Zusammenfassung
Der Schweizer Presserat rügt die «Basler Zeitung» (BaZ), weil sie in einem Artikel über die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) des Kantons Solothurn mehrfach die Unwahrheit geschrieben hat und Informationen unterschlug. Allerdings heisst der Presserat die Beschwerde des kantonalsolothurnischen Amts für soziale Sicherheit gegen den Artikel «Harte Kritik an der Kesb» vom 24. März 2020 nur teilweise gut. Denn ein Teil der monierten Verstösse gegen den Journalistenkodex erwiesen sich als unbegründet, so die angeblich unautorisierte Verwendung von Zitaten durch die BaZ.
Der Presserat billigte zwar die stark geraffte Darstellung von drei konkreten Kesb-Fällen in der «Basler Zeitung». Nicht jedoch, dass die BaZ beim einen Fall ein zentrales Gutachten nicht erwähnte, bei einem andern Fall dessen Rolle missverständlich darstellte.
Résumé
Le Conseil suisse de la presse reproche à la «Basler Zeitung» (BaZ) d’avoir à plusieurs reprises énoncé des contrevérités et dissimulé des informations dans un article sur l’autorité de protection de l’enfant et de l’adulte (APEA) du canton de Soleure. Il n’accepte toutefois que partiellement la plainte de l’office cantonal soleurois de la sécurité sociale contre l’article «Harte Kritik an der Kesb», paru le 24 mars 2020. Une partie des atteintes au code de déontologie des journalistes qui y sont relevées s’avèrent infondées, comme l’utilisation prétendument non autorisée de citations.
Le Conseil de la presse tolère certes la présentation très raccourcie de trois cas concrets relevant de l’APEA dans la «Basler Zeitung», mais pas au fait que la BaZ ait omis d’évoquer une expertise centrale dans un cas, exposé le rôle d’une autre expertise de manière équivoque dans un autre cas.
Riassunto
Inesattezze e omissione di informazioni importanti: il Consiglio svizzero della stampa ha accolto un reclamo contro la «Basler Zeitung» (BaZ), che in un articolo aveva mosso varie critiche all’Autorità di protezione del bambino e dell’adulto (Kesb) del Canton Soletta. Solo parzialmente sono stati accolti gli appunti mossi all’articolo «Dure critiche al Kesb» pubblicato il 24 marzo 2020, in particolare l’addebito di avere – contravvenendo al codice deontologico – riprodotto asseritamente senza autorizzazione alcune citazioni.
Il Consiglio comprende che la BaZ abbia dovuto riassumere fortemente tre concreti casi, ma deplora la mancata citazione di una perizia importante in uno di essi e l’errata comprensione del ruolo della perizia in un altro caso.
I. Sachverhalt
A. Am 24. März 2020 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) einen Artikel von Daniel Wahl mit dem Titel «Harte Kritik an der Kesb». Der Untertitel lautete «Gutachten. Die emeritierte Professorin Annelies Münch stellt der Kesb des Kantons Solothurn ein vernichtendes Zeugnis aus». Im Artikel wird beschrieben, was «Annelies Münch aus Basel, die 30 Jahre lang, bis 2009, an der Hochschule für Soziale Arbeit (FHNW) in Basel dozierte» von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (nachfolgend: Kesb) des Kantons Solothurn hält. Laut der «Basler Zeitung» ist es nicht viel. Das einstige Mitglied einer Fachkommission, die im Kanton Solothurn das Amt für soziale Sicherheit (nachfolgend: ASO) berät, wird unter anderem zitiert mit Aussagen wie «Die Arbeit der Kesb lässt kein fachlich legitimiertes Handeln erkennen» oder «Die Rolle der Mitarbeitenden wird auf eine Machtausübung reduziert« oder «Die Gestaltung des persönlichen Umgangs mit Klientinnen und Klienten zeugt von einer unglaublichen Willkür».
Diese «Erkenntnisse aus einer Kesb-Analyse» bezieht sich auf den Fall eines Seewener Vaters, über den der «Tages-Anzeiger» und die «Basler Zeitung» unter dem Titel «Papa, wo bist du?» am 1. März 2019 berichteten. Auch Annelies Münch studierte den Fall und verfasste ein «Kurzgutachten» – ob ausschliesslich für die «Basler Zeitung» oder vorerst für eine andere Auftraggeberin, geht aus dem beanstandeten Artikel nicht hervor. In der Folge konzentriert sich der Journalist auf zwei weitere Fälle der Kesb im Kanton Solothurn, die laut ihm «Parallelen» zum von Münch analysierten Fall aufweisen, anschliessend auf die Konfrontation des ASO mit den Vorwürfen. Er beschreibt ausführlich ein Treffen mit dem zuständigen Präsidenten der Kesb Dorneck-Thierstein/Thal-Gäu, der sich «mit einem Geleit von sieben weiteren Personen eine überraschende Übermacht» gesichert habe. Die Leiterin des ASO sei ebenfalls «mit von Partie» gewesen und «gleich in den Angriffsmodus» übergegangen. Zu Annelies Münchs Einschätzungen sowie den Parallelen habe die Kesb «nur summarisch Stellung» genommen. Aussagen habe man danach nicht autorisieren wollen. Gegen Ende des Artikels kommt die Solothurner Kantonsrätin Stephanie Ritschard zu Wort. Sie hat einen Kesb-kritischen Vorstoss eingereicht und einen zweiten angekündigt. Zudem arbeitet sie sich nach eigenen Angaben in Dossiers der Kesb Solothurn ein ‒ es sei «teilweise so erschütternd, dass sie sich abgrenzen müsse».
Zum Haupttext stellt die «Basler Zeitung» drei kurze Fallbeispiele. Sie tragen die Titel «Fall 1 ‒ Keine Hilfe», «Fall 2 ‒ Mitarbeiter auf Linie bringen» und «Fall 3 ‒ Mutters Wunsch ist Kesb-Befehl». Ebenfalls dazugestellt wird ein mit «Arbeitszeugnis für die Kesb» übertiteltes Fünf-Punkte-«Fazit» von Annelies Münch zur Kesb Solothurn.
B. Am 5. Mai 2020 reichte das Amt für soziale Sicherheit des Kantons Solothurn eine Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen den Artikel der «Basler Zeitung» ein. Dieser verletze die Ziffer 1 (Wahrheitssuche), die Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) sowie die Richtlinie 4.5 (Interview) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung»).
Die Ziffer 1 (Wahrheitssuche) ist laut der Beschwerdeführerin aus den folgenden Gründen verletzt: Der Autor des Artikels habe sich erstmals am 11. Februar 2020 per Mail an den Präsidenten der Kesb Dorneck-Thierstein/Thal-Gäu gewandt und dabei Vorwürfe gegen diese erhoben. Da mehrere Fälle angesprochen und diese vermischt worden seien, habe man den Autor zu einem Gespräch eingeladen. Über seine erste Reaktion auf die Mail vom 12. Februar 2020 sei man «ein wenig irritiert gewesen». Der Autor habe am 15. Februar 2020 geantwortet, er sei durch das Gesprächsangebot «etwas in die Zwickmühle geraten». Schliesslich habe er dieses angenommen und «mit allen Mitgliedern der betroffenen KESB und einer Delegation des Amts für soziale Sicherheit, welches die Aufsichtsbehörde der KESB ist» ein über zweistündiges Gespräch geführt. Ebenso seien dem Journalisten «relevante Akten und statistische Auswertungen» abgegeben worden. Nach Publikation des Artikels müsse man davon ausgehen, dass er «einen Grossteil der Akten nicht gesichtet oder ignoriert» habe.
Der Autor schreibe, der Kesb-Präsident habe «mit einem Geleit von sieben weiteren Personen eine überraschende Übermacht» gesichert. Dabei bleibe unerwähnt, dass man ihm die Natur des Gesprächs sowie die anwesenden Personen bereits in der Einladung vom 12. Februar 2020 mitgeteilt habe.
Betreffend Fall 1 unterschlage der Autor, dass in diesem Fall nicht nur die Kesb, sondern auch das Richteramt im Rahmen der Eheschutz- und Ehescheidungsverhandlung wichtige Entscheidungen gefällt habe. Dieses sei auch für das aktuell laufende Verfahren zuständig. Beides habe man ihm im Gespräch erklärt. Der Autor habe darauf hingewiesen, dass er mit der Aktenlage im betreffenden Fall vertraut sei. Die Beschwerdeführerin führt weiter aus, das erwähnte Gutachten sei vom Gericht selbst in Auftrag gegeben und nicht – wie vom Autor dargestellt – bei der Kesb bestellt worden. Zudem werde bei der Kesb lediglich ein Dossier geführt, weil Beistandschaften errichtet worden seien.
Im Fall 2 handle es sich um einen «hocheskalierten Beziehungskonflikt, der Auswirkungen auf ein Kind» habe. Auch in diesem Fall habe der Journalist beim Gespräch gesagt, er habe vollumfängliche Akteneinsicht und kenne das Gutachten. Deshalb sei es nicht nachvollziehbar, warum im Artikel unerwähnt bleibe, dass ein ausführliches psychiatrisches Gutachten erstellt worden sei, in welchem die Kindswohlgefährdung differenziert untersucht werde. Stattdessen werfe der Journalist der Kesb mangelnde Reflexion vor. Nicht nachvollziehbar sei zudem der Vorwurf, Personen aus dem Fall seien abgezogen worden. Die Frage sei weder im Gespräch noch im Nachhinein aufgekommen. Man hätte darlegen können, wann und aus welchen Gründen die Verantwortlichkeiten gewechselt hätten.
Betreffend Fall 3 unterschlage der Journalist, dass der Vater mehrfach vor Verwaltungsgericht und Bundesgericht Beschwerde geführt habe. Die sehr umfassenden und öffentlich publizierten Urteile habe man ihm vorgelegt. Der betreffende Vater sei in allen Verfahren deutlich unterlegen, womit die Entscheide der Kesb mehrfach gestützt worden seien.
Die Beschwerdeführerin schreibt weiter, auch die statistischen Daten zu den Gerichtsentscheiden seien in der «Basler Zeitung» falsch dargestellt worden. Konkret lasse sie eine «nachweislich falsche Aussage» von Annelies Münch unwidersprochen und unkommentiert stehen. Sie werde indirekt zitiert mit den Worten, «in 98 Prozent der Fälle» entspreche die Kesb nicht den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Kunden. Richtig sei, dass im Jahre 2019 in 2,2 Prozent der Fälle Beschwerde gegen die Entscheide der Kesb Solothurn beim Verwaltungsgericht eingelegt worden seien. Rund 98 Prozent seien akzeptiert worden. Von den insgesamt 192 Beschwerden habe das Gericht 3 Prozent gutgeheissen und 97 Prozent abgewiesen. Diese statistischen Zahlen seien dem Journalisten vorgelegt und erläutert worden.
Auch die Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) sieht die Beschwerdeführerin verletzt. Ausgangspunkt der journalistischen Sorgfaltspflichten bilde die Überprüfung der Quelle einer Information und ihrer Glaubwürdigkeit. Eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags liege im Interesse des Publikums. Die Beschwerdegegnerin erwecke bei den Lesern indes den falschen Eindruck, dass Annelies Münch als Expertin Einsicht in die Fallakten oder die Arbeit der Kesb gehabt habe, wie diese etwa einer Gutachterin oder Mitgliedern einer Geschäftsprüfungskommission zustünde. Das sei nicht der Fall. Münch habe zu keinem Zeitpunkt eine solche Aufgabe ausgeübt und sei nie als Fachperson in einen der Fälle eingebunden oder mandatiert gewesen. Auch nicht, als sie noch Mitglied der Fachkommission Familie, Kind und Jugend gewesen sei. Sowieso habe diese Fachkommission keine Einsicht in Fallakten der Kesb.
Die Beschwerdeführerin vermutet, dass Annelies Münch dank einer Partei Einsicht in die Fallakten erhielt. Das reiche für eine fundierte Expertenmeinung, auf die sich mehrere Kesb-kritische Artikel abstützen liessen, aber nicht aus. Zumal widersprechende Expertenmeinungen, wie etwa der Bundesgerichtsentscheid, «wider besseren Wissens unterschlagen» würden.
Verletzt sieht die Beschwerdeführerin auch die Richtlinie 4.5 (Interview). Obwohl zeitnah versprochen, habe der Autor die Zitate aus dem Gespräch vom 19. Februar 2020 erst am Sonntag, 22. März um 19.05 Uhr per Mail geliefert. Als Frist habe er den 23. März um 15 Uhr angesetzt – falls er bis dann nichts höre, gehe er von einer Genehmigung aus. Man habe dem Journalisten mitgeteilt, dass zum Zeitpunkt seiner Mail «gegenwärtig alle Kräfte zur Bekämpfung der Pandemie verwendet» würden und eine Prüfung von Zitaten «aus einem monatealten Interview innerhalb von wenigen Stunden» nicht möglich sei. Aus diesem Grund betrachte man die Zitate als unautorisiert verwendet.
Auch wenn man mehr zeitliche Ressourcen zur Verfügung gehabt hätte, wäre eine Autorisierung schwierig geworden, fügt die Beschwerdeführerin an. Die Frist sei zu kurz angesetzt gewesen, als dass man nach vier Wochen «zuverlässig die Zitate von 7 GesprächsteilnehmerInnen aus dem ganzen Kanton» hätte verifizieren können.
C. Am 23. September 2020 nahm der Rechtsdienst der TX Group im Namen der «Basler Zeitung» Stellung zur Beschwerde des Amts für Soziale Sicherheit des Kantons Solothurn. Diese erwiese sich in jeder Hinsicht als unbegründet und sei abzuweisen.
Als Vorbemerkung sei anzumerken, dass der schriftlichen Anfrage des Journalisten bei der Kesb ein Telefonat mit deren Präsidenten vorangegangen sei, der um schriftliche Zustellung der Fragen gebeten habe. Obwohl die Beschwerdegegnerin daraufhin eine zeitnahe Zusicherung einer Stellungnahme erhalten habe, sei der Terminvorschlag der Kesb für ein Gespräch erst zehn Tage später, am Freitag vor den Ferien des Journalisten, eingegangen. Vor diesem Hintergrund sei die erwähnte Irritation der Kesb nicht nachvollziehbar. Der Journalist habe in seiner Antwortmail ausführlich begründet, warum ein Gespräch zeitnah stattfinden solle. Auch der zweite vorgeschlagene Termin sei nicht zeitnah gewesen.
Wenn die Beschwerdeführerin mit dem Ausdruck «überraschende Übermacht» die Ziffer 1 der Erklärung verletzt sehe, meine sie wohl eher Ziffer 3. Geltend gemacht werde wohl sinngemäss, dass angeblich Informationen unterschlagen worden seien.
Die Natur des Gesprächs sei dem Journalisten keineswegs bekannt gewesen. Der Kesb-Präsident habe am Telefon gesagt, er würde gerne das ASO als Kesb-Aufsichtsorgan beiziehen. Eine Teilnehmerliste oder genaue Teilnehmerzahl sei der Beschwerdegegnerin vor dem Gespräch aber nicht abgegeben worden. Im Verteiler des Mailverkehrs sei neben dem Präsidenten nur gerade eine Person aufgeführt gewesen sei. Der Journalist habe also nach Treu und Glauben und auch objektiver Betrachtung davon ausgehen können, dass am Gespräch wohl drei Personen teilnehmen würden. Weder aus der mündlichen Zusage noch dem Mailverkehr sei ersichtlich gewesen, dass acht Personen teilnehmen würden. Ergo könne er auch keine Informationen unterschlagen haben. Der Ausdruck «überraschende Übermacht» sei zutreffend und gebe die subjektive Wahrnehmung von Daniel Wahl wieder.
Bemerkenswert sei weiter, schreibt die Beschwerdegegnerin, dass nach der Vorstellungsrunde im zweistündigen Gespräch von acht Personen nur gerade zwei Personen das Wort ergriffen hätten. Dies erwecke den Anschein, die Kesb habe mit einer zahlenmässigen Übermacht «eine Kulisse aufgebaut» und «Eindruck erwecken» wollen. Auch habe die Chefin des ASO eine «Verhörsituation aufgebaut». Auf die Vielzahl der im Vorfeld eingereichten Fragestellungen sei die Kesb kaum oder nicht eingegangen. Auch seien dem Journalisten am Gespräch weder Dokumente noch Statistiken ausgehändigt worden.
Weder Ziffer 1 noch 3 seien verletzt, den Vorwurf einer journalistischen Sorgfaltspflichtverletzung weise man dezidiert zurück.
Betreffend Fall 1 entspreche die Darstellung voll und ganz der Wahrheit. Es liege in der Natur eines Zeitungsartikels, dass nicht im Einzelnen auf alle Details eingegangen werden könne. Das Nichterwähnen des Umstandes, dass auch das Richteramt Entscheide gefällt habe, sei «im Rahmen der vorliegenden verkürzten Darstellung absolut zulässig» und verletze in keiner Weise die «Erklärung» bzw. Richtlinie. Für die Leser werde aufgrund der Kürze der drei Texte und der gewählten Darstellungsform klar, dass sich die erwähnten Fälle auf die Rolle der Kesb fokussieren. Es sei durch sie zu verantworten, dass es in Bezug auf die Obhut der Kinder überhaupt zum Gerichtsverfahren gekommen sei. Die Kesb habe die Situation selber nie abgeklärt und sich erst vom Gericht diesen Auftrag geben lassen müssen. Die Verantwortlichkeit sei im Artikel somit richtig dargestellt. Die Forderung, sämtliche Bundesgerichtsurteile, Gutachten und «weitere willkürlich beigezogene einzelne Akten» zu erwähnen, sei «realitätsfremd».
Auch betreffend Fall 2 weist die Beschwerdegegnerin sämtliche Vorwürfe einer Verletzung einer journalistischen Sorgfaltspflicht zurück. Die Beschwerdeführerin beanstande, dass in diesem Fall ein psychiatrisches Gutachten erstellt worden sei, welches die Kindeswohlgefährdung differenziert untersucht habe. Dieses bleibe jedoch unerwähnt. Der Journalist werfe der Kesb mangelnde Reflexion vor. Beide Vorwürfe bestreite man.
Die Beschwerdegegnerin behaupte nicht, die Kesb bleibe gänzlich untätig. Vielmehr schildere sie, dass diese auf gewisse Sachverhalte mangelhaft reagiert und sie nicht reflektiert habe. Aus dem erwähnten psychiatrischen Gutachten zitiere der Autor sehr wohl. Für die Gesamtbetrachtung der Fallbetrachtung sei aber sowieso nicht ein einzelnes Gutachten mit in sich widersprüchlichen Erkenntnissen relevant. Dass er dieses nicht namentlich erwähne, ändere nichts an der Tatsachendarstellung im Artikel.
Die Beschwerdeführerin bestätige in ihrer Beschwerdeschrift zudem selbst die monierte Darstellung, Personen seien vom Fall abgezogen worden. Der Umstand werde wahrheitsgetreu und ohne jegliche Übertreibung dargestellt.
Auch die Ausführungen zum Fall 3 seien unzutreffend, schreibt die Beschwerdegegnerin. Die Behauptung, die Urteile seien dieser beim Treffen vorgelegt worden, stimme nicht. Zudem sei im Gespräch nur ein Urteil erwähnt worden. Man habe einzig gefragt, ob es dem Journalisten vorliege, es ihm aber nicht abgegeben.
Sowieso würden die angeblich unterschlagenen Urteile nichts an der Falldarstellung im beanstandeten Artikel ändern. Die Beschwerdeführerin nutze ein Bundesgerichtsurteil aus, um den Eindruck zu erwecken, es hätte zwingend erwähnt werden müssen. Fakt sei, dass es am Themenkomplex vorbeiziele und die besprochenen Punkte aus dem Artikel nicht abhandle. Somit hätte auch eine Erwähnung des Urteils im Artikel am Thema vorbeigezielt. Es habe im Rahmen einer verkürzten Darstellung nicht erwähnt werden müssen.
Betreffend die statistischen Daten zu den Gerichtsurteilen moniere die Beschwerdeführerin, dass die BaZ diese falsch darstelle und zudem falsche Aussagen unkommentiert lasse. Auch diese Vorwürfe weise man vollumfänglich zurück. Es sei unzutreffend, dass die konkreten Zahlen der Beschwerdegegnerin im Gespräch vorgelegt oder erläutert worden seien. Die Beschwerdeführerin verweise letztlich auf einen völlig unerheblichen Unterschied von 0,2 Prozent (2 statt 2,2 Prozent).
Die Einordnung von Annelies Münchs Aussage müsse sich die Beschwerdeführerin gefallen lassen. Wenn die Kesb auf Zahlen verweise und eine Expertin diese interpretiere und zu einem anderen Schluss komme, bedeute das keineswegs, dass der Artikel undifferenziert, unkommentiert und unkritisch damit umgehe. Die Zahlen seien korrekt und die Einordnung von Münch als Expertenmeinung erkennbar.
Die Beschwerdegegnerin schreibt weiter, die Leserschaft sei betreffend Münch nicht in die Irre geführt worden. Münchs Stellung und Funktion werde im Artikel genau beschrieben. Beschrieben werde auch, dass die ehemalige Professorin auf einen Fall «gestossen» sei, also als aussenstehende Person vom Fall Kenntnis erlangt und sich damit befasst habe und somit auch Hintergrundwissen besitze. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Kritik an den Aussagen von Münch würden im Artikel abgehandelt. Die Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) sei nicht verletzt.
Entgegen der Meinung der Beschwerdeführerin habe es sich zudem nicht um ein Interview gehandelt, sondern um ein Recherchegespräch. Die Beschwerdeführerin habe die Freigabe von kurzen, unbedeutenden Zitaten ohne Aussicht auf eine Antwort oder zeitliche Perspektive verweigert. Die Frist von sieben Stunden für die vier Zitate sei absolut verhältnismässig gewesen. Von einer Pflichtverletzung könne nicht gesprochen werden, die «Basler Zeitung» habe sich an die Abmachungen gehalten. Die Richtlinie 4.5 (Interview) sei nicht verletzt.
D. Das Präsidium des Presserates wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Marianne Biber, Jan Grüebler, Markus Locher, Simone Rau und Hilary von Arx an.
E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 29. Oktober 2020 und auf dem Korrespondenzweg.
F. Am 4. November 2020 avisierte die Rechtsabteilung der TX Group im Namen der BaZ den Presserat, im Rahmen des Gesuches um eine vorsorgliche Verfügung sei bekannt geworden, dass zwei Vertreterinnen der betreffenden Kesb-Sozialregion am 27. August 2020 eine Strafanzeige gegen die BaZ und den Autor Daniel Wahl eingereicht hätten. Darin machten die Antragstellerinnen geltend, Wahl habe sich mit seinen verschiedenen Artikeln ihnen gegenüber der üblen Nachrede und der falschen Anschuldigung strafbar gemacht. Es gehe in diesem Strafverfahren um die gleichen Angelegenheiten wie in den (insgesamt) drei Beschwerden an den Presserat. Aus den beigelegten Akten ergibt sich, dass es unter anderem auch um den Wahrheitsgehalt der Artikel Wahls zum Fall «Nathalie» geht. Entsprechend beantragt die TX Group, nicht auf die Verfahren gegen die BaZ und Autor Wahl und damit auch nicht auf die vorliegende Beschwerde einzutreten, da es sich um Parallelverfahren im Sinne von Art. 11 des Geschäftsreglements des Presserates handle.
G. Die 3. Kammer hat den Antrag der TX Group auf dem Korrespondenzweg behandelt.
II. Erwägungen
1. Zunächst ist zu prüfen, ob der Presserat auf die Beschwerde eintritt. Wenn ein gerichtliches Parallelverfahren in gleicher Angelegenheit im Gange ist, tritt der Presserat gemäss Geschäftsreglement Art. 11 nicht auf die Materie ein, es sei denn, er gehe davon aus, es handle sich um eine medienethische Grundsatzfrage.
Im vorliegenden Fall geht es primär um die Kritik an der Arbeit der Kesb des Kantons Solothurn, welche eine ehemalige Dozentin der Hochschule für Soziale Arbeit geäussert hat. Dem Artikel beigestellt werden drei Fallbeispiele, welche diese Kritik untermauern sollen. Aus den von der Beschwerdegegnerin eingereichten Unterlagen geht hervor, dass zwei mit dem Fall 2 befasste Kesb-Mitarbeiterinnen gegen den Autor des Berichts Strafanzeige eingereicht haben. Zu befassen hat sich der Presserat gemäss Beschwerde in Bezug auf Fall 2 mit dem Nichterwähnen des kinderpsychiatrischen Gutachtens zur Kindswohlgefährdung durch den Autor sowie mit dem Abzug dreier Personen vom Fall und der Frage, ob der Autor hier beim Amt für soziale Sicherheit hätte nachfragen müssen. Die drei vom Fall abgezogenen Personen werden in der BaZ-Darstellung von Fall 2 so bezeichnet: «die von der Kesb eingesetzten Kinderpsychiaterinnen» und «der Übergabe-Begleiter von Besuchen beim Vater». Die drei vom Fall abgezogenen Personen scheinen somit nicht identisch zu sein mit den zwei Kesb-Mitarbeiterinnen, die Strafanzeige gestellt haben. Der Presserat befasst sich gestützt auf die Beschwerde folglich mit formalen Aspekten von Fall 2 und nicht mit der inhaltlichen Darstellung des Falles und insbesondere nicht mit der Frage des angeblichen Ungenügens der beiden Kesb-Mitarbeiterinnen.
Angesichts dieser Ausgangslage beschliesst der Presserat Eintreten auf die Beschwerde, da kein Parallelverfahren im Sinne von Art. 11 des Geschäftsreglements vorliegt. Die Frage, ob allenfalls eine medienethische Grundsatzfrage vorliegt, kann deshalb offen bleiben.
2. a) Ziffer 1 der «Erklärung» verpflichtet Journalisten, sich an die Wahrheit zu halten. Die redliche Wahrheitssuche stellt den Ausgangspunkt der Informationstätigkeit dar. Die Beschwerdegegnerin BaZ stellt sich auf den Standpunkt, der Terminvorschlag für das Treffen mit der Kesb sei erst zehn Tage nach der Kontaktaufnahme eingegangen. Richtig ist, wie der Mailverkehr zeigt, dass der erste Terminvorschlag seitens des ASO bereits gut 24 Stunden nach der Kontaktaufnahme einging. Deren Leiterin anerbot sich, beim Gespräch als Vertreterin der Aufsichtsbehörde ebenfalls dabei zu sein. In der Mail informierte sie den Journalisten zudem, dass seitens Kesb alle Mitarbeitenden teilnehmen würden. Die Beschwerdegegnerin wusste also entgegen anderweitiger Behauptungen sehr wohl frühzeitig, dass sie auf mehr als nur zwei oder drei Personen treffen würde. Von «überraschender Übermacht» kann keine Rede sein.
Ebenfalls unzutreffend ist die Aussage der Beschwerdegegnerin, auch der zweite vorgeschlagene Termin sei «nicht zeitnah» gewesen. Der Journalist der «Basler Zeitung» schrieb der Leiterin des ASO am Samstag, 15. Februar um 14.58 Uhr, ihr vorgeschlagener Termin vom Freitag, 21. Februar passe ihm nicht. Am Montag, 17. Februar um 11.10 Uhr antwortete sie ihm, man könne ihm ein alternatives Gespräch zwei Tage später anbieten, nämlich am Mittwoch, 19. Februar um 13.30 Uhr. Das darf durchaus als zeitnah bezeichnet werden. Zudem hatte der Journalist den Termin in seiner Mail vom 15. Februar selber vorgeschlagen – weil Ende Woche seine Ferien anfangen würden. Alternativ würde es ihm auch anfangs März passen.
b) In der Mail des ASO vom 17. Februar mit dem neuen Terminvorschlag vom 19. Februar wurde der Beschwerdegegnerin ausserdem mitgeteilt, dass ein Mitglied der Kesb nicht teilnehmen könne, alle anderen aber schon. Die Beschwerdegegnerin musste also spätestens jetzt davon ausgehen, dass sie beim Gespräch eine grössere Gruppe von Personen antreffen würde. Eine kurze Google-Recherche hätte ansonsten genügt: Auf der Webseite des Kantons Solothurn ist nachzulesen, wie viele Behördenmitglieder die Kesb Thal-Gäu/Dorneck-Thierstein erfasst – nämlich sechs. Davon würden fünf teilnehmen, hatte die Leiterin des ASO den Journalisten informiert, ebenso sie selbst als Vertreterin der Aufsichtsbehörde. Dass am Gespräch schliesslich zwei Personen mehr teilnehmen würden, also insgesamt acht, hätte die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin aus Fairness- und Transparenzgründen durchaus mitteilen dürfen. Man kann aus dieser Nichtinformation jedoch nicht den Vorwurf ableiten, die Natur des Gesprächs sei der Beschwerdegegnerin «keineswegs bekannt» gewesen oder hätte sie «überrascht». Aus dem Mailverkehr wird klar ersichtlich, dass das Gespräch kaum mit nur drei Personen stattfinden würde. Dass Daniel Wahl dann auf acht Gesprächspartner traf, benennt er als «Übermacht», doch «überraschend» war diese für ihn wohl kaum. Mit der Formulierung «eine überraschende Übermacht» hat die «Basler Zeitung» die Ziffer 1 (Wahrheit) knapp verletzt.
c) Die Beschwerdeführerin führt weiter aus, welche Informationen der Artikel aus ihrer Sicht unterschlagen hat. Grundsätzlich ist anzumerken, dass es einem Journalisten erlaubt sein muss, einen Sachverhalt kurz und knapp zusammenzufassen, dabei zu gewichten, auszuwählen, wegzulassen. Genau das ist in den drei Fallbeschreibungen passiert: Der Journalist hat vieles weggelassen. Die Frage ist demnach, ob er sinnvoll ausgewählt und fair gewichtet hat. Der Presserat geht mit der Beschwerdegegnerin einig, dass sich die erwähnten Fallbeschreibungen analog zum Hauptartikel auf die Kesb konzentrieren. Es ist schlicht nicht möglich, auf so wenig Platz sämtliche Bundesgerichtsurteile, Gutachten und weitere Akten zu erwähnen.
c1) In der Beschreibung des Falls 1 heisst es, das Gericht zwinge die Behörden zum Handeln. Jetzt werde der Vater per Gutachter abgeklärt. Aus Sicht des Presserats suggeriert der erste Satz in der Verbindung mit dem zweiten, das Gericht zwinge die Kesb, den Vater gutachterlich abklären zu lassen, respektive: ein Gutachten vom Vater zu erstellen. Richtig ist jedoch, dass das Gericht das Gutachten selbst in Auftrag gab. Ob die Kesb nach Vorliegen des Gutachtens «handeln» muss, und falls ja, wie konkret, ist nicht Gegenstand dieser Presseratsbeschwerde. Ziffer 1 (Wahrheit) ist verletzt.
Nicht erwähnt hat die BaZ in der Beschreibung des Falls 1, dass für das aktuell laufende Verfahren gar nicht die Kesb zuständig ist, sondern das Richteramt. Das ist aus Sicht des Presserats insofern ungünstig, als der Eindruck entsteht, die Verantwortlichkeit liege alleine bei der Kesb. Das ist aber nicht zutreffend. Die Verantwortlichkeit liegt auch oder unter anderem bei der Kesb – immerhin hat sie den Fall im Juli 2017 eröffnet. Und wohl wegen ihr wird er aktuell vor Gericht verhandelt. In diesem Punkt hat die Fallbeschreibung die Ziffer 1 (Wahrheit) trotzdem nicht verletzt. Der Presserat erachtet die verkürzte Darstellung als zulässig.
c2) Betreffend Fall 2 moniert die Beschwerdeführerin, ein ausführliches psychiatrisches Gutachten, in welchem die Kindswohlgefährdung differenziert untersucht werde, bleibe unerwähnt. Stattdessen werfe der Journalist der Kesb mangelnde Reflexion vor. Die Redaktion entgegnet, für die Gesamtbetrachtung des Falls sei ein einzelnes Gutachten nicht relevant. Der Presserat sieht das anders: Zwar ist auch er der Ansicht, dass in einer kurzen Fallbeschreibung nicht jedes Aktenstück aufgezählt werden soll und muss. Liegt allerdings ein ausführliches psychiatrisches Gutachten vor, das die Kindswohlgefährdung differenziert untersucht, müsste dies erwähnt werden. Denn um diese geht es im vorliegenden Fall ja gerade. Verletzt ist somit nicht, wie von der Beschwerdeführerin moniert, Ziffer 1, sondern Ziffer 3 (Unterschlagen von Informationen) der «Erklärung».
Die Beschwerdeführerin moniert weiter den Vorwurf, Personen seien vom Fall abgezogen worden. Weder im Gespräch noch im Nachhinein sei die Frage aufgekommen. Es ist auch aus Sicht des Presserats nicht nachvollziehbar, warum Daniel Wahl die Kesb beim Gespräch nicht nochmals mit diesem Vorwurf konfrontiert hat. In seiner Mail vom 11. Februar 2011 schreibt er bereits: «Andersgesinnte werden in Ihrem System ausgetauscht». Offenbar ist keiner der Gesprächspartner von sich aus auf das Thema zu sprechen gekommen. Der Journalist hätte, wenn er den Vorwurf in seinem Artikel nennen will, aus Fairnessgründen eine Stellungnahme einholen müssen. Verletzt ist Ziffer 1 damit allerdings nicht. Diese bezieht sich auf die Wahrheitssuche. Und sogar die Beschwerdeführerin selbst bestätigt in ihrer Beschwerde, dass die Verantwortlichkeiten wechselten. Auch die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) ist nicht verletzt, da es sich beim Austauschen von Personal nicht um illegales oder vergleichbar unredliches Verhalten handelt. Die Verletzung ist allerdings nur knapp nicht gegeben: Die BaZ hatte zwei Gesprächsstunden Zeit für das Formulieren des Vorwurfs. Die Stellungnahme der Kesb hätte die Leserinnen und Leser interessiert.
c3) Betreffend Fall 3 wirft die Beschwerdeführerin der Beschwerdegegnerin vor, die Information unterschlagen zu haben, dass der Vater mehrfach vor Verwaltungsgericht und Bundesgericht Beschwerde geführt habe. Die sehr umfassenden und öffentlich publizierten Urteile, die die Entscheide der Kesb stützen würden, habe man der BaZ vorgelegt. Diese bestreitet das. Sie habe keine Unterlagen erhalten. Zudem sei im Gespräch nur ein Urteil erwähnt worden (das des Verwaltungsgerichts Solothurn vom Sommer 2019). Wenn die BaZ der Ansicht ist, die Thematik eines Urteils ziele an der im Artikel geäusserten Kritik vorbei, so beurteilt das der Presserat anders. Die vom Amt für soziale Sicherheit mit der Beschwerde vorgelegten Urteile vermitteln vielmehr den Eindruck, die Darstellung der BaZ im Fall 3 sei zumindest unvollständig. Doch ist das hier nicht von Belang. Denn ob dem Journalisten beim Gespräch Unterlagen abgegeben wurden oder ob sie ihm anderweitig vorlagen, und falls ja, welche, vermag der Presserat nicht zu beurteilen. Es steht Aussage gegen Aussage.
d) Betreffend die statistischen Daten sieht der Presserat die Ziffer 1 hingegen verletzt. Die BaZ zitiert Annelies Münch indirekt mit den Worten, man könne die Zahlen auch anders lesen. Dann folgt ein Satz im Indikativ (ohne Anführungszeichen): «In 98 Prozent der Fälle entspricht die Kesb nicht den Bedürfnissen und Wünschen ihrer Kunden». Das könnte auch als Aussage der «Basler Zeitung» gelesen werden und ist falsch, wie die Statistik zeigt. Es sind nur 2,2 Prozent der 8630 Solothurner Kesb-Verfahren im Jahr 2019, in denen Beschwerde erhoben wird. In 97,8 Prozent der Fälle bleiben die Entscheide unangefochten. Und nur gerade 6 der 192 Beschwerden hat das Solothurner Verwaltungsgericht ganz oder teilweise gutgeheissen. Die «Basler Zeitung» hätte Münchs Aussage, Expertenmeinung hin oder her, korrigieren müssen.
3. Richtlinie 3.1 zur «Erklärung» verpflichtet Journalisten, die Quelle einer Information und ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags liegt im Interesse des Publikums. Die Beschwerdeführerin moniert, der Autor des Artikels erwecke bei den Lesern den falschen Eindruck, Annelies Münch habe als Expertin offiziell Einsicht in die Fallakten oder die Arbeit der Kesb gehabt. Das sei nicht der Fall. Die Redaktion stellt sich auf den Standpunkt, es sei im Artikel klar deklariert, dass Münch als aussenstehende Person vom Fall Kenntnis genommen, sich damit befasst und somit auch Hintergrundwissen besessen habe. Der Presserat schliesst sich hier der Argumentation der BaZ an: Für die BaZ geht aus dem Artikel genügend deutlich hervor, dass Münch ihre Kritik an der Kesb als Privatperson äussert und nicht offiziell mandatiert durch die Kesb, das ASO oder ein Gericht. Münch wird beschrieben als emeritierte Professorin an der Hochschule für Soziale Arbeit in Basel und ehemaliges Mitglied einer Fachkommission, die das Amt für soziale Sicherheit berät. Ein falscher Eindruck wird aus Sicht des Presserats nicht erweckt, im Gegenteil: Es wird erklärt, was sie zu ihrer Kritik an der Kesb legitimiert. Der Satz «In ihrer Expertenfunktion ist sie auf den Kesb-Fall eines Seewener Vaters gestossen» ist zumindest etwas missverständlich formuliert. Richtlinie 3.1 ist nicht verletzt.
4. Interviews müssen im Normalfall autorisiert werden. Richtlinie 4.5 ist dann verletzt, wenn Medienschaffende ohne ausdrückliches Einverständnis des Gesprächspartners aus einem Gespräch nachträglich ein Interview konstruieren. Im vorliegenden Fall haben sich Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin zu einem rund zweistündigen Gespräch getroffen. Teilgenommen haben insgesamt neun Personen. Der Presserat beurteilt diese Gesprächssituation als Recherchegespräch, nicht als Interview. Richtlinie 4.5 ist folglich nicht verletzt.
Die Richtlinie 4.6 verpflichtet Journalisten, ihre Gesprächspartner über das Ziel eines Recherchegesprächs zu informieren. Das hat die «Basler Zeitung» gemacht. Weiter dürfen Journalisten Statements ihrer Gesprächspartner bearbeiten und kürzen, soweit dies die Äusserungen nicht entstellt. Die befragte Person darf die zur Publikation vorgesehenen Äusserungen zur Autorisierung verlangen. Die BaZ hat die Zitate der Kesb einen Monat nach dem Gespräch mitten im Corona-Lockdown mit einer relativ kurzen Frist zugestellt. Allerdings handelte es sich dabei nur um wenige, kurze Zitate, die die Beschwerdegegnerin notabene samt Kontext vorlegte. Die Kesb kann sich aus Sicht des Presserats nicht auf den Standpunkt stellen, es handle sich um Zitate aus einem monatealten Interview. Noch weniger verfängt die Argumentation, man hätte auch mit mehr Zeit Mühe gehabt, in einer «so kurzen Frist zuverlässig die Zitate von 7 GesprächsteilnehmerInnen aus dem ganzen Kanton zu autorisieren». Die BaZ zitiert nur zwei Personen direkt, nämlich den Kesb-Präsidenten sowie die ASO-Leiterin. Per Mail oder Telefon hätten sich diese rasch absprechen können, egal wie weit voneinander entfernt sie sich aufhalten. Richtlinie 4.6 ist nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Die «Basler Zeitung» hat mit dem Artikel «Harte Kritik an der Kesb» die Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) und die Ziffer 3 (Unterschlagen von Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
3. Nicht verletzt ist Ziffer 4 (Interview; Recherchegespräche).