Nr. 33/2003
Redaktionelle Bearbeitung von Kolumnen

(X. c. «Tages-Anzeiger») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 25. Juli 2003

Drucken

I. Sachverhalt

A. Am 14. April 2003 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» eine Kolumne des SVP-Politikers Christoph Blocher mit dem Titel «Mitenand gaats schlächter». Darin prangerte der Autor die Vetternwirtschaft zwischen Politik und Wirtschaft an Beispielen von Politikern der «faulen Konkordanz aus FDP, CVP und SP» an. Neben zahlreichen weiteren Beispielen erwähnte Blocher darin unter dem Untertitel «die Ðsozialenð Profiteure» auch das Beispiel des Zürcher Kantonsrats X. Dieser «sass bequemerweise in der Bildungskommission und hatte so Gewähr für immer neue Staatsaufträge für seine private Schulungsfirma».

B. Am 15. April 2003 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» unter dem Titel «X. kontert Blocher» eine Entgegnung von X.. Dieser habe die Behauptung von Christoph Blocher als «Verleumdung» bezeichnet. Er habe als Mitglied der Bildungskommission «nie einen Staatsauftrag erhalten».

C. Am 17. April 2003 erschien im «Tages-Anzeiger» ein weiterer Bericht zum Thema («Blocher verunglimpft einen Schulreformer»). X. lege korrekt dar, dass er als Mitglied der Bildungskommission keinen einzigen Staatsauftrag bekommen habe. In seiner 11-jährigen Amtszeit als Kantonsrat habe er nur einen Staatsauftrag im Jahr 1997 angenommen. Damals habe es die Bildungskommission noch nicht gegeben.

Auf Nachfrage des «Tages-Anzeigers» habe Christoph Blocher seine Aussage korrigiert. Selbstverständlich habe er nicht nur die Bildungskommission gemeint, sondern sämtliche Spezialkommissionen aus früheren Zeiten, die sich mit Schulfragen beschäftigten und denen X. immer angehört habe.

Der Artikel gibt zudem weitere Vorwürfe und Gegenvorwürfe der Kontrahenten wieder. Auf der Frontseite der gleichen Ausgabe erschien zudem als Anreisser: «Christoph Blochers unbelegter Vorwurf (…) Der Vorwurf ist falsch, wie Blocher nun selber einräumen muss.»

D. Am 19. April 2003 druckte der «Tages-Anzeiger» eine Gegendarstellung von Christoph Blocher ab, er halte «vollumfänglich an allen im Artikel ÐMitenand gahts schlächterÐ erhobenen Aussagen fest, auch an jenen über den Zürcher Bildungspolitiker X.».

E. Am 25. April 2003 druckte die NZZ die Kolumne «Mitenand gahts schlächter» als Anzeige ab. Gleichentags berichtete die Zeitung unter dem Titel «Streit um angebliche ÐStaatsaufträgeð und dem Untertitel »Anmerkungen zum neuen Blocher-Inserat», dass Blochers im Inserat erhobene Behauptung laut X. vollkommen falsch sei.

F. Mit Beschwerde vom 6. Mai 2003 erhob X. Beschwerde beim Presserat. Er rügte, mit der Veröffentlichung der Kolumne vom 14. April 2003 hätten Autor und Redaktion die Wahrheits- und die Berichtigungspflicht verletzt. Christoph Blocher habe mit der Verbreitung der Lüge, der Beschwerdeführer habe als Bildungspolitiker von Bildungsaufträgen der Erziehungsdirektion profitiert, politischen Rufmord begangen. Die Vorgeschichte sei zudem auch mehreren Mitgliedern der Redaktion des «Tages-Anzeigers» bekannt gewesen, was aber zu keinen Rückfragen von dieser Seite geführt habe. Und obwohl Christoph Blocher den Wahrheitsbeweis auch nicht ansatzweise habe erbringen können, habe er die schwere Verleumdung ohne jede moralische Hemmung weitergezogen.

G. In seiner Beschwerdeantwort vom 3. Juni 2003 beantragte der Rechtsdienst der Tamedia AG, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit diese die Redaktion des «Tages-Anzeigers» betreffe. Der in der beanstandeten Tribüne enthaltene, gegenüber dem Beschwerdeführer erhobene Vorwurf sei nicht derart schwer, aber auch nicht derart offensichtlich gewesen, dass eine Nachprüfung oder Korrektur durch die Redaktion erforderlich gewesen wäre. Mit der Veröffentlichung der Notiz mit der Überschrift «X. kontert Blocher» und des Artikels «Blocher verunglimpft Schulreformer» einschliesslich dem Anriss auf der Titelseite «Christoph Blochers unbelegter Vorwurf» habe die Redaktion des «Tages-Anzeigers» der Berichtigungspflicht mehr als Genüge getan.

H. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

G. Am 10. Juni 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt.

H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 25. Juli 2003 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Jounalistinnen und Journalisten» richtet sich als berufsethischer Kodex ausschliesslich an Berufsjournalist/innen, nicht jedoch an Autoren von Leserbriefen, Kolumnen und weiterer in Medien veröffentlichter Beiträge von Nichtjournalisten. Soweit sich die Beschwerde gegen Christoph Blocher als Nichtjournalisten und Autor der beanstandeten Kolumne richtet, kann der Presserat deshalb nicht darauf eintreten.

2. Der Presserat hat in seiner Stellungnahme 43/2000 i.S. DJL c. «Anzeiger Luzern» unter Hinweis auf die Analogie zur Bearbeitung von Leserbriefen und die Stellungnahme 9/1991 i.S. CVP-Frauen Schweiz c. «Le Temps» hingegen festgehalten, dass die Redaktionen berufsethisch auch für den Abdruck von Kolumnen verantwortlich sind. Dies unabhängig davon, ob diese von Berufsjournalist/innen oder von Nichtjournalist/innen stammen. «Auch wenn es der Sinn von Kolumnen ist, dass sie originelle, authentische, auch von der Redaktion abweichende Stimmen in ein Medium einbringen, hat die Redaktion dennoch dafür zu sorgen, dass sich auch diese Texte innerhalb der fundamentalen journalistischen Standards bewegen.» Analog zur Bearbeitung von Leserbriefen beschränkt sich die Prüfungspflicht der Redaktion allerdings auch bei Kolumnen und weiteren redaktionsexternen Texten von Nichtjournalisten auf offensichtliche Verstösse gegen berufsethische Normen. Nicht zuletzt soll ja der Diskurs zwischen Leserschaft und Redaktion im Blatt erleichtert werden.

3. a) Damit stellt sich die Frage, ob die Redaktion ihre nachträgliche Feststellung, wonach Christoph Blochers Vorwürfe gegenüber dem Beschwerdeführer unbelegt seien, bereits bei einer auf eine offensichtliche Verletzung der Wahrheitspflicht beschränkten Prüfung vor Veröffentlich der beanstandeten Kolumne hätte machen müssen.

b) Der Beschwerdeführer bejaht dies mit dem Hinweis darauf, dass mehrere Redaktor/innen des «Tages-Anzeigers» mit den Spezialgebieten Bildungspolitik, Standortförderung im Knonaueramt und Hauseigentümerfragen die Vorgeschichte des Vorwurfs von Christoph Blocher gekannt hätten und diesen von vornherein hätten widerlegen können.

c) Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, die in den entsprechenden Sachbereichen tätigen Redaktor/innen wirkten bei der Bearbeitung von «Tribune-Beiträgen» nicht mit. Es sei nicht Aufgabe der Redaktion, bei solchen Beiträgen eine bis zu Einzelheiten reichende Vorkontrolle des Wahrheitsgehaltes des publizierten Inhaltes vorzunehmen. Doch werde auch hier korrigiert, was für einen Durchschnittsredaktor – nicht einen Spezialisten – als falsch, rassistisch, diskriminierend oder ehrverletzend erscheine. Eine solche ersichtliche Widerrechtlichkeit habe der vom Beschwerdeführer beanstandete Passus nicht enthalten. Zudem sei der dem gegenüber dem Beschwerdeführer erhobene Vorwurf nicht besonders schwer und stelle jedenfalls kein strafbares Verhalten dar.

d) Wie ist die Relevanz des in der «Tribüne» gegenüber X. geäusserten Vorwurfs zu bewerten? Dafür gilt es insbesondere auch dessen Stellung innerhalb des Textes zu berücksichtigen. Der Satz «Kantonsrat X. sass bequemerweise in der Bildungskommission und hatte so Gewähr für immer neue Staatsaufträge für seine private Schulungsfirma»
steht fast am Ende einer langen Reihe von Vorwürfen, die für die Leserschaft nicht näher belegt und damit von vornherein mit Vorsicht zu geniessen sind. Zudem ist der Autor des Satzes ein landesweit bekannter, häufig scharf und äusserst pointiert argumentierender Politiker. Den Leserinnen und Lesern des «Tages-Anzeigers» dürfte damit von vornherein klar gewesen sein, dass der «Tribünen»-Autor zwar die Grundaussage ernst meinte, ohne dass deshalb jedes behauptete Sachverhaltsdetail auf die Goldwaage zu legen wäre.

Unter diesen Umständen kann der Redaktion kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie den beanstandeten Satz bei einer eingeschränkten Prüfung der Wahrheitspflicht nicht als offensichtlich unwahr erkannte und – nach vorgängiger Rücksprache mit dem Autor – überarbeitete. Denn der Beschwerdeführer war unbestrittenermassen sowohl in der kantonalen Bildungspolitik wie auch im Bildungswesen selber tätig. Deshalb erscheint eine Überschneidung dieser Tätigkeiten eines Milizpolitikers a priori weder als überraschend noch ehrenrührig, solange sich der Beschwerdeführer nicht in fragwürdiger Weise hat Staatsaufträge zuschanzen lassen. Solches deutet Christoph Blocher zwar in unterschwelliger Weise an; er vermag aber auch nicht annähernd zu erklären, wie X. dies allein schon aufgrund seiner blossen Zugehörigkeit zu einer aktuellen oder früheren parlamentarischen Kommission bewirkt hätte. Eine Verletzung von Ausstandsregeln behauptet Blocher jedenfalls nicht.

4. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus eine Verletzung der Berichtigungspflicht geltend macht, richtet sich sein Vorwurf in erkennbarer Weise in erster Linie gegen Christoph Blocher, der wider besseres Wissen unverrückt an seiner falschen Sachverhaltsdarstellung festgehalten habe. Wie oben unter Ziffer 1 ausgeführt, tritt der Presserat auf die gegen Christoph Blocher gerichteten Rügen nicht ein. Soweit sich der Vorwurf der Verletzung der Berichtigungspflicht darüber hinaus auch gegen den «Tages-Anzeiger» richten sollte, ginge dieser offensichtlich fehl. Denn spätestens mit dem Titel «Christoph Blochers unbelegte Vorwürfe» und der entsprechenden Meldung hat der «Tages-Anzeiger» seine Leserschaft vollständig über den Standpunkt des Beschwerdeführers orientiert.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.