Nr. 72/2011
Wahrheit / Entstellung von Tatsachen / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen /Menschenwürde

(Ziegler / Kantonsgericht Schwyz c. «SonntagsBlick») Stellungnahme des Presserates vom 21. Dezember 20

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Zusammenfassung

Stützt sich ein schwerer Vorwurf auf eine amtliche Quelle ist eine Anhörung des Betroffenen vor der Veröffentlichung nicht zwingend. Verzichten sie ausnahmsweise auf eine Anhörung haben Journalistinnen und Journalisten jedoch besonders sorgfältig darauf zu achten, dass sie keine wichtige Informationen unterschlagen.

Im Juni 2011 kritisierte der «SonntagsBlick» das Kantonsgericht Schwyz und insbesondere Kantongsgerichtspräsident Martin Ziegler harsch. Anlass dazu bot die umstrittene Haftentlassung eines geständigen Angeschuldigten, dem sexuelle Handlungen mit einem 13-jährigen, behinderten Mädchen vorgeworfen werden. Besonderen Anstoss erregte der Umstand, dass der Angeschuldigte weiterhin im gleichen Haus wie sein Opfer wohnt. Zudem kritisierte der «SonntagsBlick», Kantonsgerichtspräsident Ziegler habe bereits bei den Tötungsdelikten «Boi» und «Lucie» umstrittene Entscheide gefällt, aufgrund derer eine parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt worden sei.

Der Presserat heisst eine Beschwerde von Martin Ziegler und des Kantonsgerichts Schwyz teilweise gut. Zwar bewege sich die harsche, polemische Justizkritik des «SonntagsBlick» grundsätzlich im weit auszulegenden Rahmen der Kommentarfreiheit. Und die Zeitung habe die Beschwerdeführer vor der Veröffentlichung der sich teils auf amtliche Quellen stützenden und teils nicht neuen, massiven Kritik nicht zwingend anhören müssen. Hingegen hätte der «SonntagsBlick» zwei wichtige Informationen nicht unterschlagen dürfen: Zunächst, dass die umstrittene Haftentlassung nach Auffassung des Kantonsgerichts rechtlich unausweichlich war, weil gemäss der neuen gesamtschweizerischen Strafprozessordnung die Verlängerung der Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr nur möglich sei, wenn ein Beschuldigter bereits einschlägig vorbestraft ist. Zudem unterschlug die beanstandete Berichterstattung, dass die erwähnte parlamentarische Untersuchung das Verhalten des Kantonsgerichtspräsidenten als korrekt beurteilt hat.

Résumé

Il n’est pas impératif d’auditionner avant publication une personne visée par un grave reproche si celui-ci émane d’une source officielle. Mais lorsque des journalistes s’abstiennent de procéder à une telle audition, ils doivent en revanche prendre grand soin de ne pas omettre d’importantes informations.

En juin 2011, le «SonntagsBlick» critique vivement le Tribunal cantonal de Schwytz et particulièrement son président, Martin Ziegler. En cause, la remise en liberté discutable d’un accusé ayant avoué des actes sexuels avec une jeune handicapée de 13 ans. Fait choquant: l’accusé continue de vivre dans la même maison que la victime. En outre, «SonntagsBlick» reproche au président du Tribunal d’avoir pris antérieurement des décisions contestées dans les cas d’homicides «Boi» et «Lucie», donnant lieu à une enquête d’une commission parlementaire.

Le Conseil de la presse admet partiellement la plainte de Martin Ziegler et du Tribunal cantonal. Certes, la critique judiciaire véhémente et polémique du «SonntagsBlick» ne déborde pas du cadre de la liberté du commentaire. D’autre part, le journal n’était pas absolument tenu d’entendre le plaignant avant de procéder à la publication d’une critique massive, puisqu’elle s’appuyait en partie sur des sources officielles et n’était pas entièrement nouvelle. En revanche, «SonntagsBlick» n’aurait pas dû passer sous silence deux informations. D’abord que la libération discutable était inévitable en droit selon le Tribunal cantonal, car en vertu du nouveau Code de procédure pénale valable pour l’ensemble du pays, la prolongation d’une détention provisoire pour danger de récidive n’est possible que si un accusé a déjà été condamné valablement auparavant. En outre, le compte-rendu contesté ne précise pas que l’enquête parlementaire mentionnée avait jugé correct le comportement du président du Tribunal cantonal.

Riassunto

Se un addebito grave contro qualcuno proviene da una fonte ufficiale, l’ascolto della parte criticata non è obbligatorio. Tuttavia, quando il giornale omette tale consultazione, deve assicurarsi che tutte le informazioni importanti siano riferite.

Nel giugno del 2011, il «SonntagsBlick» aveva pubblicato dure critiche nei confronti del Tribunale cantonale di Svitto e del suo presidente, Martin Ziegler, per la controversa decisione di liberare dal carcere preventivo un accusato confesso di molestie sessuali ai danni di una tredicenne handicappata, tanto più che la vittima e l’accusato abitano ancora sotto il medesimo tetto. Il giornale ricordava inoltre le critiche mosse al Presidente Ziegler in un altro caso: la controversa sentenza relativa all’omicidio «Boi» e «Lucie», che aveva dato luogo a un’inchiesta parlamentare.

Il Consiglio della stampa ha accolto parzialmente il reclamo del Presidente Ziegler e del Tribunale cantonale. Pur movendosi la critica – anche se espressa in modo polemico – entro i limiti della legittima libertà di commento, e ribadita la non-obbligatorietà dell’ascolto della parte criticata poiché l’informazione era dedotta, almeno in parte, da una comunicazione ufficiale, il Consiglio della stampa critica il giornale per avere omesso due elementi di informazione importanti: primo, che il nuovo Codice di procedura penale legittima il protrarsi di una detenzione preventiva solo se l’indiziato è stato oggetto di una precedente condanna penale; secondo, che la citata inchiesta parlamentare si era conclusa con la constatazione che il comportamento del Presidente Ziegler era stato corretto.

I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «Justiz-Skandal um Kindesmissbrauch; Lisas Schänder und sein Schoggi-Trick» berichtete Romina Lenzlinger am 12. Juni 2011 im «SonntagsBlick» über einen Fall von sexuellen Handlungen mit einem Kind und die umstrittene Entlassung des mutmasslichen Täters aus der Untersuchungshaft. Der Lead des Berichts lautet: «Abwart Urs K. (62) hat Lisa auf Schändlichste missbraucht. Er ist geständig – das Gericht liess ihn frei.»

Der Abwart habe das Vertrauen des heute 14-jährigen Mädchens ausgenützt und sich brutal an ihm vergriffen. Eigentlich hätte Urs K. «auf Antrag der Staatsanwaltschaft und gemäss erstem Urteil des Haftrichters für vorerst zwölf Wochen in Untersuchungshaft bleiben müssen (…) So weit kam es nicht. Urs K. hat beim Kantonsgericht Schwyz Beschwerde eingereicht – mit Erfolg. Die Begründung: Das Kantonsgericht sah – trotz des Geständnisses von Urs K., mehrfach mit Lisa sexuell verkehrt zu haben – keine ‹hinreichende Wiederholungsgefahr›. Es gehe ‹einzig um strafbare sexuelle Handlungen des bislang unbestrittenermassen unbescholtenen Beschuldigten in der doch sehr speziellen Beziehung zu dem Mädchen›», schreibt der «Blick». Das auferlegte Kontaktverbot reiche nach Auffassung des Gerichts, um das Mädchen zu schützen, wobei die Sorge dafür auch bei den Eltern des Opfers liege. Zudem gebe es auch keinen Anlass zur Befürchtung, Urs K. könne sich an anderen Kindern vergreifen.

Trotz einem Rekurs der Staatsanwaltschaft und der Opferanwältin gegen die frühzeitige Haftentlassung sei das Kantonsgericht auch bei einem zweiten Entscheid bei seinem Standpunkt geblieben. Der Anwalt der Eltern des Mädchens spreche von einem «Justizskandal: ‹Auf den Punkt gebracht ist der Beschluss des Kantonsgerichts Schwyz ein Hohn auf den Opferschutz, den Kinderschutz und den Behindertenschutz. Ich bin völlig perplex.›» Der Aufschrei der Juristen mache das Leben von Lisa allerdings nicht sicherer. «Ihr Pei
niger ist nicht nur auf freiem Fuss, sondern auch zurück am Tatort. Zurück in seiner Attika-Eigentumswohnung – nur zwei Stockwerke über der Wohnung von Lisas Eltern.»

B. In einem zweiten, daneben stehenden Artikel schreibt Matej Mikusik unter dem Titel «Die Beschlüsse des Herrn Dr. Ziegler»: «Der Schwyzer Kantonsgerichtspräsident Martin Ziegler lässt einen Sextäter frei herumlaufen. Es ist nicht sein erster umstrittener Entscheid.» Im Fall «Boi» habe Ziegler den Grossteil der Handydaten eines Tatverdächtigen blockiert, die von der zuständigen Behörde des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements geliefert worden waren. «Laut ‹10 vor 10› gab er nur die für den Tag von Bois Verschwinden frei. Das war riskant, weil zu jenem Zeitpunkt niemand wusste, ob das 17-jährige Mädchen noch lebt oder nicht.» Zuvor sei Ziegler bereits im Fall «Lucie» im Zusammenhang mit Handydaten aufgefallen. «Sie landeten zu spät bei der Untersuchungsrichterin. Ziegler sprach von ‹einem Missverständnis› – eine parlamentarische Untersuchungskommission wurde eingesetzt.»

Intern sei von einem Streit zwischen den Schwyzer Instanzen die Rede gewesen, der immer noch zu schwelen scheine. «Anders ist der jüngste Entscheid von Ziegler nicht zu erklären. Im Fall Lisa (Bericht links) entliess er einen geständigen Kinderschänder aus der U-Haft, obwohl der Mann im selben Haus wie das Opfer wohnt.» Der Anwalt der Eltern des Opfers kritisiere, Ziegler fehle es «offenbar ganz an Einfühlungsvermögen für das Opfer, sonst hätte er einen menschlicheren und juristisch korreken Entscheid gefällt». Solche Leute an der Spitze des Justizsystems brächten das ganze System in Verruf. Ziegler selber sei am Samstag für eine Stellungnahme nicht erreichbar gewesen.

In einem Kasten mit dem Titel «Frage der Woche» fordert die Redaktion die Leserschaft auf, ihr per Post oder E-Mail zur Frage zu schreiben: «Darf man einen Kinderschänder überhaupt frei lassen?»

C. Am 19. Juni 2011 veröffentlichte der «SonntagsBlick» 12 Leserbriefe zu den beiden Artikeln und in den folgenden Tagen eine grosse Zahl von Online-Leserkommentaren zum Artikel von Romina Lenzlinger.

D. Das Kantonsgericht Schwyz und dessen Präsident Martin Ziegler beschwerten sich am 27. Juli 2011 gemeinsam beim Presserat über die beiden Berichte und die veröffentlichten Lesermeinungen, welche die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellung von Tatsachen, Anhörung bei schweren Vorwürfen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzten.

Die Artikel von Romina Lenzlinger und Matej Mikusik und insbesondere deren Aufmachung seien als «reisserisch und jenseits jeder Sachlichkeit zu qualifizieren». Das Kantonsgericht Schwyz als Institution und insbesondere dessen Präsident, Martin Ziegler, würden im Zusammenhang mit mehreren Sexualdelikten eines juristisch nicht korrekten und moralisch verwerflichen Handelns bezichtigt.

Der gegenüber Martin Ziegler im aktuellen Fall erhobene Vorwurf sei formell in zweierlei Hinsicht falsch. Zum einen gehe aus den Berichten nicht hervor, dass der Entscheid über die Beschränkung der Haftdauer von der Beschwerdekammer in einem Kollegialentscheid und nicht durch den Präsidenten allein gefällt wurde. Zudem sei die Haftentlassung als solche durch eine Verfügung der Einzelrichterin des Zwangsmassnahmengerichts und somit weder durch das Kantonsgericht noch durch dessen Präsidenten angeordnet worden. Angesichts der gegenüber Martin Ziegler und dem Kantonsgericht erhobenen schweren Anschuldigungen wäre zudem eine Anhörung vor der Publikation unabdingbar gewesen. Die zu diesem Zweck von «SonntagsBlick» behauptete Kontaktnahme am Pfingstsamstag sei verspätet erfolgt.

Bei den beiden früheren Fällen «Lucie» und «Boi» werde dem Kantonsgerichtspräsidenten Ziegler zudem wahrheitswidrig und wider besseres Wissen vorgeworfen, nicht im Interesse der Opfer beziehungsweise widerrechtlich gehandelt zu haben, «obwohl sich diese Anschuldigungen als falsch erwiesen haben und jeder Grundlage entbehren».

Mit dem Abdruck von Leserbriefen und Online-Kommentaren, die dem Kantonsgerichtspräsidenten sowie allfälligen weiteren Richterinnen und Richtern Unfähigkeit, Korruptheit und Charakterlosigkeit unterstellten und diese in den Dunstkreis des Kindsmissbrauchs rückten, habe der «SonntagsBlick» zudem die Ziffer 8 der «Erklärung» verletzt.

E. Am 18. September 2011 veröffentlichte der «SonntagsBlick» einen weiteren Artikel zum «Schwyzer Justizstreit» («Dick Marty räumt auf») von Walter Hauser. Der Obertitel lautet: «Der Fall Lisa lässt Justizstreit in Schwyz eskalieren». Laut dem Lead ist «Kantonsgerichtspräsident Martin Ziegler (…) mit neuen Vorwürfen konfrontiert. Jetzt muss der Tessiner Mafiajäger ran.» Im Kanton Schwyz überstürzten sich die Ereignisse. Letzte Woche habe der Schwyzer Regierungsrat mitgeteilt, der Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty werde die Abläufe bei der Schwyzer Justiz unter die Lupe nehmen. Kurz darauf habe Justizdirektor Peter Reuteler überraschend seinen Rücktritt angekündigt.

«Und wie ‹SonntagsBlick› weiss, läuft gegen den Kantonsgerichtspräsidenten Martin Ziegler ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch und Amtsgeheimnisverletzung.» Offizielle Stellen dementierten einen Zusammenhang zwischen den genannten Ereignissen. «Doch im Zusammenhang mit dem Missbrauchsfall um die 14-jährige Lisa in Goldau tobt ein heftiger Streit hinter den Kulissen.» Der Opferanwalt habe diese Woche bei der Oberstaatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen Ziegler eingereicht. Es sei ein Skandal, dass «der Täter, das sehr kindliche und behinderte Opfer und dessen Familie unter einem Dach leben müssen», so die Begründung. An diesem Skandal sei Ziegler schuld. «Auch die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz fordert jetzt für Lisas Peiniger ein Rayonverbot beziehungsweise seine Ausweisung aus dem Haus. Entscheiden müsste allerdings Ziegler – der Antrag liegt seit Anfang August auf seinem Pult. (…) Ziegler war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Regierungsrat Reuteler äussert sich mit Hinweis auf die Gewaltentrennung ebenfalls nicht. Dick Marty habe primär die Abläufe bei der Staatsanwaltschaft abzuklären, sagt er. Fragen an das Kantonsgericht seien dem ‹Tessiner Mafiajäger› aber erlaubt. Reuteler hofft, ‹dass Marty mit seiner Fachkompetenz und Autorität die Lage beruhigen kann›.»

F. Am 7. Oktober 2011 ergänzten die Beschwerdeführer ihre Beschwerde um den Artikel vom 18. September 2011. Dieser perpetuiere die gegen das Kantonsgericht Schwyz und dessen Präsidenten geführte Kampagne und behaupte fälschlicherweise, gegen Martin Ziegler laufe ein Strafverfahren. Zudem werde der wahrheitswidrige Eindruck erweckt, Dick Marty sei eingesetzt worden, weil das Kantonsgericht und dessen Präsident nicht korrekt gehandelt hätten. Tatsächlich sei Marty aber von der Schwyzer Kantonsregierung beauftragt worden, Vorkommnisse bei der kantonalen Staatsanwaltschaft zu untersuchen. Schliesslich habe es der «SonntagsBlick» erneut nicht für notwendig befunden, die Betroffenen vor der Publikation anzuhören.

G. Die anwaltlich vertretene «SonntagsBlick»-Redaktion beantragte am 26. Oktober 2011, nicht auf die Beschwerde einzutreten, soweit sie im Namen des Kantonsgerichts Schwyz erhoben wird. Ein Beschluss des Kantonsgerichts, beim Presserat Beschwerde zu führen, liege nicht bei den Akten.

Inhaltlich sei die Beschwerde unbegründet. Es sei Aufgabe der Presse, über den schwelenden Konflikt in der Schwyzer Justiz und die daran Beteiligten zu berichten. Dies gelte auch für die Entscheide der Beschwerdekammer des Kantonsgerichts, deren Präsident Ziegler gleichzeitig sei. Im Zusammenhang mit der Haftentlassung von Urs K. sei dabe
i nicht massgeblich, dass diese formal vom Haftgericht verfügt wurde. Entscheidend sei vielmehr, dass das Kantonsgericht zuvor die Haftdauer beschränkt habe. Kritik an einem Richter – soweit sie ihn in seiner amtlichen Funktion betreffe – oder an einem Gerichtsentscheid sei zudem kein «schwerer Vorwurf» im Sinne der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung», zu dem eine Anhörung gefordert wäre. Ohnehin sei Martin Ziegler darauf zu behaften, dass der «SonntagsBlick» versucht habe, ihn zu erreichen. «Ob das jetzt Pfingstsamstag sei oder nicht, spielt keine Rolle, die Sonntagspresse erscheint sonntags, auch an Pfingsten.»

Kantonsgerichtspräsident Ziegler habe in den Fällen «Lucie» und «Boi» Entscheidungen getroffen, die nicht nur zu Streit mit den Strafverfolgungsbehörden, sondern auch zu zahlreichen kritischen Medienberichten geführt hätten. Der «SonntagsBlick» sei dabei nicht verpflichtet, sich die Auffassung des Schwyzer Kantonsparlaments zu eigen zu machen, welches die gegenüber den schwyzerischen Strafbehörden erhobenen Vorwürfe gemäss Medienmitteilung vom 19. Juli 2010 als «haltlos» erachtete und die «Indiskretionen scharf verurteilte». Schon die Medienberichterstattung im Sommer 2010 habe klargemacht, dass «das Schwyzer Parlament vor allem Imagepflege und Schadensbegrenzung betrieben hat und die unangenehmen, für den Beschwerdeführer nachteiligen Erkenntnisse des Berichts Sollberger – den der Beschwerdeführer bezeichnenderweise nicht einreicht – zu verharmlosen suchte». Entsprechend sei der «SonntagsBlick» frei, auch im Jahr 2011 Versäumnisse im Fall «Lucie» zu behaupten.

Weiter sei es selbstverständlich statthaft, die Meinung der Leserschaft einzuholen und zu veröffentlichen. «Auch ein Kantonsgerichtspräsident muss sich die Vox Populi anhören.» Die veröffentlichten Zuschriften «mögen teilweise wenig gehaltvoll sein». Der Vorhalt eines Verstosses sei jedoch «abwegig». «Solche Leserzuschriften unterliegen (…) nicht den Qualitätskriterien der eigentlichen Medien. Entsprechend ist der Pressekodex nicht anwendbar.»

Der gegenüber dem Artikel vom 18. September 2011 erhobene Vorwurf, dieser enthalte «wahrheitswidrige Angaben», sei weder begründet noch zu hören. Wenn gegen Martin Ziegler eine Strafanzeige eingereicht werde, sei es zulässig, von einem gegen ihn laufenden Strafverfahren zu schreiben, auch wenn der Beschwerdeführer davon keine Kenntnis haben wolle.

Ebenfalls unbestritten sei zudem, dass die Auseinandersetzungen in der Schwyzer Justiz zur Einsetzung des ehemaligen Tessiner Ständerats Dick Marty geführt haben. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob das Kantonsgericht tatsächlich vom Regierungsauftrag an Dick Marty «in keiner Weise betroffen» ist. Wenn sich Staatsanwaltschaft und Kantonsgericht «in den Haaren liegen», dürfe dies als «Justizstreit» bezeichnet werden. Ohnehin weise der Artikel von Walter Hauser ausdrücklich darauf hin, Dick Marty sei beauftragt, «primär die Abläufe bei der Staatsanwaltschaft» zu beurteilen.

Überdies habe Walter Hauser zwischen Mittwoch 14. September und Samstag 17. September mehrfach versucht, den Kantonsgerichtspräsidenten für eine Stellungnahme zu erreichen. «Alle Anrufe (mindestens sechs) endeten entweder beim Gerichtsschreiber oder bei der Sekretärin des Kantonsgerichtspräsidenten. Dieser rief trotz Aufforderung nicht zurück und nahm auch sonst nicht Stellung gegenüber Herrn Hauser.»

H. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Esther Diener-Morscher als Präsidentin an sowie Jan Grüebler, Claudia Landolt Starck, Peter Lia-towitsch, Markus Locher, Daniel Suter und Max Trossmann.

I. Mit Schreiben vom 14. November 2011 lehnten die Beschwerdeführer Claudia Landolt Starck ab. Als langjährige ehemalige Mitarbeiterin des «Blick» sei sie nicht in der Lage, die Beschwerde uneinvorgenommen zu beurteilen.

K. Claudia Landolt Starck trat gestützt auf Artikel 14 Absatz 2 des Geschäftsreglements des Presserats von sich aus in den Ausstand, da sie innerhalb der Karenzfrist von 5 Jahren noch zeitweise als freie Journalistin für den «SonntagsBlick» tätig war. Damit ist das Ablehnungsgesuch der Beschwerdeführer gegenstandslos geworden.

L. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 21. Dezember 2011 sowie auf dem Korrespondenzweg.

M. Am 3. Januar 2012 reichte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer eine Vollmacht nach.

N. Am 5. Januar 2012 beantragte der Rechtsvertreter des «SonntagsBlick», diese Voll-macht sei lediglich als solche von Gerichtspräsident Ziegler als natürliche Person anzuer-kennen. Eine Vollmacht des Kantonsgerichts Schwyz könne nicht durch Gegenzeichnung einer nicht näher identifizierten Person und den Stempel des Gerichts erteilt sein. Weder sei ein förmlicher Gerichtsbeschluss zu den Akten gereicht worden, noch sei die Vertre-tungsbefugnis des Zweitunterzeichners erstellt.

II. Erwägungen

1. Gemäss Artikel 6 Absatz 1 ist jedermann zur Beschwerde an den Presserat berechtigt. Selbst wenn man die Rechts- und Parteifähigkeit des Kantonsgerichts Schwyz – wie dies der «SonntagsBlick» geltend macht – mangels eigener Rechtspersönlichkeit beziehungsweise wegen der fehlenden formellen Ermächtigung durch den Kanton Schwyz formal verneinen würde, so ist zumindest der Kantonsgerichtspräsident als Privatperson beschwerdeberechtigt. In einem nicht formstrengen Verfahren wie dem Presseratsverfahren spricht zudem nichts dagegen, die Beschwerde vom 27. Juli 2011 gestützt auf die am 3. Januar 2012 nachgereichte Vollmacht ohne zusätzliche Abklärungen in Bezug auf einen allfälligen formellen Gerichtsbeschluss und die Vertretungsbefugnis des Zweitunterzeichners der Vollmacht als gemeinsame Eingabe von Kantonsgericht und Kantonsgerichtspräsidenten zu behandeln (vergleiche dazu die Stellungnahmen 23/2005 und 26/2011). Entsprechend tritt der Presserat auf die Beschwerde auch insoweit ein, als sie namens des Kantonsgerichts Schwyz erhoben wird.

2. a) In ihrem Artikel bezeichne Romina Lenzlinger den Entscheid das Kantonsgericht als «skandalös» und «kaltherzig», schreiben die Beschwerdeführer. Diese Worte kommen zwar nicht genau so im Artikel vor. Im Titel heisst es aber «Justiz-Skandal» und im Text «Das Kantonsgericht bleibt hart…». Und den Tonfall des Textes von Matej Mikusik beanstanden die Beschwerdeführer als «herabwürdigend, verletzend und diffamierend». Insgesamt sei die Aufmachung der beiden Beiträge vom 12. Juni 2011 als «reisserisch und jenseits jeglicher Sachlichkeit zu qualifizieren».

b) Diesen Beanstandungen ist aus berufsethischer Optik entgegenzuhalten, dass Medien gemäss der ständigen Praxis des Presserats (vgl. hierzu beispielsweise die Stellungnahmen 17/1998 und 50/2002) nicht zu einer sachlich ausgewogenen Berichterstattung verpflichtet sind. Selbst eine harsche, polemische Justizkritik bewegt sich im weit auszulegenden Rahmen der Freiheit des Kommentars und der Kritik (Ziffer 2 der «Erklärung»).

Wenn ein Gericht einen Angeschuldigten aus der Untersuchungshaft entlässt, der den ihm vorgeworfenen Kindsmissbrauch gestanden hat und dieser ins selbe Haus zurückkehren darf, in dem sein mutmassliches Opfer lebt, dürfen Medien dies scharf kritisieren. Ebenso darf der «SonntagsBlick» die harsche Kritik des Anwalts der Eltern des mutmasslichen Opfers wiedergeben, wonach «der Beschluss des Kantonsgerichts Schwyz ein Hohn auf den Opferschutz, den Kinderschutz und den Behindertenschutz» sei und es Kantonsgerichtspräsident Ziegler «offenbar ganz an Einfühlungsvermögen für das Opfer» fehle, weil er sonst «einen menschlicheren und juristisch korrekten Entscheid gefällt» hätte. Ebenso gilt dies für die gegenüber Martin Ziegler erhobene Kritik, wonach «s
olche Leute an der Spitze des Justizsystems (…) das ganze System in Verruf» brächten.

c) Gerade bei solch pointierter Kritik sind die Medienschaffenden allerdings verpflichtet, dem Publikum die den negativen Wertungen zugrundeliegenden sachlichen Grundlagen mitzuliefern (Stellungnahmen 29/2001 und 2/2011). Und soweit Journalistinnen und Journalisten dabei schwere faktische Vorwürfe erheben, sind sie gestützt auf die Richtlinie 3.8 verpflichtet, Betroffene vor der Veröffentlichung anzuhören und deren Argumente im gleichen Medienbericht im Minimum kurz und fair wiederzugeben.

3. a) In diesem Sinne machen die Beschwerdeführer denn auch geltend, angesichts der gegen sie erhobenen schweren Vorwürfe wäre eine Anhörung vor den Berichten vom 12. Juni 2011 unabdingbar gewesen und der vom «SonntagsBlick» behauptete Kontaktversuch vom Pfingstsamstag sei verspätet erfolgt. Ebenso sehen die Beschwerdeführer die Anhörungspflicht im Zusammenhang mit dem Bericht vom 18. September 2011 verletzt.

Demgegenüber wenden die Beschwerdegegner ein, eine Kontaktnahme am Samstag sei bei einer Sonntagszeitung nicht zu spät. Ohnehin sei der «SonntagsBlick» aber nicht verpflichtet gewesen, die Beschwerdeführer vor der Veröffentlichung der Berichte vom 12. Juni 2011 anzuhören, da die Kritik an einem Richter – soweit sie ihn in seiner amtlichen Funktion betreffe – und die Kritik an einem Gerichtsentscheid kein «schwerer Vorwurf» im Sinne der Richtlinie 3.8 sei, zu dem eine Anhörung zwingend wäre. Und vor dem zweiten Bericht vom 18. September 2011 habe der Autor des Artikels, Walter Hauser, mehrfach erfolglos versucht, Kantonsgerichtspräsident Ziegler für eine Stellungnahme zu erreichen.

b) Zunächst ist dazu aus Sicht des Presserats festzuhalten, dass es vorliegend bereits unter dem Aspekt der Wahrheitssuche (Richtlinie 1.1) sowohl vor den Berichten vom 12. Juni als auch vor demjenigen vom 18. September 2011 naheliegend war, eine Stellungnahme des Kantonsgerichts und insbesondere eine solche von Kantonsgerichtspräsident Ziegler einzuholen. Nachdem auch die Beschwerdeergänzung vom 7. Oktober 2011 erwähnt, dass Walter Hauser vor der Veröffentlichung seines Artikels vom 18. September 2011 zumindest «partiell nachgefragt» hat, geht der Presserat hier davon aus, dass sich der «SonntagsBlick» in angemessener Weise um eine Stellungnahme der Beschwerdeführer bemüht hat. Ob Hauser dabei, wie dies die Beschwerdeergänzung behauptet, «die entsprechenden Gegenhinweise in seinem Artikel nicht nur unerwähnt lässt, sondern gar verleugnet», muss an dieser Stelle hingegen offen bleiben. Die dem Presserat von den Parteien eingereichten Beschwerdeunterlagen lassen zu diesem Punkt keine Schlüsse zu.

c) Eine zwingende Anhörung der von schweren Vorwürfen Betroffenen entfällt bei Informationen, die aus amtlicher Quelle stammen (Stellungnahme 35/2004). Ebenso gilt dies, wenn schwere Vorwürfe nicht neu sind (Stellungnahmen 10 und 23/2008). Da sich die beiden Berichte von Romina Lenzlinger und Matej Mikusik vom 12. Juni 2011 soweit ersichtlich im Wesentlichen auf die amtlichen Entscheide beziehen, welche der kontroversen Haftentlassung von Urs K. zugrunde liegen und da die Vorwürfe im Zusammenhang mit den Fällen «Lucie» und «Boi» nicht neu sind, war eine Anhörung im Sinne der Richtlinie 3.8 nach Auffassung des Presserates zwar nicht zwingend. Trotzdem wäre aber eine Kontaktnahme unter dem Gesichtspunkt der Vollständigkeit der Information dringend zu empfehlen gewesen, weist doch die Berichterstattung des «SonntagsBlick» vom 12. Juni 2011 zwei gewichtige Lücken auf:

– Beim Fall «Lucie» erwähnt Matej Mikusik bloss, dass die Handydaten zu spät bei der Untersuchungsrichterin gelandet seien, Ziegler von einem «Missverständnis» gesprochen habe und eine parlamentarische Untersuchungskommission eingesetzt worden sei. Letzteres ist zwar richtig, aber unvollständig. Unerwähnt bleibt, dass die parlamentarische Untersuchung längst abgeschlossen ist und das Verhalten des Kantonsgerichtspräsidenten vom Schwyzer Kantonsparlament als korrekt beurteilt wird. Es wäre dem «SonntagsBlick» selbstverständlich trotzdem offengestanden, zusammen mit diesem Befund auch die Kritik am parlamentarischen Untersuchungsbericht hervorzuheben. Aber nicht zu sagen, zu welchem Schluss die Untersuchungskommission gekommen ist, verletzt die Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagung von wichtigen Informationselementen).

– Zudem erwähnt weder der Artikel von Romina Lenzlinger noch derjenige von Matej Mikusik das Hauptargument, das die Schwyzer Behörden für die heftig kritisierte Haftentlassung von Urs K. vorgebracht hatten: Nach dem Wortlaut von Artikel 221 Absatz 1 Buchstabe c der seit dem 1. Januar 2011 geltenden gesamtschweizerischen Strafprozessordnung darf eine beschuldigte Person nur dann wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft belassen werden, wenn sie «durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat». Da Urs K. nicht einschlägig vorbestraft ist, hätten die Schwyzer Behörden mithin rechtlich keine andere Möglichkeit gehabt, als ihn nach seinem Geständnis aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Auch diese Unterschlagung einer nach Auffassung des Presserats für das Verständnis der Leser unabdingbaren Information verletzt die Ziffer 3 der «Erklärung».

Selbstverständlich hätte der «SonntagsBlick» auch bei Erwähnung dieser Begründung den Haftentlassungsentscheid trotzdem als menschlich verfehlt und juristisch zu engstirnig kritisieren dürfen. Zumal das Bundesgericht die unglückliche Formulierung dieser Gesetzesbestimmung in der Zwischenzeit bereits korrigiert und entschieden hat, vom Erfordernis bereits verübter gleichartiger Straftaten könne ausnahmsweise abgewichen werden, wenn schwere Verbrechen oder Vergehen in Frage stehen oder wenn angesichts des Verhaltens und der psychischen Störung des Beschuldigten eine ernsthafte und konkrete Gefahr für die potentiellen Opfer besteht (Bundesgerichtsentscheid 137 IV 13).

4. a) Soweit die Beschwerdeführer darüber hinaus behaupten, die personalisierende Kritik, «Ziegler lässt einen Sextäter frei herumlaufen», verletze Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheit), ist die Beschwerde hingegen abzuweisen. Aus den von den Beschwerdeführern eingereichten Unterlagen ist ersichtlich, dass Kantonsgerichtspräsident Ziegler an zwei von drei Entscheiden des Kantonsgerichts zum Fall Urs K. als Einzelrichter und an einem als Vorsitzender der Beschwerdekammer beteiligt war. Und auch wenn formal schliesslich die Haftrichterin die Entlassung von Urs K. aus der Untersuchungshaft verfügte, entschied sie dies offensichtlich gestützt auf die verbindlichen Vorgaben des Kantonsgerichts.

Zwar sind derartige personelle Zuspitzungen nicht unproblematisch, weil sie zu einer verzerrten Darstellung der Verantwortlichkeiten führen können. Trotzdem erachtet der Presserat die Zuspitzung im konkreten Fall als zulässig. Denn es gehört zum Funktionieren einer Kollegialbehörde, dass der Präsident/die Präsidentin auch Entscheide in der Öffentlichkeit vertreten muss, die er oder sie persönlich unter Umständen anders gefällt hätten.

b) Unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitspflicht und der Entstellung von Informationen ebenso wenig zu beanstanden sind folgende im Bericht von Matej Mikusik enthaltene Aussagen: «Es ist nicht sein erster umstrittener Entscheid» und «Ziegler war bereits im März 2009 aufgefallen». Denn ob zu Recht oder nicht: Im Zusammenhang mit den beiden erwähnten Tötungsdelikten (Fälle «Lucie» und «Boi») waren Handlungen des Kantonsgerichts und insbesondere seines Präsidenten mehrfach Gegenstand kritischer Medienberichte.

c) In der Beschwerdeergänzung vom 7. Oktober 2011 kritisieren die Beschwerdeführer die im Artikel «Dick Marty r
äumt auf» vom 18. September 2011 enthaltene Aussage als falsch, es laufe ein Strafverfahren gegen Kantonsgerichtspräsident Ziegler. Gestützt auf verschiedene mittlerweile erschienene Medienberichte stellt der Presserat allerdings fest, dass der Opferanwalt im Fall Urs K. Mitte September 2011 offenbar tatsächlich Strafanzeige gegen Martin Ziegler unter anderem wegen Amtsmissbrauch eingereicht hat. Unter diesen Umständen durfte der «SonntagsBlick» schreiben, dass gegen Ziegler ein Strafverfahren laufe. Deshalb verneint der Presserat auch bei diesem Punkt eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung»

d) Schliesslich beanstanden die Beschwerdeführer beim Artikel vom 18. September 2011, dieser erwecke den falschen Eindruck, die Kantonsregierung habe Dick Marty eingesetzt, weil das Kantonsgericht und dessen Präsident nicht korrekt gehandelt hätten. Tatsächlich bestehe Martys Auftrag aber darin, Vorkommnisse bei der Schwyzer Staatsanwaltschaft zu untersuchen.

Den Beschwerdeführern ist zuzugestehen, dass die Formulierung des Titels «Dick Marty räumt auf», des Obertitels «Der Fall Lisa lässt den Justizstreit in Schwyz eskalieren» und des Leads «Kantonsgerichtspräsident Martin Ziegler ist mit neuen Vorwürfen konfrontiert. Jetzt muss der Tessiner Mafiajäger ran.» des Artikels von Walter Hauser den Eindruck erweckt, dass der «SonntagsBlick» tatsächlich einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Vorwürfen gegen den Kantonsgerichtspräsidenten und der Einsetzung Martys vermutet. Der Lauftext weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass offizielle Stellen eine direkte Verbindung zwischen der Berufung Martys und der Strafanzeige gegen Ziegler dementieren. Und Regierungsrat Reuteler wird indirekt dahingehend zitiert, Dick Marty habe primär die Abläufe bei der Staatsanwaltschaft abzuklären.

Unter diesen Umständen ist für den Presserat die Wahrheitspflicht auch hier nicht verletzt. Zumal Titel, Obertitel und Lead trotz zuspitzender Formulierung nicht derart explizit formuliert sind, dass Leserinnen und Leser, bei denen nicht vorausgesetzt werden kann, dass sie neben Titel und Lead auch den Lauftext eines Artikels von A–Z aufmerksam lesen, in relevanter Weise getäuscht werden.

5. Die Beschwerdeführer kritisieren auch die Aufmachung des Artikels von Matej Mikusik. Das Foto von Kantonsgerichtspräsident Ziegler über den Bildern von «Lucie» und «Boi» sei «äusserst suggestiv». Die Beschwerde führt diese Kritik allerdings nicht näher aus und der Presserat kann sie nicht nachvollziehen.

6. a) Die Beschwerdeführer beanstanden die Veröffentlichung von Leserbriefen und Online-Kommentaren. Dabei gehe es um Beschimpfung sowie um verleumderische Vorwürfe der Bestechung beziehungsweise strafbarer sexueller Handlungen mit Kindern. Demgegenüber betonen die Beschwerdegegner, es sei statthaft, die Meinung der Leserschaft einzuholen und zu veröffentlichen. «Solche Leserzuschriften unterliegen (…) nicht den Qualitätskriterien der eigentlichen Medien. Entsprechend ist der Pressekodex nicht anwendbar.»

b) Der Standpunkt des «SonntagsBlick» widerspricht der Richtlinie 5.2 zur «Erklärung». Danach gelten die berufsethischen Normen auch für die Veröffentlichung von Leserinnen- und Leserbriefen. Und auch wenn die Redaktionen der Meinungsfreiheit gerade auf der Leserbriefseite einen grösstmöglichen Freiraum zugestehen, sollten sie bei offensichtlichen Verletzungen der «Erklärung» trotzdem redigierend eingreifen.

c) Der Presserat bejaht bei drei Leserzuschriften eine derartige «offensichtliche Verlet-zung» berufsethischer Normen:

– Der Presserat hat in der Stellungnahme 59/2006 darauf hingewiesen, dass der Schutz vor Folter, unmenschlicher Behandlung und vor Körperstrafe sowie der Anspruch auf körperli-che Integrität als Kerngehalte des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes zentrale Konkretisierungen der Menschenwürde darstellen. Der Leserbrief von Alois Fries aus Ad-liswil – «Leute, welche solche Verbrechen durch ihre Entscheide noch schützen, sollten selbst mal erleben, wie es ist, vergewaltigt zu werden» – und der Online-Kommentar von Wanny Binder, Zürich – «Ich würde solche Verbrecher sowieso sofort kastrieren» – ver-stossen mit ihrer Forderung nach Vergewaltigung von Richtern respektive Kastration von Verbrechern in diesem Sinne in offensichtlicher Weise gegen Ziffer 8 der «Erklärung».

– Der Online-Kommentar von Patrick Fluri, Oensingen – «Offenbar hat die Schmiererei unter dem Tisch genützt, dass der Täter wieder auf freiem Fuss ist» – unterstellt dem Kan-tonsgericht Schwyz beziehungsweise dessen Präsidenten, korrupt zu sein, ohne dass der Autor des Kommentars dafür irgendwelche sachlichen Anhaltspunkte vorbringt. Dieser Kommentar ist damit offensichtlich ehrverletzend (Ziffer 7 der «Erklärung» – sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen).

7. Die Beschwerdeführer sehen durch die Berichterstattung des «SonntagsBlick» schliesslich die Menschenwürde von Kantonsgerichtspräsident Ziegler verletzt. Der Presserat weist in seinen Stellungnahmen zur Menschenwürde (vgl. die Stellungnahmen 38/2000, 32/2001, 6/2002, 9/2002, 37/2002, 44/2003, 32/2006, 16/2007 und 21/2008) konstant darauf hin, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten. Nur dann verletzt sie Ziffer 8 der «Erklärung». Auch wenn der «SonntagsBlick» den Kantongerichtspräsidenten hart kritisiert, würdigt die Kritik Martin Ziegler nicht als Privatperson herab, sondern bezieht sich ausschliesslich auf seine verantwortungsvolle amtliche Funktion.

III. Feststellungen

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Der «SonntagsBlick» hat in seiner Berichterstattung vom 12. Juni 2011 («Justiz-Skandal um Kindesmissbrauch; Lisas Schänder und sein Schoggi-Trick») und «Die Beschlüsse des Herrn Dr. Ziegler» wichtige Informationen unterschlagen und damit die Ziffer 3 der «Er-klärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Die Zei-tung hätte zwingend das von den Schwyzer Behörden für die umstrittene Entlassung eines geständigen Beschuldigten aus der Untersuchungshaft vorgebrachte Hauptargument nen-nen müssen. Ebenso hätte sie bei Erwähnung einer parlamentarischen Untersuchung zum Fall Lucie zwingend darauf hinweisen müssen, dass das Parlament zum Schluss kam, die Schwyzer Behörden hätten korrekt gehandelt.

3. Der «SonntagsBlick» hat zudem die Ziffer 5 der «Erklärung» (Leserbriefe) verletzt, weil die Redaktion es unterliess, bei einem Leserbrief und zwei Online-Kommentaren redigie-rend einzugreifen, die in offensichtlicher Weise gegen berufsethische Bestimmungen ver-stossen.

4. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

5. Der «SonntagsBlick» hat mit der Veröffentlichung der beanstandeten redaktionellen Berichte die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (in Bezug auf die Anhörung bei schweren Vorwürfen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Respektierung der Menschen-würde) nicht verletzt.