Nr. 17/2007
Anhörung bei schweren Vorwürfen / Unterschlagung und Entstellung von Meinungsäusserungen

(Waldwirtschaft Schweiz c. «Bilanz») Stellungnahme des Presserates vom 25. Mai 2007

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I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «Verborgene Schätze» berichtete die «Bilanz» in der Ausgabe 14/2006 vom 30. August 2006 über die aktuellen Entwicklungen in der schweizerischen Holzwirtschaft. Der Lead des Artikels von Urs Kern lautete: «Über Jahre zog es die Forstwirtschaft vor, Staatsgelder statt den einzigen Rohstoff der Schweiz zu ernten. Doch die Globalisierung bricht nun auch in die Holzindustrie ein und wirbelt sie ganz durcheinander.»

Die kleinräumigen, zersplitterten Besitzverhältnisse und die jahrzehntelange Subvention mit Milliardenbeiträgen hätten bis anhin eine rentable Bewirtschaftung des Waldes verhindert. Der abtretende Berner SVP-Präsident und Nationalrat Hermann Weyeneth wird darin zitiert, «diese verdammten Subventionen haben unsere Waldwirtschaft zu Grunde gerichtet». Weyeneth habe «all seine Macht und seine Beziehungen ins Spiel gebracht, damit der österreichische Unternehmer Andreas Kogler in Luterbach eine Grosssägerei bauen darf». «Das neue Holzverarbeitungszentrum (HVZ) auf dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik Attisholz im solothurnischen Luterbach wird 140 Millionen Franken kosten, 200 Leute im Drei-Schicht-Betrieb beschäftigen und eine Million Kubikmeter Holz verarbeiten. Das ist ein Viertel der Einschneidekapazitäten aller Schweizer Sägereien zusammen. Für Weyeneth wären solche Grosssägereien die beste Kur, damit der Rohstoff Holz auch in der Schweiz besser genutzt wird. Doch er machte die Rechnung ohne die mächtige Lobby der Schweizer Holzwirtschaft. Unter Führung von Hansruedi Streiff, dem Direktor des Schweizer Holzverbandes, formierte sich prompt eine breite Allianz gegen Weyeneth und das neue Holzverarbeitungszentrum. Denn nicht nur die Waldwirtschaft, sondern auch die Sägereibranche steckt in der tiefsten Strukturkrise ihrer Geschichte. Jahr für Jahr schalten rund 20 Betriebe ihre Maschinen ab (…) Eine Grosssägerei wie diejenige in Luterbach wäre das Ende für die meisten von ihnen. (…) Kein Wunder wurden Weyeneth und sein österreichischer Sägereiunternehmer von Anfang an von der konservativen Holzwirtschaft und ihren Verbänden mit allen Mitteln bekämpft. (…) ‹Die geplante Kapazität in Luterbach ist viel zu gross›, gibt Sägerei-Lobbyist Streiff zu bedenken und weist auf eine ‹dramatische Zuspitzung der Versorgungslage› hin, auf eine ‹Überhitzung der Nachfrage nach Holz› (…) Weyeneth ist überzeugt, dass vor allem Streiff und seine Verbündeten vom Dachverband Waldwirtschaft schuld sind, dass dem geplanten Holzverarbeitungszentrum immer wieder Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. ‹Da ist eine Allianz von Verhinderern am Werk›, wettert er, ‹das Sägereikartell hat sich mit dem Dachverband Waldwirtschaft und seinen subventionierten Forstdiensten verbandelt, und diese wiederum haben viele ängstliche Waldbesitzer auf ihre Seite gezogen!›»

B. Am 5. Oktober 2006 gelangte der Verband Waldwirtschaft Schweiz mit einer Beschwerde gegen den obengenannten Bericht der «Bilanz» an den Presserat. Der Text enthalte in Form von direkten und indirekten Zitaten von Hermann Weyeneth schwerwiegende Vorwürfe an den Verband, ohne dass der Autor dem Beschwerdeführer die Gelegenheit eingeräumt habe, dazu Stellung zu nehmen. So werde dem Verband insbesondere vorgeworfen, er sei zusammen mit dem «Sägereikartell» Teil einer Allianz von Verhinderern, die sich gemeinsam gegen das geplante neue Holzverarbeitungszentrum in Luterbach stemmten. Diese direkten und indirekten Zitate Hermann Weyeneths seien tatsachenwidrig und rufschädigend. Waldwirtschaft Schweiz setze sich seit langem tatkräftig für die Realisierung des Projekts für ein neues Holzverarbeitungszentrum in Luterbach ein. Dieses sei ohne weiteres belegbar. Bezeichnenderweise befindet sich der Beschwerdeführer diesbezüglich im Dauerclinch mit dem ebenfalls zitierten Verband Holzindustrie Schweiz. Mit seinem Vorgehen habe der Autor die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. «Wohl hat Urs Kern im Rahmen seiner Recherchen mit unserem Direktor Urs Amstutz ein ausführliches Telefongespräch geführt, ihn aber in keiner Art und Weise mit den im Raum stehenden Vorwürfen Hermann Weyeneths konfrontiert. (…) Da offensichtlich zwischen dem Zeitpunkt der Recherchen von Urs Kern und der Publikation des Artikels einige Monate vergingen, hätte Urs Kern beziehungsweise die ‹Bilanz›-Redaktion spätestens von sich aus auf unseren Verband zukommen sollen, als wir uns an unserem Medienanlass vom 11. Juli 2006 – zum wiederholten Male unmissverständlich zugunsten des Projekts für ein Holzverarbeitungszentrum in Luterbach geäussert haben.»

C. Am 4. Dezember 2006 antwortete Chefredaktor René Lüchinger namens der Redaktion von «Bilanz», Urs Kern habe mit dem Direktor von Waldwirtschaft Schweiz im März 2006 ein ausführliches Gespräch geführt und diesen dabei auch mit den Vorwürfen von Hermann Weyeneth konfrontiert. Dabei habe Amstutz in vorsichtigen Worten seine Bedenken gegen das geplante Werk in Luterbach vorgelegt. «Laut den stenographischen Notizen Kerns verwendete er dabei Ausdrücke wie ‹beim geplanten Werk sind die Risiken einer Einstellung gross›, es sei grosse ‹Vorsicht› am Platze und es sei auch unklar, ob Schweizer Waldbesitzer genügend Holz liefern könnten.» Hansruedi Streiff vom Verband Holzindustrie Schweiz habe in einem separaten Gespräch ähnliche Aussagen wie Amstutz gemacht, dabei aber wesentlich kräftigere Ausdrücke gewählt. Diese seien «gewissermassen als Gegengewicht zu Weyeneths Aussagen» in den Text geflossen. Den vom Beschwerdeführer beanstandeten Vorwurf, das Sägereikartell habe sich mit dem Dachverband Waldwirtschaft verbandelt, um die Grosssägerei Luterbach zu verhindern, habe Kern bei Gesprächen mit Förstern, Forstbetrieben und Waldbesitzern mehrmals gehört. Der Autor habe bei seiner Recherche alle Seiten angehört und die in seinen Augen plausibelste Version niedergeschrieben. Eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflichten sei in diesem Fall nicht zu erkennen.

D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Am 12. Dezember 2006 teilte der Presserat den Parteien mit, der Schriftenwechsel sei abgeschlossen und die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher behandelt.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 25. Mai 2007 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Verband Schweizer Waldwirtschaft beruft sich in seiner Beschwerde insbesondere auf die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» (Anhörung) bei schweren Vorwürfen, macht also geltend, die «Bilanz» habe unvollständige Informationen veröffentlicht bzw. wichtige Informationselemente unterschlagen oder in verzerrender Weise dargestellt (Ziffer 3 der «Erklärung»). Gemäss der Richtlinie 3.8 sind von schweren Vorwürfen Betroffene vor der Publikation anzuhören, und deren Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben.

2. Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass der Autor des beanstandeten «Bilanz-Artikels» im Rahmen seiner Recherchen ein Gespräch mit dem Direktor des Waldverbands Schweiz geführt hat. Strittig ist allerdings, ob Urs Kern, wie dies die «Bilanz» in der Beschwerdeantwort darlegt, Urs Amstutz ausdrücklich mit dem Vorwurf konfrontiert hat, der Verband Schweizer Waldwirtschaft gehöre zusammen mit dem «Sägerei-Kartell» zu einer Allianz von Verhinderern, die sich gegen ein neues grosses Holzverarbeitungszentrum im solothurnischen Luterb
ach verbündet hätten. Während die «Bilanz» gestützt auf die Notizen des Autors geltend macht, die Vorwürfe Weyeneths seien durchaus ein Thema gewesen und Urs Amstutz habe sich ähnlich, wenn auch weniger pointiert als der ebenfalls befragte und im Artikel zitierte Holzverbandsdirektor Streiff geäussert, bestreitet der Beschwerdeführer, mit den konkreten Vorwürfen Weyeneths überhaupt konfrontiert worden zu sein. Der Presserat führt keine Beweisverfahren zur Klärung zwischen den Parteien umstrittener Sachverhalte durch (vgl. zuletzt die Stellungnahme 3/2007) und ist zudem nicht in der Lage, aufgrund der ihm eingereichten Unterlagen zu klären, welche Sachverhaltsversion als zutreffend erscheint. Entsprechend ist die behauptete Unterlassung der Anhörung zu den konkreten Vorwürfen nicht erstellt und ist in den nachfolgenden Erwägungen – im Sinne einer Hypothese – grundsätzlich von der Sachverhaltsdarstellung der Beschwerdebeklagten auszugehen.

3. a) Falls die «Bilanz» den Direktor des Beschwerdeführers tatsächlich mit den konkreten Vorwürfen Weyeneths konfrontiert hat und sich Urs Amstutz zum geplanten Holzverarbeitungszentrum vorsichtig zurückhaltend äusserte: Hat die «Bilanz» die Stellungnahme des Beschwerdeführers korrekt wiedergegeben, wenn sie diese einfach undifferenziert den «kräftigeren Ausdrücken» des Holzverbandsdirektors Streiff zuordnete? Und hätte der im August 2006 erscheinende «Bilanz»-Artikel nicht wenigstens auf die am 11. Juli 2006 vom Verband Waldwirtschaft Schweiz an einer Medienkonferenz veröffentlichte und auch auf der Website des Verbands zugängliche Position hinweisen müssen, wie dies der Beschwerdeführer geltend macht?

b) Die beiden Redetexte von Verbandspräsident Max Binder und Direktor Urs Amstutz sowie die Medienmitteilung vom 11. Juli 2006 äussern sich nicht direkt (positiv oder negativ) zu den geplanten neuen Holzverarbeitungszentren. Vielmehr nehmen sie «Strukturveränderungen in der inländischen Sägereibranche» zur Kenntnis, weisen aber darauf hin, dass es letztlich vom Preis abhängen werde, ob zusätzliche Holznutzungsmengen im Inland verarbeitet oder in den Export gehen würden. Grundsätzlich sei aber jedenfalls davon auszugehen, dass die Holzbeschaffung für die holzverarbeitenden Betriebe auch mit den neuen Werken und den Kapazitätserweiterungen bei bestehenden Werken weiterhin funktionieren werde. Insgesamt ortete die Medienmitteilung (Titel) positiv eine «Aufbruchstimmung in der Wald- und Holzwirtschaft». Eine grundsätzliche Opposition gegen neue Grosssägereien oder anstehenden Stukturveränderungen ist daraus jedenfalls nicht zu erkennen.

c) In diesem Kontext mutet die nur einen Monat später in der «Bilanz» wiedergegebene und durch das im Artikel wiedergegebene Statement von Holzverbandsdirektor Streiff keineswegs relativierte Behauptung Weyeneths, der Verband Waldwirtschaft gehöre zu einer Allianz von Verhinderern, die sich die Erhaltung der überholten Strukturen zum Ziel gesetzt hätten, zumindest merkwürdig an. Selbst wenn man die Frage offen lässt, ob die «Bilanz» die Medieninformation vom 11. Juli 2006 bei der Schlussredaktion des Artikels nicht zwingend hätte berücksichtigen müssen, war es nach Auffassung des Presserates berufsethisch jedenfalls unzulässig, die Stellungnahme von Urs Amstutz wegzulassen bzw. stillschweigend unter diejenige von Hansruedi Streiff zu subsumieren. Zumal sich Amstutz gemäss Darstellung der «Bilanz» wesentlich vorsichtiger äusserte und sich die Interessenlage der Beschwerdeführerin massgeblich von derjenigen der holzverarbeitenden Industrie unterscheidet. Mit dieser unterlassenen Differenzierung hat die «Bilanz» Informationen entstellt, die im Kontext des beanstandeten Artikels als wesentlich erscheinen; sie hat somit die Ziffer 3 der «Erklärung» verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Die «Bilanz» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «Verborgene Schätze» in der Ausgabe 14/2006 vom August 2006 die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, indem sie die zurückhaltend formulierte Meinungsäusserung vom Direktors von Waldverband Schweiz zu einem neuen grossen Holzverarbeitungszentrum wegliess bzw. stillschweigend der markigeren Stellungnahme des Direktors des Verbands Holzindustrie Schweiz zuordnete.