Nr. 50/2013
Privatsphäre / Diskriminierung / Menschenwürde

(X. c. «Wochenblatt für das Birseck und Dorneck») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 22. August 2013

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Zusammenfassung

Umstrittenes Plazet zur Bildpublikation
Darf sich eine Zeitung auf die Zusicherung der Geschäftsleiterin einer Behindertenwerkstatt verlassen, die bei einer Aufnahme Anwesenden seien mit der Publikation von Bildern einverstanden? Dem Presserat genügt dies nicht in jedem Fall. Er empfiehlt deshalb, entweder auf einer schriftlichen Einwilligung zu bestehen oder sich mit den Fotografierten direkt abzusprechen.

Im März 2013 veröffentlichte das «Wochenblatt für das Birseck und Dorneck» einen Bericht über eine Behindertenwerkstatt und zeigte dazu das Foto eines Mannes, der Holzarbeiten ausführt. Dass in der Werkstätte auch nicht-behinderte Arbeitslose tätig sind, war der Bildunterschrift gar nicht und dem Artikel nur mit Mühe zu entnehmen. Der Abgebildete beschwerte sich beim Presserat wegen Verletzung seiner Persönlichkeit und Menschenwürde. Das Veröffentlichen des Bilds sei so nicht abgesprochen gewesen. Er sei arbeitslos, aber nicht behindert – das Bild mindere seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Der Chefredaktor des «Wochenblatt» machte geltend, er habe vor dem Fototermin mit der Leiterin der Einrichtung abgeklärt, dass alle Anwesenden bereit sein würden, sich für eine Veröffentlichung fotografieren zu lassen.
Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut. Weil der Beschwerdeführer von einem Teil der Leserschaft als Behinderter wahrgenommen werden kann, ist die Persönlichkeit verletzt. Die blosse Erwähnung oder Andeutung einer Behinderung setzen den Betroffenen hingegen nicht in seiner Menschenwürde herab.

Résumé

Autorisation contestée de publier une photo
Un journal, se fondant sur l’assurance donnée par la gérante d’un atelier pour handicapés, est-il en droit d’admettre que les personnes présentes lors d’une prise de vue sont d’accord avec une publication? Pour le Conseil de la presse, cela ne suffit pas dans tous les cas. Il recommande dès lors d’insister sur une autorisation écrite ou de s’entendre directement avec les personnes photographiées.

En mars 2013, la «WochenBlatt für das Birseck und Dorneck» publie un article sur un atelier pour handicapés et l’accompagne de la photo d’un homme travaillant le bois. Il ne ressort pas de la légende et à peine de l’article que des chômeurs nullement handicapés travaillent aussi dans cet atelier. La personne photographiée se plaint auprès du Conseil de la presse d’avoir été atteinte dans sa personnalité et sa dignité humaine. Pareille publication n’avait pas été convenue. Il dit être chômeur et non handicapé – la photo diminue ses chances sur le marché du travail. Le rédacteur de la «WochenBlatt» fait valoir qu’avant de prendre date pour la photo il avait convenu avec la responsable de l’institution que toutes les personnes présentes seraient d’accord de se faire photographier en vue d’une publication.

Le Conseil de la presse admet partiellement la plainte. Du moment que le plaignant peut être perçu comme handicapé par une partie des lecteurs, il y a atteinte à la personnalité. La seule mention ou allusion à un handicap en revanche ne représente pas une atteinte à la dignité humaine.

Riassunto

Problematica pubblicazione di una foto
Basta a un giornale assicurarsi che la direttrice di un laboratorio protetto per handicappati sia d’accordo con la pubblicazione della foto di persone al lavoro senza chiedere il permesso degli interessati? Non in tutti i  casi, sostiene il Consiglio svizzero della stampa. Ai media si raccomanda di chiedere un’autorizzazione scritta oppure di contattare direttamente le persone fotografate.

Il «Wochenblatt für das Birseck und Dorneck» aveva pubblicato, nel marzo 2013, un servizio su un laboratorio protetto illustrandolo con la foto di un uomo attivo alla lavorazione del legno. Nella dicitura della foto tuttavia – e anche nell‘articolo lo si poteva dedurre solo difficilmente – non veniva precisato che in quel laboratorio erano attivi anche dei disoccupati, e non solo degli invalidi. Una delle persone ritratte ha presentato un reclamo al Consiglio della stampa sostenendo che la pubblicazione della foto non era stata concordata con lui. La pubblicazione era tale a suo avviso da ostacolare la sua ricerca di un posto di lavoro in quanto disoccupato, e in tal modo costituiva una violazione della sua personalità e offendeva la sua dignità. Il direttore del settimanale risponde che la ripresa fotografica era stata concordata prima della pubblicazione con la direttrice della struttura e che tutti i presenti erano d’accordo di apparire in immagine.
Il reclamo è stato parzialmente accolto. In quanto la persona poteva essere scambiata, almeno da una parte dei lettori, per un handicappato, si può dire che vi sia stata violazione della personalità: non tuttavia grave al punto da configurare un’offesa alla sua dignità.


I. Sachverhalt


A.
Am 14. März 2013 erschien auf der Titelseite der Zeitung «Wochenblatt für das Birseck und Dorneck» der Bericht «Es kann jeden von uns treffen» über die Stiftung Werkstar in Arlesheim BL. Anlass war das 30-jährige Bestehen der Einrichtung. Illustriert ist der grossflächig aufgemachte Artikel unter der Unterzeile «Die Stiftung Werkstar integriert seit 30 Jahren psychisch behinderte Menschen ins Wirtschaftsleben» mit einem dreispaltigen Bild. Darauf zu sehen sind eine Frau und ein Mann, beide augenscheinlich mit Holzarbeiten beschäftigt.

Der Lead der Geschichte erzählt von einem «Paradigmenwechsel in der Psychiatrie», der Einstieg lautet: «Integrative Arbeitsplätze, überhaupt die Möglichkeit, psychisch kranke Menschen in einem normalen Alltagskontext unterzubringen, hätten vor 40 Jahren noch nicht der Normalität entsprochen. Aber es bahnte sich just zu dieser Zeit eine tiefgreifende Veränderung des Psychiatriewesens an, das seine Patienten bis dahin einfach in seinen Grosskrankenhäusern versorgte, teilweise auf Jahrzehnte hinaus.»

Die Bildunterzeile sagt, ohne die Namen der gezeigten Personen zu nennen: «Sie sind keine Profis, ihre Arbeit muss aber professionellen Standards genügen: Die Stiftung Werkstar bietet rund 90 betreute Arbeitsplätze an, die eine Chance auf einen Wiedereinstieg in ein ‹normales› Arbeitsleben ermöglichen.»

B. Am 25. März und 15. April 2013 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat über den obengenannten Bericht. Er sei «für alle Leser klar erkenntlich» der im «Wochenblatt» präsentierte Mann im Bildvordergrund. Die Publikation sei gegen seinen Willen erfolgt. Über den Anlass und Inhalt des Berichts sei er nur insofern orientiert gewesen, als dass die Stiftung Werkstar «in die Zeitung komme» und es noch eine Aufnahme brauche – «und schon war’s passiert».

Mit der Veröffentlichung des beanstandeten Berichts habe die Zeitung die Ziffern 7 (Privatsphäre) und 8 (Diskriminierung, Menschenwürde) der «Erklärung der Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Für die Stiftung Werkstar sei er nicht infolge einer psychischen Behinderung, sondern wegen seiner Langzeitarbeitslosigkeit tätig gewesen. Diese Information habe er aber nicht jedermann bekannt geben wollen, sondern betrachte sie als Teil seiner geschützten Privatsphäre. Ein psychisch angeschlagener Mensch hingegen werde von der Allgemeinheit nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft betrachtet. Der Kontext, in den er durch den Bericht hineingeraten sei, schade ihm deshalb auf der Stellensuche.

C. Am 16. Mai 2013 wies Thomas Kramer, Redaktionsleiter des «Wochenblatt», die Beschwerde als unbegründet zurück. Er bedaure, dass der Bericht beim Beschwerdeführer «eine solch negative Reaktion ausgelöst hat». Gerade den Aspekt der Veröffentlichung eines Bildes habe er beim Vorgespräch mit der Geschäftsführerin der Stiftung Werkstar ausführlich erörtert. «Wir haben (…) festgehalten, dass die Stiftung (…) intern abklärt, ob sich betroffene Personen für ein Bild zur Verfügung stellen würden. Im Bewusstsein, dass die Abbildung einer betroffenen Person im Zusammenhang mit dem Artikel sehr heikel ist, waren wir uns von Anfang an einig, dass nur Personen fotografiert und erkennbar sein dürfen, die sich damit explizit einverstanden erklären.» Die Geschäftsführerin habe die entsprechenden Abklärungen gemäss Rückfrage vor dem Fototermin getroffen. Der Fotograf und die Redaktion hätten mithin davon ausgehen dürfen, dass die Personen, die am fraglichen Fototermin anwesend waren, darunter auch der Beschwerdeführer, mit einer Abbildung im «Wochenblatt» einverstanden gewesen seien.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Michael Herzka, Pia Horlacher, Klaus Lange, Francesca Luvini, Sonja Schmidmeister und David Spinnler (Mitglieder) angehören.

E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 22. August 2013 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Gemäss der Ziffer 7 zur «Erklärung» respektieren die Medienschaffenden «die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt». Die zugehörige Richtlinie 7.2 (Identifizierung) verlangt, dass die Medienschaffenden die beteiligten Interessen sorgfältig abwägen. Eine identifizierende Berichterstattung ist unter anderem zulässig, «sofern die betroffene Person (….) in die Veröffentlichung einwilligt».

Der Beschwerdeführer räumt in seiner Beschwerde ein, er sei über den Anlass und Inhalt des Berichts insoweit orientiert gewesen, als dass die Stiftung ‹in die Zeitung komme› und es noch eine Aufnahme brauche. Hat er mithin in die Veröffentlichung eingewilligt und ist seine Beschwerde in Bezug auf die gerügte Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung» deshalb gegenstandslos? Der Presserat beantwortet die Frage differenziert. Aufgrund der Vorabklärung durch die Geschäftsführerin und da der Fotograf bei der Aufnahme kaum zu übersehen war, musste der Beschwerdeführer tatsächlich davon ausgehen, dass ein Bild mit ihm erscheinen würde. Hingegen musste er aber nicht gerade mit einem derart prominenten Auftritt – mit ihm im Bildvordergrund und auf der Titelseite – und vor allem nicht damit rechnen, dass er aufgrund des Artikels fälschlicherweise als Behinderter wahrgenommen werden könnte.

Im Vordergrund des Berichts stehen aber psychisch Behinderte. Bloss aus einigen weiter hinten angefügten Formulierungen ist herauszulesen, dass sich Patienten die betreuten Arbeitsplätze auch mit arbeitslosen Nicht-Behinderten teilen. In welchem Zahlenverhältnis die beiden Personengruppen stehen, wird an keiner Stelle erwähnt. Der deutlichste Hinweis auf nicht-behinderte Arbeitslose findet sich versteckt in einem historischen Rückblick auf Spalte zwei des Berichts: «Die ersten integrativen Arbeitsplätze schuf der Verein Werkstar in einem Arlesheimer Garten. Davon profitierten nicht nur die Patienten, denen der Verein den Weg zurück ins Leben ebnen wollte, sondern auch Arbeitslose, von denen es damals mitten in der Rezession für Schweizer Verhältnisse viele gab.»

In dem mit ca. 125 Zeilen recht ausführlichen Artikel wird mit keinem Wort erwähnt, dass auch heute noch Menschen in der Einrichtung arbeiten, die keine Patienten sind. Der Gesamteindruck, der in der Wahrnehmung des nicht vor-informierten Lesers entsteht, ist der einer geschützten Werkstätte. Dieser Eindruck überträgt sich auf die im Bild gezeigten Personen. Sie erscheinen in Ermangelung anderer Informationen ebenfalls als Behinderte.

Unter diesen Umständen hätte sich das «Wochenblatt» nicht allein auf die pauschale Zusicherung der Geschäftsführerin verlassen dürfen, wonach die bei der Aufnahme Anwesenden mit der Publikation von Bildern einverstanden seien, sondern auf schriftlichen Einverständniserklärungen der Betroffenen bestehen oder selbst mit den Fotografierten Kontakt aufnehmen müssen.

2. Wie der Beschwerdeführer selber ausführt, enthält der Artikel des «Wochenblatt» keinerlei diskriminierende Anspielungen. Ebenso wenig werden Behinderte in ihrer Menschenwürde herabgesetzt. Die Erwähnung einer Behinderung allein diskriminiert ihren Träger nicht, selbst wenn die Entwürdigung von Behinderten in den Köpfen mancher Medienkonsumenten wohl immer noch stattfindet. Dadurch, dass er aufgrund des beanstandeten Berichts als Behinderter wahrgenommen werden kann, ist X. zwar in seiner Persönlichkeit verletzt. Er wird aber weder diskriminiert noch anderweit in seinem Menschsein herabgesetzt.


III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Mit der Veröffentlichung des Artikels «Es kann jeden von uns treffen» (Ausgabe vom 14. März 2013) hat das «Wochenblatt für das Birseck und Dorneck» die Ziffer 7 der «Erklärung» (Privatsphäre) verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

4. Das «Wochenblatt für das Birseck und Dorneck» hat die Ziffer 8 der «Erklärung» (Diskriminierung, Menschenwürde) nicht verletzt.