Nr. 48/2002
Anhörung bei schweren Vorwürfen

(Schnyder c. «Sonntagsblick») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 10. Juli 2002

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I. Sachverhalt

A. Zwischen dem 6. und 8. Februar 2002 berichtete «Blick» über die Tennisspielerin Patty Schnyder und über ihr Verhältnis zu ihrem Vater. Die Eltern Schnyder erfuhren, dass im «Sonntagsblick» vom 10. Februar das Thema nochmals aufgegriffen werden sollte. Durch ihren Anwalt liessen sie am 8. Februar 2002 die Redaktion des «Sonntagsblick» auffordern, ihnen den geplanten Beitrag vorzulegen, damit sie dazu Stellung nehmen könnten. Sie erhielten gleichentags die Möglichkeit, per Fax einige Fragen von Sandro Brotz, Nachrichtenchef des «Sonntagsblick», zu beantworten. Mit Faxschreiben vom 9. Februar 2002 beantwortete Willy Schnyder die gestellten Fragen.

B. Am 10. Februar 2002 berichtete der «Sonntagsblick» mit dem Titel «Pattys härtester Kampf» und dem Obertitel «Veruntreuung, Erpressung, Nötigung – schwere Vorwürfe Patty Schnyders an ihre Eltern» über die Auseinandersetzung zwischen den Eltern Schnyder und ihrer Tochter. Sowohl im Artikel selber wie auch in einem in der gleichen Ausgabe veröffentlichten Interview («Meine Eltern versuchen alles, um unsere Liebe zu zerstören») mit Patty Schnyder und deren Freund Rainer Hofmann wurden schwere Vorwürfe gegenüber den Eltern erhoben.

D. Am Freitag der Folgewoche (15. Februar 2002) faxte der «Sonntagsblick» erneut einige Fragen zur Stellungnahme an die Eltern Schnyder. In seiner Antwort vom gleichen Tag beklagte Willy Schnyder den «ehrverletzenden» und «rufschädigenden» Artikel vom 10. Februar aufgrund dessen er nicht mehr bereit sei, die gestellten Fragen zu beantworten.

E. Am 17. Februar 2002 erschien unter dem Titel «Vater Schnyder und seine Briefkastenfirmen» ein weiterer «Sonntagsblick»-Artikel. Thematisiert werden darin die angeblich undurchsichtigen Finanzgeschäfte von Willy Schnyder, von denen auch das Vermögen von Patty Schnyder betroffen sei.

F. Am 22. Februar 2002 gelangten die anwaltlich vertretenen Eltern Schnyder mit einer Beschwerde an den Presserat. Sie rügten, die «Sonntagsblick»-Artikel vom 10. und 17. Februar 2002 seien tendenziös, einseitig und unsorgfältig ausgearbeitet worden.

Im Artikel «Pattys härtester Kampf» vom 10. Februar seien weder die Fragen des «Sonntagsblick» noch ihre Antworten in akzeptabler Weise wiedergegeben worden. Die Redaktion habe zudem einseitig auf die Sachverhaltsdarstellung von Patty Schnyder und Rainer Hofmann abgestellt, obwohl sie rechtzeitig mit Unterlagen bedient worden sei, die diese nachprüfbar widerlegt habe. Insbesondere hätte nach Auffassung der Beschwerdeführer zwingend erwähnt werden müssen, dass gegen den Freund von Patty Schnyder, Rainer Hofmann, in Deutschland ein Strafverfahren wegen Betrugs und Urkundenfälschung hängig sei.

Ebenso tendenziös sei der Bericht vom 17. Februar 2002 ausgefallen. Der darin erhobene Vorwurf, Willy Schnyder habe «undurchsichtige Finanzgeschäfte» über «Briefkastenfirmen» abgewickelt, sei nicht nur inhaltlich falsch, sondern vom «Sonntagsblick» offensichtlich auch nicht verifiziert worden. Die einzelnen im Artikel aus dem Zusammenhang gerissenen Transaktionen könnten entgegen dem durch den «Sonntagsblick» vermittelten Eindruck durchaus erklärt und belegt werden. Zudem sei nicht ersichtlich, was diese Vorgänge mit der Berichterstattung über die Probleme mit ihrer Tochter zu tun hätten.

Schliesslich seien die Beschwerdeführer bei beiden Berichten aufgefordert worden, innert kürzester Frist Stellung zu nehmen, obwohl keinerlei zeitlicher Druck für eine Veröffentlichung bestanden habe.

G. Am 8. März 2002 wurden Willy Schnyder von Beat Kraushaar, Chefreporter «Sonntagsblick», per Telefax verschiedene Fragen zu dessen Tätigkeiten im Holzhandel unterbreitet.

H. Am 10. März 2002 publizierte der «Sonntagsblick» unter dem Titel «Greenpeace attackiert Pattys Vater» einen Artikel über Vorwürfe der Umweltorganisation, wonach sie von Willy Schnyder verlange, dessen Import von und Handel mit Tropenhölzern sofort zu stoppen. Willy Schnyder habe sich zu den Vorwürfen nicht äussern wollen.

I. Am 21. März 2002 richteten die Beschwerdeführer eine ergänzende Beschwerde zum Artikel vom 10. März 2002 an den Presserat. Darin rügten sie, Willy Schnyder werde vom «Sonntagsblick» erneut wahrheitswidrig in ein schiefes Licht gestellt. Er sei im Zeitpunkt der Zustellung der Fragen des «Sonntagsblick» am Freitag 8. März 2002, 20.41 Uhr, ortsabwesend gewesen. Allerdings hätte er aufgrund seiner vorherigen Erfahrungen mit dem «Sonntagsblick» auch sonst kaum auf die Fragen geantwortet. Diverse Falschaussagen im Artikel hätten aber auch ohne Rückfrage bei Herrn Schnyder ohne weiteres erkannt werden müssen. Er habe weder als Privatperson noch in seiner beruflichen Tätigkeit direkt mit dem Import oder Export von Tropenhölzern zu tun. Vielmehr sei er diplomierter Bücherexperte und als solcher zuständig für die Finanzen sowie die Betreuung der Beteiligungen einer der im Artikel genannten Firmen. Mit dem operativen Geschäft habe er demgegenüber nichts zu tun. «Sonntagsblick» habe sich einseitig auf tendenziöse Angaben von Greenpeace gestützt, ohne sich direkt an die betroffene Firma zu wenden.

K. Die ebenfalls anwaltlich vertretene Redaktion des «Sonntagsblick» verlangte in zwei Stellungnahmen vom 22. April und 31.Mai 2002 die vollständige Abweisung der Beschwerden. Niemand habe Anrecht darauf, dass seine Ansicht zu einem Problem durch ein Medium integral verbreitet werde. Es genüge, dass der Grundtenor unverfälscht zum Ausdruck komme. Im weiteren könne es niemals unsorgfältig oder tendenziös sein, wenn die Meinung der Tochter über ihre Eltern 1:1 publiziert werde. Über den anstehenden Prozess gegen Rainer Hofmann sei ausreichend berichtet worden. Die Fristen zur Beantwortung der Fragen seien keineswegs zu kurz gewesen. Als Delegierter eines Verwaltungsrates mit Einzelunterschrift einer Gesellschaft müsse sich Willy Schnyder deren Tätigkeit voll anrechnen lassen. Wenn nicht «direkt» so habe der Beschwerdeführer zumindest «indirekt» mit dem Import von Tropenholz zu tun.

F. Das Präsidium des Presserates wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Peter Studer als Präsident sowie Marie-Louise Barben, Luisa Ghiringhelli, Silvana Iannetta, Philip Kübler, Kathrin Lüthi und Edy Salmina als Mitglieder angehören. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 10. Juli 2002 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» verpflichtet die Medienschaffenden sich an die Wahrheit zu halten. Der Presserat hat sich zur Frage der Wahrheitspflicht verschiedentlich geäussert und dabei festgestellt, dass es nicht zu seinen Aufgaben gehören kann, bestrittene Faktenbehauptungen in einem Beweisverfahren auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen (vgl. zuletzt die Stellungnahme 45/2002 i.S. Hofmann c. «Smash»). Soweit die Beschwerdeführer im vorliegenden Fall behaupten, die Artikel hätten unrichtige Angaben enthalten, muss die Beurteilung deshalb offen gelassen werden.

2. Die Beschwerdeführer rügen die «tendenziöse» Berichterstattung des «Sonntagsblick» und deren «Mangel an Unabhängigkeit, Neutralität und Objektivität». Sie sehen darin insbesondere einen Verstoss gegen das Fairnessprinzip. Gemäss ständiger Praxis des Presserates kann entgegen dieser Auffassung aus der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» allerdings keine berufsethische Pflicht zu objektiver Berichterstattung abgeleitet werden. Auch eine einseitige und parteiergreifende Berichterstattung ist deshalb zulässig, solange – und dies wird nachfolgend eingehend zu prüfen sein – die Betroffenen bei schweren Vorwürfen angehört werden – und ihre Position im gleichen Medienbericht wiedergegeben wird (vgl. wiederum die bereits erwähnte Stellungnahme 45/2002).

Im Zusammenhang mit dem Vo
rwurf der einseitigen Berichterstattung beanstanden die Beschwerdeführer beim Artikel vom 10. Februar 2002 insbesondere, bezüglich des in Deutschland hängigen Strafverfahrens gegen den Freund ihrer Tochter werde nur die Sicht von Rainer Hofmann, nicht jedoch diejenige seiner früheren Ehefrau und des Staatsanwaltes wiedergegeben. Der «Sonntagsblick» erwähnt eingangs des Artikels kurz das Verfahren und lässt in der Folge tatsächlich ausschliesslich den Angeschuldigten darüber berichten. Der Presserat sieht darin jedoch keine Unterschlagung wichtiger Informationen im Sinne von Ziffer 3 der «Erklärung». Der Leserschaft des «Sonntagsblick» werden die in diesem Zusammenhang wichtigsten Informationselemente nicht vorenthalten, nämlich dass gegen Rainer Hofmann in Deutschland ein Strafverfahren wegen «Betrugs in Millionenhöhe und Urkundenfälschung» läuft und dass sich die Eltern Schnyder vor allem auch aus diesem Grund an der Beziehung ihrer Tochter mit Hofmann stören.

3. «Sonntagsblick» hat in den drei Berichten vom 10. und 17. Februar sowie vom 10. März 2002, die den Gegenstand der Beschwerde bilden, mehrfach schwere Vorwürfe gegenüber den Eltern Schnyder und vor allem gegen Willy Schnyder erhoben. Nachfolgend ist für die drei Artikel je separat zu prüfen, inwiefern der «Sonntagsblick» der durch das berufsethische Anhörungsprinzip bei schweren Vorwürfen geforderten minimalen Fairness Rechnung getragen hat.

a) Vor dem Artikel vom 10. Februar 2002 («Pattys härtester Kampf») erfolgte die Kontaktnahme durch den «Sonntagsblick» relativ frühzeitig, nämlich bereits am 8. Februar. Willy Schnyder antwortete am 9. Februar, so dass grundsätzlich noch genügend Zeit blieb, um die Antworten in den Artikel einzuarbeiten.

Rein formell wäre dieses Vorgehen also nicht zu beanstanden, wenn nicht ein materieller Vergleich der den Beschwerdeführern unterbreiteten Fragen, ihrer Antworten mit den im Bericht enthaltenen Vorwürfen und den wiedergegebenen Statements der Beschwerdeführer erhebliche Diskrepanzen ergeben würde. So ist beispielsweise bereits im Untertitel des Artikels – nicht jedoch in den per Fax vorab unterbreiteten Fragen – von «Veruntreuung, Erpessung, Nötigung» die Rede. Ebensowenig wurden den Beschwerdeführern Vorwürfe von Patty Schnyder unterbreitet, wonach sich ihre Eltern so «fanatisch wie Taliban» benehmen würden oder sie müsse «leider befürchten, dass mein Vater Geld von mir veruntreut hat».

Der Presserat hat in der Stellungnahme 27/2000 i.S. Aktion Dialog c. «Tages-Anzeiger» darauf hingewiesen, dass der von schweren Vorwürfen betroffenen Partei zwar quantitativ nicht zwingend derselbe Platz einzuräumen ist wie der sie betreffenden Kritik. Die Betroffenen sollten aber zumindest zu sämtlichen schwerwiegenden Vorwürfen Stellung nehmen können. Da die Beschwerdeführer mit den beispielhaft angeführten und weiteren gewichtigen Vorwürfen nicht konfrontiert wurden und zudem ein Dementi nur zu einzelnen Punkten wiedergegeben wurde, hat der «Sonntagsblick» mit der Publikation des Artikels vom 10. März 2002 das der «Erklärung» zugrundeliegende Fairnessprinzip verletzt.

b) Auch vor der Veröffentlichung des Folgeartikels vom 17. Februar 2002 («Vater Schnyder und seine Briefkastenfirmen») wurden die Beschwerdeführer vom «Sonntagsblick» kontaktiert. Diesmal wurden dem Vater von Patty Schnyder die im Artikel enthaltenen Vorwürfe zwar in wesentlich grösserem Umfang unterbreitet, doch fehlten in den Fragen wiederum zwei wesentliche Vorwürfe: Ausgerechnet diejenige Firma, über die die grössten Geldbeträge von Patty Schnyders Geld gelaufen sei, sei eigenartigerweise im August 2000 von Willy Schnyder liquidiert worden. Und: Mit einem anderen seiner Unternehmen sei Schnyder vor zwei Jahren in Basel wegen einem geplatzten Wechsel vor Gericht gestanden und habe dort die Abweisung der Klage erreicht. Willy Schnyder zeigte sich allerdings aufgrund des Artikels vom 10. Februar 2002 ohnehin nicht mehr bereit, die unterbreiteten Fragen zu beantworten und forderte die Redaktion stattdessen auf, folgende zwei Sätze abzudrucken: «Nachdem mich der ÐSonntagsblickð am 10. Februar auf der Frontseite als ÐTalibanð bezeichnet hat, bin ich nicht mehr bereit, Ihre Fragen zu beantworten. Dies umso mehr, als die Fragen private, finanzielle und juristische Angelegenheiten betreffen.» Im Artikel wurde er dann wie folgt zitiert: «Willy Schnyder wollte zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen.»

Auch wenn der «Sonntagsblick» nicht verpflichtet war, genau die von Willy Schnyder gewünschten beiden Sätze abzudrucken, wäre es zur Information Leserschaft und unter dem Gesichtspunkt der Fairness angezeigt gewesen, zumindest kurz anzugeben, weshalb Schnyder keine Stellung nehmen wollte. Und auch wenn es am Inhalt des Artikels schliesslich nichts geändert hätte, wäre «Sonntagsblick» zudem auch diesmal verpflichtet gewesen, dem Betroffenen sämtliche schweren Vorwürfe zur Stellungnahme zu unterbreiten. Im Ergebnis hat die Zeitung deshalb auch bei der Publikation des Artikels vom 17. Februar 2002 das berufsethische Fairnessprinzip durch eine unvollständige Anhörung und Wiedergabe der Stellungnahme des Betroffenen verletzt.

c) Vor Veröffentlichung des Artikels vom 10. März 2002 («Greenpeace attackiert Pattys Vater») sandte der «Sonntagsblick» am Freitag 8. März um 20.41 Uhr einen Fax mit verschiedenen Fragen an Willy Schnyder. Nachdem von Schnyder keine Antwort einging, schrieb die Zeitung am Schluss des Berichts: «Willy Schnyder wollte sich zu den Vorwürfen nicht äussern». Schnyder macht in seiner Beschwerde geltend, er sei am fraglichen Wochenende ortsabwesend gewesen, hätte aber wahrscheinlich so oder so nicht geantwortet.

Bezüglich der unterbreiteten Fragen ist auch hier nach dem Vergleich mit dem Artikel zu beanstanden, dass ganz wesentliche Vorwürfe («Ins Kreuzfeuer der Kritik gerät jetzt auch Willy Schnyder (…) «Er ist ein Hauptakteur beim Import von Tropenhölzern in der Schweiz»; Die TT Timber macht mit Holzhändlern in Afrika Geschäfte, die zu den schlimmsten Urwaldzerstörern gehören») in den per Fax unterbreiteten Fragen nicht oder zumindest nicht direkt vorkommen. Der Presserat hat zudem in der Stellungnahme 43/2001 i.S. Borer-Fielding c. «Schweizer Illustrierte» eine Verletzung des Fairnessprinzips bejaht, weil die «Schweizer Illustrierte» nicht sicherstellte, dass ein zur Autorisierung unterbreiteter Text von der Interviewten auch tatsächlich zur Kenntnis genommen werden konnte. Ebensowenig kann es aber angehen, dem berufsethischen Anhörungsprinzip pro forma durch Zusendung schriftlicher Fragen per Telefax Genüge zu tun, ohne gleichzeitig bei ausbleibender Antwort z.B. durch einen Telefonanruf sicherzustellen, dass der Fax vom Betroffenen innert nützlicher Frist zur Kenntnis genommen worden ist. Der «Sonntagsblick» hat deshalb auch hier die Anforderungen des berufsethischen Anhörungsprinzips nicht vollumfänglich erfüllt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. «Sonntagsblick» hat im Zusammenhang mit der Publikation von drei Medienberichten über die Beschwerdeführer vom 10. und 17. Februar sowie 10. März 2002 durch ungenügende Respektierung des Anhörungsprinzips vor der Veröffentlichung schwerer Vorwürfe mehrfach gegen das berufsethische Fairnessprinzip verstossen.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.