu zeigen. Wir sind nicht dazu da, den Menschen jede Vorstellungskraft zu ersetzen.“ Das zerdrückte Auto sei hinreichend, um aufzuklären und zu mahnen. Wichtig sei in jedem Fall, dass die Publikation deutlich machen müsse, was Realität und was Fiktion sei. Dabei sei zu fragen: Ist es für mich unentrinnbar, dass das Bild Wirklichkeit zeigt? Einmaligkeit sei das Kriterium, sie gehöre zur Wirkung der Realität. Entscheidend sei bei der Publikation solcher Bilder – um der Abstumpfung entgegenzuwirken – auch das quantitative Mass.

Zu den sogenannten „People-Bildern“ sagte Ludwig Hasler, empirisch gebe es einen Markt für solche Bilder. Jeder Mensch, auch ein Prominenter, habe grundsätzlich das Recht auf sein eigenes Bild – ausgenommen, wenn dieses von zeitgeschichtlicher Bedeutung sei. Diese zeitgeschichtliche Bedeutung sei zum Beispiel bei der sonnenbadenden Prinzessin Diana nicht gegeben. Unstatthaft sind nach Ansicht Haslers „Schlüsselloch-Bilder“. Mit Teleskop gemachte Aufnahmen sollten deshalb verboten werden. Bei manchen prominenten Personen (zum Beispiel Prinzessin Diana) seien aber die private und die öffentliche Seite so sehr ineinander verwoben, dass es ihm plausibel erscheine, dass die Fotografen nicht mehr zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre unterscheiden könnten.

Privatheit tangiere auch die Menschenwürde, und zu dieser gehöre die Freiheit der individuellen Entwicklung. Auch die Totenruhe gehöre zur Menschenwürde. Im Fall Barschel zum Beispiel überwiege seines Erachten das Recht auf Totenruhe das Interesse an der Veröffentlichung eines zeitgeschichtlichen Dokuments.

Rechtsanwalt Bruno Glaus wies in der Befragung darauf hin, dass bei der Fotografie wie beim Wort das Selbstdarstellungsrecht der Betroffenen der Medienfreiheit oder anderen wichtigen, überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen gegenüberstehe. Sowohl das Recht am eigenen Wort als auch das Recht am eigenen Bild hätten ihre Grundlage im Selbstdarstellungs- beziehungsweise Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Dabei sei von einem „informationellen Selbstbestimmungsrecht“ die Rede, was folgendes bedeute: „Wer sich nicht freiwillig in die Öffentlichkeit begibt oder sich nicht als Politiker oder Person der Zeitgeschichte zur Person des öffentlichen Lebens macht, darf gegen seine Einwilligung weder mit Bild noch mit Wort in den Medien dargestellt werden. Wort und Bild dürfen nur mit rechtmässigen Mitteln beschafft werden. Wo Wort und Bild in die Medienarbeit verwoben werden, müssen die Prinzipien von Treu und Glauben und der Verhältnismässigkeit beachtet werden. Auf keinen Fall dürfen Wort und Bild verfälscht oder in einen andern Kontext gestellt werden.“

Grundsätzlich gebe es aber einen gemeinfreien Raum, in dem die Medien frei handeln könnten. Dieser gemeinfreie Bereich sollte seines Erachtens aber nicht zu weit gez
ogen werden. In diesem öffentlichen Raum befinde sich jemand, der sich ausdrücklich oder konkludent dorthin begeben habe. Bruno Glaus verwies insbesondere auf Artikel 12, Absatz 3 des Datenschutzgesetzes: „In der Regel liegt keine Persönlichkeitsverletzung vor, wenn die betroffene Person die Daten allgemein zugänglich gemacht und eine Bearbeitung nicht ausdrücklich untersagt hat.“ In Artikel 13, Absatz 1 heisse es: „Eine Verletzung der Persönlichkeit ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.“ Ein überwiegendes Interesse der bearbeitenden Person komme in Betracht, sofern sie, wie es in Artikel 13, Absatz 2 lit. f heisst, „Daten über eine Person des öffentlichen Lebens sammelt, sofern sich die Daten auf das Wirken dieser Person in der Öffentlichkeit beziehen“. Aus diesen Bestimmungen sei zu folgern, dass die Einwilligung einer Person zur Veröffentlichung ihres Bildes so lange gelte, als sie diese nicht widerrufe. Bei Sport, Showbusiness usw. könne von einer konkludenten Einwilligung ausgegangen werden. Aber auch im gemeinfreien Bereich seien die allgemeinen Anstandsregeln zu beachten. Ebenso dürfe die Bewegungsfreiheit nicht gestört oder gefährdet werden (z.B. Pulk von Fotografen um eine Person). Eine versteckte Kamera gelte datenschutzrechtlich als unlauteres Mittel zur Datenbeschaffung.

Bruno Glaus sagte weiter, dass gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Berichterstattung der Medien über Konflikte und Missbräuche in einer demokratischen Gesellschaft grosse Freiräume zuzugestehen seien. Entscheidend bei der Abwägung zwischen Persönlichkeitsschutz und Medienfreiheit sei aber stets, ob die betroffene Person sage: „Ich erlaube“ respektive „Ich erlaube nicht“. Für die Journalistinnen und Journalisten könne als Faustregel die Überlegung gelten, ob man wollte, dass mit einem selber so verfahren würde: „Möchte ich, dass dies mir selber geschieht?“

Hans-Ueli Blöchliger sagte, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Keystone bestimmten, welche Bilder über das Netz verbreitet würden. Keystone habe dazu keine schriftlichen Regeln aufgestellt. Es gebe aber über die Jahre hinweg entstandene Regeln, zum Beispiel der Verzicht auf Pin-Up-Fotos, keine Bilder von Leichen bei Unglücksfällen oder Verbrechen oder Attentaten. Bei politischen Attentaten seien andere Regeln massgebend als Unglücksfälle und Verbrechen. „Im Prinzip gilt: keine Toten.“ Das Bild wirke brutaler als der Text. „Blut würde ich vermeiden. Wir nehmen immer das menschlichere Bild. Die Kunden verlangen nicht schärfere Bilder.“

Blöchliger sagte, Keystone entscheide von Fall zu Fall ob ein Bild dokumentarischen Wert habe. Ein Dokument sei für ihn ein Bild, das historisch genau festlegbar sei. Bilder, die blosse Brutalität zeigten, sagten zu wenig aus. Blöchliger wies ferner auf Archivfotos hin, die Probleme machen könnten (z.B. das Bild einer ehemaligen Fixerin, das später nochmals abgedruckt wurde).

Mario Aldrovandi führte aus, Bilder würden genutzt, weil man glaube, dass sie leichter zu verstehen seien als Worte. Bilder sollten möglichst emotional sein. Gute Bilder blieben länger haften als ein Text. Bei der Publikation von Bildern müsse man noch mehr überlegen als bei der Publikation eines Textes. Es sei nicht Aufgabe der Medien, die Menschen zu erschrecken. Die Reaktionen sollen betreffend die Publikation von Bildern Regeln setzen. „Tele Züri“ z.B. veröffentliche keine Bilder mit gebrochenen Augen, sei zurückhaltend bei brutalen Fotos; bei Unfällen würden nur abgedeckte Leichen gezeigt. Ein abgebildeter Haufen von Fleisch und Blut bewirke nichts.

Aldrovandi sagte ferner, je weiter etwas weg sei, desto eher könnten sich Medienschaffende leisten, unsorgfältig zu recherchieren. Im lokalen Raum sei man stets auf das Einverständnis der Betroffenen angewiesen. Wenn eine Person, z.B. ein Politiker, aber etwas tue, was im Widerspruch zu dem stehe, was sie öffentlich sage, kenne er kein Pardon. Bei seinen Reportagen über die Drogenszene habe er immer die Einwilligung der Betroffenen eingeholt.

Bei „Paparazzi“-Themen sehe er eigentlich keinen Grund zurückhaltend zu sein. „Wir halten uns an Gartenzäune, nicht an Distanzen. Das Paparazzi-Verhalten gilt gegenüber dem internationalen Show-Business, aber nicht gegenüber einheimischen Politikern und Managern.“

Grundsätzlich müssten sich die Redaktionen bewusst sein, wie weit sie gingen – das heisst bedenken, was sie anrichteten.

Laura Bucciarelli sieht das Problem darin, dass das Publikum nicht wisse, dass Bilder nicht „die“ Wahrheit, das heisst nicht die gesamte Realität, abbildeten. Sie gäben stets nur einen Teilaspekt der Wirklichkeit wieder. Der Text sei weniger vieldeutig als das Bild. Das Bild gebe eine Vorstellung, informiere aber nicht.

Laura Bucciarelli sagte, sie trete für die Verwendung von starken, engagierten, inhaltsreichen Bildern ein, welche das Publikum dazu anregten, über ein Problem, über die Welt nachzudenken. „Das brutale Bild stösst ab und lässt keinen Raum für Reflexion. Das starke Bild lädt zur Reflexion ein.“ Sie lehne die Veröffentlichung von Bildern ab, welche „bloss“ die „Wahrheit“ darstellen sollen. Es gebe keine absoluten Wahrheiten, die durch ein Bild vermittelt würden. Stets sei abzuklären, ob ein Bild genügend wichtig sei und dem Thema und den Betroffenen gerecht werde. So wie Texte überprüft würden, müssten auch Bilder, insbesondere jene grosser Agenturen, überprüft werden. Sie schlug vor, auch bei Agenturfotos stets den Namen des Fotografen, also des Urhebers, zu publizieren.

Zu „People-Bildern“ sagte Laura Bucciarelli, wer als Prominenter wie Prinzessin Diana im Hotel Ritz in Paris absteige, rechne geradezu mit Fotografen. Beide Seiten verdienten an diesem Spiel Geld. Wer sich auf dieses Spiel einlasse, der müsse dessen Regeln auch für sich gelten lassen und die Konsequenzen tragen. Politiker dagegen begäben sich meist nur für ein bestimmtes Amt oder eine bestimmte Aufgabe in die Öffentlichkeit. Analog der in Frankreich geltenden Regeln sollten sich die Medien deshalb nicht darum kümmern, was Politiker im Rahmen ihres Privatlebens tun.

Michael von Graffenried sagte, der Stellenwert des Bildes sei im Vergleich zu früher gestiegen. Allerdings nehme vor allem die Zahl der Bilder zu, die Bildinhalte nähmen dagegen ab. Es würden mit Bildern Emotionen geschürt – „und Emotionen wolle alle“ – , aber keine Bildinhalte, „nicht unbedingt Botschaften“ vermittelt.

Michael von Graffenried erzählte, dass er 1995 im Rahmen einer Pressereise Algerien besucht habe. Am Ende der Reise habe es einen Empfang beim Innenminister gegeben; dabei sei jedem Teilnehmer eine Pressemappe mit Horrorbildern und -videos von Gewaltopfern überreicht worden. Dahinter habe die Absicht gestanden, mit dieser PR-Aktion aufzuzeigen, dass die islamistischen Terroristen um jeden Preis ausgerottet werden müssten. Auch heute sei es zweifellos so, dass es von den Massakern in Algerien erst dann Bilder gebe, wenn die algerische Regierung dies wolle. Diese Gefahr der Instrumentalisierung der Medien sei heute allgemein zu beobachten. Es gebe kaum noch Zufallsrecherchen. „Viele Bilder zirkulieren, weil eine Seite etwas damit bewirken will. Sie sind Propaganda einer Partei.“ Die Journalisten müssten deshalb die entsprechenden Informationen durch den Vergleich mit andern Quellen verifizieren und einordnen. Im Fall Algerien sei das Problem, dass es keine andern Quellen gebe. Alle Manipulatoren bedienten sich heute des Bildes, so dass es nicht einfach sei, zwischen Aufklärung und Desinformation zu unterscheiden.

Betreffend „Schockbilder“ aus Kriegsgebieten sagte Michael von Graffenried, er unterscheide vorab zwischen Aufnahme und Veröffentlichung. Er nehme zunächst grundsätzlich alles auf und entscheide dann ers
t im Zeitpunkt der Veröffentlichung, was er wirklich zeige und was nicht. Entscheidendes Kriterium sei für ihn seine persönliche Moral. „Manchmal ist es Zeit für ein Schockbild. Man muss abwägen, welche Argumente stärker sind: zeigen oder verschweigen?“ Viele Bilder könne man bei uns zeigen, nicht aber im Gebiet der Betroffenen. Für die Publikation eines Bildes könne aber zum Beispiel auch sprechen, dass die Angehörigen eines Opfers endlich etwas über dessen Verbleib erfahren. Das könne auch bei Unglücksfällen gültig sein, wenn die Bilder zur Aufklärung des Unglücks beitragen. Im Fall des Anschlags auf Touristen in Luxor seien aber keine Gründe denkbar gewesen, welche für die Publikation der Gesichter der Opfer gesprochen hätten.

Am Beispiel des Golfkriegs erläuterte Michael von Graffenried, dass es nicht genüge, klinisch saubere Bilder zu veröffentlichen. Zuerst habe man über den Golfkrieg nur Computer und amerikanische Soldaten mit Cola-Flaschen gesehen. Erst als Bilder wie jene im Tod erstarrter Soldaten in Panzerfahrzeugen, Sodom und Gomorrah ähnlich, und Bilder mit zerstörten irakischen Armeefahrzeugen links und rechts der Autobahn nach Bagdad veröffentlicht worden seien, habe die Öffentlichkeit die schreckliche Realität dieses Kriegs wahrnehmen können.

Zu Bildern von Unglücksfällen und Verbrechen sagte Michael von Graffenried, es könne durchaus sinnvoll sein, bei einem Erdbeben in Anatolien die schrecklichen Auswirkungen aufzuzeigen, um an die Solidarität des Publikums zu appellieren. Dagegen sei es wenig sinnvoll, bei einem Unglück wie jenem im Hallenbad von Uster die Leichen der Opfer zu zeigen. Letztlich seien auch hier der gesunde Menschenverstand, das Engagement für Menschlichkeit, für Opfer und Unterprivilegierte massgebend. Im Einzelfall überlege er sowohl, was ein Bild wirklich zeige, als auch was es beim Publikum bewirken könne. Es gebe erwünschte, banale und unerwünschte Wirkungen. Michael von Graffenried forderte denn auch, Journalistinnen und Journalisten müssten lernen, Bilder zu lesen, das heisst genau hinzuschauen, auf sprechende Details zu achten, Menschen und Umgebung zu analysieren. Ein Bild habe man nicht in einer Sekunde gesehen; gerade auch beim Fernsehen sei es angesichts der Bilderflut heute kaum mehr möglich, noch etwas zu verstehen.

Zu People-Bildern sagte Michael von Graffenried, jeder Staatsmann versuche heute, sich mit Hilfe von PR-Agenturen der Öffentlichkeit in einem positiven Licht zu präsentieren. Wenn nur noch von den Betroffenen autorisierte Bilder veröffentlicht werden könnten, bestehe die Gefahr, dass von diesem Personenkreis nur noch die Selbstdarstellung und keine kritische Fremddarstellung mehr möglich sein. Es sei auch eine Tatsache, dass Pominente, die mit ihrer Berühmtheit Geld verdienten, auf die „Paparazzi“ angewiesen seien und sich ihrer auch bedienten. Dass sich die Interessen beider Seiten teilweise deckten, zeige sich auch darin, dass Verträge zwischen PR-Agenturen von Prominenten und „Paparazzis“ abgeschlossen würden. Anderseits sagte Michael von Graffenried aber auch: „Es gibt nur noch Hoffotografen. Daher braucht es die Paparazzis.“ Wenn in diesem Bereich Grenzen festgelegt würden, bestehe die Gefahr, dass sie zur Informationsverhinderung missbraucht würden.

Das Problem beim Persönlichkeitsschutz von Prominenten bestehe darin, dass der Öffentlichkeit nur noch ein manipuliertes Image vorgeführt werde, das mit der Realität nichts zu tun habe. Er selber möchte aber auch etwas von dieser Realität abbilden. Wer im Wahlkampf Frau, Familie und Hund einbeziehe, könne später nicht unter Berufung auf den Persönlichkeitsschutz völlig andere Grenzen setzen. Er respektiere aber selbstverständlich, wenn zum Beispiel Bundesrat Leuenberger oder SP-Präsidentin Koch Privatleben und Politik vollständig voneinander trennten. Tendenziell hätten seines Erachtens Leute aus dem Show-Business kaum einen legitimen Anspruch auf Wahrung ihrer Privatsphäre, Politiker nur einen eingeschränkten Anspruch und Durschnittsbürger einen sehr weitgehenden.

II. Erwägungen

1. Der Presserat hatte zwei Fragen zu prüfen: Soll erstens die „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ zum Problem „Bild“ und den damit verbundenen Fragen, vorab jener des Persönlichkeitsschutzes und der Menschenwürde, angepasst oder allenfalls ergänzt werden?, und sollen – zweitens – einige Regeln für Journalistinnen und Journalisten bei der Verwendung von „Schockbildern“ einerseits aus Kriegs- und Konfliktgebieten und anderseits bei Unglücksfällen und Verbrechen sowie für die Publikation von „People-Bildern“ aufgestellt werden?

Die „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ ist grundsätzlich auf das Wort ausgerichtet. Nach der bisherigen Interpretation des Presserates sind aber Bilder in den Aussagen der „Erklärung“ mitgemeint. Für Bilder gelten im übrigen im Grundsatz die gleichen Regeln wie für Texte. Ebenso gilt die „Erklärung“ nicht nur für Printmedien, sondern ebenso für Radio und Fernsehen.

In ihren Ziffern 3 („Sie veröffentlichen nur Informationen, Dokumente und Bilder, deren Quellen ihnen bekannt sind. Sie (. . .) entstellen weder Tatsachen, Dokumente und Bilder noch von andern geäusserte Meinungen. Sie bezeichnen unbestätigte Meldungen und Bildmontagen ausdrücklich als solche.“) und 4 („Sie bedienen sich bei der Beschaffung von Informationen, Dokumenten und Bildern keiner unlauteren Methoden. Sie bearbeiten nicht oder lassen nicht Bilder bearbeiten zum Zweck der irreführenden Verfälschung des Originals.“) geht die „Erklärung“ ausdrücklich auch auf Bilder ein.

Die „Erklärung“ enthält indessen keine Ziffern, die sich expressis verbis mit dem Thema „Menschenwürde“ befassen. Der „Persönlichkeitsschutz“ wird vor allem in Ziffer 7 angesprochen („Sie respektieren die Privatsphäre des einzelnen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt.“).

2. Der Presserat befasste sich bereits in mehreren Stellungnahmen mit dem Thema „Bild“: in Nr. 9/92 vom 28. Dezember 1992 zur Manipulation von Pressefotos (er verlangte darin, dass Fotobearbeitungen und Bildmontagen bei der Publikation ausdrücklich als solche zu bezeichnen sind); in Nr 5/96 vom 2. August 1996 über die Arbeitsbedingungen von Pressefotografen (er wies darin darauf hin, dass es den Redaktionen nicht gleichgültig sein kann, unter welchen Bedingungen die Bilder entstehen, und dass PR-Bilder als solche zu kennzeichen seien); in Nr 3/98 vom 20. Februar 1998 über Bilder aus Pornovideos, Pornofilmen, dem Internet und gestellten Fotos (auch hier forderte er klare Kennzeichnung, Zurückhaltung bei der Publikation und warnte vor gestellten, die Menschenwürde verachtenden Fotos).

Weitere relevante Stellungnahmen des Presserates zu dem hier interessierenden Themenbereich sind: Nr 7/93 vom 21. Dezember 1993 über unter anderem Quellenabgaben bei recherchierten Beitägen (er forderte darin möglichst genaue Angaben der Quellen); die Stellungnahme vom 27. November 1984 betreffend „Schlammschlacht“ gegen Elisabeth Kopp (sie befasst sich vor allem mit Ziffer 7 der „Erklärung“); die Stellungnahme vom 12. März 1988 über die kommerzielle Verwendung eines Bildes einer Person des öffentlichen Interesses (darin heisst es, ein Bild einer Person des öffentlichen Lebens sei grundsätzlich nicht weniger schutzwürdig als das Bild irgendeines Individuums); Nr. 4/93 vom 6. September 1993 über die Verbreitung privater Telephongespräche (der Presserat prangert darin Massen-Voyeurismus an, weist aber darauf hin, dass Mitglieder des britischen Königshauses nur einen etwas eingeschränkten Schutz der Privatsphäre beanspruchen könnten, weil sie zu den Personen des öffentlichen Lebens gehören); die Stellungnahme vom 20. Februar 1991 betreffend Anleitung zum lautlosen Töten/Geheimarmee der Schweiz und die Stellungnahme vom 20. Februar 1991 betreffend Anleit
ung zum Herstellen von Drogen (in beiden Stellungnahmen wies der Presserat auf die Verantwortlichkeit der Medienschaffenden gegenüber der Öffentlichkeit hin, die auch bedinge, die aus einer Publikation sich ergebenden Folgen abzuwägen); schliesslich die Stellungnahme Nr. 2/97 betreffend Recht der Öffentlichkeit auf Wahrheit (der Presserat stellte darin fest, über Personen des öffentlichen Lebens bestehe ein öffentliches Interesse an Information).

3. Wie bereits in der Stellungnahme Nr 3/98 dargelegt, leben wir in einer Welt der Bilder. Die Welt ist bild-haft geworden. Die Ereignisse werden in allen Medien zunehmend visualisiert. Ja, es ist – unter dem Einfluss des Fernsehens – für die Medienschaffenden geradezu ein Druck zur Visualisierung entstanden. Befragungen ergeben immer wieder, dass für die Mehrheit der Leserinnen und Leser das Bild der „Einstieg“ auf eine Zeitungsseite ist. Selbst Zeitungen, die jahrzehntelang auf Bilder verzichteten wie „Le Monde“ oder das „Wall Street Journal“, weil sie auf die Kraft des Wortes setzten, sind heute dazu übergangen, ebenfalls Bilder abzudrucken; sie setzen dabei aber in erster Linie auf starke, das heisst aussagekräftige Bilder, und auf Bilder, die einen dokumentarischen Charakter haben.

Gleichzeitig mit der Entwicklung zur zunehmenden Visualisierung hat sich, ausgehend vom Kampf um Marktanteile, eine Reizspirale aufgebaut: Die optischen Reize müssen gesteigert werden. Das heisst: Für die Publikation von Bildern werden immer weniger Grenzen beachtet. Die aus Kriegen, von Attentaten, Unglücksfällen und Verbrechen gezeigten Schrecken werden immer schrecklicher und brutaler. Diese Entwicklung ist auch in Filmen, in der Kunst und in Büchern festzustellen. Bei Bildern von Prominenten wenden die Fotografen immer unverfrorenere Methoden an. Die „People-Bilder“ werden immer voyeuristischer, der Betrachter (sei es der Fotograf, sei es der Zuschauer oder Leser) dringen immer tiefer in die Privatsphäre der betroffenen Personen ein, gehen immer näher an sie heran – das Schlüsselloch als Objektiv. Raymond Depardon, einer der Gründer Foto-Agentur Gamma, sagte in einem Interview mit „Le Monde“, die Fotografen seien „von Zeugen zu Privatdetektiven“ geworden. Nur freiwillige Askese aus moralischer Überzeugung könne, so sagte Depardon, das „Paparazzi“-Problem lösen.

4. Die Medienschaffenden müssen sich bei Bildern im gleichen Mass wie bei Texten fragen: Was muss ich zeigen? Ihr Entscheid bewegt sich dabei zwischen den Feldern „Realität – Engagement – Persönlichkeitsschutz – Menschenwürde“. Diese Themenfelder müssen sie auch leiten, wenn sie sich vor die Frage gestellt sehen, ob sie der fast täglich gesteigerten Dramatisierung nachgeben sollen oder wollen. In jedem Fall aber haben sie sich an die in der Präambel der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ postulierte „Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit“ zu halten. Und diese Verantwortlichkeit gilt sowohl für Fotografen als auch vor allem für die über die Veröffentlichung entscheidenden Zeitungs-, Zeitschriften- und Fernsehredaktoren. Diese Verantwortlichkeit muss sie alle lenken – über ihre Berufung auf die Medienfreiheit hinaus.

5. Betreffend „Schockbilder“ aus Kriegen und Konflikten ist aus der „Erklärung“ sowohl auf die Präambel hinzuweisen, in der vom „Recht der Öffentlichkeit auf Kenntnis der Tatsachen und Meinungen“ die Rede ist, als auch auf die Ziffern 1 („Sie halten sich an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus ergebenden Folgen und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren.“), 2 („Sie verteidigen die Freiheit der Information“) und 3 („Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen“).

Die Wirklichkeit von Kriegen, Konflikten, Terror ist nicht zu verdrängen. Manchmal braucht es auch „Schockbilder“, um zu zeigen, was wirklich passiert oder geschehen ist. Anderseits ist bei Konflikten und Kriegen in Gebieten, die für die Medien schwer zugänglich sind, auch zu fragen, ob nicht die eine oder andere Konfliktpartei eine Propaganda-Absicht verfolgt.

In jedem Fall ist bei „Schockbildern“ aus Kriegen und Konflikten zu fragen: Was zeigen diese Bilder wirklich? Werden sie den Ereignissen, nach allem, was man wissen kann, gerecht, sind sie also auch ein zeitgeschichtliches Dokument, somit einmalig? Oder zeigen sie „bloss“ Blut? Manchmal ist der Schrecken eines Ereignisses nicht am Tatort selbst am Eindrücklichsten zu dokumentieren, sondern bei jenen, die zwar davon betroffen sind, ihm aber entgangen sind (Beispiel Algerien: das Bild zweier Frauen, die über die Ermordung von Verwandten trauern).

Michael von Graffenried führte dazu im Hearing als mögliche Entscheidungshilfe die folgende Frage an: „Zeigt das Bild nur Brutalität oder ist es ein starkes Bild?“

In gesteigertem Masse bildlich gezeigte Brutalität führt zu Abstumpfung. Die Wirklichkeit wird dann zwar nicht verdrängt aber nicht mehr wahrgenommen. Die Medienschaffenden erreichten damit das Gegenteil dessen, was sie anstreben, nämlich auf den Schrecken von Krieg und Terror hinzuweisen. Und es ist auch an die Opfer zu denken; so etwa erliess die BBC während des Golfkriegs folgende Regeln (zitiert in Alain Woodrow, „Information Manipulation“, Editions du Félin, Paris 1990): „Wir dürfen gegenüber Menschen, die von Tod, Not und Elend geplagt werden, keine Mediendrängelei veranstalten. Soweit als möglich müssen die Kamera-Equipen ihre Distanz wahren, und die Redaktoren müssen sich vergewissern, dass unannehmbare Bilder, auch wenn sie gedreht wurden, nicht ausgestrahlt werden.“

6. Bei „Schockbildern“ von Unglücksfällen, Katastrophen und Verbrechen ist aus der „Erklärung“ ebenfalls auf die Präambel und Ziffern 1, 2 und 3 hinzuweisen.

Gerade bei Unfallbildern ist aber zu fragen, wie weit ein solcher Schrecken tatsächlich gezeigt werden muss, wie nah an diesen Schrecken herangegangen werden soll. Zur Aufklärung und Mahnung genügt es, zerdrückte Autos zu zeigen. Ein jeder kann sich dabei ausmalen, was die Folgen sind. Insbesondere ist dabei auch daran zu denken, dass die Menschenwürde einer Person verletzt würde, wenn sie auf dem Bild als Individuum identifizierbar, somit unverwechselbar wäre. Dabei ist, vorab im engeren geografischen Raum, stets auch an Familienangehörige und Freunde der betroffenen Person zu denken.

7. Was sogenannte People-Bilder angeht, interessiert aus der „Erklärung“ Ziffer 7 („Sie respektieren die Privatsphäre des einzelnen, sofern das öffentliche interesse nicht das Gegenteil verlangt.“).

Auch Prominente haben das Recht auf Privatsphäre und auf ihr eigenes Bild. Ausnahmen sind: öffentliches Interesse, zeitgeschichtliche Bedeutung. Die Heirat der Prinzessin, die Rede eines Politikers, seine Wahlfeier, die Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung sind von zeitgeschichtlicher Bedeutung; ihr Sonnenbad, ihre Siesta im eigenen Garten, ihr Einkaufsbummel, ihr Essen im Vier-Stern-Restaurant oder ihr Herzanfall auf der Skipiste sind es nicht. Im öffentlichen Raum, das heisst auch in Kirchen, Restaurants, Einkaufszentren, an Badestränden und Seepromenaden ist die Erklärung des Einverständnisses oder des Verbots der betroffenen Person zum Fotografieren entscheidend. Auch die guten Sitten sind dabei zu berücksichtigen.

Weitverbreitet unter Medienschaffenden, insbesondere jenen bei der Boulevard-Presse, ist jedoch die Ansicht, die Leserschaft wolle „People-Bilder“ sehen. Im Fall von Prinzessin Diana wurde auch gesagt, dies sei „eine Aktualität wie jede andere“. Es sind jedoch vorab die Medienschaffenden, die glauben, der Zwang zur zunehmenden Visualisierung schaffe auch den Zwang zur Reiz-Steigerung. Dieser angebliche Zwang zur Reiz-Steigerung ist aber vielmehr Ausfluss des Kampfes um Marktanteile – eine vermeintliche Sicherung des eigenen Erfolgs respektive erhöhter Verkaufszahlen und Einschaltquoten. Wie sehr dieser
Zwang zur Reiz-Steigerung nur ein angeblicher ist, die Erfolgssicherung nur eine vermeintliche, zeigt sich daran, dass die Leserschaft im Fall des Unfalltodes von Prinzessin Diana rasch die Fotografen respektive „Paparazzi“ zu Sündenböcken stempelte, hernach auch die Medien, welche Sensations-“People“-Bilder verbreiteten. Das Publikum selbst spürt, wo die Grenzen liegen, vorab jene der Verletzung des Persönlichkeitsschutzes und jene des Anstands. Das Publikum spürt, wann es nicht möchte, dass ihm selbst solches widerführe. Es ist letztlich ein Gradmesser – sofern nur die Medienschaffenden bereit sind, ihn wahrzunehmen.

III. Feststellungen

1. Schon heute interpretiert der Presserat die „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ als sowohl für das Wort als auch für das Bild geltend. Der Presserat empfiehlt jedoch, die „Erklärung“ im Zuge einer Revision überall dort, wo es notwendig ist, in dem Sinn zu präzisieren, dass auch das Bild gemeint ist. Weil die Wahrung der Menschenwürde als Kriterium in der „Erklärung“ fehlt, empfiehlt der Presserat, nach dem Vorbild des deutschen Pressekodexes nachstehende Sätze neu der Ziffer 7 der „Erklärung“ anzufügen: „Sie (die Journalistinnen und Journalisten) respektieren die Menschenwürde. Die Berichterstattung in Wort und Bild über Krieg, Terror, Unglücksfälle und Kastastrophen findet ihre Grenzen im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen.“

2. Medienschaffende sollten in der täglichen Arbeit mit „Schockbildern“ und „People“-Bildern folgende Regeln beachten:

  • Sie sollten sich stets fragen: Was ist zumutbar? Möchte ich selber dieses Bild sehen?
  • Sie sollten stets bedenken, was man mit der Publikation eines Bildes anrichtet. Sich dabei auch stets fragen, wer verletzt werden könnte: die abgebildete Person? der Betrachter? oder gar beide?
  • Sie sollten abwägen, ob das Recht auf Totenruhe über dem öffentlichen Interesse an der Publikation eines zeitgeschichtlichen Dokuments steht.
  • Sie sollten Bilder auf ihre Herkunft und Echtheit überprüfen. Bei den Bildern der Nachrichten und Bildagenturen ist dies Sache der Agenturen.
  • Sie sollten sich bei der Veröffentlichung von Bildern nicht durch die PR-Interessen von gesellschaftlichen Akteuren manipulieren lassen.
  • Bei Archivaufnahmen sollten sie überprüfen, ob die erneute Publikation eines Bildes immer noch zulässig ist; und sich auch vergewissern, ob sich die gezeigte Person noch in der selben Situation befindet, in der sie auf dem Bild gezeigt wird.
  • Sie sollten Fotos nicht nur mit dem Hinweis auf die Agentur, sondern auch mit dem Namen des Fotografen zeichnen.

3. Bei „Schockbildern“ von Konflikten und Kriegen sollten sich Medienschaffende fragen:

  • Was zeigen die Bilder wirklich? Sind sie ein zeitgeschichtliches Dokument, somit einmalig?
  • Ist eine Person als Individuum identifizierbar? Wird ihre Menschenwürde verletzt?

4. Auch bei „Schockbildern“ von Unglücksfällen, Katastrophen und Verbrechen sollten die Medienschaffende die Menschenwürde respektieren. Insbesondere im engeren geografischen Raum ist stets auch an Familienangehörige und Freunde der betroffenenen Personen zu denken.

5. Bei „People-Bildern“ sollten Medienschaffende beachten,

  • dass auch Prominente das Recht auf Privatsphäre und auf ihr eigenes Bild haben.
  • dass sie Prominente nicht anders behandeln, als sie selber an deren Stelle behandelt werden möchten.
  • dass Aufnahmen aus der „Schlüsselloch“-Perspektive, Belagerung und Verfolgungsjagden unlautere Methoden sind und damit gegen Ziffer 4 der „Erklärung“ verstossen.