Nr. 23/2007
Veröffentlichung unbelegter Vorwürfe

(Bauer c. «Tages-Anzeiger») Stellungnahme des Presserates vom 11. Mai 2007

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Zusammenfassung

Resumé

Riassunto

I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «In Bern wäscht eine Hand die andere» veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» am 24. Oktober 2006 einen Artikel von René Staubli zur Vergabe von Studien- und Beratungs-Aufträgen durch den Bund an private Firmen. Der Lead lautet: «700 Millionen Franken gibt der Bund pro Jahr für Berater und externe Studien aus. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, warum die Berner Auftragsmaschinerie läuft wie geschmiert.» Illustriert ist der Bericht mit einer Karikatur, welche die im Titel suggerierten Verflechtungen aufnimmt. Sie zeigt eine Dame an einem Pult ihres «Beratungsbüros», der ein Vertreter des Bundes gegenübersitzt. Der Dame wird folgende Aussage in den Mund gelegt: «Wir kriegen also von Euch den Auftrag für eine externe Studie über personelle Verflechtungen bei der Vergabe von externen Studien …». Der Herr antwortet: «Genau, Liebling.» Ausgangspunkt des Artikels bildete ein zuvor von der Geschäftsprüfungskommission des Ständerates veröffentlichter Bericht, der beklagt hatte, der Bund gebe jährlich 700 Millionen für externe Berater und Studien aus und pflege ein «eigentliches Hoflieferantentum». Ein Anriss auf der Frontseite des «Tages-Anzeigers» fasst dies im Titel «Den ‹Hoflieferanten› geht es gut in Bern» zusammen.

Am Beispiel des Büros für Arbeits- und Sozialpolitische Studien (BASS) lasse sich zeigen, behauptet der Text, wie die Mechanismen bei der Vergabe von Studienaufträgen und Mandaten spielten. Es gebe zwischen dem Bund und den Studienlieferanten oft enge personelle Verflechtungen. Folgendes Beispiel sei typisch: «Tobias Bauer (…) hatte beim Biga gearbeitet (…) 1992 machte er sich selbstständig und gründete das Büro BASS (…) Anfang 2004 wechselte er zurück zum Bund: genauer zur Eidgenössischen Finanzkontrolle. Bauer sitzt aber weiterhin im Beirat von BASS. (…) Auf dem Hintergrund dieser Verflechtung erscheint folgender Vorgang in einem speziellen Licht: Im September 2004 publizierte die Finanzkontrolle, bei der Bauer damals bereits angestellt war, einen Bericht zum Thema berufliche Vorsorge (…) Die Behörde empfahl dringend, die mangelhaften statistischen Grundlagen aufzuarbeiten. Einige Zeit später lieferte das Büro BASS, wo Bauer im Beirat sitzt, im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherung eine entsprechende Studie zur 3. Säule ab. Der BASS-Beirat Tobias Bauer bestreitet, dass der Bundesangestellte Bauer im Hintergrund die Weichen für diesen Auftrag gestellt hat. ‹Das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun.› Er trenne die beiden Funktionen klar, da habe er ein extremes Bewusstsein.» Auffällig sei auch, wie oft die Bundesämter mit themenverwandten Aufträgen bei den gleichen Büros landeten. Das färbe auch auf die politischen Entscheidungsprozesse ab. Vom Büro BASS zum Beispiel wisse man, dass es der SP nahe stehe. Der Artikel lässt neben Tobias Bauer auch die BASS-Geschäftsführerin Heidi Stutz ausführlich zu Wort kommen. Bauer bestreitet jede Verbandelung, er stelle keine Weichen im Hintergrund, im übrigen sei BASS nur ein kleiner Fisch im Studienteich von Bundesbern. Auch die Geschäftsführerin betont, dass ihr Büro Aufträge nur nach qualifizierten Ausschreibungen bekomme. Das zunehmende Knowhow eines Beratungsbüros ebenso wie die guten Erfahrungen des Bundes würden logischerweise zu Folgeaufträgen an die thematisch spezialisierten Firmen führen.

B. Am 26. Oktober 2006 erschien im «Tages-Anzeiger» ein Leserbrief von Heidi Stutz mit dem Titel «Filzübung am falschen Objekt». Sie weist darauf hin, dass ein Büro mit 12 (Teilzeit-)Angestellten bei insgesamt acht Vollstellen kaum gross genug sei, um die gesamte Bundesverwaltung zu manipulieren. Tobias Bauer sei kein Fadenzieher im Hintergrund und habe als Beirat von BASS keinerlei relevante Geschäftsbeziehungen mehr zu ihrem Büro.

C. Am 10. November 2007 reichte Tobias Bauer eine Beschwerde beim Presserat ein. Der Artikel vom 24. Oktober 2006 unterstelle mit mangelhaften Informationen sowohl dem Büro BASS wie ihm persönlich unlautere Verhaltensweisen. Er erwecke den Eindruck, «dass ich meine Stelle bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) missbrauche, um dem Büro BASS Aufträge zuzuschanzen und – mit dem Bild der einen und andern Hand – um davon auch selbst wieder zu profitieren.» Dieser sachlich falsche Angriff sei ehrverletzend und schädige ihn in seinem beruflichen Umfeld. Weitere Zeitungen hätten die Vorwürfe des «Tages-Anzeigers» bereits kolportiert. Wer in Zukunft zum Thema Filz im Bundeshaus recherchiere, werde zu Unrecht immer auf die Namen BASS und Bauer stossen.

Der Artikel verletze insbesondere die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Unterschlagung / Entstellung von Informationen). «Die Grundproblematik liegt darin, dass René Staubli eine potentiell heikle Konstellation – ein früheres Mitglied eines Forschungsbüros hat in die Bundesverwaltung gewechselt und könnte dort allenfalls versuchen, dem Forschungsbüro Aufträge zuzuhalten – als bewiesene Tatsache darstellt und sich keinerlei Mühe macht, die wahren Verhältnisse abzuklären». Im Gegensatz zu den insinuierten Verflechtungen habe das Büro BASS von der EFK nur zweimal Aufträge im Umfang von je 5000 Franken erhalten und zwar vor seinem, Bauers, Stellenantritt. Seither sei es ein einziges Mal zu einer Offertstellung eingeladen worden, der Zuschlag aber an die Konkurrenz gegangen. Schliesslich erweise sich das einzige im Bericht aufgeführte Beispiel einer scheinbaren Mauschelei als besonders absurd. Weder mit der Studie der Finanzkontrolle zum Thema Berufliche Vorsorge, noch mit der späteren Studie des Bundesamts für Sozialversicherung habe er je das Geringste zu tun gehabt.

D. Am 29. Januar 2007 beantragte die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion des «Tages-Anzeigers», die Beschwerde sei abzuweisen. Der Artikel unterstelle dem Beschwerdeführer keine unlauteren Machenschaften, sondern zeige nur an einem Beispiel auf, wie die «Berner Auftragsmaschinerie» laufe. Tobias Bauer bestreite die beruflichen Veränderungen nicht, die zu dieser potentiell heiklen Konstellation geführt hätten. Es sei im Artikel aber weder von Bestechung noch Korruption die Rede, nicht einmal von Filz. Der Bericht stelle lediglich die personelle Verflechtung des Beschwerdeführers dar, ohne zu behaupten oder auch nur anzudeuten, dass er versucht habe, dem Forschungsbüro BASS konkret Aufträge zuzuhalten. Ausserdem sei der BF ausführlich zu Wort gekommen, ebenso der Leserbrief des Büro BASS abgedruckt worden.

E. Am 6. März 2007 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde würde der 1. Kammer zugewiesen, der Peter Studer (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Kathrin Lüthi, Philip Kübler, Edy Salmina und Francesca Snider (Mitglieder) angehören.

F. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung 11. Mai 2007 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Ziffer 3 der «Erklärung» verbietet den Journalistinnen und Journalisten, wichtige Elemente von Informationen zu unterschlagen und Tatsachen und von anderen geäusserte Meinungen zu entstellen. Ebenso sind unbestätigte Meldungen als solche zu bezeichnen. Die Richtlinie 3.8 auferlegt den Medienschaffenden zudem die Pflicht, die Betroffenen vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören und ihre Stellungnahme im Medienbericht zumindest kurz und fair wiederzugeben.

2. a) Es ist berufsethisch zulässig, die beruflichen Wechsel von Tobias Bauer von der Bundesverwaltung zum Büro BASS und wieder zurück im Zusammenhang mit dem Thema Vergabe von Beratungsaufträgen und externen Studien durch den Bund kritisch zu beleuchten. Räumt doch auch der Beschwerdeführer ein, das
s die durch die Stellenwechsel geschaffene Konstellation potentiell problematisch sein könnte.

b) Wer wie René Staubli im «Tages-Anzeiger» diesen potentiellen Interessenkonflikt anhand eines konkreten Beispiels beleuchten will, darf sich jedoch im Lichte von Ziffer 3 der «Erklärung» nicht damit begnügen, ohne weitere Recherche und Überprüfung den potentiellen Interessenkonflikt und theoretisch denkbaren Missbrauch einer beruflichen Stellung im Einzelfall als These oder doch zumindest als Möglichkeit in den Raum zu stellen und dazu bloss ein generelles Dementi des Betroffenen abzudrucken. Denn entgegen der Auffassung des «Tages-Anzeigers», wonach der Bericht weder behaupte oder auch nur andeute, dass Tobias Bauer versucht hätte, dem Forschungsbüro konkret Aufträge des Bundes zuzuhalten, erhält der Presserat bei unvoreingenommener Lektüre des gesamten Berichts einen anderen Eindruck.

Ausgangspunkt des Berichts ist die Beanstandung der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats, wonach bei der Vergabe von externen Mandaten durch den Bund «ein eigentliches Hoflieferantentum» existiere. Der Titel «In Bern wäscht eine Hand die andere», der letzte Satz des Leads «Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, warum die Berner Auftragsmaschinerie läuft wie geschmiert» sowie die Illustration suggerieren den Leserinnen und Lesern geradezu, dass die berufliche Konstellation des Beschwerdeführers nicht nur theoretisch problematisch sein könnte, sondern vielmehr, dass er in seiner beruflichen Tätigkeit für den Bund dem Büro BASS möglicherweise Aufträge zugeschanzt hat.

Diesen – jedenfalls aufgrund der verfügbaren Informationen – unzulässigen Schluss legt insbesondere das einzige im Artikel genannte konkrete Beispiel nahe. Die geschilderte Abfolge vom 2004 publizierten Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle zum Thema berufliche Vorsorge zur späteren, ergänzenden Studie des Bundesamts für Sozialversicherung zur 3. Säule suggeriert geradezu, dass der Beschwerdeführer – selbst wenn er dies dementiert – hier seine Hand im Spiel hatte. Die Leserschaft, die über die näheren Umstände nicht informiert ist, wird gerade auch durch sprachliche Formulierungen wie «Der BASS-Beirat Tobias Bauer bestreitet, dass der Bundesangestellte Bauer im Hintergrund die Weichen gestellt hat » nahe gelegt, dass es sich in Tat und Wahrheit wahrscheinlich doch anders verhalten hat.

Damit geht der Bericht von der These eines möglichen Missbrauchs der amtlichen Stellung des Beschwerdeführers aus, ohne diese – was gerade auch im Interesse der Leserschaft liegen würde – durch weitere Recherchen zu überprüfen. Die Insinuation möglicher Ungereimtheiten bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen richtet sich zudem nicht nur gegen Tobias Bauer und das Büro BASS, sondern auch gegen die Eidgenössische Finanzkontrolle und das Bundesamt für Sozialversicherungen. Deshalb wäre es angezeigt gewesen, zumindest auch diese beiden Stellen vor der Veröffentlichung mit der These zu konfrontieren und eine Stellungnahme zu dieser konkreten Auftragsvergabe einzuholen (vgl. hierzu auch die Stellungnahme 39/2000). Mit der Unterlassung dieser berufsethisch gebotenen Überprüfung von Informationen hat der «Tages-Anzeiger» die Ziffer 3 der «Erklärung» durch die Veröffentlichung eines unbelegten Vorwurfs verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Der «Tages-Anzeiger» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «In Bern wäscht eine Hand die andere» Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Veröffentlichung unbelegter Vorwürfe) verletzt. Der Autor wäre zumindest verpflichtet gewesen, den bei einer Auftragsvergabe des Bundesamts für Sozialversicherung an das Büro BASS als These in den Raum gestellten Vorwurf eines möglichen Missbrauchs der amtlichen Stellung des Beschwerdeführers durch weitere Recherchen abzuklären und zumindest auch eine Stellungnahme der betroffenen Amtsstellen einzuholen.

Zusammenfassung

Resumé

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