I. Sachverhalt
A. Am 6. März 2019 erschien in den «St. Galler Nachrichten» (nachfolgend SGN) in der Rubrik «Aus den Gemeinden» ein Artikel gezeichnet von Ramona Keller unter dem Titel «Wir sind Rufmordopfer geworden». Er beschreibt den Konflikt zwischen dem Verpächter eines Landwirtschaftsbetriebs (dem Beschwerdeführer, im Folgenden BF) und dem Pächterpaar. Dieses wird im Artikel ausführlich zitiert mit dem Vorwurf, der Verpächter, welcher mit Namen und Adresse genannt wird, habe sich nicht an einen mündlich vereinbarten Pachtvertrag gehalten. Als er realisiert habe, dass er aufgrund der amtlichen Einstufung des Betriebs weniger Geld erhalte als erhofft, habe er damit begonnen, die Pächter «gezielt zu vertreiben». Man habe sich schliesslich im Juni 2018 vor Gericht geeinigt, dass die Pächter auf den neunjährigen Pachtvertrag verzichten, dass sie im Gegenzug aber bis im Frühling 2019 auf dem Hof verbleiben können. Trotz dieser Einigung habe der Verpächter aber «im Dorf und darüber hinaus» verbreitet, dass die Pächter Schmarotzer seien und auf dem Hof lebten ohne Pacht zu bezahlen. Auch seien ihre Kühe freigelassen worden und es sei ihnen das Wasser im Stall abgestellt worden. Weiter habe der Verpächter die Autonummern von Kunden des Hofladens notiert, um diese dann anzurufen und sie vor den beiden «Schmarotzern zu warnen». Die Folge seien wirtschaftliche Verluste bei den Pächtern gewesen. Nun aber habe das Paar einen neuen Hof gefunden, auf dem man sich wohler fühle. Im vorletzten Abschnitt des Artikels schreiben die SGN, der Verpächter «streite die Behauptungen des Ehepaares ab», wie er über seinen Anwalt mitteilen lasse. Angesichts des vollumfänglichen gerichtlichen Vergleichs und der Tatsache, dass die Parteien damit definitiv getrennte Wege gehen, gebe es gar keinen Anlass für Handlungen, wie die beiden Pächter sie ihm vorwürfen.
B. X. (BF) reichte am 22. März 2019 Beschwerde beim Schweizer Presserat ein und machte eine Verletzung der Ziffern 1, 4 und 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») geltend. Der Text verstosse insbesondere gegen die zur «Erklärung» gehörenden Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche), 4.6 (Recherchegespräche), 7.2 (Identifizierung) und 7.5 (Recht auf Vergessen).
Als Begründung für den Verstoss gegen die Wahrheitssuche gibt X. an, die Behauptung, er habe Rufmord begangen, sei unwahr und die Autorin habe deren Wahrheitsgehalt nicht überprüft.
Auch stimme es nicht, dass das Paar mit den Kühen den Hof zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels verlassen hätte, wie es in einer Bildlegende heisst, die Kühe seien damals noch auf dem Hof gewesen. Auch zwei weitere Details seien nicht richtig wiedergegeben: Der von ihm angeblich angebotene Einzugstermin sei falsch, die Wohnung sei damals noch gar nicht fertiggestellt gewesen; auch die Zusammenfassung des gerichtlichen Vergleichs enthalte einen Fehler.
Richtlinie 4.6 (Recherchegespräch) sei verletzt, weil die Autorin schon drei Monate vor Veröffentlichung mit ihm gesprochen habe, während die Gegenpartei kurz vor Veröffentlichung noch neue Elemente habe einbringen können, auf welche er nicht mehr habe reagieren können. Der Artikel hätte ihm vor der Publikation vorgelegt werden müssen.
Richtlinie 7.2 (Identifizierung) sei verletzt, weil er ohne seine Zustimmung mit vollem Namen und Adresse genannt werde, was seine Privatsphäre verletze. Es gebe kein öffentliches Interesse an dieser drastischen Verletzung seiner Privatsphäre.
Und Richtlinie 7.5 (Recht auf Vergessen) sei verletzt, weil der Artikel online immer noch abrufbar, sein Name aber noch nicht vollständig anonymisiert sei. Es müsse dafür gesorgt werden, dass er mittels Suchmaschine nicht mehr auffindbar sei.
C. Am 17. April 2019 nahm Mario Stäheli, Geschäftsleiter von Swiss Regiomedia AG im Namen der «St. Galler Nachrichten» zu der Beschwerde Stellung.
Zum Vorwurf der ungenügenden Wahrheitssuche (Richtlinie 1.1) macht er geltend, die Bezeichnung «Rufmordopfer» sei sicher richtig angesichts der Dinge («Schmarotzer»), die der BF über die beiden Pächter herumgeboten habe. Dies insbesondere, weil der BF diese Beschuldigungen auch nach dem Wegzug der Pächter an deren neuem Wohnort weiterverbreitet habe. Was die angeblich unkorrekten Terminangaben im Artikel betreffe, sei die journalistische Überprüfung schwierig. Sie sei für die Gesamtheit der Ereignisse aber auch nicht relevant. Die Journalistin «konnte daher davon ausgehen, dass sie stimmen».
Auf den Vorwurf, die Bestimmung über das Recherchegespräch (Richtlinie 4.6) verletzt zu haben, weil der BF in den drei Monaten seit der ersten Kontaktnahme nicht mehr befragt worden sei, antworten die SGN unter dem Titel «Anhörung beider Seiten», die Autorin habe gemäss den Vorgaben des Presserates gehandelt, indem sie mit beiden Seiten gesprochen habe, sie habe den Vertreter des BF ausführlich zitiert. Und unter dem Titel «Veröffentlichung erst Monate nach dem Recherchieren» sagen die SGN, dass sie die Vorwürfe erst Monate nach dem Gespräch mit dem Beschuldigten publiziert hätten, tangiere die Streitsituation nicht. Jedoch zeigten die Verunglimpfungen des BF nach Abschluss des gerichtlichen Vergleichs, dass die Vorwürfe des BF noch mehr Gewicht erhalten hätten. Ihn nochmals zu konsultieren habe sich erübrigt, da der Streit in Lömmenschwil bereits abgeschlossen gewesen sei. Es hätten keine neuen Argumente vorgebracht werden können.
Zum Vorwurf der unstatthaften Identifizierung (Richtlinie 7.2) des BF argumentieren die SGN, es handle sich hier um ein «extrem ländliches Gebiet», in welchem jeder jeden kenne. Da mache eine Anonymisierung keinen Sinn: Alle, die in der Nähe wohnten, wüssten, um wen es gehe, und für alle anderen sei das nicht relevant.
Auf das «Recht auf Vergessen» (Richtlinie 7.5) gehen die SGN in ihrer Stellungnahme nicht ein.
D. Am 8. Mai 2019 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.
E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 27. März 2020 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.
II. Erwägungen
1. Was den Vorwurf einer Verletzung von Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) betrifft, so bestehen die Vorhaltungen gegen den BF aus Zitaten seitens der Pächter, deren Authentizität nicht bestritten wird. Dem BF wurde Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesen Vorwürfen geboten, er hat diese über seinen Anwalt genutzt, allerdings offenbar nur in kursorischer Form: Er hat die Vorhaltungen gesamthaft bestritten. Dies kommt im Artikel denn auch zur Geltung. Dass neben dem bestrittenen schweren Vorwurf der üblen Nachrede einige weitere Details nicht korrekt wiedergegeben sein sollen, tut dabei nichts zur Sache, sie sind mit dem pauschalen Bestreiten aller Vorwürfe miterfasst. Allerdings wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Journalistin zumindest versucht hätte, die ausführlich geschilderten Vorwürfe gegen den BF zu verifizieren. Der Presserat kommt dennoch zum Schluss, dass der Wahrheitssuche knapp Genüge getan und Richtlinie 1.1 nicht verletzt wurde.
2. Die erwähnte Stellungahme des BF, respektive seines Anwalts, erfolgte allerdings zu einem Zeitpunkt, Monate vor Veröffentlichung, zu welcher noch nicht alle im Artikel beschriebenen Sachverhalte bekannt waren (fortgesetze üble Nachrede, auch nach dem Umzug, am neuen Wohnort). Der BF sieht darin eine Verletzung von Richtlinie 4.6 (Recherchegespräch). Effektiv geht es hier eher um die Frage, ob Richtlinie 3.8 verletzt wurde, das Recht auf Anhörung bei (neuen) schweren Vorwürfen. Der Beschwerdeführer macht das aber erstens nicht geltend und zweitens drehten sich die Vorwürfe der Pächter letztlich wieder um die gleichen angeblichen Verhaltensweisen des BF: Üble Nachrede, vom BF Dritten gegenüber als «Schmarotzer» bezeichnet worden zu sein. Die Autorin ging offensichtlich davon aus, dass die Antwort des BF zu den erneuten Vorwürfen auch wieder gleich lauten werde, wie zu den ersten gleichlautenden. Ein Verstoss gegen Richtlinie 3.8 liegt nach Beurteilung des Presserats deswegen knapp nicht vor, es wäre aber angezeigt gewesen, den BF nach drei Monaten mit den neuen Vorwürfen nochmals zu konfrontieren. Der Beschwerdeführer umgekehrt hat – anders als von ihm eingefordert – keinen Anspruch, den ganzen Artikel vor der Publikation vorgelegt zu bekommen, sehr wohl aber muss ihm gegebenenfalls, auf Verlangen, vorgelegt werden, wie er zitiert werden soll.
3. Der BF rügt eine Verletzung von Richtlinie 7.2 (Identifikation, Schutz der Privatsphäre) weil er im Zusammenhang mit schweren, von ihm bestrittenen Vorwürfen mit vollem Namen und Adresse identifiziert worden ist. Die SGN bestreiten eine Verletzung von Richtlinie 7.2, weil die Menschen in der Gegend des fraglichen Hofes ohnehin wüssten, wer gemeint sei und für alle anderen sei dies nicht von Belang.
Dem ist nicht zuzustimmen. Der Schutz der Persönlichkeit ist grundsätzlich zu wahren. Eine Person darf ohne ihre Zustimmung nur so weit identifizierbar werden, dass allenfalls Mitglieder der Familie und des nahen sozialen oder beruflichen Umfeldes sie erkennen können. Wenn die von den SGN angeführten «Leser und Leserinnen, die in der Nähe wohnen» und viele weit darüber hinaus den BF aufgrund des Artikels identifizieren können, wurde er zu wenig, respektive eben gar nicht anonymisiert. Sein Name und seine Adresse hätten auf keinen Fall erwähnt werden dürfen. Richtlinie 7.2 wurde verletzt.
4. Was den Verstoss gegen Richtlinie 7.5 (Recht auf Vergessen) betrifft, so ist dem angeführten Anliegen des BF Rechnung getragen worden: Der Artikel ist zwar immer noch abrufbar, aber jetzt insoweit anonymisiert, als nur noch die Initialen des BF erwähnt sind. Eine Eingabe dieser Initialen führt zu keinen Ergebnissen mehr. Seine Adresse ist aus dem Text entfernt. Der Richtlinie 7.5 wurde Rechnung getragen.
III. Feststellungen
1. Der Presserat heisst die Beschwerde in einem Punkt gut.
2. Die «St. Galler Nachrichten» haben mit dem Artikel «Wir sind Rufmordopfer geworden» vom 6. März 2019 die Ziffer 7 (Identifikation) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» dadurch verletzt, dass der Beschwerdeführer mit Namen und Adresse identifiziert wurde.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.