I. Sachverhalt
A. In der Ausgabe Nr. 42 vom 15. Oktober 2004 veröffentlichte «Tachles» einen Artikel mit dem Titel «Ein Pakt mit dem Teufel?». Der Bericht enthielt eine kritische Vorschau auf eine für den 24. Oktober 2004 in Basel angekündigte «Pro-Israel-Kundgebung» der Organisation «Forum für Israel». Die «offiziellen jüdischen und christlich-jüdischen Organisationen» stünden sowohl dem «nicht transparenten» «Forum für Israel» wie der von diesem ohne «offizielle Information und Mitarbeit der Dachorganisationen der Schweizer Juden» organisierten Kundgebung kritisch gegenüber. Im Umfeld des «Forum für Israel» tummelten sich «durchaus religiöse und fundamentalistische Personen», auch solche aus dem Kreis von Pro-Israel-Christen, die sich zur Judenmission bekennen würden. Solches lasse das unverfängliche Leitbild des Forums in keiner Weise erkennen.
B. In der gleichen Ausgabe von «Tachles» erschien ein Essay des Historikers und Publizisten Ernst Ludwig Ehrlich. Der Text mit dem Titel «Wahre Israelfreunde?» weist auf die aus Sicht des Autors nicht unproblematische proisraelische Haltung von «evangelischen Freikirchen (hin), die ihre Freundschaft zu Israel aus den biblischen Verheissungen begründen (…) So ist unser Verhältnis zu diesen evangelischen Freikirchen gespalten. Wir freuen uns über ihre Liebe zu Israel, ihren Glauben an die Verheissungen, ihren Umgang mit der hebräischen Bibel, aber wir können nicht akzeptieren, dass daraus Politik entsteht.»
C. In der darauffolgenden Ausgabe vom 22. Oktober 2005 veröffentlichte «Tachles» einen Leserbrief des evangelischen Pfarrers Hans Rudolf Helbling, dem ehemaligen Präsidenten der christlich-jüdischen Arbeitsgemeinschaft Bern. Dieser äusserte sich zustimmend zu den beiden in der Vorwoche erschienenen Beiträgen: «Endlich wurde es so deutlich gesagt: Nicht alle, die sich als ÐFreunde Israels und des Judentumsð bezeichnen, sind es wirklich (…) Meine Vision ist aufrichtiger Dialog zwischen Juden und Christen. Das ÐForum für Israelð jedoch will nicht Verständigung, sondern das Kommen der Endzeit beschleunigen: Je eher alle (oder möglichst) viele Juden in Israel sind, desto eher kommt ihr Herr Jesus. Und bekehrt die Juden, die es bis dahin noch nicht begriffen haben. Meine Meinung: Nicht unbedingt gute Partner, weil ihre wirklichen Ziele hinter der postulierten Unterstützung Israels nicht sichtbar sind.»
D. Am 9. November 2004 reichte das «Forum für Israel» beim Presserat Beschwerde gegen die Publikation des Leserbriefs von Hans Rudolf Helbling ein. Mit der Publikation der «in globo an Wirklichkeitsferne, Absurdität und Perfidie gegen engagierte Israelfreunde» nicht zu überbietenden, «diffamierenden» Vorwürfe habe der Chefredaktor von «Tachles», Yves Kugelmann, gegen die grosszügig auszulegenden Regeln für die Behandlung von Leserbriefen verstossen. Zumal der Chefredaktor «diese krassen Verleumdungen aufgrund seines Wissens und Backgrounds klar erkannt haben muss und deshalb wider besseres Wissen gehandelt hat». Damit habe Yves Kugelmann gegen die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagung wichtiger Informationen) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.
E. Mit Stellungnahme vom 3. Januar 2005 beantragte Yves Kugelmann namens der Redaktion «Tachles», die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Der kritische Leserbrief von Hans Rudolf Helbling habe keine Verleumdungen enthalten. «Er beanstandet zu Recht, was aufgrund der Fakten und Tatsachen manifest ist.» Wenn Mitglieder des «Forums für Israel» Judenmission oder Endzeittheorien vertreten hätten, stehe diese Organisation als Ganzes in der Kritik. «Denn wer vorgibt, für Israel und gegen Antisemitismus zu kämpfen, selbst aber in den eigenen Reihen judenfeindliche Anschauungen oder Handlungen zulässt, der muss sich dieser Kritik stellen.» Angesichts der unklaren Rechtsform sei schliesslich fraglich, ob das «Forum für Israel» als solches überhaupt zu einer Beschwerde an den Presserat legitimiert sei.
F. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.
G. Das Presseratspräsidium bestehend aus dem Presseratspräsidenten Peter Studer und den beiden Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher hat die vorliegende Stellungnahme per 17. Juni 2005 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Gemäss Art. 6 Abs. 1 des Geschäftsreglements des Presserates ist jedermann zur Beschwerde legitimiert. Laut der Beschwerdeschrift vom 9. November 2004 erhebt Kathy Malka Beschwerde als Mitglied des Vorstandes und im Namen des «Forum für Israel». Selbst wenn es sich beim «Forum für Israel», wie dies der Chefredaktor von «Tachles» geltend macht, nicht um einen Verein oder eine andere juristische Person handeln sollte, wären auch die «Mitglieder» dieser Gruppierung und insbesondere auch die Unterzeichnende Kathy Malka zumindest je einzeln zur Beschwerde legitimiert. Ebenso wären sie berechtigt, Frau Malka stellvertretend für sie mit der Einreichung einer Beschwerde zu beauftragen. Unter diesen Umständen spricht in einem nicht formstrengen Verfahren wie dem Beschwerdeverfahren vor dem Presserat nichts dagegen, die Beschwerde vom 9. November 2004 wie von Frau Malka deklariert, ungeachtet der Rechtsform dieser Organisation als solche des «Forum für Israel» zu behandeln und entsprechend darauf einzutreten.
2. Gegenstand der Beschwerde ist ausgehend von der Eingabe vom 9. November 2004 ausschliesslich der Abdruck des Leserbriefes von Hans Rudolf Helbling, nicht dagegen die eine Woche zuvor erschienenen Texte von Yves Kugelmann («Ein Pakt mit dem Teufel?») und Ernst Ludwig Ehrlich («Wahre Israelfreunde?»).
3. Gemäss der Richtlinie 5.2 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» gelten berufsethische Normen auch für die Veröffentlichung von Leserbriefen. Die redaktionelle Kürzung eines Leserbriefs ist notwendig, wenn dadurch die Veröffentlichung ehrverletzender Passagen verhindert wird (Stellungnahme 23/99). Um der Meinungsfreiheit einen möglichst grossen Spielraum zu geben, sollten Redaktionen jedoch nur bei offensichtlichen Verletzungen der «Erklärung» redigierend eingreifen (Stellungnahmen 9 und 24/2000).
4. Das «Forum für Israel» behauptet pauschal, die im Leserbrief erhobenen «diffamierenden» Vorwürfe seien an «Wirklichkeitsferne, Absurdität und Perfidie gegen engagierte Israelfreunde nicht zu überbieten». Auch bei grosszügiger Auslegung der Regeln über den Abdruck von Leserbriefen hätte «Tachles-Chefredaktor» Yves Kugelmann den Leserbrief von Hans Rudolf Helbling nicht abdrucken dürfen, zumal er die «krassen Verleumdungen aufgrund seines Wissens und Backgrounds klar erkannt haben muss». Die beschwerdeführende Organisation legt jedoch nicht dar, welche der im Artikel enthaltenen Vorwürfe diffamierend, wirklichkeitsfern, absurd und perfid sein sollen. Ausgehend vom Leserbrief von Hans Rudolf Helbling ist zu vermuten, dass insbesondere der letzte Abschnitt seines Textes beanstandet wird, der folgende Aussagen über das «Forum für Israel» macht: «Das ÐForum für Israelð jedoch will nicht Verständigung, sondern das Kommen der Endzeit beschleunigen: Je eher alle (oder möglichst) viele Juden in Israel sind, desto eher kommt ihr Herr Jesus. Und bekehrt die Juden, die es bis dahin noch nicht begriffen haben. Meine Meinung: Nicht unbedingt gute Partner, weil ihre wirklichen Ziele hinter der postulierten Unterstützung Israels nicht sichtbar sind.»
5. Aufgrund der vorliegenden Akten und den Ausf
ührungen der Parteien ist festzustellen, dass zwischen diesen umstritten ist, ob das «Forum für Israel» oder einzelne Exponenten dieser Organisation die Judenmission befürworten und Endzeittheorien vertreten. Der Presserat kann im Rahmen seines Verfahrens derartige Fragen nicht klären. Immerhin wurde in den beiden in der Ausgabe vom 15. Oktober 2004 erschienenen, von der Beschwerde des «Forum für Israel» jedoch nicht erfassten Texten praktisch die identische Kritik geäussert. Laut dem Artikel von Yves Kugelmann mit dem Titel «Ein Pakt mit dem Teufel?» bestätigte zudem die «reformierte Bernerin Annemarie Lanz», die offenbar zu den Organisatoren der kritisierten Basler Kundgebung vom Oktober 2004 gehörte, dass sich im Umfeld des «Forum für Israel» sich offen zur Judenmission bekennende Mitglieder bewegten. Das «Forum für Israel» hat diese Bestätigung im Zusammenhang mit der vorliegenden Beschwerde nicht als unwahr beanstandet.
Nun kann allein aus der Haltung einzelner Mitglieder nicht unbedingt auf diejenige der Gesamtorganisation geschlossen werden. Insofern wäre es präziser gewesen, wenn auch der Leserbrief von Hans-Rudolf Helbling den Vorwurf der Judenmission und der Befürwortung von Endzeittheorien nicht pauschal gegenüber dem «Forum für Israel» erhoben, sondern wie der Artikel von Yves Kugelmann vielmehr differenzierter kritisiert hätte, dass sich diese Organisation nicht oder zu wenig deutlich von solchen Exponenten abgrenzT. Allein aus dieser Unschärfe kann aber nach Auffassung des Presserates nicht abgeleitet werden, dass die Redaktion von «Tachles» den Leserbrief zwingend als offensichtlich unwahr oder diffamierend hätte zurückweisen oder die fragliche Passage zumindest redaktionell hätte bearbeiten müssen.
III. Feststellung
Die Beschwerde wird abgewiesen.