I. Sachverhalt
A. Am 22. Juli 2023 erscheint bei «Blick» (online) die Meldung «22 Prozent würden die Partei wählen: AfD knackt in neuer Umfrage Rekordwert». Wie von der deutschen «Bild»-Zeitung berichtet worden sei, habe die Alternative für Deutschland (AfD) «in einer neuen Umfrage» gegenüber der Vorwoche nochmals zugelegt und liege nun auf dem zweiten Platz hinter der Union. Im Weiteren werden auch die Umfragewerte der übrigen Parteien angegeben, im Schlusssatz heisst es: «Am wenigsten Stimmen haben bei der Umfrage die Grünen mit 7 und die Linke mit 5 Prozent erreicht.»
B. Am 22. Juli 2023 reichte X. beim Schweizer Presserat eine Beschwerde gegen die Redaktion von «Blick» ein. Am 9. August wurden ergänzende Unterlagen nachgereicht. Der Beschwerdeführer monierte, es würden mit dem Beitrag die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Umgang mit Quellen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») sowie die entsprechenden Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche) und 3.7 (Meinungsumfragen) verletzt. «Blick» habe eine Wählerumfrage falsch zitiert, da die Grünen in der Umfrage nicht wie angegeben 7 Prozent, sondern 14 Prozent erreicht hätten. Zudem bestehe im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen im Herbst 2023 durch dieses Falschzitieren die Gefahr einer Wahlmanipulation.
C. Die Rechtsvertreter des Verlags Ringier nahmen im Namen der «Blick»-Redaktion am 4. Dezember 2023 Stellung zur Beschwerde. Diese sei abzuweisen. Gemäss Beschwerdegegnerin habe «Blick» nicht falsch zitiert, da «Bild» zunächst eine falsche Zahl publiziert habe und die Redaktorin die falsche Zahl abgeschrieben habe. Dies sei später von «Bild» korrigiert worden, was die «Blick»-Redaktorin jedoch nicht habe wissen können. Es könne «vernünftigerweise nicht verlangt werden, dass sie eine Quelle im Nachgang einer Publikation (wiederholt) auf allfällige Anpassungen überprüft». Die Redaktion habe keinen Print-Screen des ursprünglichen «Bild»-Artikels mit der falschen Angabe gemacht, da es dafür keinen Grund gegeben habe.
Gemäss Beschwerdegegnerin sei der Redaktion dieser Fehler erst mit dem Eingang der Beschwerde am 6. November bekannt geworden und man habe ihn unverzüglich korrigiert. «Hätte sich der Beschwerdeführer direkt an die Redaktion gewandt, hätte diese Prozentzahl viel rascher korrigiert werden können.» Es sei in jedem Medienhaus üblich, dass die Leserschaft die Redaktion «regelmässig» auf Fehler hinweise.
D. Am 1. März 2024 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde der 1. Kammer zugewiesen, bestehend aus Susan Boos (Präsidentin), Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg.
E. Die 1. Kammer des Presserats beriet die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 29. April 2024 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verlangt, dass sie nur Informationen veröffentlichen, deren Quellen ihnen bekannt sind. Gemäss Richtlinie 3.1 ist die Überprüfung der Quelle auf ihre Glaubwürdigkeit «Ausgangspunkt der journalistischen Sorgfaltspflichten» und eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags «unerlässlich». Für Meinungsumfragen gilt gemäss Richtlinie 3.7 zudem, dass «die Medien dem Publikum immer alle Informationen zugänglich machen, die für das Verständnis der Umfrage nützlich sind: Mindestens Zahl der befragten Personen, Repräsentativität, mögliche Fehlerquote, Erhebungsgebiet, Zeitraum der Befragung, Auftraggeberin / Auftraggeber».
2. Die Journalistin von «Blick» hat in ihrer Meldung einen Bericht von «Bild» zitiert, der wiederum auf eine wöchentliche Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA für «Bild am Sonntag» verweist. Gemäss Beschwerdegegnerin wurde im Originalbericht von «Bild» zunächst eine falsche Zahl publiziert. Einen Beleg dafür bleibt die Beschwerdegegnerin jedoch schuldig. Die falsche Zahl wurde übernommen, ohne die Quelle des Beitrags von «Bild» zu überprüfen. Die offenbar gleichentags von «Bild» vorgenommene Korrektur wurde von «Blick» nicht bemerkt.
3. Aus Sicht des Presserates kann dem «Blick» keine Verletzung der Wahrheitspflicht gemäss Ziffer 1 der «Erklärung» und 1.1 «Richtlinien» vorgeworfen werden. Die Journalistin hat sich auf «Bild» als Quelle gestützt und dabei eine falsche Information übernommen. Dass die offensichtlich falsche Zahl nicht bemerkt und daher auch nicht überprüft wurde, ist als Nachlässigkeit und nicht als Pflichtverletzung zu werten. Zudem lag der Fokus des Originalbeitrages auf dem Zuwachs der AfD in dieser Umfrage und nicht auf den Werten der Grünen, die zum Schluss des kurzen Beitrags ebenfalls erwähnt wurden. Die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» ist in diesem Punkt nicht verletzt.
4. Damit die Leserschaft die Aussagekraft einer Meinungsumfrage oder einer Wählerbefragung einschätzen kann, muss sie minimal über deren Qualität informiert werden. Entgegen dem Originalbeitrag in «Bild» macht «Blick» keinerlei Angaben zum Erhebungszeitpunkt, zur Anzahl der befragten Personen, der Fehlertoleranz, zur Auftraggeberin oder zum durchführenden Forschungsinstitut. Mit diesen Weglassungen hat «Blick» die «Erklärung» beziehungsweise die Richtlinie 3.7 verletzt.
5. Ergänzend zur Beschwerde hat sich der Presserat in diesem Fall auch mit der Berichtigungspflicht befasst. Die Redaktion «Blick» hat den Fehler in ihrem Artikel einige Monate nach der Publikation korrigiert, nachdem sie über die Beschwerde davon Kenntnis bekam. Mit dem Vermerk «aktualisiert» ist sie ihrer Berichtigungspflicht zwar nachgekommen. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, dass die Redaktion explizit auf ihren Fehler und die Art der Korrektur hingewiesen hätte. Im Übrigen kann es nicht der Leserschaft angelastet werden, dass Fehler nicht umgehend der Redaktion gemeldet werden.
III. Feststellungen
1. Der Presserat heisst die Beschwerde in einem Punkt gut.
2. «Blick» hat mit der Meldung über die Wählerumfrage in Deutschland die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» bezüglich Ziffer 3 (Meinungsumfragen) verletzt, da keinerlei Angaben zur Grundlage der Umfragewerte gemacht wurden.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.