Nr. 18/2019
Wahrheitssuche / Quellenbearbeitung / Berichtigungspflicht / Achtung der Menschenwürde

(X. c. «Berner Zeitung»)

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I. Sachverhalt

A. Am 13. November 2017 veröffentlichte die «Berner Zeitung» («BZ») einen Artikel, dessen Quelle mit «kaf/sda» bezeichnet war, mit dem Titel «Tausende demonstrieren für ein ‹weisses Europa› in Polen». Der Untertitel lautete: «Nationalisten und Rechtsradikale sind für ihre Ideologie durch die Strassen Warschaus marschiert. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot im Einsatz.» Im Artikel selber wird berichtet, «Zehntausende Nationalisten und Rechtsradikale» seien bei einem sogenannten Unabhängigkeitsmarsch durch die Strassen Warschaus gezogen und hätten Slogans wie «Gott, Ehre, Vaterland» und «polnische Industrie in polnische Hände» gerufen. Als Quelle wird die polnische Nachrichtenagentur PAP genannt. Es ist die Rede davon, dass bengalische Feuer gezündet worden seien, dass den rund 60’000 Demonstranten 6000 Polizisten gegenübergestanden hätten. Es wird weiter berichtet von einer Gegendemonstration und schliesslich vom Hintergrund der Grossdemonstration, dem 99. Jahrestag der Unabhängigkeit Polens. Als Letztes wird verwiesen auf die offizielle Zeremonie zum Nationalfeiertag, an welcher Präsident Andrzej Duda teilnahm und wo kritisch gegenüber den Demonstranten bemerkt worden sei, dass keine Gruppierung ein Monopol auf den Patriotismus habe.

B. Am 10. Dezember reichte X. Beschwerde gegen den Artikel der «BZ» beim Schweizer Presserat ein und zwar nennt er als zu beanstandenden Teil der Berichterstattung konkret den Titel «Tausende demonstrieren für ein ‹weisses Europa› in Polen» und den ersten Teil des Untertitels «Nationalisten und Rechtsradikale sind für ihre Ideologie durch die Strassen Warschaus marschiert». Die Demonstranten hätten in Tat und Wahrheit den 99. Jahrestag der Unabhängigkeit gefeiert. Es habe zwar einzelne Personen gegeben, die rassistische Transparente getragen und rassistische Parolen gerufen hätten. Das berechtige die «BZ» jedoch nicht, von Tausenden zu schreiben und die Botschaft des Marsches völlig zu verändern. Im Weiteren habe die «BZ» ihre falschen Angaben auch dann nicht korrigiert, als er die Redaktion auf die Fehler aufmerksam gemacht habe. Der Beschwerdeführer sieht in all dem Verstösse gegen die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») sowie gegen Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung), Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) und Richtlinie 8.1 (Achtung der Menschenwürde).

C. Mit einem knappen Schreiben vom 21. März 2018 nahm Chefredaktor Peter Jost im Namen der «Berner Zeitung» Stellung zur Beschwerde. Er verweist darauf, dass ihre Berichterstattung über den so genannten Unabhängigkeitsmarsch in Warschau auf Material der Schweizerischen Depeschenagentur SDA basiere (Text) und auf der Agence France Press (Video). Der Bericht habe in Inhalt und Tonalität Hunderten von Medienartikeln entsprochen, die am fraglichen Tag in zahlreichen europäischen Websites und Zeitungen erschienen seien. Und dies sei der Fall gewesen unabhängig davon, ob diese Texte auf Material der SDA, der DPA oder der polnischen PAP basiert hätten. Bei der Publikation dieses Artikels seien sämtliche journalistischen Standards eingehalten worden.

D. Am 12. April 2018 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 1. Juli 2019 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Richtlinie 1.1 ist eine Präzisierung von Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheitspflicht). Unter dem Titel «Wahrheitssuche» verlangt diese «die Beachtung verfügbarer und zugänglicher Daten». Der Beschwerdeführer rügt, dass der Titel «Tausende demonstrieren für ein ‹weisses Europa› in Polen» falsch und irreführend sei. Es sei an dieser Demonstration primär um die Feier des 99. Jahrestages der Unabhängigkeit gegangen. Nur «einzelne Personen» hätten sich mit rassistischen Positionen bemerkbar gemacht. Die Beschwerdegegnerin verweist darauf, dass sie sich bei diesem Bericht auf die Nachrichtenagentur SDA gestützt habe. Die Berichterstattung einer Vielzahl anderer Medien und der Agenturen, auf die sie sich stützte, habe in Ton und Inhalt gleich gelautet. Das gilt für die «BZ» auch für den kritisierten Untertitel «Nationalisten und Rechtsradikale sind für ihre Ideologie durch die Strassen Warschaus marschiert».

Diese Informationen sind in der Tat so in den «verfügbaren Daten» enthalten gewesen, welche die Richtlinie zu beachten vorschreibt, und zwar laut Beschwerdeführer bei verschiedenen Agenturen. Hinzu kommt, dass der Text des Artikels den 99. Jahrestag als Anlass ausdrücklich erwähnt, nur gewichtet er die rechtsradikale Präsenz am Umzug höher, er erwähnt sie früher, was einer legitimen journalistischen Gewichtung entspricht. Was die Anzahl rechtsradikaler Teilnehmer und Teilnehmerinnen an der Demonstration angeht, so steht Aussage gegen Aussage. Der Presserat enthält sich in einem solchen Fall gemäss ständiger Praxis einer Beurteilung, auch wenn er die Behauptung des Beschwerdeführers, es seien nur einzelne Personen mit rassistischen Forderungen unter den 60’000 Teilnehmern anwesend gewesen, für erstaunlich hält angesichts der Tatsache, dass die Demonstration von zwei rechtsradikalen Organisationen veranstaltet wurde. Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) wurde nicht verletzt.

2. Richtlinie 3.1 verlangt als Teil der journalistischen Sorgfaltspflicht die Überprüfung der Quelle und ihrer Glaubwürdigkeit. Diese Überprüfung entfällt laut ständiger Praxis des Presserats, wenn es sich um eine anerkannte, professionell arbeitende Nachrichtenagentur handelt. Das war hier mit der SDA der Fall, Richtlinie 3.1 ist daher nicht verletzt.

3. Richtlinie 5.1 verlangt in Anwendung von Ziffer 5 der «Erklärung», dass Fehler in der Berichterstattung «unverzüglich» und «von sich aus» berichtigt werden. Weil im «BZ»-Bericht kein Fehler im Sinn von Richtlinie 1.1 vorlag, entfiel die Pflicht zur Berichtigung.

4. Richtlinie 8.1 verlangt die Achtung vor der Menschenwürde. Die Beschwerdeschrift verweist nirgends auf eine Textstelle, welche eine Verletzung der Menschenwürde beinhalten könnte. Im Artikel ist nichts Derartiges festzustellen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die «Berner Zeitung» hat mit dem Artikel «Tausende demonstrieren für ein ‹weisses Europa› in Polen» vom 13. November 2017 nicht gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Quellenbearbeitung), 5 (Berichtigung) und 8 (Menschenwürde) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.