I. Sachverhalt
A. Am 23. Juni 2015 erschien in «20 Minuten» und «20 Minuten online» ein Artikel unter dem Titel «Kellogg’s und Exekutionen zum Frühstück». Der Untertitel lautete: «Ex-Thaibox-Weltmeister Valdet Gashi befindet sich seit Monaten in Syrien im Kalifat. Gegenüber 20 Minuten schildert er seinen Alltag unter der Scharia.» Der Artikel weist in einem ersten Teil darauf hin, dass die Aussagen aus dem Mailverkehr mit dem Mitglied des Islamischen Staats (IS) mit Vorsicht zu geniessen seien. Diese würden von Medienexperten des IS kontrolliert, seien stark beschönigend und würden gezielt als Propaganda eingesetzt. Gashi wolle möglicherweise mit diesem Bericht seine Stellung innerhalb des IS festigen. In einem zweiten Teil folgt Gashis Erzählung: über seinen Grenzübertritt, seinen Lebensstandard, seine Arbeit und die Hinrichtungen. Zum Kämpfen werde man nicht gezwungen und der Lebensstandard sei besser als er es erwartet hatte. Die Arbeit sei nicht anstrengend, er sehe das alles als Freizeit. Sie würden Zivilisten helfen, sicher über den Euphrat zu kommen. Wohnung und Essen bekomme er gratis und selbst Milchschnitten und Kellogg’s gebe es. Hinrichtungen würden nur in Folge eines rechtsgültigen Urteils durchgeführt. Das Leben im Kalifat mache ihn glücklich und er sei froh, nicht mehr in Europa zu sein. Hier könne er nach den Regeln der Scharia leben und den Islam richtig praktizieren.
B. Am 27. August 2015 reichte X. gegen den Artikel «Kellogg’s und Exekutionen zum Frühstück» von «20 Minuten» und «20 Minuten online» Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Wahrheitsgebots der Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend. Der zweite Teil des Artikels, welcher Unwahrheiten und Propaganda des IS verbreite, sei zeichenmässig umfangreicher als der erste, relativierende Teil. Eine Überprüfung oder Wahrheitsfindung habe nicht stattgefunden. «20 Minuten» habe Propaganda des IS als Fakten wiedergegeben. So hätte zum Beispiel der Obertitel «Alltag im Kalifat» in Anführungszeichen gesetzt und die Ortsangabe von Gashi überprüft werden müssen und der Autor hätte klar machen müssen, ob er die Erzählung des Mannes für glaubwürdig halte. Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, Ziffer 2 der «Erklärung» sei dadurch verletzt, dass der Artikel als Ganzes wegen seines hohen PR-Anteils dem Ansehen des Journalistenberufs schade. Des Weiteren rügt er die Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung». Die Quellen der vom IS-Mann veröffentlichten Informationen seien der Redaktion nicht bekannt gewesen. Zudem unterschlage die Redaktion die Hintergründe der Entstehung des Whatsapp-Gesprächs. So wäre es z.B. wichtig, zu wissen, wie der Kontakt zustande gekommen ist, also ob sich der Mann z.B. selbst anerboten habe. Der zweite Teil des Artikels sei offensichtlich tatsachenentstellend. Sodann sei Ziffer 8 der «Erklärung» verletzt. Indem der IS-Mann unwidersprochen sein Leben im Kalifat schildern dürfe, verletze die Redaktion die Gefühle der Angehörigen (er habe offensichtlich Frau und Kinder) und beschmutze durch die verharmlosende Wirkung das Leid der Kriegsopfer in der Region und der ermordeten und missbrauchten Gefangenen. Schliesslich macht X. eine Verletzung von Ziffer 9 der «Erklärung» geltend. Die Redaktion habe ein zweifelhaftes Angebot wahrgenommen, um ihre Klickraten in die Höhe zu treiben. Insofern handle es sich mutmasslich um Bestechung (moralisch gesehen) und die Redaktion habe sich wohl kaum von journalistischen Interessen leiten lassen.
C. Mit Beschwerdeantwort vom 1. Oktober 2015 beantragt der Rechtsdienst der Tamedia AG die Abweisung der Beschwerde. Im Artikel werde klar gekennzeichnet, dass es sich nicht um Tatsachen, sondern um subjektive Erzählungen und Werturteile von Valdet Gashi handelt. Dafür bedürfe es nicht einer Kennzeichnung in jedem Satz, sondern auch Anführungszeichen oder indirekte Rede würden ausreichen. Die Redaktion lege auch offen, dass der Austausch im Rahmen eines Mailverkehrs stattfand. Wie ein solcher Kontakt zustande kam, müsse nicht erwähnt werden. Eine Überprüfung der Aussagen im Sinne eines Augenscheins sei aus Gründen der Sicherheit und Zumutbarkeit offensichtlich unmöglich. Die Zeichenaufteilung zwischen verschiedenen Standpunkten in einem Artikel müsse nicht exakt ausgeglichen sein, sondern es sei zulässig, einen Standpunkt eingehender auszuleuchten. Wichtig sei, dem Leser zu ermöglichen, zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden. «20 Minuten» bestreitet den Vorwurf, Propaganda zu verbreiten. Im Gegenteil: Der Artikel würde gerade Gashis Aussagen als beschönigenden Versuch der Propaganda entlarven und kritisch darüber berichten. Der Vorwurf der Tatsachenentstellung treffe nicht zu, denn ausschlaggebend sei der Artikel als Ganzes, woraus klar werde, dass Gashis Aussagen nicht den wirklichen Gegebenheiten entsprächen. Die blosse Erwähnung von Hinrichtungen verletze die Gefühle von Hinrichtungsopfern oder Angehörigen nicht, sondern benenne nur notwendigerweise Tatsachen. Konkrete Opfer würden gar nicht genannt oder beschrieben. Inwiefern der Bericht die Gefühle der Angehörigen Gashis verletze, sei nicht ersichtlich. Die Rüge von Ziffer 9 der «Erklärung» entbehre jeglicher Grundlage, da eine hohe Klickrate nicht ein Vorteil im Sinn einer Bestechung sein könne.
D. Am 20. Juli 2016 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 23. September 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Ziffer 1 der «Erklärung» verpflichtet Journalistinnen und Journalisten, sich an die Wahrheit zu halten ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen. Sie sollen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Der Beschwerdeführer wirft «20 Minuten» eine Verletzung dieser Bestimmung dadurch vor, dass der Artikel Unwahrheiten und Propaganda des Islamischen Staates verbreite und dies in einem zeichenmässig grösseren Umfang als die dazu gehörende Relativierung. Eine Überprüfung oder Wahrheitsfindung habe nicht stattgefunden.
Am Ende des ersten Abschnitts heisst es: «Und aufgrund seiner Schilderungen könnte der Eindruck entstehen, der Profi-Sportler befinde sich im harmlosen Abenteuer-Urlaub statt im Heiligen Krieg. Die Parole lautet: Alles bestens.» Darauf folgt der Zwischentitel: «Aussagen mit Vorsicht zu geniessen» und es wird erklärt, dass der Mailverkehr mit Valdet Gashi vom Genfer Zentrum für Terrorismus-Analyse analysiert und beurteilt wurde. Dazu kommen zwei Extremismus-Experten zu Wort, wovon einer selbst Kontakt mit Gashi hatte. Beide äussern starke Zweifel bezüglich der Aussagen Gashis und hinterfragen die Absicht, mit der er diese Aussagen macht. Erst anschliessend folgen die Aussagen Gashis unter dem Zwischentitel «Gashis Erzählung». Der Presserat erachtet die auf diese Weise vorgenommene Relativierung und Einordnung von Gashis Aussagen im ersten Teil des Artikels als deutlich ausreichend, um dem Leser klar zu machen, dass Gashis Aussagen subjektive und überdies wahrscheinlich verfälschte Berichte zu Propagandazwecken des IS sind. So macht z.B. die indirekte Rede im Satz des ersten Abschnitts «Sein Empfang dort sei professionell gewesen» ausreichend deutlich, dass es sich dabei um eine Eigenaussage von Gashi handelt und nicht um eine Tatsache. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers scheint es dem Presserat offensichtlich, d
ass auch der Autor selber Zweifel an der Richtigkeit von Gashis Aussagen hat, etwa mit der Formulierung: «… könnte der Eindruck entstehen, der Profi-Sportler befinde sich im harmlosen Abenteuer-Urlaub statt im Heiligen Krieg. Die Parole lautet: Alles bestens.» Zur Rüge des Beschwerdeführers, dem Bericht von Gashi werde in dem Artikel zeichenmässig mehr Raum zugestanden, weist die Redaktion richtigerweise darauf hin, dass es berufsethisch zulässig sei, einen Standpunkt eingehender auszuleuchten als einen anderen und ihm dementsprechend auch mehr Platz einzuräumen (Stellungnahme 17/1998). Allein daraus ist «20 Minuten» aber nicht der Vorwurf zu machen, es stelle die Propaganda des IS als wahr dar. Schliesslich ist festzuhalten, dass die Befürchtung des Beschwerdeführers, einige Leser könnten nur den zweiten Teil des Artikels lesen und somit ein falsches Bild erhalten, nicht stichhaltig ist.
Gemäss Praxis des Presserats heisst Wahrheitssuche nicht, Medien müssten einseitige Parteidarstellungen immer durch ergänzende Recherchen «objektivieren». Journalisten sind jedoch verpflichtet, ihre Quellen zu nennen, deren Informationen kritisch zu hinterfragen und mit verhältnismässigem Aufwand zu überprüfen. Im vorliegenden Fall ist «20 Minuten» dieser Verpflichtung ordnungsgemäss nachgekommen. Die Quelle wurde genannt, deren Informationen anhand von Experten eingeordnet und kritisch hinterfragt. Dass sich eine weitergehende Überprüfung der Informationen aufgrund der Sicherheitslage im Kriegsgebiet als sehr schwierig darstellt, versteht sich von selbst. «20 Minuten» hat bei der Veröffentlichung des kritisierten Artikels die nötigen Massnahmen getroffen. Das Wahrheitsgebot der Ziffer 1 der «Erklärung» ist deshalb nicht verletzt.
Beschwerdeführer X. macht weiter geltend, mit dem Titel «Kellogg’s und Exekutionen zum Frühstück» verbreite «20 Minuten» ungefilterte Propaganda, indem Exekutionen mit einem gemütlichen Kellogg’s-Frühstück gleichgesetzt würden. Gemäss Praxis des Presserats dürfen Titel zugespitzt, d.h. der Sachverhalt genau auf den Punkt gebracht, jedoch nicht überspitzt werden. Überspitzt ist ein Titel dann, wenn er wahrheitswidrig ist und somit die Gefahr besteht, die Leser zu täuschen. Der vorliegende Titel mag zugespitzt sein, doch es steht nicht fest, dass er wahrheitswidrig ist. Der Titel bringt vielmehr die Problematik auf den Punkt: das Locken von Jugendlichen mit westlichen Produkten, welche schlussendlich mit der grausamen Realität des IS-Regimes konfrontiert werden. Zudem wird der Titel bereits im ersten Abschnitt relativiert. Somit hat «20 Minuten» auch mit der Wahl des Titels die Wahrheitspflicht der Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt.
2. Was die Rüge des Beschwerdeführers angeht, der Artikel schade dem Ansehen des Journalistenberufs (Ziffer 2 der «Erklärung»), so geht aus seiner Beschwerde nicht hervor, inwiefern eine Verletzung von Ziffer 2 vorliegen sollte. Diese Rüge ist unzureichend begründet, weshalb der Presserat darauf nicht eintritt.
3. Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, Ziffer 3 der «Erklärung» sei verletzt. Danach dürfen nur Informationen, Töne, Bilder und Dokumente veröffentlicht werden, deren Quellen bekannt sind. Es dürfen keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen werden und weder Tatsachen, Dokumente, Bilder und Töne noch andere geäusserte Meinungen entstellt werden. Unbestätigte Meldungen, Bild- und Tonmontagen sind ausdrücklich als solche zu bezeichnen. Der Beschwerdeführer kritisiert, es fehle die Quellenangabe der vom IS-Mann veröffentlichten Informationen. Aus dem Artikel wird allerdings ersichtlich, dass die Informationen aus einem Mailverkehr mit Gashi stammen (Absatz 3). Extremismus-Experte Samuel Althof, der selber Kontakt mit Gashi hat, war über Whatsapp mit Gashi in Verbindung (Absatz 6). Damit ist «20 Minuten» den Anforderungen von Ziffer 3 der «Erklärung» gerecht geworden. «20 Minuten» ist aus medienethischer Sicht nicht verpflichtet, detailliert offenzulegen, wie der Kontakt zustande gekommen ist, zumal im Artikel klar gesagt wird, die Aussagen seien mit Vorsicht zu geniessen.
4. Ziffer 8 der «Erklärung» schützt die Menschenwürde. Demnach liegen die Grenzen der Berichterstattung in Text, Bild und Ton über Kriege, terroristische Akte, Unglücksfälle und Katastrophen dort, wo das Leid der Betroffenen und die Gefühle ihrer Angehörigen nicht respektiert werden. Der Beschwerdeführer sieht diese Bestimmung verletzt in der unwidersprochenen Schilderung von Gashi über sein Leben im Kalifat. Dies verletze die Gefühle der Angehörigen, insbesondere seiner Frau und seiner Kinder und beschmutze durch die verharmlosende Wirkung das Leid der Kriegsopfer in der Region und der ermordeten und missbrauchten Gefangenen. Der Artikel berichtet, es gebe (öffentliche) Hinrichtungen, nennt aber weder Details zu den Personen noch zur Art der Hinrichtung. Insofern ist für den Presserat nicht ersichtlich, inwiefern das Leid der Betroffenen und die Gefühle der Angehörigen nicht respektiert worden sein sollen, zumal es grundsätzlich möglich sein muss, über solche Geschehnisse zu berichten. Ziffer 8 der «Erklärung» ist nicht verletzt.
5. Der Beschwerdeführer rügt schliesslich die Verletzung der Ziffer 9 der «Erklärung». Diese verbietet den Medienschaffenden, Vorteile und Versprechungen anzunehmen, die geeignet sind, ihre berufliche Unabhängigkeit und die Äusserung ihrer persönlichen Meinung einzuschränken. Gemäss Beschwerdeführer hat «20 Minuten» ein zweifelhaftes Angebot wahrgenommen, um die Klickraten in die Höhe zu treiben und sich nicht von journalistischen Interessen leiten lassen. Damit setzt der Beschwerdeführer (vermutete, jedoch nicht nachgewiesene) hohe Klickraten mit Vorteilen und Versprechungen gleich. Diese Gleichsetzung entbehrt jeglicher Grundlage. Ziffer 9 der «Erklärung» ist somit nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. «20 Minuten» hat mit seinem Artikel «Kellogg’s und Exekutionen zum Frühstück» Ziffer 1 (Wahrheitspflicht), Ziffer 2 (Ansehen des Berufs), Ziffer 3 (Quellen), Ziffer 8 (Menschenwürde) und Ziffer 9 (Vorteile und Versprechungen) nicht verletzt.