Nr. 40/2015
Wahrheitspflicht / Anhören bei schweren Vorwürfen / Unschuldsvermutung / Anonyme Anschuldigungen

(X. c. «finews.ch») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 8. Oktober 2015

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Zusammenfassung

Der Schweizer Presserat hat eine weitere Beschwerde von X. abgewiesen. X. hatte moniert, dass er in einem Bericht des Internetportals «finews.ch» zu unrecht als «Verräter» und «Datendieb» bezeichnet worden sei. Dazu machte er eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» geltend. Beide Begriffe stellten weitere schwere Vorwürfe dar, die zwingend die Einholung einer Stellungnahme erfordert hätten. Weil der Artikel nicht gezeichnet sei, sah X. auch die Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt. Dieser verlangt, dass anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen sind. Schon in der Stellungnahme 45/2008 hatte der Presserat im Zusammenhang mit dem Fall X. festgestellt, dass das Wort «Datenklau» in Ordnung war, denn es sei nicht Sache des Presserates, die gegenüber dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit fraglichen Daten von Kunden der Cayman-Niederlassung der Bank Bär erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe juristisch zu bewerten. X. hatte Kundendaten der Bank an die Internetplattform Wikileaks geliefert. In Stellungnahme 29/2012 hatte der Presserat weiter die Begriffe «Dieb» und «Erpresser» geschützt. Vorliegend wurde «Datendieb» aus Sicht des Presserates ebenfalls umgangssprachlich verwendet. Zudem präzisiert «finews.ch», dass X. sich selbst als Whistleblower sieht. Darum sei die Verwendung des Begriffs nicht zu beanstanden. Dasselbe gilt für den Vorwurf «Verräter», wobei es sich dabei um keinen neuen Vorwurf handelt. «finews.ch» durfte ihn verwenden, ohne den Beschwerdeführer anzuhören. Der Presserat wies die Beschwerde von X. darum vollumfänglich ab.

Résumé

Le Conseil suisse de la presse a rejeté une nouvelle plainte de X.. Ce dernier s’était plaint d’avoir été traité de traître et de voleur de données ce qui consistait pour lui une violation du chiffre 1 de la «Déclaration des devoirs et des droits du/de la journaliste» (vérité). De plus, les deux termes constituaient pour lui des reproches graves qui auraient demandé son audition. L’article n’étant pas sign, X. y voyait en plus une violation du chiffre 7 de la «Déclaration». Elle interdit des accusations anonymes ou gratuites. Dans sa prise de position 45/2008 le Conseil de la presse avait estimé  qu’il était légitime d’utiliser le mot vol de données («Datenklau») puisqu’il n’appartenait pas au Conseil de la presse d’apprécier juridiquement les faits reprochés à X. Il avait livré des données de clients à la plateforme Wikileaks. Dans sa prise de position 29/2012 le Conseil avait accepté les termes voleur («Dieb») et traître («Verräter»). Dans le cas présent le terme «voleur de données» a de nouveau été utilisé de manière familière, ce qui est admissible pour le Conseil de la presse. D’autant plus que «finews.ch» précise que X. lui-même se voit de Whistleblower. La même chose vaut pour le reproche de traître, qui par ailleurs n’était pas un nouveau reproche. «finews.ch» pouvait l’utiliser sans auditionner le plaignant.

Riassunto

Il Consiglio della stampa ha respinto un secondo reclamo di X. Egli denunciava di essere stato definito senza ragione – nel sito “finews.ch” – “traditore” e “ladro di dati”. Le due definizioni violano a suo parere le disposizioni della Cifra 1 (Rispetto della verità) della «Dichiarazione dei doveri e dei diritti del giornalista». Esse ricoprono gravi accuse che a parere del reclamante esigono una presa di posizione da parte sua. L’articolo non è firmato e anche questo confligge, secondo il reclamante, con le disposizioni della Cifra 7 della «Dichiarazione», dove si prescrive che il giornalista tralascia accuse anonime e concretamente ingiustificate. Il Consiglio della stampa aveva tuttavia già nella Presa di posizione 45/2008 affermato che il termine «Datenklau» non poteva essere criticato non essendo compito del Consiglio valutare giuridicamente la consistenza delle accuse sollevate in sede penale nel caso dei dati «rubati» presso la succursale delle Isole Cayman della Banca Bär e da X. trasmessi a Wikileaks. Anche nella Presa di posizione 29/2012  il Consiglio della stampa non aveva ritenuto di censurare i termini «ladro» e «ricattatore»; allo stesso modo, oggi, ritiene «ladro di dati» un termine di uso corrente. Lo stesso sito «finews.ch» fa notare che X. si definisce un «whistleblower» Allo stesso modo era stato giudicato il termine «traditore»: non si tratta dunque di un’accusa nuova. Infine, i termini potevano essere usati senza l’obbligo di preventiva consultazione della parte criticata. In definitiva, il reclamo è stato respinto su tutta la linea.


I. Sachverhalt


A.
Am Montag 29. Dezember 2014 veröffentlicht «finews.ch» – eine Online-Publikation, die sich selbst als «Treffpunkt der Finanzwelt» beschreibt den Artikel «Schicksalsjahre für Verräter». Darin geht der unbekannte Autor neben drei Fällen von prominenten ausländischen Bankmanagern, die alle Strafverfolgungsbehörden im Ausland über widerrechtliche Praktiken bei Schweizer Banken unterrichteten, auch auf den Fall von X. ein. Dabei wird X. als «Datendieb der ersten Stunde» bezeichnet. Betitelt war der Artikel mit: «Schicksalsjahre für Verräter».
 
B. Am 4. Januar 2015 beschwerte sich X. beim Schweizer Presserat gegen diesen Artikel. Er macht eine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheit) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Er werde im Artikel als «Verräter» und «Datendieb» bezeichnet. Er weist dabei darauf hin, dass er noch immer nicht rechtskräftig verurteilt worden sei und damit für ihn die Unschuldsvermutung gelte. Zudem werde die Frage, ob überhaupt ein Datendiebstahl vorliege, erst im Rahmen des noch laufenden Strafverfahrens geklärt. Beide Begriffe stellten weitere schwere Vorwürfe dar, die zwingend die Einholung einer Stellungnahme erfordert hätten. Doch weder er noch sein Anwalt seien von der «finews» vor Publikation kontaktiert worden. Weil der Artikel nicht gezeichnet sei, sieht X. auch die Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt. Dieser verlangt, dass anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen sind.

C. Am 16. März 2015 nimmt «finews.ch» zur Beschwerde Stellung. Der Artikel sei als Jahresrückblick auf vier Personen ausgelegt. Als solcher komme er nicht zu neuen Urteilen, sondern fasse bereits Berichtetes zusammen. Nur ein Sechstel des Textes fokussiere dabei auf die Person von X. Darin finde sich auch die beanstandete Passage. X. sei 2001 wegen Verletzung des Bankgeheimnisses in erster Instanz schuldig gesprochen worden. Auch in einem Prozess, der nach Erscheinen des Artikels stattfand, sei X. wegen der Veröffentlichung von sensiblen Daten verurteilt worden. Im beanstandeten Artikel würden keine neuen Vorwürfe erhoben. Der Begriff «Datendieb der ersten Stunde» werde mit den Urteilen untermauert. Zudem werde der Standpunkt von X., er sei kein Datendieb, sondern ein Whistleblower, der darum rechtens gehandelt habe, im Artikel erwähnt. Dazu räume X. in seiner Beschwerdeschrift sogar ein, dass «die Staatsanwaltschaft bezüglich der Verletzung des Bankgeheimnisses und implizit betreffend dem Datendiebstahl» Stellung bezogen habe. Dagegen sei die Sichtweise von X., es handle sich um Whistleblowing, noch von keinem Gericht gestützt worden. «finews.ch» stellt sich auf den Standpunkt, dass vor dem Hintergrund, dass die von der Handlung X.‘ betroffene Bank verlorene Daten einklagte, und der laufende Prozess sich um Bankgeheimnisverletzung dreht, die Bezeichnung «Datendieb» gerechtfertigt war. Mehrfach verweist «finews.ch» auf die Berichterstattung anderer Medien, die als Grundlage für den Artikel gedient hätten. Darum und weil der Fall X. schon breit diskutiert worden war, wobei auch die Position von X. «hinlänglich bekannt war», erschien es «finews.ch» vertretbar, auf eine Konfrontation von X. zu verzichten. Auch die Zuspitzung im Titel «Schicksalsjahre für Verräter» sei vertretbar. «Verraten» bringe umgangssprachlich die Vorgehensweise der Protagonisten in den vier unterschiedlichen Fälle auf den Punkt. Immerhin sehe auch die betroffene Bank es so, dass Geschäftsgeheimnisse verraten worden waren.

D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu; ihr gehören Max Trossmann als Präsident an sowie Marianne Biber, Jan Grüebler, Peter Liatowitsch, Markus Locher, Franca Siegfried und Matthias Halbeis.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 27. August 2015 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Beschwerdeführer X. macht eine Verletzung von Ziffer 7 (Unschuldsvermutung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Er werde im Artikel als «Verräter» und «Datendieb» bezeichnet. Er weist dabei darauf hin, dass er noch immer nicht rechtskräftig verurteilt worden sei und damit für ihn die Unschuldsvermutung gelte. Gemäss dem Beschwerdeführer stellten beide Begriffe schwere Vorwürfe dar. Die Redaktion «finews» weist darauf hin, dass sie die erste Instanz bezüglich dem Urteil erwähnt habe. Gestützt auf die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 7.4 haben Journalisten der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Das hatte der Presserat erst kürzlich in der Stellungnahme 26/2015 (Mank c. «Blick») explizit festgehalten und eine Beschwerde deswegen auch gutgeheissen. Dies, weil im damaligen Artikel nicht erwähnt wurde, dass ein Urteil noch nicht rechtskräftig war, sondern der angeschuldigte Beschwerdeführer als verurteilt bezeichnet worden war. Im beanstandeten Artikel wird ausgeführt, X. sei vom Zürcher Bezirksgericht in erster Instanz wegen Verletzung des Bankgeheimnisses verurteilt, der Prozess sollte dieser Tage eine Fortsetzung finden. Anfang Dezember 2014 habe sich X. vor dem Zürcher Bezirksgericht wegen Verletzung des Bankgeheimnisses verantworten müssen, sei jedoch während der Verhandlung zusammengebrochen. Der Prozess sei nun vertagt. Zwar wird im ganzen Artikel nirgends gesagt, dass das Urteil gegen X. noch nicht rechtskräftig ist. Aus den gewählten Formulierungen geht jedoch hervor, dass dem so ist. Wohl hätte dieser Umstand etwas präziser umschrieben werden können, eine Verletzung der Unschuldsvermutung vermag dies jedoch nicht zu begründen. Ziffer 7 der «Erklärung» ist somit nicht verletzt. Durfte «finews.ch» die beiden Begriffe «Datendieb» und «Verräter» verwenden, so liegt durch deren Gebrauch auch keine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung» vor.

2. Weiter moniert der Beschwerdeführer, die beiden Begriffe «Verräter» und «Datendieb» seien schwere Vorwürfe, die zwingend die Einholung einer Stellungnahme erfordert hätten. Doch weder er noch sein Anwalt seien von «finews» vor der Publikation kontaktiert worden. Die Beschwerdegegnerin weist darauf hin, dass die beiden Begriffe keine neuen Vorwürfe darstellten und X.‘ Position dazu wiedergegeben worden sei.

In Stellungnahme 45/2008 hatte der Presserat festgestellt, dass das Wort «Datenklau» in Ordnung war, denn es sei nicht Sache des Presserates, die gegenüber dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit fraglichen Daten von Kunden der Cayman-Niederlassung der Bank Bär erhobenen strafrechtlichen Vorwürfe juristisch zu bewerten. Es möge durchaus sein, dass kein eigentlicher «Datendiebstahl» im juristischen Sinne zur Diskussion stehe. Unbestritten scheine aber jedenfalls, dass die Weitergabe der Daten an Dritte in Verletzung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen erfolgte. Und berufsethisch sei es zudem nicht zu beanstanden, den Sachverhalt in verkürzter, für ein Laienpublikum verständlichen Weise als «Datenklau» zu bezeichnen. Aus der Sicht eines Laienpublikums sei kaum entscheidend, ob die Daten dem Beschwerdeführer zuerst anvertraut worden waren und er diese erst später missbräuchlich verwendete oder ob er sie im eigentlichen, juristischen Sinn «gestohlen» habe. In Stellungnahme 29/2012 i.S. «Weltwoche» hatte der Presserat die Begriffe «Dieb» und «Erpresser» geschützt. Zwar fand er, dass es sich um einen Grenzfall handle, aber für die Interpretation der umstrittenen Termini sei in diesem Kontext nicht die juristische, sondern die umgangssprachliche Bedeutung massgebend. Und umgangssprachlich sei die Verwendung dieser Begriffe vertretbar. Diese umfassten sowohl bei «Diebstahl» als auch bei «Erpressung» Handlungen und Sachverhalte, die bei juristischer Betrachtungsweise nicht unter die strafrechtlichen Tatbestände fallen. Im strafrechtlichen Sinn mag fraglich sein, ob X. einen Diebstahl begangen hat. Vorliegend wurde der Begriff «Datendieb» ebenfalls umgangssprachlich verwendet. Zudem präzisiert «finews.ch», dass X. sich selbst als Whistleblower sieht. Die Verwendung des Begriffs «Datendieb» ist deshalb nicht zu beanstanden. Dasselbe gilt für den Vorwurf «Verräter». In beiden erwähnten Stellungnahmen hatte der Presserat wie erwähnt festgehalten, dass X. unbestrittenermassen Kundendaten der Cayman-Niederlassung der Bank Julius Bär in Verletzung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen an Dritte weitergegeben hat. Zudem handelt es sich beim Vorwurf «Verräter» um keinen neuen Vorwurf. «finews.ch» durfte vor diesem Hintergrund den «Verräter» verwenden, ohne den Beschwerdeführer anzuhören. Eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» (Anhörung bei schweren Vorwürfen) liegt demnach nicht vor. Durfte «finews.ch» die beiden Begriffe «Datendieb» und «Verräter» verwenden, so liegt durch deren Gebrauch auch keine Verletzung von Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) der «Erklärung» vor.

3. Weil der Artikel nicht gezeichnet ist, sieht X. auch Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt. Dieser verlangt, dass anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen sind. Dieser Passus der «Erklärung» kann auf diesen Fall jedoch nicht angewendet werden. Dies, weil der Artikel trotz fehlender Zeichnung klar als Beitrag der Redaktion zu erkennen war. Dazu sind im Artikel auch keine ungerechtfertigten Anschuldigungen zu finden. «finews.ch» hat Ziffer 7 der «Erklärung» in dieser Hinsicht nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «finews.ch» hat mit der Veröffentlichung des Artikels «Schicksalsjahre für Verräter» die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Anhören bei schweren Vorwürfen) und 7 (Unschuldsvermutung, Unterlassen anonymer Anschuldigungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.