Nr. 36/2014
Archivdokumente / Illustrationen /Montagen / Verschleiern des Berufs

(Nachrichtendienst des Bundes c. «Wochenzeitung») Stellungnahme des Presserats vom 10. Dezember 2014

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I. Sachverhalt

A. Am 4. Dezember 2013 veröffentlichte die «Wochenzeitung» (WOZ) ein Video auf Youtube, in welchem der Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) aufgefordert wurde, die Summe von 96 000 Franken bis 17 Uhr gleichentags zu bezahlen. So könne er die Publikation einer Sonderausgabe verhindern, in welcher unter anderem beschrieben werde, wie «WOZ»-Mitarbeiter ihn überwacht hätten. Am Schluss des Videos folgt der Hinweis auf die Internetseite www.markusseiler.ch, wo ab 17 Uhr die wahre Geschichte publiziert werde. Um 17 Uhr schaltete die «WOZ» diese Seite frei. Auf ihr befand sich auch der Artikel über die Überwachung des NDB-Direktors. Dieser erschien am kommenden Tag zudem in der gedruckten Sonderausgabe der «WOZ». Darin beschreiben Dominik Gross und Jan Jiràt unter dem Titel «Der überwachte Überwacher», wie sie sich auf die Spuren von Markus Seiler machen. Sie halten fest: «Mein Kollege Jan Jiràt und ich arbeiten an einem Experiment. Wir wollen wissen, was man über einen Menschen herausfinden kann, ohne dass man ihn wissen lässt, dass man etwas über ihn herausfinden will. Dies ist die Methode der Geheimdienste mit ihrer flächendeckenden, präventiven Überwachung, und wir wollen sie auf die Nummer eins in der Schweiz selbst anwenden.» Unter den Titeln «Der Karrierebeamte», «Die Observation», «Der Gottesdienst», «Die Verfolgungsjagd», «Seilers Venen» und «Technik: Teil der Verschwörung» folgt ein Abriss der verschiedenen Stationen der Journalisten, auf denen sie sich dem Direktor des NDB annähern. Nach einem Kapitel zu seinem Werdegang folgt die Beschreibung, wie sie das Wohnhaus von Markus Seiler in Spiez ausfindig machen und fotografieren und am Sonntagnachmittag den Gottesdienst der Kirchgemeinde, in der Seiler als Personalverantwortlicher fungiert, besuchen. Am kommenden Montagmorgen folgen sie ihm mit Kameramann und Auto auf seinem Weg zur Arbeit von Spiez nach Bern. Beschrieben wird weiter, wie sie das Pentagon, Sitz des NDB, mit einer Drohne überfliegen und Seilers Audi fotografieren wollen und dabei scheitern.

B. Am 9. Dezember 2013 beschwerte sich Felix Endrich in seiner Funktion als Chef Kommunikation NDB beim Schweizer Presserat gegen den Artikel «Der überwachte Überwacher» sowie die zugehörige Website. In seiner ergänzenden Beschwerdebegründung führte er aus, die «WOZ» habe auf Aufforderung des NDB die Internetseite www.markusseiler.ch erst nach fast drei Wochen vom Netz genommen. Zudem sei auf der erwähnten Webseite ein Archivbild verwendet worden, welches nicht als solches gekennzeichnet war, womit Richtlinie 3.3 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Archivdokumente) verletzt sei. Die Webseite habe keinen direkten Zusammenhang mit dem Textinhalt des Zeitungsartikels der «WOZ», weshalb auch Richtlinie 3.4 (Illustrationen) als verletzt erachtet werde. Weitergehend könne die Webseite auch als Montage bezeichnet werden, welche nicht als solche gekennzeichnet war (Richtlinie 3.6 – Montagen). Die Webseite sei irreführend, da sie den Anschein erweckte, es sei die private und persönliche Webseite von Markus Seiler. Auf der Startseite werde der Besucher (vermeintlich) von Markus Seiler begrüsst. Es hätten sich Ausführungen zu Markus Seilers Leben darauf gefunden und sie sei so aufgebaut gewesen, als wäre sie von Markus Seiler eingerichtet worden. Ausserdem hätten sich auf der Homepage diverse Fotos befunden, welche die «WOZ» im Rahmen ihrer Observation aufgenommen habe, die aber den Eindruck erweckt hätten, dass die Bilder von Markus Seiler stammten.

C. Am 4. März 2014 beantragte die anwaltlich vertretene Redaktion der «WOZ», die Beschwerde abzuweisen. Zum Artikel vom 5. Dezember 2013 in der Print- und Online-Ausgabe der «WOZ» machte sie in Bezug auf die vom NDB geltend gemachte Verletzung von Richtlinie 4.1 (Verschleierung des Berufs) geltend, dass die verdeckte Recherche und damit auch die teilweise Verschleierung des Berufs als Medienschaffende Programm gewesen sei. Der monierte Artikel handle ausschliesslich davon, wie leicht Menschen hierzulande und selbst der oberste Geheimdienstchef zu überwachen sind. Zweifellos liege es im öffentlichen Interesse, aufzuzeigen, wie gross die Bereitschaft in der breiten Bevölkerung ist, Unbekannten Auskünfte über irgendwelche Personen zu erteilen. Umso mehr gelte dies, wenn es sich bei der betreffenden Person um den obersten Geheimdienstchef der Schweiz handle, der eigentlich unangreifbar sein sollte und dessen Behörde die nämlichen Methoden anwende, dies zu einem Zeitpunkt, in dem die Amtsführung dieses Geheimdienstchefs seit Monaten in der öffentlichen Kritik stand, die NSA-Affäre immer noch hohe Wellen schlug und das Sammeln und Auswerten von Daten kaum mehr kontrollierbare Ausmasse angenommen habe. Den beiden Autoren sei gar keine andere Methode geblieben, als teilweise verdeckt zu recherchieren. Ansonsten wäre es überhaupt nicht möglich gewesen, ihr Vorhaben zu verwirklichen. Die «WOZ» habe zudem bewusst keine intimen Details aus dem Leben von Markus Seiler veröffentlicht und auch bei der Publikation von Bildern auf die Wahrung seiner Privatsphäre geachtet. Insofern bewege sich dieser publizierte Recherchebericht durchaus im Rahmen der Verhältnismässigkeit und verstosse nicht gegen Richtlinie 4.1 bzw. sei durch die Richtlinie 4.2 über verdeckte Recherchen gerechtfertigt.

In Bezug auf Richtlinie 3.3 (Archivdokumente), welche gebietet, Archivdokumente ausdrücklich als solche zu kennzeichnen, führt die «WOZ» aus, der Beschwerdeführer meine damit wahrscheinlich die Abbildung von Markus Seiler. Auf der linken Seite dieses Bildes finde sich der Hinweis, dass es von Keystone stamme. Die Angabe der Quelle ohne Name des Fotografen, wie das in einer Foto-Byline der Tagesaktualität üblich sei, enthalte gleichzeitig den Verweis auf das Archiv der Agentur. Es handle sich um ein freundliches Porträtbild, weshalb die «WOZ» nicht habe abklären müssen, ob sich Markus Seiler immer noch in der nämlichen Situation befinde wie bei der Aufnahme. Es liege demnach keine zu bemängelnde Verwendung eines Archivdokuments vor.

Hinsichtlich des Vorwurfs, die Website www.markusseiler.ch habe keinen direkten Zusammenhang mit dem Beitrag in der «WOZ» gehabt, führt die «WOZ» aus, dass der Kontext nicht nur inhaltlich offensichtlich war, sondern dass der Online-Artikel der «WOZ» auch mit dieser Website verlinkt war und umgekehrt. Richtlinie 3.4 sei auf Symbolbilder zugeschnitten, die als solche erkennbar sein sollen, hier gehe es jedoch nicht um solche Bilder. Da es sich bei www.markusseiler.ch zudem weder um eine Foto- noch um eine Videomontage handelte, sondern um eine Webseite mit getrennten, einzeln abrufbaren Dokumenten, stelle sich die Frage eines Verstosses gegen die Kennzeichnungspflicht von Montagen gar nicht, weshalb kein Verstoss gegen Richtlinie 3.6 auszumachen sei.

D. Am 28. November 2014 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 10. Dezember 2014 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Richtlinie 3.3 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» hält fest, dass Archivdokumente ausdrücklich zu kennzeichnen sind, allenfalls mit Angabe des Datums der Erstveröffentlichung. Zudem ist abzuwägen, ob sich die abgebildete Person immer noch in der gleichen Situation befindet und ob ihre Einwilligung auch für eine neuerliche Publikation gilt. Der Presserat geht wie die «WOZ» davon a
us, dass der NDB das auf der Webseite veröffentlichte Porträt von Markus Seiler meint, wenn er geltend macht, es sei ein Archivbild verwendet worden, das nicht als solches gekennzeichnet sei. Auf diesem Porträt findet sich links der hochgestellte Schriftzug «Keystone» als Quellenangabe. Dass das Datum der Erstveröffentlichung fehlt, ist nicht zu beanstanden, umso mehr, als es sich, wie die «WOZ» geltend macht, um ein ausgesprochen freundliches Porträt handelt, das zudem offensichtlich aktuell ist. Richtlinie 3.3 ist demnach nicht verletzt.

2. Der NDB macht geltend, die Website habe keinen direkten Zusammenhang mit dem Inhalt des «WOZ»-Artikels, weshalb Richtlinie 3.4 (Illustrationen) verletzt sei. Diese schreibt vor, dass Bilder oder Filmsequenzen mit Illustrationsfunktion, die ein Thema, Personen oder einen Kontext ins Bild rücken, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Textinhalt haben (Symbolbilder), als solche erkennbar sein sollen. Sie sind klar von Bildern mit Dokumentations- und Informationsgehalt unterscheidbar zu machen, die zum Gegenstand der Berichterstattung einen direkten Bezug herstellen.

Bei den auf der Website aufgeschalteten Bildern handelt es sich nicht um Symbolbilder, sondern um solche aus dem Lebensalltag von Markus Seiler. Die beiden Journalisten hatten sich von einem Fotografen bzw. Kameramann begleiten lassen, der Grossteil der Bilder stammt denn auch von ihm. Richtlinie 3.4 ist deshalb vorliegend nicht anwendbar. Nicht nachvollziehbar ist der Vorwurf, es fehle ein Zusammenhang zwischen Artikel und Website, wurde die Website www.markusseiler.ch doch explizit geschaffen, um die Recherchetätigkeit der beiden Journalisten zu dokumentieren.

3. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Webseite könne als Montage bezeichnet werden, die nicht als solche gekennzeichnet sei, worin er eine Verletzung von Richtlinie 3.6 sieht. Diese hält fest, Foto- und Videomontagen seien gerechtfertigt, soweit sie dazu dienen, einen Sachverhalt zu erklären, eine Mutmassung zu illustrieren, kritische Distanz zu wahren oder wenn sie einen satirischen Angriff enthalten. Sie sind in jedem Fall deutlich als solche zu kennzeichnen, damit für das Publikum keine Verwechslungsgefahr besteht.

Wie die «WOZ» geltend macht, handelt es sich vorliegend um eine Webseite, auf der Fotos und Videos abrufbar sind. Erst durch die Verbindung mit Seilers Name (www.markusseiler.ch) wird eine allfällige private Homepage von Seiler konstruiert. Mit der Verlinkung des Inhalts der Webseite mit dem «WOZ»-Artikel ist jedoch von vornherein klar, dass es um die Frage geht, wie viel man über den Geheimdienstchef herausfinden kann. Dass für diese Webseite der Name von Markus Seiler gewählt wurde, macht sie noch nicht zur Montage. Sie illustriert schlicht das Experiment der Journalisten. Liegt keine Montage vor, ist folglich Richtlinie 3.6 auch nicht anwendbar.

4. Der Nachrichtendienst macht weiter geltend, die Journalisten hätten sich nicht als solche zu erkennen gegeben und damit ihren Beruf verschleiert. Richtlinie 4.1 führt dazu aus, dass es unlauter ist, bei der Beschaffung von Informationen, Tönen, Bildern und Dokumenten, die zur Veröffentlichung vorgesehen sind, den Beruf als Journalist zu verschleiern. Vorliegend war die «Übungsanlage», wie sie von den beiden Journalisten der «WOZ» gewählt wurde, ja gerade darauf angelegt, herauszufinden, was über Markus Seiler in Erfahrung zu bringen ist. Ohne verdeckte Recherche hätten sie dieses Experiment, wie sie es selbst nennen, nicht durchführen können. Zweifelsohne besteht ein öffentliches Interesse daran, zu erfahren, wie problemlos Menschen dieses Landes und damit auch der Direktor des NDB zu observieren sind, dies umso mehr zu einem Zeitpunkt, in dem das Thema der Überwachung weltweit breit diskutiert wird. Waren diese Informationen auf keine andere Weise als mittels verdeckter Recherche zu beschaffen, so kann auch kein Verstoss gegen Richtlinie 4.1 vorliegen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Wochenzeitung» hat mit dem Artikel «Der überwachte Überwacher» vom 5. Dezember 2013 und mit der zugehörigen Webseite www.markusseiler.ch die Ziffern 3 (Archivdokumente, Illustrationen, Montagen) und 4 (Verschleierung des Berufs) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.