Nr. 1/2016
Verspätete Beschwerde

(Arslan c. «Basler Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 1. Februar 2016

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I. Sachverhalt

A. Am 29. November 2014 brachte die «Basler Zeitung» unter dem Titel «Schulden und Qualifikationsmängel» sowie dem Untertitel «Fragezeichen zu Arslans Ernennung als Leiterin Straf- und Massnahmenvollzug» einen kritischen Artikel zur Ernennung von Sibel Arslan zur Leiterin Straf- und Massnahmenvollzug des Kantons Basel-Land. Sie stellte zudem die folgende «Frage des Tages» an ihre Leser: «Darf eine Schuldnerin den Strafvollzug leiten?» Zur Erklärung heisst es, die Basler BastA!-Grossrätin Sibel Arslan sei zur neuen Leiterin Strafvollzug des Kantons Basel-Landschaft gewählt worden, obwohl gegen sie Betreibungsforderungen von 60’000 Franken hängig seien. Das Thema wird im Inneren des Lokalteils im Detail aufgegriffen: Redaktor Christian Keller schreibt über «Schulden und Qualifikationsmängel» von Arslan. Arslan habe sich gegenüber der «Basler Zeitung» dazu nicht äussern wollen.

Am 2. Dezember 2014 erschien unter dem Titel «Sibel Arslan muss ihre Schulden zurückbezahlen» auf der Frontseite der «Basler Zeitung» ein weiterer Artikel. Er vermeldete, die Politikerin müsse ihre Schulden zurückzahlen, bevor sie ihre Stelle antreten könne. Der SVP reiche dies aber nicht – sie habe in der Causa Arslan eine dringende Interpellation eingereicht. In der gleichen Ausgabe der «Basler Zeitung» bezeichnet Autor Christian Keller Arslan in einem Kommentar als «Behüterin der Linksextremen» (Titel des Kommentars), da sie ihm gegenüber illegale Besetzungen verteidigt habe.

Am 4. Dezember 2014 fragt die Zeitung auf der Frontseite: «Ist Arslan die Richtige?» Der Untertitel lautet: «Leiterin Strafvollzug prüft Schuldenlage der Straftäter», denn sie sei dort zuständig für «Weisungen bei der Schadenersatz- und somit Schuldenbewältigung». Im Innern berichtet die Zeitung über «zahlreiche Protestreaktionen aus der Bevölkerung».

B. Mit Mail vom 28. Mai 2015 erkundigte sich Sibel Arslan beim Schweizer Presserat über die Modalitäten einer möglichen Beschwerde. Am 29. Mai 2015 erhielt sie die entsprechenden Informationen per Mail.

Am 8. Juni 2015 liess Sibel Arslan dem Presserat per Mail ihre Beschwerde gegen die erwähnten Artikel der «Basler Zeitung» sowie gegen die Online-Kommentare während dieser Zeit zukommen, kündigte die Zustellung der Unterlagen per Post sowie das Nachreichen einer ausführlichen Begründung der Beschwerde an. Sie habe bis jetzt wegen persönlicher Verletzung nicht aktiv werden können und ersuche um eine Frist für die ausführliche Begründung. Diese Eingabe vom 8. Juni 2015 war rückdatiert auf den 29. Mai 2015. Gleichentags ging per Mail die ausführliche Begründung der Beschwerde beim Presserat ein, verbunden mit der Mitteilung, dass sie die Beschwerde gerne in einer neuen Version senden möchte.

Mit Mail vom 12. Juni 2015 liess Arslan dem Presserat ihre Stellungnahme vom 11. Juni 2015 zukommen. Darin hält sie fest, sie habe gegen die Betreibungsforderungen von 60’000 Franken teilweise Rechtsvorschlag erhoben. Man müsse unterscheiden zwischen Schulden und Betreibungen. Sie sei nicht stark verschuldet. Wenn die «Basler Zeitung» behaupte, ihre Arbeit würde stark kritisiert, stütze sie sich auf anonyme Quellen. Es sei auch eine Unterstellung, wenn die «Basler Zeitung» andeute, sie habe die Stelle nur erhalten, weil sie der bisherigen Inhaberin nahe stehe. Der Artikel in der «Basler Zeitung» vom 29. November 2014 verletze die Ziffern 1, 3 und 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Der Kommentar vom 2. Dezember 2014 verletze Ziffer 1, 3 und 4 der «Erklärung», der Artikel vom 4. Dezember 2014 Ziffer 3 oder 7 der «Erklärung». In den Online-Kommentaren vom 4. und 5. Dezember 2014 zum Artikel «Weisungen von Schuldnerin Arslan» sieht sie zudem die Ziffern 1, 3 und 8 der «Erklärung» verletzt.

C. In ihrer Beschwerdeantwort vom 21. September 2015 stellte die anwaltlich vertretene «Basler Zeitung» den Hauptantrag, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, andernfalls sei diese abzuweisen. Zur Begründung des Nichteintretensantrags führt sie aus, die Beschwerde sei zu spät erfolgt und genüge den Anforderungen von Artikel 9 Absätze 3 und 4 des Geschäftsreglements nicht. Eine Abweisung dränge sich umso mehr auf, als Arslan sich bewusst gewesen sei, dass sie nicht in der Lage war, frist- und ordnungsgemäss Beschwerde zu erheben. Ihr Verhalten verdiene keinen Rechtsschutz. In der Begründung, warum die Beschwerde abzuweisen sei, weist die Beschwerdegegnerin darauf hin, dass Arslan schon früher wegen Steuerschulden beim Kanton Basel-Stadt in die Schlagzeilen geraten war. Nun solle sie ein Amt in einem «gesellschaftlich exponierten Bereich» übernehmen, wo verlangt werde, dass der Stelleninhaber (bzw. die -inhaberin) «in finanziellen Belangen sattelfest» sei. Sodann betont die Redaktion, die am 29. November 2014 gestellte Frage des Tages beziehe sich auf die Berichte in der gleichen Ausgabe; dort werde der Rechtsvorschlag erwähnt, es blieben aber unbestrittene Betreibungsforderungen von 23’000 Franken. Es bestehe ein öffentliches Interesse an Information, weil an Arslans neuer Stelle finanzielle Kompetenz verlangt werde. Negative Urteile über ihre bisherige Aufgabe habe Arslan hinzunehmen – sie sei mit den Vorwürfen auch konfrontiert worden, habe sie aber nicht kommentieren wollen. Im Artikel kämen auch positive Stimmen über sie vor. Somit liege keine Verletzung von Ziffer 1 und 3 der «Erklärung» vor. Auch von einer Verletzung der Privatsphäre (Ziffer 7) könne nicht die Rede sein, da es nur um Arslans berufliche Kompetenzen gehe und sie sich als Mitglied des Basler Parlaments ohnehin öffentliche Kritik gefallen lassen müsse. Die Feststellung, sie stehe der bisherigen Amtsinhaberin politisch nahe, sei keine Verunglimpfung, sondern schlicht eine Tatsache. Auch die mangelnde Führungserfahrung sei Fakt, zumal sie nach dem Amtsantritt einen einschlägigen Kurs besuchen müsse. Auch hier liege keine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» vor. Der Kommentar der «Basler Zeitung» vom 2. Dezember 2014 entstelle die Wahrheit nicht und sei durch die Kommentarfreiheit gedeckt. Was schliesslich die Bekanntmachung des Betreibungsregisterauszugs betreffe, so habe ein öffentliches Interesse an diesen Informationen bestanden. Die «Basler Zeitung» habe die Information nur unter der Voraussetzung erhalten, dass sie den Informanten nicht aufdecke; die Journalisten müssten die Quelle also schützen, wie dies die Richtlinie 6.1 zur «Erklärung» festhalte.

D. Der Presserat wies die Beschwerde der 3. Kammer zu, der Max Trossmann (Kammerpräsident), Marianne Biber, Jan Grüebler, Matthias Halbeis, Peter Liatowitsch, Markus Locher und Franca Siegfried angehören.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 12. November 2015 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägung

Vorab zu klären ist die Frage, ob die Voraussetzungen zum Eintreten vorliegend erfüllt sind. Art. 11 des Geschäftsreglements hält fest, dass der Presserat auf Beschwerden nicht eintritt, wenn die Publikation des beanstandeten Medienberichts länger als sechs Monate zurückliegt. Die Beschwerdeführerin rügt in ihrer Beschwerde drei in der «Basler Zeitung» vom 29. November, 2. und 4. Dezember 2014 veröffentlichte Artikel. Die Beschwerdefrist von sechs Monaten läuft demnach je am 29. Mai bzw. 2. und 4. Juni 2015 ab. Die Beschwerdeführerin hat dem Presserat am 8. Juni 2015 per Mail eine auf den 29. Mai 2015 datierte, begründete Beschwerdeschrift zukommen lassen. Diese Rückdatierung lässt die verspätete Eingabe nicht fristgerecht werden, massgeblich ist das Versanddatum des Mails. Mit Datum vom 8. Juni
2015 hat die Beschwerdeführerin die Frist für die Einreichung einer Beschwerde gegen keinen der beanstandeten drei Artikel eingehalten. Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.