Nr. 46/2003
Weiterleitung eines E-Mails an Dritte

(X. c. «Neue Luzerner Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 15. Oktober 2003

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I. Sachverhalt

A. Mit undatierter Beschwerde wegen «Verletzung des Datenschutzgesetzes durch die ÐNeue Luzerner Zeitungð» (Eingang: 24. Juni 2003) gelangte X. an den Presserat. Er beschwerte sich darüber, dass eine Redaktorin der NLZ ein an sie gerichtetes E-Mail ohne sein Wissen an eine ihm unbekannte Drittperson weitergeleitet hatte. Diese habe ihm daraufhin ein «unter der Gürtellinie» liegendes Antwort-Mail gesandt.

B. Mit Schreiben vom 27. Juni 2003 machte der Presserat den Beschwerdeführer darauf aufmerksam, dass sich seine Zuständigkeit auf die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» samt den zugehörigen Richtlinien, nicht dagegen auf die Normen über den Datenschutz erstreckt.

C. In einer ergänzenden Beschwerdebegründung vom 30. Juni 2003 machte der Beschwerdeführer geltend, die NLZ habe die Ziffern 6 (Quellenschutz) und 7 (Persönlichkeitsschutz) der «Erklärung» sowie der dazugehörigen Richtlinien 6.1 und 7.1 verletzt.

D. In einer Stellungnahme vom 8. August 2003 beantragte die anwaltlich vertretene «Neue Luzerner Zeitung», die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf überhaupt einzutreten sei. Persönlich adressierte Schreiben an einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin hätten keinerlei Zusammenhang mit irgendeiner Pressepublikation und fielen mithin weder unter den Quellenschutz, noch unter das Redaktionsgeheimnis. Ebenso sei der Vorwurf der Verletzung der Privatsphäre unbegründet. Die Beschwerdegegnerin habe keinerlei Recherchen gegenüber dem Beschwerdeführer unternommen, sondern politische Vorgänge kommentiert.

E. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

F. Am 15. August 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium (Präsident Peter Studer und Vizepräsidenten Daniel Cornu sowie Esther Diener-Morscher) behandelt.

G. Am 16. August 2003 reichte der Beschwerdeführer eine «Replik» zur Beschwerdeantwort der NLZ ein.

H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 15. Oktober 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Presserat hat in der Stellungnahme 24/2001 i.S. B. c. «Zürichsee-Zeitung» darauf hingewiesen, dass Leserbriefe für die Öffentlichkeit bestimmt sind und dementsprechend dann an Dritte (z.B. zur Stellungnahme) weitergegeben werden dürfen, wenn diese Weitergabe im Zusammenhang mit der publizistischen Tätigkeit der Redaktion steht. Hingegen ist es unfair, einen Leserbrief an Dritte auszuhändigen, wenn dieser Zusammenhang fehlt.

2. Gemäss übereinstimmender Darstellung der Parteien war das den Ursprung der Auseinandersetzung bildende E-Mail des Beschwerdeführers an eine Redaktorin der NLZ nie als Leserbrief gedacht. Dementsprechend, könnte man auf den ersten Blick mit dem Beschwerdeführer argumentieren, hätte es von der Redaktion nicht ohne Einwilligung des Autors an einen Dritten weitergeleitet werden dürfen.

3. a) Geht es jedoch nicht um einen Leserbrief, ist vorab zu prüfen, ob überhaupt ein genügender Anknüpfungspunkt zur publizistischen Tätigkeit der Redaktion der Beschwerdegegnerin zu bejahen ist. Der Presserat hat in der Stellungnahme 8/2001 i.S. SVJ / SLJ c. J. festgehalten, dass sich die «Erklärung» in erster Linie auf die Recherche und Veröffentlichung von Informationen zu Handen des Publikums bezieht, weshalb er sich bei der Beurteilung redaktionsinterner Vorgänge zurückhält. In der Stellungnahme 34/2001 i.S. M. c. Edipresse hat der Presserat diesen Grundsatz verdeutlicht und ausgeführt, er äussere sich ausnahmsweise dann zu redaktionsinternen Vorgängen, wenn zumindest ein unmittelbarer Bezug zu einem veröffentlichten Medienbericht besteht.

b) Ein derart unmittelbarer Bezug zur publizistischen Tätigkeit ist vorliegend nicht gegeben. Der Briefschreiber hatte geglaubt, in der Redaktorin eine Person zu erkennen, die er als Kind einer befreundeten Familie vor langen Jahren getroffen hatte. Deshalb duzte er sie und wählte einen vertraulichen Ton für seine politisch-ideologischen Vorwürfe. Das legt zunächst eine sehr persönliche Wurzel der Demarche des Briefschreibers frei. Zwar hat die betroffene Redaktorin der NLZ das an sie persönlich gerichtete E-Mail von ihrer redaktionellen E-Mail-Adresse aus an eine Drittperson weitergeleitet. Die Empfängerin des Briefs war «not amused» – entweder weil sie sich an den persönlichen Kontakt von ehedem nicht oder ungern erinnerte; oder weil sie sich diese persönliche-publizistische Mischung der Kontatktnahme durch einen Unbekannten in Du-Form verbat und deshalb eine Bekannte um Rat fragen wollte.

Allerdings bezog sich das umstrittene E-Mail eben auch auf einen zuvor veröffentlichten Kommentar dieser Redaktorin. Die Weitergabe des E-Mails an eine Drittperson ist damit mindestens teilweise und mittelbar als redaktionsinterner Vorgang zu werten. Wegen der Du-Form konnte die Redaktorin diese Zuschrift zu Recht als persönliche Mitteilung werten; offensichtlich handelte es sich nicht um eine zur Publikation bestimmte Leserreaktion. Deshalb ist kein unmittelbarer publizistischer Anknüpfungspunkt gegeben, um den Presserat ausnahmsweise zu veranlassen, sich zu diesem redaktionsinternen Vorgang zu äussern. Die Zuständigkeit des Presserates erstreckt sich auf die Behandlung und Bearbeitung von Leserbriefen, nicht jedoch auf sämtliche interne und externe Korrespondenzen einer Reaktion. Das vom Beschwerdeführer gerügte Verhalten der Redaktorin wäre dementsprechend gegebenenfalls unter individualethischen Gesichtspunkten zu werten. Diese aber liegen ausserhalb der Berufsethik der Medienschaffenden, wie sie der Presserat versteht und in seiner Praxis anwendet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.