Nr. 60/2012
Wahrheit / Trennung von Fakten und Kommentar / Anhörung bei schweren Vorwürfen / sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen / Diskriminierung

Hyposwiss Privatbank AG und St. Galler Kantonalbank c. «Inside Paradeplatz» Stellungnahme des Schweizer Presserats 60/2012 vom 12. September 2012

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Zusammenfassung

Finanzportal hört Bank nicht an
Journalisten müssen bei schweren Vorwürfen die Betroffenen kontaktieren. Diesen Grundsatz bestätigt der Schweizer Presserat erneut. Die Hyposwiss Privatbank AG, eine Tochter der St. Galler Kantonalbank, beschwerte sich beim Presserat gegen drei Berichte der Internet-Publikation «Inside Paradeplatz».

Einer der beanstandeten Berichte trug den Titel «Russen-Hyposwiss gibt Compliance-Versagen zu». «Inside Paradeplatz» unterstellt darin der Hyposwiss gestützt auf ein neues Dokument eine lasche Compliance-Praxis. Unter Compliance versteht man das Einhalten von Gesetzen und internen Regeln. Belegt wird der Vorwurf mit dem E-Mail eines Anwalts. Dieses zeigt, dass die Bank offenbar ihre Compliance-Regeln verschärft hat. «Inside Paradeplatz» behauptet unter anderem, vor der Regeländerung habe eine Kultur des Wegschauens geherrscht. Nach Ansicht des Presserats hätte die Hyposwiss zu solchen Vorwürfen angehört werden müssen und eine allfällige Stellungnahme wäre im Text zu erwähnen gewesen. Der Titel entspricht auch nicht dem, was im Artikel steht. Denn die Hyposwiss hat offensichtlich kein Versagen zugegeben. Damit verstiess das Finanzportal gegen die Wahrheitspflicht, wie sie der Journalistenkodex von den Journalisten verlangt.

In den weiteren Punkten weist der Presserat die Beschwerde von Hyposwiss zurück. Bei ähnlichen Vorwürfen in einem anderen Bericht bestand keine Anhörungspflicht, weil die Vorwürfe nicht neu waren und auch die frühere Stellungnahme der Hyposwiss zitiert wurde. Zudem hat «Inside Paradeplatz» die Pflicht zur Trennung von Kommentar und Fakten nicht verletzt. Und Begriffe wie «Russen-Hyposwiss» und «Russen-Sumpf» waren nicht diskriminierend.

Résumé

Obligation d’auditionner la partie mise en cause
Lorsqu’ils formulent des reproches graves, les journalistes doivent contacter les personnes mises en cause. Le Conseil suisse de la presse confirme une nouvelle fois ce principe. La Hyposwiss Privatbank AG, une fille de la Banque cantonale saint-galloise, s’est plainte de trois textes publiés sur internet par «Inside Paradeplatz».

L’un des textes contestés porte le titre «Hyposwiss des Russes admet une panne de conformité». «Inside Paradeplatz» y laisse entendre, s’appuyant sur un nouveau document, que Hyposwiss se montre trop laxiste en matière de conformité. Le reproche se fonde sur le courriel d’un avocat. Il y appert que la banque a manifestement renforcé ses règles de conformité. «Inside Paradeplatz» prétend en particulier qu’avant la modification des règles, il existait une habitude de détourner les yeux. De l’avis du Conseil de la presse, Hyposwiss aurait à tout le moins dû être entendu et une prise de position éventuelle aurait dû être reproduite dans le texte. Le titre ne correspond pas non plus à ce que dit le texte. Manifestement, Hyposwiss n’a pas reconnu qu’il y avait eu une panne de sa part. Ce faisant «Inside Paradeplatz» a violé le devoir de vérité tel que l’exige la «Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste».

Sur les autres points, le Conseil de la presse rejette la plainte de Hyposwiss. Lorsque des reproches semblables ont été formulés dans une article précédent, il n’y a plus d’obligation d’entendre la partie en cause, du moment que la prise de position préalable de Hyposwiss est citée. De plus, «Inside Paradeplatz» n’a pas enfreint l’obligation de séparer faits et commentaire. Enfin des termes comme «Hyposwiss à la Russe» et «marécage russe» ne sont pas discriminatoires.

Riassunto

Bisognava contattare la banca!
Quando rivolgono a qualcuno un addebito grave i giornalisti hanno il dovere di interpellare la persona o l’ente criticati. Una volta ancora, il Consiglio della stampa insiste su questo principio, prendendo posizione sul reclamo presentato dalla Hyposwiss Privatbank AG, una filiale della Banca cantonale di San Gallo, contro tre servizi del sito Internet «Inside Pradeplatz».

Sotto il titolo «La Hyposwiss dei Russi ammette carenze di vigilanza» (compliance), il servizio contestato nel reclamo insinua che un documento pubblicato da parte della banca equivale a un’ammissione di precedenti mancanze. Il sito mostra un e-mail spedito da un avvocato dal quale si deduce che la banca ha inasprito le regole di vigilanza, in precedenza la prassi essendo quella di guardare da un‘altra parte. Insomma, secondo «Inside Paradeplatz», prima del nuovo regolamento alla Hyposwiss vigeva una cultura della tolleranza. Il Consiglio della stampa è del parere che alla banca si sarebbe dovuto chiedere una presa di posizione, da riassumere nel testo del servizio. Il titolo inoltre non riflette il contenuto del servizio, perché non vi è detto che la banca ha fatto ammissioni in quel senso. Il tutto in contrasto con il dovere di rispetto della verità, un caposaldo della «Dichiarazione dei doveri dei giornalisti».

Su altri punti, invece, il Consiglio non ha dato ragione alla banca. Circa analoghi addebiti contenuti in altri servizi sulla Hyposwiss il dovere di ascolto non era dato in quanto non si trattava di cose nuove e precedenti prese di posizione della banca erano riferite. Non ritenuta, pure, l’accusa di aver mischiato fatti e commenti, come pure quella di discriminazione, che la banca sosteneva per l’uso di definizioni come «La Hyposwiss dei Russi» o «la palude dei Russi».

I. Sachverhalt

A. Auf der Internetseite «Insideparadeplatz.ch» veröffentlichte Lukas Hässig am 7. Dezember 2011 unter dem Titel «Ex-Assistentin leitet Hyposwiss-Compliance» einen Artikel zur Hyposwiss Privatbank AG und deren Umgang mit Compliance. Unter Compliance versteht man in der Finanzbranche das Handeln im Einklang mit dem geltenden Recht und das Einhalten bestimmter Regeln und Richtlinien durch das Unternehmen und deren Mitarbeiter. Im Artikel schreibt Hässig unter anderem, die Abteilung Compliance der Hyposwiss werde von einer Ex-Marketing-Sachbearbeiterin aus Deutschland mit Schnellbleiche in Compliance geführt. Die Leiterin habe gigantische Beträge offenbar ungehindert fliessen lassen. Es frage sich, ob die Managerin Teil einer Kultur sei, bei der im Zweifelsfall weggeschaut werde.

B. Am 20. Dezember 2011 schreibt Hässig im Artikel mit dem Titel «Kleine Hyposwiss gross im Russen-Sumpf» erneut über die Bank, den Streit zwischen zwei russischen Oligarchen und über den Schweizer Anwalt Hans Bodmer, der in diesem Zusammenhang den Verwaltungsrat der Hyposwiss verlassen habe.

C. Am 6. Februar 2012 veröffentlichte «Insideparadeplatz.ch» einen weiteren Artikel unter dem Titel «Russen-Hyposwiss gibt Compliance-Versagen zu». Darin schreibt Lukas Hässig, Hyposwiss habe ein Compliance-Problem. Er bezieht sich dabei auf eine E-Mail eines Anwalts, der einen grossen russischen Kunden der Hyposwiss vertritt. Die Bank habe im Zuge der Affäre die Anforderungen für die verschlungenen Oligarchen-Transaktionen massiv erhöht. Was früher offenbar ohne Angabe von Gründen akzeptiert worden sei, bedürfe plötzlich konkreter Gründe. Die E-Mail lege eine lockere Compliance-Kultur rund um die Milliarden-Oligarchen nahe. Aussagen würden darauf hindeuten, dass Hyposwiss bisher unvollständige Zahlungsaufträge akzeptiert habe. Die Bank habe unter Compliance offensichtlich verstanden, ihrem reichen Kunden und dessen Schweizer Bevollmächtigten keine Steine in den Weg zu legen.

D. Die Hyposwiss Privatbank AG und die St. Galler Kantonalbank als deren Mutterunternehmen reichten anwaltschaftlich vertreten am 7. März 2012 Beschwerde beim Schweizer Presserat ein: «Inside Paradeplatz» hat mit seiner Berichterstattung die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt:

– Mit dem Artikel «Ex-Assistentin leitet Hyposwiss-Compliance» diffamiere Lukas Hässig die Leiterin Compliance der Hyposwiss, indem er sich in geringschätziger Weise über ihre fachlichen Qualifikationen äussere und ihre charakterliche Eignung in Frage stelle. Insbesondere kritisieren die Beschwerdeführerinnen folgende Passage: «Der Lebenslauf der Hyposwiss-Compliance-Chefin liest sich wie der Werdegang einer Bürofrau, die es durch wenig nachvollziehbare Gründe nach oben gespült hat. Universität? Nur Grundschule in Rumänien und Deutschland und dort Besuch einer Berufsschule. Theoretische Vertiefung in Legal/Compliance? Ebenfalls Fehlanzeige, lediglich Nachdiplom in ‹Paralegal› an der Fachhochschule Winterthur.» Weiter habe die zuständige Chefin offenbar gigantische Beträge ungehindert fliessen lassen. Dies seien sachlich nicht gerechtfertigte Vorwürfe (Ziffer 7 der «Erklärung»). Die Chefin Compliance sei in der Sache nicht alleinige Verantwortliche gewesen. Zudem verfüge sie über eine fachliche Weiterbildung (NDK-DAS Compliance des IFZ Institut für Finanzdienstleistungen in Zug). Zudem habe der Journalist die Beschwerdeführerinnen trotz der Vorwürfe nicht angehört und damit gegen die Richtlinie 3.8 (Anhörung) zur «Erklärung» verstossen.

– Im Artikel «Russen-Hyposwiss gibt Compliance-Versagen zu» sei schon der Titel falsch. In der fragmentarisch zitierten E-Mail finde sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Hyposwiss eigenes Compliance-Versagen zugegeben habe. Da die E-Mail zu dieser Behauptung nicht von der Hyposwiss stamme, lasse sich daraus kein Zugeständnis ableiten. Ebenso wenig lasse sich aus der Anpassung der Compliance-Standards bei der Hyposwiss ein solches Eingeständnis ableiten. Solche Anpassungen entsprächen einem laufenden Prozess bei Banken. Somit habe Lukas Hässig mit dem Titel gegen die Wahrheitspflicht verstossen (Ziffer 1).

– Mit der Aussage, die Hyposwiss verstünde unter Compliance offensichtlich, ihrem Milliardär und dessen Schweizer Bevollmächtigten keine Steine in den Weg zu legen, unterstelle der Verfasser, dass bei der Hyposwiss zweierlei Compliance-Regeln gelten, solche für «normale» Kunden und solche für Oligarchen. Für letztere herrsche gemäss dem Autor eine Kultur des Wegschauens. Die Behauptung stütze sich einzig auf eine E-Mail von dritter Seite. Sie stehe im Widerspruch zu den Resultaten eines Gutachtens der Revisorin der St. Galler Kantonalbank. Diese attestiere der Bank gesetzeskonformes Verhalten. Der Beschwerdegegner lasse zudem den Eindruck aufkommen, die E-Mail strafe den Bericht der Revisorin Lügen. Die Vorwürfe seien deshalb sachlich nicht gerechtfertigt und verstiessen gegen das Wahrheitsgebot (Ziffern 1 und 7 der «Erklärung»). Und der Vorwurf wiege in einer Branche, in der einzig das Vertrauen zähle, ausserordentlich schwer. Trotzdem habe Lukas Hässig der Hyposwiss keine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Damit habe «Inside Paradeplatz» auch mit diesem Artikel gegen die Anhörungspflicht verstossen (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung»).

– Für den Leser sei im Text zudem nicht erkenntlich, bei welchen Passagen es sich um den übersetzten Inhalt der E-Mail und bei welchen um einen Kommentar des Autors handle. Dieser vermische damit Fakten und Kommentar und verletze die Richtlinie 2.3 zur «Erklärung».

– Hässig benutze die Begriffe «russisch» und «Russen-» in seinen Artikeln auffällig häufig und durchwegs mit einem negativen Unterton. Die Begriffe «Russen-Hyposwiss» und «Russen-Sumpf» seien bedenklich. Damit würden die Beschwerdeführerinnen und auch die Russen als Volk pauschal in die Nähe unsauberen, geradezu mafiösen Geschäftsgebarens gerückt. Die Wortwahl verstosse gegen das Diskriminierungsverbot (Richtlinie 8.2 zur «Erklärung»).

E. Lukas Hässig, Autor der beanstandeten Artikel und Betreiber der Internetseite «Insideparadeplatz.ch», nahm am 14. April 2012 Stellung zur Beschwerde.

– Zum kritisierten Satz «Dort liess die zuständige Chefin die gigantischen Beträge offenbar ungehindert fliessen» (Artikel vom 7. Dezember 2011) schreibt Hässig, dass gigantische Summen geflossen seien, sei unbestritten. Durch den Begriff «offenbar» sei klar gekennzeichnet, dass es sich um eine Einschätzung handle. Zudem habe er im Artikel nicht geschrieben, dass die Compliance-Chefin alleinige Verantwortungsträgerin gewesen sei. Er habe sogar explizit auf die Verantwortung ihrer Vorgesetzten hingewiesen.

– Hässig gesteht ein, dass er die Weiterbildung der Compliance-Chefin im Artikel nicht erwähnt. Die Weiterbildung sei in ihrem Lebenslauf im Internet nicht aufgeführt gewesen. Zudem ändere die Weiterbildung nichts an der fragwürdigen Besetzung der Compliance-Position. Es sei zu erwarten, dass eine solch exponierte Position von einer besser ausgewiesenen Fachperson mit Studium der Rechtswissenschaften, einem Wirtschaftsprüfer mit langjähriger Berufserfahrung in der Revision oder einem anderen besser geeigneten Experten besetzt würde. Selbst mit der Weiterbildung sei der Werdegang der Compliance-Chefin bei der Hyposwiss ungewöhnlich. Ansonsten sei ihr Werdegang im Artikel zwar pointiert, aber korrekt skizziert.

– Die Position der Hyposwiss sei ausführlich wiedergegeben und dass grosse Geldmengen geflossen seien, sei öffentlich bekannt gewesen und unbestritten. Eine Anhörungspflicht habe deshalb nicht bestanden.

– Der Artikel vom 6. Februar 2012 halte sich streng an die Fakten. Aus der E-Mail gehe hervor, dass bei der Hyposwiss die Compliance-Standards kurz zuvor verschärft worden seien und dass der Oligarch respektive dessen Helfer in der Schweiz bisher hohe Beträge hätten verschieben können, ohne der Hyposwiss dafür einen wirtschaftlichen Grund angeben zu müssen. Relevant sei, dass grundsätzliche Hinweise auf potentielle Veränderungen in den Praktiken der Compliance der Bank bestünden. Der Artikel sage nicht, weshalb die Praktiken geändert worden seien, sondern zeige die zeitliche Synchronität zwischen dem Publikwerden der Vorwürfe und der Verschärfung der Compliance. Auf den Vorwurf, dass der Titel «Russen-Hyposwiss gibt Compliance-Versagen zu» wahrheitswidrig sei, sei deshalb nicht weiter einzugehen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Praxisänderung und Publikwerden sei Fakt und bilde die Grundlage für den Vorwurf.

– Die Aussage, die Hyposwiss verstünde unter Compliance offensichtlich, ihrem Milliardär und dessen Schweizer Bevollmächtigten keine Steine in den Weg zu legen, sei kein schwerer Vorwurf, sondern eine Einschätzung. Dies gehe aus dem Wort «offensichtlich» hervor. Zudem sei der Chef der Hyposwiss im Artikel mit Aussagen zum Gutachten des Revisors zitiert worden. Bisher hätten die Beschwerdeführerinnen trotz der Schwere des Falls öffentlich sehr zurückhaltend kommuniziert. Es sei nicht zu erwarten gewesen, dass ein Anruf bei der Hyposwiss zu einer weiterführenden Stellungnahme geführt hätte.

– Auf den Vorwurf der Vermischung von Kommentar und Fakten geht der Beschwerdegegner nicht näher ein. Der Text sei «journalistisch sauber».

– Der Begriff «Russen-Hyposwiss» mache dem Leser unverzüglich klar, worum es in den Artikeln gehe. Damit würden weder Russen noch Russland schlecht gemacht. Der Doppelbegriff bringe die Verstrickung der Hyposwiss klar zum Audruck. Auf den im Titel des Artikels vom 20. Dezember 2011 verwendeten Begriff «Russen-Sumpf», geht Hässig nicht ein.

F. Der Presserat wies die Beschwerde der 3. Kammer zu, der Max Trossmann als Präsident, Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Peter Liatowitsch, Markus Locher und Franca Siegfried angehören.

G. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 12. September 2012 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 1 Abs. 4 seines Geschäftsreglements erstreckt sich die Zuständigkeit des Presserates auf den redaktionellen Teil oder damit zusammenhängende berufsethische Fragen. Seine Zuständigkeit erstreckt sich auf Publikationen in sämtlichen periodisch erscheinenden bzw. aktualisierten Informationsmedien, mithin auch auf das Internet (vgl. Stellungnahme 36/2000). «Insideparadeplatz.ch» publiziert nach eigenen Angaben täglich einen recherchierten Artikel und wöchentlich wird ein Newsletter mit den Artikeln verschickt. Mithin ist auf die Beschwerde einzutreten.

2. a) Hat «Inside Paradeplatz» mit der Veröffentlichung des Artikels vom 7. Dezember 2011 über die Stellenbesetzung der Compliance-Leitung und den Werdegang der Leiterin gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen? Der Bericht skizziert den Lebenslauf der Leiterin, unterlässt es aber, eine Weiterbildung der Leiterin im Bereich Compliance zu erwähnen. Dieser Fehler ist nach Auffassung des Presserats nicht gravierend genug, um einen Verstoss gegen die Wahrheitspflicht festzustellen. Ob die Ausbildung der Leiterin Compliance ausreichend war, kann der Presserat ebenso wenig beurteilen wie deren charakterliche Eignung. Letztere stellt «Inside Paradeplatz» ohnehin bloss als Frage und nicht als Tatsachenbehauptung in den Raum.

Auch die Aussage, dass die zuständige Leiterin Compliance offenbar gigantische Beträge ungehindert fliessen liess, verstösst nicht gegen die «Erklärung». Dass es um grosse Beträge ging, ist unbestritten. Zudem weist der Journalist auf die Verantwortung der Vorgesetzten der Leiterin hin. Für den Presserat ist deshalb nicht erstellt, dass die Vorwürfe sachlich nicht gerechtfertigt wären.

b) Wäre Hässig hingegen verpflichtet gewesen, die Beschwerdeführerinnen vor der Veröffentlichung des Artikels vom 7. Dezember 2011 zumindest mit dem Vorwurf zu konfrontieren, sie habe als «zuständige Chefin die gigantischen Beträge offenbar ungehindert fliessen» lassen?

Dieser Vorwurf wiegt nach Auffassung des Presserats schwer, da er im Kontext des gesamten Artikels impliziert, die Hyposwiss bzw. deren Compliance-Chefin habe in einem «grossen Compliance-Fall», bei dem «Hunderte von Millionen (…) über Offshore-Konstrukte veruntreut worden sein sollen», systematisch «weggeschaut». Der Vorwurf ist aber insofern nicht neu, als ihn zuvor bereits andere Medien veröffentlicht hatten (vgl. dazu beispielsweise die Berichte von «Cash Online» vom 4. November 2011 – «Fall Bodmer: Fragwürdige Compliance bei Hyposwiss», «Thurgauer Zeitung» vom 5. November 2011 – «Rücktritt und Durchleuchtung: St. Galler KB geht in die Offensive» sowie des «St. Galler Tagblatt» vom 22. November 2011 – «Im Spinnennetz der Oligarchen»). Gemäss der Praxis des Presserats ist eine Anhörung nicht zwingend, wenn schwere Vorwürfe nicht neu sind (Stellungnahmen 10 und 23/2008). Verzichtet die Redaktion auf die (neuerliche) Anhörung, ist sie allerdings verpflichtet, zusammen mit dem Vorwurf auch eine frühere Stellungnahme des Betroffenen mitzuliefern. Diese Voraussetzung ist vorliegend insofern erfüllt, als «Inside Paradeplatz» Hyposwiss-Präsident Roland Ledergerber zitiert, wonach «aus heutiger Sicht die Sorgfaltspflichten erfüllt worden» seien und «bei der Hyposwiss-Compliance alles in Ordnung sei».

3. a) Der Presserat hat sich verschiedentlich mit Zu- und Überspitzungen in Titeln und Schlagzeilen befasst. Dabei ging es meist um die Frage, ob die Wahrheitspflicht verletzt worden ist (58/2007). «Die Zuspitzung von Fakten in Schlagzeilen und Titeln ist berufsethisch zulässig, wenn dadurch ein Sachverhalt auf den Punkt gebracht wird. Eine unzulässige Überspitzung liegt demgegenüber vor, wenn der Sachverhalt durch die Verkürzung wahrheitswidrig verfälscht wird.» Der Presserat prüft dabei hypothetisch, ob Gefahr besteht, dass Leserinnen und Leser, bei denen nicht vorausgesetzt werden kann, dass sie neben Titel und Lead auch den Lauftext eines Artikels von A–Z aufmerksam lesen, in relevanter Weise getäuscht werden (12/2009).

Der Titel des Artikels «Russen-Hyposwiss gibt Compliance-Versagen zu» vom 6. Februar 2012 impliziert, dass die Bank ein Versagen in irgendeiner Form kommuniziert hat. Lukas Hässig argumentiert, die Bank habe mit der Verschärfung der Compliance-Regeln, das Versagen indirekt eingestanden. Diese Interpretation erläutert er im Artikel allerdings an keiner Stelle.

Gemäss der langjährigen Praxis des Presserates sind stark verkürzende, weit gehende Titel frühzeitig, bereits im Untertitel oder Lead, zu relativieren. Der Titel «Russen-Hyposwiss gibt Compliance-Versagen zu» ist nicht nur stark verkürzt, sondern kann Leserinnen und Leser in relevanter Weise täuschen. Es ist nicht klar, weshalb die Bank die Regeln gegenüber reichen Kunden geändert hat. Die Regeländerung ist nur mit der E-Mail eines Anwalts aus dem Büro Bodmer belegt. Für den Presserat verstösst der Titel, der behauptet, die Hyposwiss gebe ein Versagen zu, deshalb gegen das Wahrheitsgebot (Ziffer 1 der «Erklärung»).

b) Ob bei der Hyposwiss für Oligarchen andere Compliance-Regeln galten als für «normale» Kunden, kann der Presserat aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen nicht beurteilen. Auch nicht, ob eine «Kultur des Wegschauens» herrschte. Die Zitate aus der erwähnten E-Mail deuten darauf hin, dass die Regeln für reiche Kunden strenger geworden sind und zuvor verhältnismässig locker waren. Dagegen spricht allerdings der Bericht des Revisors. Aufgrund der Unterlagen ist deshalb nicht erstellt, dass die Vorwürfe von «Insideparadeplatz.ch» sachlich nicht gerechtfertigt sind und gegen das Wahrheitsgebot verstossen.

c) Wie steht es demgegenüber beim Artikel vom 6. Februar 2012 in Bezug auf die Anhörungspflicht? Wie oben unter Erwägung 2b) ausgeführt, erhebt Lukas Hässig einen schweren Vorwurf, wenn er die Compliance-Praktiken der Hyposwiss in Frage stellt. Zwar ist der Vorwurf als solcher nicht neu und der Bericht erwähnt auch das positive Gutachten der Bankrevisorin PwC, mit dem die Hyposwiss vorübergehend scheinbar aus der Schusslinie gelangt sei. Und ebenso gibt «Inside Paradeplatz» die Statements der «Hyposwiss-Chefs» von Anfang Dezember 2011 wieder, wonach es «keine Hinweise auf den Tatbestand der Geldwäscherei» gäbe, «keine Meldepflichten verletzt» worden seien und die «Standesregeln zur Sorgfaltspflicht eingehalten worden seien». Der Bericht suggeriert jedoch darüber hinaus, mit der E-Mail aus der Anwaltskanzlei Bodmer sei ein neues belastendes Element aufgetaucht, welches die früheren Dementis zur Makulatur mache und den PwC-Bericht als Gefälligkeitsgutachten entlarve. Da insoweit der Vorwurf der willkürlichen Anwendung von Compliance-Regeln auf einer neuen Grundlage steht, wäre «Inside Paradeplatz» verpflichtet gewesen, die Hyposwiss vor der Veröffentlichung des Artikels anzuhören und eine allfällige Reaktion im Artikel kurz und fair wiederzugeben. An dieser Pflicht ändert auch der Einwand von Lukas Hässig nichts, es sei nicht zu erwarten gewesen, «dass ein Anruf bei der Beschwerdeführerin zu Statements» geführt hätte, die über das zuvor Gesagte hinausgingen. Vielmehr wäre «Inside Paradeplatz» gegebenenfalls verpflichtet gewesen, dies im beanstanden Medienbericht zu vermerken.

d) Gemäss der Richtlinie 2.3 zur «Erklärung» achten Journalisten darauf, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden, kritisierenden F
akten unterscheiden kann. Dabei erleichtert eine optische Abgrenzung des Kommentars dem Publikum das Unterscheiden. Die Abgrenzung ist jedoch nicht zwingend.

Die Beschwerdeführerinnen beschuldigen den Beschwerdegegner, sorgfaltswidrig Fakten und Kommentare zu vermischen. Entsprechende Stellen im Artikel nennt sie dabei nicht. Gemeint sind wohl Aussagen wie: «Das deutet darauf hin, dass die Hyposwiss-Compliance bis zu diesem Zeitpunkt unvollständige Zahlungsaufträge akzeptiert hatte», «Aus den Angaben geht hervor, dass es der Hyposwiss-Compliance-Abteilung bis dahin offensichtlich nicht wichtig schien, ob Schiffe oder Häuser hinter den Transaktionen standen» und «Die Hyposwiss respektive ihre Muttergesellschaft, die St. Galler Kantonalbank, verstanden unter Compliance ganz offensichtlich, ihrem Milliardär und dessen Schweizer Bevollmächtigten keine Steine in den Weg zu legen». Nach Auffassung des Presserats sind diese Ausführungen für die Leserschaft als kommentierende Einschätzungen des Autors erkennbar.

e) Nach Praxis des Presserats ist eine Anspielung diskriminierend, wenn durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer Gruppe beeinträchtigt und/oder die Gruppe kollektiv herabgewürdigt wird (vgl. die Stellungnahmen 65/2009, 1/2011). In der Stellungnahme 37/2004 schreibt der Presserat: «Eine Bezugnahme auf die ethnische, nationale oder religiöse Zugehörigkeit ist nur dann diskriminierend, wenn sie mit einem erheblich verletzenden Unwerturteil verbunden ist.» Ebenso hat der Presserat aber festgehalten (13/2006), dass die richtiggestellte Wer-Frage zum medienhandwerklichen Grundmuster gehört, solange sie fallbezogen ist und nicht willkürlich auf bestimmte Ethnien begrenzt wird.

Dass Lukas Hässig in den beanstandeten Artikeln den Bezug zur Nationalität der Oligarchen macht, ist fürs Verständnis wichtig. In der Zuspitzung mit Begriffen wie «Russen-Sumpf» und «Russen-Hyposwiss» kann der Presserat kein generalisierendes Unwerturteil erkennen, das sich auf die Gesamtheit der russischen Staatsangehörigen erstreckt. Ein Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot (Richtlinie 8.2 zur «Erklärung») ist deshalb zu verneinen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. «Insideparadeplatz.ch» hat mit der Veröffentlichung des Berichts vom 6. Februar 2012 («Russen-Hyposwiss gibt Compliance-Versagen zu») die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Wahrheit) verletzt. Der Titel entspricht nicht dem, was im Artikel steht und was aus den Stellungnahmen der beiden Parteien hervorgeht. Zudem hätte die Internetseite die Hyposwiss zwingend zu den auf neuer Grundlage erhobenen schweren Vorwürfen anhören müssen. Mit der Unterlassung hat «Insideparadeplatz.ch» die Ziffer 3 der «Erklärung» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

4. In Bezug auf den Bericht vom 6. Februar 2012 hat «Insideparadeplatz.ch» die Ziffern 2 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3 (in Bezug auf die Anhörung bei schweren Vorwürfen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung» nicht verletzt.

5. «Insideparadeplatz.ch» hat mit den Artikeln vom 7. Dezember 2011 («Ex-Assistentin leitet Hyposwiss-Compliance») und vom 20. Dezember 2011 («Kleine Hyposwiss gross im Russen-Sumpf») die «Erklärung» nicht verletzt.