Nr. 19/2020
Wahrheit / Entstellen von Tatsachen / Anhören bei schweren Vorwürfen

(Lüdecke c. «NZZ am Sonntag»)

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I. Sachverhalt

A. Am 10. März 2019 erschien in der «NZZ am Sonntag» (NZZaS) ein ausführlicher Artikel von Carole Koch und Boas Ruh unter dem Titel «Im Netz der Klimaleugner». Darin wird beschrieben, mit welchen Argumentationen und Methoden sogenannte «Klimaleugner» und «Klimaskeptiker» die Debatte über die Erwärmung der Erdatmosphäre und deren Ursachen beeinflussen. Die Autoren führen aus, welche Personen und Gruppierungen mit welchen Mitteln gegen die Erkenntnisse der Klimaforschung vorgehen. Als ein bekannter «Klimaleugner» wird unter anderen Professor Horst-Joachim Lüdecke aus Heidelberg bezeichnet und vorgestellt. Dieser sei Physikprofessor gewesen und befasse sich seit seiner Pensionierung mit Klimafragen. Er sei als «Pressesprecher» aktiv in einem «Europäischen Institut für Klima und Energie» (Eike), dessen Postadresse sich in Jena befinde und das sich auf seiner Website mit den Worten positioniere «Die Behauptung eines ‹menschengemachten Klimawandels› ist wissenschaftlich nicht begründbar und als Schwindel anzusehen. Eike lehnt jegliche ‹Klimapolitik› als Vorwand ab, Wirtschaft und Bevölkerung zu bevormunden».

B. Am 20. Mai 2019 erhob Prof. Horst-Joachim Lüdecke in Heidelberg Beschwerde beim Schweizer Presserat und machte Verstösse gegen die Ziffern 1 und 3 (Wahrheitspflicht und Entstellung von Tatsachen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (im Folgenden «Erklärung») geltend.

Zur Begründung führt der Beschwerdeführer (BF) an, die Bezeichnung «Klimaleugner» sei falsch und diffamierend. Falsch, weil er nie «das Klima geleugnet» und nie die Existenz der Klimaerwärmung bezweifelt habe. Im Gegenteil erforsche er in seinen wissenschaftlichen Fachpublikationen die Gründe für den Wandel des Klimas. Dabei vertrete er allerdings in der Tat die Ansicht, dass hauptsächlich natürliche Faktoren für die globale Erwärmung verantwortlich seien und nicht die menschenbedingte CO2-Zunahme. Weiter sei die Bezeichnung «Klimaleugner» diffamierend, weil der Begriff moralisch verurteile, in Anlehnung an «Holocaustleugner». «Klimaleugner» sei ein Hetzwort, das Stigmatisierung zum Ziel habe. Beide Punkte zusammen ergäben eine Verletzung von Ziffer 1 der Erklärung (Wahrheitspflicht) und insbesondere der zur «Erklärung» gehörenden Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche).

Dadurch, dass die Bezeichnung «Klimaleugner» nicht begründet werde und dass mit Ausnahme eines Zitates seine Ansichten nicht wiedergegeben würden, entstehe ein entstellter Eindruck, womit auch Ziffer 3 der «Erklärung» (Unterschlagen von wichtigen Elementen von Information, Entstellung von Tatsachen) verletzt werde.

C. Mit der Beschwerdeantwort vom 6. Juli 2019 beantragt Chefredaktor Luzi Bernet im Namen der «NZZ am Sonntag» die vollumfängliche Ablehnung der Beschwerde, soweit überhaupt darauf einzutreten sei. Die Beschwerdegegnerin (BG) macht einleitend geltend, die Bezeichnung Lüdeckes als «Klimaleugner» beruhe auf fundierten Recherchen. Grundlage dafür seien die Befunde des Weltklimarats und der etablierten Wissenschaft, welche die NZZaS als «fundierte Evidenz akzeptiert».

Die gerügte Verletzung von Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) verneint die NZZaS mit folgenden Begründungen: Der Begriff «Klimaleugner» werde in der Literatur mit verschiedenen Bedeutungen verwendet. Sowohl für Personen, die den Klimawandel rundweg bestreiten, wie auch für solche, welche zwar die Klimaveränderung anerkennen, nicht aber die Prämisse, dass diese «menschgemacht» sei. Auf den BF treffe mindestens die zweite Definition zu, wenn er sage, er anerkenne zwar den Klimawandel, nicht aber den Menschen als dessen Ursache. Für die Bezeichnung spreche aber auch das Motto der Organisation Eike, für die er sich stark engagiere: «Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit». Im Übrigen sei Eike nicht das wissenschaftliche Institut als das es sich darstelle, sondern vielmehr ein Verein von Freiwilligen.

Weitere Aspekte, illustriert mit Zitaten, berechtigen laut NZZaS die Bezeichnung des BF als «Klimaleugner»: Er bestreite den wissenschaftlichen Konsens zum zunehmenden CO2-Gehalt der Atmosphäre als Ursache für eine gefährliche Erwärmung. Er bezeichne die allgemein anerkannten gefährlichen Folgen der Klimaerwärmung als nie bewiesene Hypothese. Und er bestreite den wissenschaftlichen Konsens in dieser Frage insgesamt: Dieser sei ein Mythos.

Den Vorwurf, den BF in die Nähe von «Holocaustleugnern» zu bringen, weist die NZZaS zurück mit dem Argument, «Holocaustleugner» bezeichne eine Straftat, während der Begriff des «Klimaleugners» von allen Medien wie etwa auch von «Wikipedia» prominent und häufig gebraucht werde. Somit sei er auch nicht diffamierend. Bei Wikipedia werde der BF gar als «zentraler Akteur der organisierten Klimaleugnerszene» bezeichnet.

Den Vorwurf einer Entstellung von Tatsachen (Ziffer 3 der «Erklärung») bestreitet die BG ebenfalls. Weder treffe es zu, dass der Vorwurf des «Klimaleugners» nicht begründet worden sei, dies sei im Gegenteil im Kontext sehr ausführlich geschehen. Noch sei es wahr, dass des Beschwerdeführers Ansichten – mit Ausnahme eines einzigen Zitates – bewusst nicht angeführt worden seien. Die Redaktion habe sich durchaus um seine Position, seine Stellungnahme bemüht: einmal schriftlich (sechs Tage vor Veröffentlichung des Artikels) und dreimal telefonisch, man habe aber keine Antwort erhalten. Dennoch habe man die Position des BF im Artikel wahrheitsgemäss knapp wiedergegeben mit einem Zitat, das der BF selber als korrekt bezeichne. Hinzu komme, dass man ihm die Möglichkeit gegeben habe, sich in einem unüblich langen Leserbrief zu den Vorwürfen zu äussern. Dass er danach dennoch eine Beschwerde an den Presserat lanciere, sei rechtsmissbräuchlich, deswegen sollte der Presserat auf die Beschwerde gar nicht erst eintreten.

D. Der Presserat teilte den Parteien am 17. September 2019 mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 9. April 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die BG beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Die NZZaS habe sich mit dem BF darauf geeinigt, dass er seine Sicht der Dinge äussern dürfe und zwar in einem Leserbrief, der länger sein durfte als man das sonst zulasse. Dass er nach dessen Publikation dennoch eine Beschwerde einreiche, sei rechtsmissbräuchlich.

Der Presserat räumt ein, dass dieses Vorgehen des BF als stossend erscheinen mag, inwieweit es aber rechtsmissbräuchlich ist, kann er nicht beurteilen, weil er weder die getroffene Vereinbarung zwischen den Parteien noch den Inhalt des veröffentlichten Textes kennt. Aber selbst wenn das Vorgehen im juristischen Sinne als rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden müsste: Es berührt keinen der Gründe, welche Art. 11 des Geschäftsreglements des Presserates als Grund für ein Nichteintreten auf eine medienethische Beschwerde aufzählt. Auf die – im Übrigen gültig zustande gekommene – Beschwerde ist deswegen einzutreten.

2. Zur Frage, ob die Umschreibung der Position des BF mit «Klimaleugner» korrekt, also wahr im Sinne von Ziffer 1 der «Erklärung» ist oder nicht: Der Presserat geht davon aus, dass die Bezeichnung korrekt, wenn auch nicht ganz unproblematisch ist: Grundsätzlich hat der BF natürlich Recht, wenn er sagt, er leugne kein Klima. Das wäre natürlich völliger Unsinn, der durchschnittliche Leser, die durchschnittliche Leserin versteht das aber auch nicht so. Etwas heikler wird es, wenn der BF sagt, er bestreite auch nicht den Klimawandel. Er bestreite nur, dass menschliche Einwirkung dessen hauptsächliche Ursache sei. Er gehört also nach eigener Darstellung nicht zu der Gruppe, die sagt, Schwankungen seien normal, die habe es immer gegeben, das Problem existiere überhaupt nicht. Sondern er gehört demnach zu denen, die sagen, das Klima ändere sich in der Tat, aber das spiele keine Rolle, das sei natürlich, habe mit menschlicher Aktivität nichts oder wenig zu tun, es werde sich auch von selber wieder erledigen. Die beiden Positionen sind in der Konsequenz aber fast identisch, denn beide gehen im Kern davon aus, dass entgegen der vorherrschenden wissenschaftlichen Kenntnis kein wirkliches Problem bestehe, dass der Mensch keinen Einfluss auf die Entwicklung habe, dass kein Handlungsbedarf bestehe. Die BG geht denn auch mit angeführten Belegen davon aus, dass die zweite Gruppe mitgemeint sei, wenn von «Klimaleugnern» gesprochen werde.

Dem ist zuzustimmen: Was das «Leugnen» betrifft, so definiert der Duden die Bedeutung des Begriffes unter anderem mit: «(etwas, was als Lehre, Weltanschauung o. Ä. oder allgemein anerkannt ist und vertreten wird) für nicht bestehend erklären».

Wenn die dafür spezialisierten Forschungsinstitute in ihrer überwältigenden Mehrheit aufgrund langanhaltender wissenschaftlicher Beobachtungen davon ausgehen, dass menschliche Aktivität für den Klimawandel entscheidend mitverantwortlich ist, dann ist das Bestreiten dieses Umstandes ein «Leugnen» im Sinne dieser Definition. Und was die erste Hälfte des Begriffes angeht, so lässt sich das damit Gemeinte anders kaum ausdrücken: Statt nur «Klima-Leugner» beispielsweise präziser zu schreiben «Einer, der den Klimawandel anerkennt, der aber die menschliche Komponente daran und jeden Handlungsbedarf leugnet», oder ähnlich, ist nicht gebrauchstauglich. Da die Formulierung «Klimaleugner» aber nicht präzise ist, muss darauf geachtet werden, dass die Position der betreffenden Person oder Institution im Kontext genauer beschrieben wird. Mit dem direkten Zitat des BF «der menschgemachte Klimawandel ist wissenschaftlich umstritten» ist dieser Anforderung im Falle des vorliegenden Artikels, wenn auch nur sehr knapp, Genüge getan. Der Beschwerdeführer muss sich mit dieser knappen Situierung aber zufrieden geben angesichts der Tatsache, dass er die diesbezüglichen Anfragen der NZZaS nicht beantwortet hat. Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) ist nicht verletzt.

3. Die NZZaS bestreitet, dass der Ausdruck «Klimaleugner» diffamierend sei, weil er an «Holocaustleugner» erinnere. Der Ausdruck «Holocaustleugner» betreffe einen strafbaren Tatbestand, während der «Klimaleugner» ein im Sprachgebrauch gängiger Begriff sei. Zweifellos unterstellt der Begriff «Leugner» mindestens eine intellektuell nicht korrekte Haltung. Davon ist aber in beiden Fällen, Holocaust und Klima, auszugehen, wenn entgegen den gründlichsten verfügbaren Quellen Behauptungen erhoben werden. Es klingt zwar einleuchtend, wenn der BF argumentiert, in der Wissenschaft gebe es «kein Leugnen, nur unterschiedliche Ansichten». Aber das greift zu kurz. Das zeigt etwa das Beispiel der kleinen Minderheit von Wissenschaftlern, welche 50 Jahre lang die unterschiedliche «Ansicht» vertreten haben, es gebe keinen Beweis dafür, dass Rauchen Krebs fördere. Die klaren Beweise der relevanten medizinischen Forschung wurden – mit dem gewünschten Erfolg – jahrzehntelang … geleugnet.

4. Was die geltend gemachte Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» angeht (Entstellen von Tatsachen) so ist der Feststellung des BF zu widersprechen, wonach die Bezeichnung «Klimaleugner» nicht begründet worden sei. Sie ergibt sich sehr klar aus dem Kontext des Artikels. Und dass seine Ansicht nicht ausführlicher zur Sprache kam, lag offensichtlich mindestens in Teilen daran, dass er den Dialog nicht ermöglicht hat. Zudem wurde ihm ermöglicht, sich in einem Leserbrief zu äussern, ausführlicher als das üblicherweise der Fall ist, was er denn auch getan hat. Ziffer 3 ist nicht verletzt.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «NZZ am Sonntag» hat mit dem Artikel «Im Netz der Klimaleugner» vom 10. März 2019 die Ziffern 1 und 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.