Nr. 4/2013
Entstellung von Informationen / Berichtigung / Unabhängigkeit

(X. c. «Quartier-Anzeiger für Witikon und Umgebung») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 8. Februar 2013

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I. Sachverhalt

A.
In der Ausgabe Nr. 5 vom Juli 2012 veröffentlichte der «Quartier-Anzeiger für Witikon und Umgebung» einen Leserbrief von X. zu einem Bauprojekt im Glockenackerquartier in Zürich-Witikon (Titel: «Rundumschläge gegen eine Wohnüberbauung»). Darin reagiert der Autor auf einen Artikel in der vorherigen Ausgabe des «Quartier-Anzeiger» («Das Bauprojekt Glockenacker kommt wieder in Fahrt»). X. zeigt sich angesichts des für Witiker Verhältnisse «eher grossen» Projekts und der «massiven» Auswirkungen im Glockenackerquartier erstaunt, «dass der Bericht im QA oberflächlich und insgesamt verharmlosend ist». Der Leserbriefschreiber illustriert seine Sichtweise mit zwei Beispielen und kommt zum Schluss, eine Projektanpassung durch «Einverleibung» einer Fläche von 231 m2 erlaube zwar eine Erhöhung der Ausnützungsziffer. Dies bringe aber weder für die Gestaltung der Bauten noch für die Aktivitäten der künftigen Bewohner einen Nutzen. Die «Vergrösserung» des «untermässigen Grundstücks zur Erlangung des Arealbonus (= erhöhte Ausnutzung) auf die beschriebene Weise ist ein Versuch, das Gesetz zu unterlaufen, was deutlich missbilligt werden muss».

Der «Quartier-Anzeiger» fügte dem Leserbrief folgende «Anmerkung des Redaktors» an: «Der Leserbriefschreiber hat nicht darauf hingewiesen, dass er das von der Stadt begrüsste Siedlungsprojekt im Quartier als Anwohner behinderte. Damit wurde der Bau von Dutzenden von Wohnungen in Witikon für Familien und Einzelpersonen unnötig verzögert. Andernorts haben sich derartige Aktivitäten auch schon nachteilig auf die Mietzinsen ausgewirkt.»

B. Am 9. Juli 2012 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat über die zusammen mit dem «süffigen» Titel «Rundumschlag gegen eine Wohnüberbauung» «unhaltbare, ruf- und kreditschädigende Behauptung, ich hätte als Anwohner das erwähnte Neubauprojekt verhindert und damit den Bau von Dutzenden Wohnungen unnötig verzögert und vielleicht sogar verteuert». In der jahrelangen Planungsgeschichte des Projekts, die auf das Jahr 2002 zurückgehe, habe er bisher – zusammen mit anderen Anwohnern – zwei Petitionen zu Handen einer Liegenschaftsverwaltung und dem Amt für Baubewilligungen der Stadt Zürich sowie zwei Leserbriefe im «Quartier-Anzeiger» veröffentlicht. Mit diesen Aktionen lasse sich keine Verzögerung des Planungsprozesses erzwingen. Als Mieter einer benachbarten Wohnsiedlung und als engagierter Quartierbewohner habe er die Ereignisse über viele Jahre hinweg verfolgt, soweit diese überhaupt öffentlich geworden seien. Er kenne weder die Ursachen der Querelen unter den benachbarten Liegenschaftsbesitzern noch die Gründe, weshalb das erste Baugesuch erst im März 2011 eingereicht worden sei – neun Jahre nach dem Planungsbeginn. Bisher sei aber noch kein Behördenentscheid ergangen, gegen den man hätte rekurrieren und so den Planungsprozess für eine Weile hätte aufhalten können.

Die Artikel im «Quartier-Anzeiger» erweckten den Eindruck, «als wäre Erik Eitle das Sprachrohr des Architekten», dessen PR er unkritisch übernehme. Auf Kritik an seiner Arbeitsweise reagiere QA-Redaktor Eitle unwirsch.

Mit seiner Arbeitsweise verstosse der Redaktor gegen die Präambel («Journalistinnen und Journalisten sichern den gesellschaftlich notwendigen Diskurs») sowie gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 2 (Unabhängigkeit und das Ansehen des Berufs), 3 (keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen), 5 (Berichtigung) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

C.
Am 10. September 2012 wies Erik Eitle, Redaktor des «Quartier-Anzeiger für Witikon und Umgebung», die Beschwerde als unbegründet zurück. Der «Quartier-Anzeiger» habe den Leserbrief des Beschwerdeführers mit Ausnahme des Schlusssatzes «Wunsch an den QA: Bitte mehr sorgfältigere Recherche und weniger Gefälligkeitsschreibe. Danke!» in der Ausgabe vom 6. Juli 2012 veröffentlicht. Der Beschwerdeführer komme mit seiner Kritik, wonach der «Quartier-Anzeiger» oberflächlich und insgesamt verharmlosend über das Projekt im Glockenacker berichte, auch so noch ausreichend zu Wort.

Zum vom Beschwerdeführer beanstandeten Satz, dieser habe als Anwohner das Projekt behindert, führt Erik Eitle an, ihm sei aufgrund seiner Recherchen, von «voneinander unabhängigen Quellen bestätigt worden, dass der Leserbriefschreiber und Beschwerdeführer persönlich bei den stadtzürcherischen Baubewilligungsbehörden vorstellig geworden war und erfolgreich gegen das Bauverfahren lobbyierte – was zu Verzögerungen geführt hat. Er selbst bezeichnet dieses Vorgehen in seiner Beschwerde als Petitionen und Aktionen.» Der «aufklärerische Hinweis» auf die Rolle des Beschwerdeführers stehe in direktem Zusammenhang  zu seinem Leserbrief. Und da der materielle Gehalt des Artikels weder ganz noch teilweise falsch sei, gebe es nichts zu berichtigen.

Weiter bestreitet der Redaktor den Vorwurf mangelnder Unabhängigkeit. Der für das Projekt verantwortliche Architekt werde im Beitrag «Das Projekt Glockenacker kommt wieder in Fahrt» ausdrücklich als einer der Informanten bezeichnet. Von einem Mangel journalistischer Unabhängigkeit könne angesichts der sachlichen Berichterstattung keine Rede sein.

D.
Am 14. September 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E.
Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 8. Februar 2013 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1.
Der Beschwerdeführer beruft sich auf insgesamt fünf verschiedene Punkte der «Erklärung», wobei sich die Beanstandungen teilweise überschneiden. Der Presserat beschränkt sich deshalb darauf, in seinen Erwägungen auf die drei wichtigsten Rügen einzugehen:

– Hat der «Quartier-Anzeiger» mit der Streichung des letzten Satzes des Leserbriefs wichtige Informationen unterschlagen (Ziffer 3 der «Erklärung»)?
– Entstellt Redaktor Erik Eitle mit den Sätzen in seiner Anmerkung, der Beschwerdeführer habe «nicht darauf hingewiesen, dass er das von der Stadt begrüsste Siedlungsprojekt im Quartier als Anwohner behinderte. Damit wurde der Bau von Dutzenden Wohnungen in Witikon für Familien und Einzelpersonen unnötig verzögert» Tatsachen und hätte er dies berichtigen müssen (Ziffern 3 und 5 der «Erklärung»)?
– Lässt der Redaktor in Zusammenhang mit seiner Berichterstattung über das Wohnbauprojekt Glockenacker die erforderliche journalistiche Unabhängigkeit vermissen (Ziffer 2 der «Erklärung»)?

2.
Zwar entspricht  die Streichung des letzten Satzes des Leserbriefs «Wunsch an den QA: Bitte mehr sorgfältigere Recherche und weniger Gefälligkeitsschreibe. Danke!» nach Auffassung des Presserates nicht gerade einem souveränen Umgang mit Kritik. Der Presserat hat die Redaktionen bereits in der Stellungnahme 1/1999 aufgefordert, Reaktionen aus dem Publikum, die sich über eine Berichterstattung empören, grosszügig Raum zu geben, dies selbst dann, wenn sie die Redaktion scharf angreifen. Letztlich liegt die Bearbeitung und Kürzung von Leserbriefen aber im Ermessen der Redaktionen. Die Streichung des Satzes erscheint aber unter dem Gesichtspunkt von Ziffer 3 der «Erklärung» zumindest vertretbar. Denn der «Quartier-Anzeiger» unterschlägt die Kritik des Beschwerdeführers nicht vollständig, sondern hat dessen Kritik abgedruckt, wonach es erstaune, dass «der Bericht im QA oberflächlich und insgesamt verharmlosend ist».
3. Wesentlich problematischer erscheint demgegenüber der Satz «Der Leserbriefschreiber hat nicht darauf hingewiesen, dass er das von der Stadt begrüsste Siedlungsprojekt im Quartier als Anwohner behinderte.» Die zugehörige Begründung von Redaktor Eitle, zwei voneinander unabhängige Quellen hätten ihm bestätigt, Bruno Hiestand sei persönlich bei den stadtzürcherischen Baubewilligungsbehörden vorstellig geworden und habe erfolgreich gegen das Bauvorhaben lobbyiert – was zu Verzögerungen geführt habe, erscheint dem Presserat nebulös. Denn sie lässt unklar, wie es möglich sein soll, ein Wohnbauprojekt mit lediglich informellen Handlungen über Jahre hinauszuzögern. Jedenfalls behauptet der Beschwerdegegner nicht, Hiestand habe das Projekt durch formelle Einsprachen verzögert. Genau diesen Eindruck erweckt aber die beanstandete Formulierung nach Auffassung des Presserats. Damit hat der «Quartier-Anzeiger» Informationen im Sinne von Ziffer 3 der «Erklärung» entstellt.

4. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus die Unabhängigkeit des Redaktors des «Quartier-Anzeiger» im Zusammenhang mit der Berichterstattung über das Wohnbauprojekt Glockenacker in Frage stellt, weist der Presserat darauf hin, dass aus der «Erklärung» keine Pflicht zu «objektiver Berichterstattung» abzuleiten ist (vgl. die Stellungnahme 49/2011 mit weiteren Hinweisen). Mithin ist es dem «Quartier-Anzeiger» unbenommen, selbst wenn dies dem Beschwerdeführer als «oberflächlich» und «verharmlosend» erscheint, wohlwollend über das Wohnbauprojekt Glockenacker zu berichten. Eine Verletzung der Ziffer 2 der «Erklärung» ist deshalb zu verneinen.

III. Feststellungen

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. Der «Quartier-Anzeiger für Witikon und Umgebung» hat mit der Veröffentlichung eines unbelegten Vorwurfs in einem redaktionellen Kommentar zu einem Leserbrief (Ausgabe Nr. 5/2012 vom 6. Juli 2012) und dem Unterlassen einer Berichtigung die Ziffern 3 (unter dem Gesichtspunkt der Entstellung von Tatsachen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3.
Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

4. Der «Quartier-Anzeiger» hat die Ziffern 2 (Unabhängigkeit) und 3 (unter dem Gesichtspunkt der Unterschlagung von Informationen) der «Erklärung» nicht verletzt.