Nr. 32/2024
Online-Kommentare

(X. c. «Weltwoche»)

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I. Sachverhalt

A. Am 21. Juli 2023 veröffentlichte das Online-Portal «weltwoche.ch» einen ungezeichneten Artikel unter dem Titel «Frau platzt wegen Klima-Klebern der Kragen: Das Video, wie die ‹brutale Blondine› Aktivisten von der Strasse zerrt, schaffte es bis nach Amerika». Das dazugehörige Video zeigt, wie eine blonde Frau eine auf dem Boden Sitzende an den Haaren von der Strasse zerrt. Im Gefolge dieser Veröffentlichung erschienen im Anhang zu dem kurzen Text und dem Video eine grosse Anzahl von Kommentaren der Leserschaft.

B. Am 25. Juli 2023 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Die Beschwerdeführerin geht dabei davon aus, dass der fragliche Text und das Video selber wohl keinen Verstoss gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») beinhalteten, dass aber eine Anzahl der anschliessenden Kommentare gegen die Richtlinie 5.2 (Leserbriefe und Online-Kommentare) verstiessen.

Zur Begründung führt sie an, gemäss Richtlinie 5.2 unterlägen Online-Kommentare wie Leserbriefe den gleichen berufsethischen Normen wie redaktionelle Beiträge. Das heisse, sie müssten gemäss Ziffer 8 der «Erklärung» die Menschenwürde wahren. Sie dürften entsprechend nicht publiziert werden, wenn sie ehrverletzend oder diskriminierend seien. Genau dies sei aber bei einer ganzen Anzahl dieser Kommentare der Fall, welche anschliessend an den Artikel aufgeschienen seien. Zum Beleg reicht die Beschwerdeführerin den Stand der Kommentare am 23. Juli 2023 um 11 Uhr 45 ein. Gemäss dieser Aufstellung waren damals 218 Kommentare aufgelistet gewesen, von denen sie die «übelsten» herausstreiche. Dort werde gefordert, dass man die Aktivistinnen «mit Gülle übergiesse», es würden Aktivistinnen als «Dummkleber» bezeichnet, es werde angeregt, Politiker auf gleiche Weise aus dem Bundestag zu ziehen, es werde zu Selbstjustiz aufgerufen, es werde die gezeigte Aktion als «berechtigte Notwehr» beschrieben, es werde angeregt, Vermummte sollten sich treffen, um Fahrbahnen zu räumen, es werde vorgeschlagen, rabiater vorzugehen, etwa Schläge und Tritte ins Gesicht zu führen, es solle mit Feuerlöschern vorgegangen werden, Klimaaktivisten würden als Schmutz, Gesinnungsmüll, Müll, arbeitslose Taugenichtse und Versager bezeichnet. All dies verstosse gegen die Richtlinie 5.2 (Leserbriefe und Online-Kommentare).

C. Am 12. September 2023 und erneut am 22. März 2024 bat der Presserat den Chefredaktor der «Weltwoche», Roger Köppel, um eine Stellungnahme zur Beschwerde. Roger Köppel hat die Schreiben nicht beantwortet.

D. Am 29. Mai 2024 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Annik Dubied, Vizepräsidentin, Jan Grüebler, Vizepräsident, und Ursina Wey, Geschäftsführerin.

E.
Das Präsidium des Presserats hat die vorliegende Stellungnahme am 23. Oktober 2024 verabschiedet.

II. Erwägung

Die berufsethischen Normen gelten gemäss Richtlinie 5.2 zur «Erklärung» auch für die Veröffentlichung von Leserbriefen und Online-Kommentaren. Der Meinungsfreiheit sei aber gerade auf der Leserbriefseite grösstmöglicher Freiraum zuzugestehen. Der grosse Teil der zum Teil wenig differenzierten und respektlosen Kommentare fällt unter diese Kategorie «grösstmöglicher Freiraum», der gewährt werden muss. Deren Veröffentlichung ist entsprechend nicht zu beanstanden. Wo aber zur Selbstjustiz, zur Gewaltanwendung und zum Brechen von Gesetzen aufgefordert wird, wo gefordert wird, Politiker der etablierten Parteien sollten auf gleiche Weise aus dem Parlament entfernt werden, wo der Einsatz von Feuerlöschern und Gülle gegen Streikende gefordert wird, hätte die Redaktion reagieren und die entsprechenden Kommentare löschen müssen, weil diese gegen die Ziffern 7 (Privatsphäre) und 8 (Menschenwürde) der «Erklärung» verstossen. Da sie dies unterlassen hat, hat sie die Richtlinie 5.2 (Leserbriefe und Online-Kommentare) verletzt.


III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.

2. «weltwoche.ch» hat mit der Veröffentlichung von Gewaltaufrufen in den Kommentaren zum Artikel «Frau platzt wegen Klima-Klebern der Kragen: Das Video, wie die ‹brutale Blondine› Aktivisten von der Strasse zerrt, schaffte es bis nach Amerika» vom 21. Juli 2023 die Ziffer 5 (Leserbriefe und Online-Kommentare) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.