I. Sachverhalt
A. Am 25. Mai 2022 erschien auf «20Minuten.ch» (online) ein Artikel unter dem Titel «Kundgebung in Bern: Verbrennen hier Palästina-Demonstranten eine Bibel?». Gezeichnet ist der Text mit dem Kürzel «sul». Darin wird berichtet, die monatlich stattfindende Stand-Aktion des pro-israelischen «Israel Forum Bern» sei am Donnerstag zuvor, laut einem Mitglied dieses Forums, konfrontiert gewesen mit einer «polizeilich bewilligten palästinensischen Platzkundgebung». Daran teilgenommen hätten «teils junge Leute aus dem Libanon», welche mit Hisbollah-Propaganda um sich geworfen hätten. Ein «grölender Mob mit Fahnen und antisemitischen Hassparolen gegen Israel» habe – immer laut der Darstellung des berichtenden Forum-Mitglieds – den Stand des Israel-Forums belagert, Hitlergrüsse seien gezeigt worden. Daraufhin hätten Mitglieder des Forums den Demonstrierenden, «um die Gemüter zu beruhigen», eine Bibel auf Arabisch übergeben, worauf diese begonnen hätten, die Schrift zu verbrennen. Weiter wird berichtet, die Berner Polizei habe bestätigt, einen Einsatz durchgeführt zu haben, bei ihrem Eintreffen sei aber weder eine akute Auseinandersetzung noch strafrechtlich Relevantes festgestellt worden. Der Artikel schliesst mit der Bemerkung: «Gerne hätte 20 Minuten auch den Standpunkt der Palästina-Anhänger erfahren.» Aber zu der auf dem Flugblatt zeichnenden Organisation fänden sich online keine Kontaktangaben und den Vereinen «Gerechtigkeit und Frieden in Palästina» und «Gesellschaft Schweiz–Palästina» sei die Gruppe nicht bekannt.
B. Am 24. Juni 2022 erhob David Klein Beschwerde beim Schweizer Presserat und monierte einen Verstoss gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen), 4 (Plagiat) und 5 (Berichtigung von Falschmeldungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».
Der Beschwerdeführer (BF) macht in erster Linie geltend, er selber habe auf der Website «audiatur-online.ch» als Erster über den Vorfall berichtet, nachdem das hier bereits erwähnte Mitglied des «Israel Forum Bern» ihn über den Vorfall orientiert habe. Der Titel bei ihm: «Bibelverbrennung – offener Israelhass in Bern». Tags darauf erst habe «20Minuten.ch» berichtet, teils mit identischen Formulierungen, ohne auf seinen Primeur als Quelle hinzuweisen. Dies obwohl der Vorfall und der Bericht in «audiatur.ch» dem Chefredaktor von «20Minuten.ch», Gaudenz Looser, aufgrund eines SMS-Kontaktes schon vor der Publikation des beanstandeten Beitrags bekannt gewesen sei. Das entspreche – so impliziert der BF – einem Plagiat.
Eine Unterschlagung wichtiger Elemente sieht der BF darin begründet, dass auf dem – in seinem Artikel abgebildeten – Flugblatt der Demonstrierenden gestanden habe: «Die Ermordung der palästinensischen Journalistin Shireen Abu Akleh durch israelische Besatzungstruppen ist ein weiteres israelisches Verbrechen». Wenn im Artikel von «20Minuten.ch» gesagt werde, man hätte gerne auch den Standpunkt der Palästina-Anhänger erfahren, aber nicht erwähne, dass hier dem Rechtsstaat Israel ohne Belege vorsätzlicher Mord vorgeworfen werde, dann würden mit dem Text wesentliche Elemente von Informationen unterschlagen.
Worin darüber hinaus die Ziffern 1 und 5 der «Erklärung» verletzt seien, begründet der BF nicht.
C. Am 4. Oktober 2022 antwortete die Rechtsabteilung der TX Group, zu welcher «20min.ch» gehört, auf die Beschwerde und beantragte deren Abweisung. Sie, die Beschwerdegegnerin (BG), sieht keine Verletzung des Plagiatsverbotes. Zwar sei die Redaktion in der Tat bereits am 20. Mai 2022, also schon fünf Tage vor der Publikation, vom BF auf den Sachverhalt hingewiesen worden und habe entsprechend selber zu recherchieren begonnen. Unter anderem habe sie mit dem erwähnten Informanten Kontakt aufgenommen. Aufgrund der schwierigen Quellenlage habe man aber entschieden, mit der Publikation zuzuwarten: Zum einen habe die Polizei nur einen Einsatz bestätigen können, aber nicht mehr, weiter sei nicht zweifelsfrei klar gewesen, ob hier wirklich eine Bibel verbrannt worden sei. Angesichts dessen hätte man auch die Gegenseite befragen wollen, um der Anhörungspflicht bei schweren Vorwürfen, der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung», gerecht zu werden. Dies sei aber nicht möglich gewesen, weshalb man den Artikel schliesslich am 25. Mai veröffentlicht habe.
Dass gewisse Passagen ähnlich lauten sei darauf zurückzuführen, dass beide Publikationen auf ein Mail des gleichen Informanten zurückgegriffen hätten. Damit liege der gleiche Fall vor, wie im Falle einer Medienmitteilung: Das Medium, dass eine an mehrere Medien verbreitete Information zuerst verwende, werde üblicherweise nicht als Quelle zitiert.
Im Weiteren beziehe sich die Formulierung «Gerne hätte 20 Minuten auch den Standpunkt der Palästina-Anhänger erfahren» darauf, dass man von den Beschuldigten hätte wissen wollen, wie sie selbst den schwerwiegenden Vorwurf der Bibelverbrennung als symbolischen Angriff auf den religiösen Frieden beurteilten. Das allgemeinere Motiv für die Demonstration hätte man aufgrund des Flugblattes zwar sehr wohl nennen können, wie der BF moniere. Mit der Unterlassung sei aber keine Unterschlagung wichtiger Informationen im Sinne von Ziffer 3 der «Erklärung» gegeben, zumal gar nicht sicher sei, von wem der Flyer überhaupt stamme.
D. Am 3. Februar 2023 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde gemäss Artikel 13 Abs. 1 seines Geschäftsreglements vom Präsidium behandelt, bestehend aus Susan Boos (Präsidentin), Annik Dubied (Vizepräsidentin), Jan Grüebler (Vizepräsident) und Ursina Wey (Geschäftsführerin).
E. Das Präsidium des Presserates hat die vorliegende Stellungnahme am 15. Februar 2023 verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer macht geltend, «20 Minuten» habe ein Plagiat begangen, indem es nicht darauf hinwies, dass der BF als Erster über den Vorgang berichtet habe. Sein Primeur habe keine Erwähnung gefunden. Die Redaktion weist darauf hin, dass es zwar sehr wohl der BF gewesen sei, welcher die Redaktion auf den Vorgang aufmerksam gemacht habe, dass die Redaktion aber selber recherchiert habe und von den gleichen schriftlichen Schilderungen des Informanten ausgegangen sei. Damit seien auch die teilweise gleichen Formulierungen in den beiden Texten zu erklären.
Der Presserat geht davon aus, dass die von der BG angeführte Analogie zu einer Pressemeldung zutrifft: wenn der Informant beiden Medien gleiche Informationen, mündlich oder schriftlich, zukommen lässt, dann ist zum einen erklärbar, dass sich in den Texten auch gleiche oder ähnliche Formulierungen finden. Vor allem aber hat der Informant bewusst beide Redaktionen mit Informationen versehen. Damit entsteht in der Tat eine Situation vergleichbar mit Medienmitteilungen, wo auch Informationen von einer Quelle an mehrere Medien geliefert werden. In solchen Fällen wird diejenige, die als erstes berichtet, nicht von allen anderen genannt. Sondern es wird die ursprüngliche Quelle angegeben. Das war hier der Fall.
Der Presserat sieht die Ziffer 4 und Richtlinie 4.7 der «Erklärung» (Plagiat) nicht verletzt.
2. Der BF sieht im Weiteren die Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen) der «Erklärung» verletzt, weil «20Minuten.ch» nach der Formulierung «Gerne hätte 20 Minuten auch den Standpunkt der Palästina-Anhänger erfahren» nicht deutlich gemacht habe, welches die Israel-feindlichen Positionen der Demonstrierenden gewesen seien. Die BG entgegnet, dass es bei der erwähnten Frage darum gegangen sei, die Haltung der Demonstrierenden zum Vorwurf der Bibelverbrennung und zum Ablauf der Auseinandersetzungen zu hören.
Auch hier stimmt der Presserat der Position der BG zu: Erstens erscheint der fragliche Satz im Kontext der Schilderungen der Vorgänge in Bern. Zunächst aus der Sicht des «Israel Forum Bern», dann aus derjenigen der Polizei und dann wird gesagt, man hätte gerne auch den «Standpunkt» der Palästina-Anhänger erfahren. Damit ist klar, dass damit deren Haltung zu den Vorgängen an der Demonstration gemeint war und nicht ihr «Standpunkt» Israel gegenüber. Dies umso mehr, als diese allgemeine Haltung der Demonstrierenden zur Palästina-Frage in der Schilderung der Vorgänge seitens des Informanten bereits in aller Schärfe zum Ausdruck gekommen ist.
Die Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen) ist nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.
2. «20Minuten.ch» hat mit dem Artikel «Kundgebung in Bern: Verbrennen hier Palästina-Demonstranten eine Bibel?» vom 25. Mai 2022 nicht gegen die Ziffer 3 (Unterschlagen wichtiger Informationen) und die Ziffer 4 (Plagiat) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.
3. Die übrigen beanstandeten Verletzungen (Ziffer 1 und 5) wurden vom Beschwerdeführer nicht begründet und standen damit nicht zur Diskussion.