Nr. 29/2016
Wahrheitspflicht / Berichtigung

(Verein Ethik und Medizin Schweiz c. «Blick am Abend») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 23. September 2016

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I. Sachverhalt

A. Am 10. Juli 2015 erschien im «Blick am Abend» der Artikel «Salz muss sein». Darunter in kleinerer Schrift: «Salz erhöht den Blutdruck. Dennoch ist eine salzarme Diät keine gute Idee.» Der Artikel kritisiert das «Positionspapier Salz und Gesundheit» einer «Arbeitsgruppe Salz», bestehend aus 13 Professoren und Uni-Dozenten. Die Arbeitsgruppe warnt vor übermässigem Salzkonsum. Deren Positionspapier lasse aber erhebliche Zweifel an seinen Schlussfolgerungen aufkommen. Zudem sei darin nur von Herz-Kreislauf-Krankheiten die Rede und nicht von den anderen Auswirkungen, die Salz haben könne. So habe ein zu tiefer Salzkonsum diverse negative Effekte auf den Körper. Das Positionspapier interessiere sich schliesslich nur dafür, wie der Salzkonsum die Gesamtsterblichkeit beeinflusse. Das 5-Gramm-Ziel der «Arbeitsgruppe Salz» sei eher gesundheitsgefährdend. Der Autor fragt abschliessend, ob es wirklich sein könne, dass Dutzende Professoren und das ganze Gesundheits-Establishment irren. Er beantwortet seine Frage mit: «Es wäre nicht das erste Mal.» Auch die offizielle These, kaputte Herzkranzgefässe kämen von Cholesterin und dieses von den gesättigten Fetten, sterbe nur sehr langsam. Und in der Zwischenzeit mache Big-Pharma mit Statinen (Cholesterinsenker, Anm. d. Red.) gute Geschäfte.

B. Am 23. Juli 2015 reichte der Verein Ethik und Medizin Schweiz beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Artikel «Salz muss sein» ein. Der Verein rügt eine Verletzung des in der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») statuierten Wahrheitsgebots. Die Aussage «Dutzende Professoren und das ganze Gesundheits-Establishment irren» sei falsch, ebenso die Behauptung, dies wäre nicht das erste Mal. «Die offizielle These, dass kaputte Herzkranzgefässe von Cholesterin kommen und dieses von den gesättigten Fetten, stirbt nur sehr langsam» und «In der Zwischenzeit macht Big-Pharma mit Statinen gute Geschäfte» seien komplette Verdrehungen der Tatsachen. In der Beilage verweist der Verein Ethik und Medizin Schweiz auf den eigenen Bericht «VEMS Ethical Board-Fakten zu Salzkonsum und Statintherapie bei Gesunden», welcher dies nachweise. Der Beschwerdeführer verlangt eine Berichtigung des Artikels gestützt auf Ziffer 5 der «Erklärung».

C. Mit Beschwerdeantwort vom 20. September 2015 beantragt die «Blick»-Gruppe die Abweisung der Beschwerde. Der Autor hinterfrage nur die Schlussfolgerungen des «Positionspapier Salz und Gesundheit» und weise auf Widersprüche und Ungenauigkeiten hin. Kritik müsse möglich sei, besonders weil das Papier Grundlage für Verhaltensempfehlungen und politische Entscheide sei. Die Argumente, welche die Kritik am Papier untermauern, seien journalistisch eingebettet und erhöben keinen Anspruch auf alleinige Erheblichkeit oder abschliessende Richtigkeit. In den vom Verein Ethik und Medizin Schweiz beanstandeten Aussagen sieht die «Blick»-Gruppe keine Verletzung des Wahrheitsgebots. Der Autor habe alles sehr zurückhaltend formuliert und eine Falschaussage lasse sich nicht erkennen. Wenn der Autor etwa behaupte, die These sterbe aus, so sage dies nichts über die Richtigkeit dieser These aus; der Autor stelle nur fest, ohne zu beurteilen. Zu der Aussage «Big-Pharma macht mit Statinen gute Geschäfte» würden sich wohl genügend Belege finden lassen. Die «Blick»-Gruppe bestreitet eine Verletzung des Wahrheitsgebots, denn der Autor berufe sich nirgends darauf, dass er die Wahrheit auf seiner Seite sehe. Er überlasse vielmehr dem Leser selbst das Urteil, indem er auf Widersprüche in der Argumentation im Positionspapier aufmerksam mache. Aus diesem Grund gäbe es nichts, was richtigzustellen sei.

D. Am 19. Januar 2016 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 23. September 2016 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» verpflichtet die Journalistinnen und Journalisten, sich an die Wahrheit zu halten, ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen. Sie sollen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Der Verein Ethik und Medizin Schweiz rügt die Verletzung dieses Wahrheitsgebots. Er beanstandet die Aussagen «Dutzende Professoren und das ganze Gesundheits-Establishment irren», «Es wäre nicht das erste Mal», «Die offizielle These (…) stirbt nur sehr langsam» und «In der Zwischenzeit macht Big-Pharma mit Statinen gute Geschäfte».

Es ist nicht Sache des Presserats, in den beiden umstrittenen Fragen der gesundheitlich sinnvollen Höhe des Salzkonsums und der Wirkung von Cholesterin auf Herzkranzgefässe Stellung zu beziehen. Bei diesen Fragen handelt es sich um eine wissenschaftliche Debatte über umstrittene Themen. «Blick» gibt richtigerweise zu, dass seine Aussage kommentierend ist, insbesondere der Nachsatz «Es wäre nicht das erste Mal». Für den Leser ist dabei klar ersichtlich, dass es sich hier um einen Kommentar des Autors handelt. Der Autor führt im Artikel verschiedene Gründe auf, warum man das 5-Gramm-Ziel für den täglichen Salzkonsum der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Frage stellen kann. Die Informationsfreiheit, verankert in Ziffer 2 der «Erklärung», geht deshalb hier vor.

Der Beschwerdeführer liefert in seiner Beschwerde keinen Nachweis, inwiefern der Artikel das Wahrheitsgebot verletze. Die Aussage des Autors, die offizielle These, kaputte Herzkranzgefässe kämen von Cholesterin und dieses von gesättigten Fetten, sterbe nur sehr langsam, und in der Zwischenzeit mache «Big-Pharma mit Statinen gute Geschäfte», stellt zwar diese These in Frage. Umgekehrt ist damit jedoch nichts über die Richtigkeit der These gesagt. Der Autor äussert im Artikel seine kritische Einschätzung zu dieser These, überlässt es aber dem Leser selber, über sie zu urteilen. Letztlich wird der Leser jedoch mit der These allein gelassen und weiss nicht, ob und warum diese nun stimmt, kritisiert wird oder allenfalls überholt ist. Dass «Big-Pharma» mit Statinen gute Geschäfte mache, scheint dem Presserat eine unproblematische Aussage zu sein, umso mehr, als der Autor keine Zahlen nennt und die Beschwerdegegnerin auch nicht das Gegenteil nachweist. Die «Blick»-Gruppe hat somit das Wahrheitsgebot der Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt.

2. Das Begehren des Beschwerdeführers auf Berichtigung gemäss Ziffer 5 der «Erklärung» ist in der Folge nicht berechtigt, da der Presserat den materiellen Inhalt des Artikels nicht für unwahr befindet.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. «Blick am Abend» hat mit seinem Artikel «Salz muss sein» Ziffer 1 (Wahrheitsgebot) und Ziffer 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.