Zusammenfassung
Der Presserat hat die Beschwerde eines Veterinärs gegen die «Basler Zeitung» (BaZ) abgewiesen. Hintergrund war ein Prozess vor dem Strafgericht Muttenz BL. Dort begegneten sich ein Mitarbeiter des Veterinäramts und ein Biobauer. Nicht zum ersten Mal. Die Basler Zeitung berichtete – und stellte sich voll auf die Seite des Landwirts. Der hatte zwei tote Kälber auf der Weide liegenlassen, weil er meinte, Raubtiere, Vögel, Würmer und andere Aasfresser würden sich darum kümmern. Darin hatte der Veterinär eine Verletzung der Hygienevorschriften gesehen und den Bauern mit einer Busse belegt.
Das Gericht gab ihm – wie schon beim ersten Prozess in dieser Sache – Recht. Doch der BaZ-Reporter schrieb, der Veterinär sei erstens eingebürgerter Deutscher und zweitens übereifrig. Der wiederum fand diese Darstellung tendenziös. Unter anderem, weil sie ihn wegen seiner Herkunft diskriminiere. Und: Die Zeitung habe seinen ersten Sieg vor Gericht verschwiegen, mithin die Wahrheitspflicht verletzt. Der Tierarzt beschwerte sich darüber beim Schweizer Presserat.
War die BaZ zu weit gegangen? Der Presserat befand jetzt, der Hinweis auf die frühere Nationalität des Veterinärs sei zwar überflüssig gewesen, jemanden einen Deutschen zu nennen, aber noch keine Diskriminierung. Andererseits hätte der Gerichtsreporter berichten müssen, dass dem Tierarzt bereits im vorangegangenen Prozess bestätigt worden war, rechtmässig zu handeln.
Eklatante Verstösse gegen die journalistischen Pflichten indes sah der Presserat in keinem der zahlreichen vom Beschwerdeführer vorgebrachten Punkte. Wegen des nicht erwähnten ersten Prozesses sprach das Selbstregulierungsorgan der Schweizer Medien lediglich eine Mahnung an die Adresse der «Basler Zeitung» aus.
Résumé
Le Conseil de la presse a rejeté la plainte déposée par un vétérinaire contre la «Basler Zeitung» (BaZ). Le problème concernait un procès devant le tribunal pénal de Muttenz BL opposant un collaborateur de l’Office du vétérinaire cantonal et un agriculteur bio. Et pas pour la première fois. La «Basler Zeitung» en a rendu compte – et pris parti pour l’agriculteur. L’homme avait laissé deux cadavres de veau dans une prairie, estimant que les animaux carnassiers, oiseaux, vers et autres charognards s’en occuperaient. Le vétérinaire voyait là une atteinte aux règles d’hygiène et avait amendé l’agriculteur.
Le tribunal lui a donné raison, comme lors du premier procès. Mais le reporter de la BaZ a écrit que le vétérinaire était, premièrement, un Allemand naturalisé, deuxièmement, particulièrement zélé. Ce dernier a jugé cette description tendancieuse. Notamment parce qu’elle le discrimine en raison de ses origines. Et: le journal a tu le fait qu’il avait gagné le premier procès, et donc porté atteinte à son devoir de vérité. Le vétérinaire a porté plainte auprès du Conseil suisse de la presse.
La BaZ était-elle allée trop loin? Le Conseil de la presse estime aujourd’hui que l’évocation de l’ancienne nationalité du vétérinaire était certes inutile, mais qu’elle ne constituait pas une discrimination. Par ailleurs, le chroniqueur judiciaire aurait dû dire que le premier procès avait entériné le comportement du vétérinaire.
Le Conseil de la presse n’a cependant vu aucune atteinte éclatante aux devoirs du journaliste dans les nombreux points évoqués par le plaignant. Contre le fait d’avoir passé sous silence le premier procès, l’organe d’autorégulation des médias suisses a seulement prononcé un avertissement à l’adresse de la «Basler Zeitung».
Riassunto
Il Consiglio della stampa ha respinto un reclamo contro la «Basler Zeitung» (BaZ) presentato da un veterinario dopo un processo svoltosi davanti al tribunale penale di Muttenz/BL. Il confronto era tra un veterinario e un agricoltore bio. Il giornale aveva difeso la posizione dell’agricoltore, accusato di aver abbandonato due vitelli morti sul terreno perché… se ne occupassero gli uccelli rapaci, i selvatici, i vermi e quant’altro. Tale comportamento viola le prescrizioni circa l’igiene degli animali morti e perciò all’agricoltore il veterinario aveva inflitto una multa.
La giustizia aveva dunque dato ragione (per la seconda volta) al veterinario, mentre il giornale ne aveva preso le difese. Nell‘articolo, il sanitario era descritto come «tedesco» (veniva cioè indicata la sua precedente cittadinanza), e poi accusato di eccesso di zelo. Articolo tendenzioso, sosteneva il veterinario nel reclamo presentato al Consiglio della stampa: in primo luogo a causa della menzione della sua nazionalità (discriminazione), inoltre perché il giornale aveva omesso di precisare che già una volta il tribunale gli aveva dato ragione, mancando in tal modo al dovere di rispettare la verità.
Il Consiglio della stampa ritiene che il giornale, menzionando la precedente nazionalità del sanitario, abbia semplicemente citato un fatto, escludendo la discriminazione. Ma la prima sentenza a suo favore da parte del tribunale, quella sì, andava citata. Il Consiglio ha ritenuto tuttavia di limitarsi a rivolgere al giornale un semplice ammonimento.
I. Sachverhalt
A. Am 8. August 2018 veröffentlichte die «Basler Zeitung» (BaZ) im Print auf der Seite «Basel Land» sowie online einen Artikel unter der Überschrift «Tote Kälber für Aasfresser ausgelegt». Lokalredaktor Daniel Wahl schildert darin einen Fall, der am Vortag vor dem Strafgericht Muttenz verhandelt worden war. Die Unterzeile des vierspaltig aufgemachten, online mit dem Symbolfoto eines Tierkadavers illustrierten Berichts lautet: «Amtstierarzt verzeigt Bauern wegen ‹illegaler Entsorgung› von Kadavern».
Die Gerichtsreportage schildert im Stil eines Features das Aufeinanderprallen eines biodynamisch ausgerichteten Landwirts, «Biologe, Winzer und Gymnasiallehrer» sowie ehemaliger Präsident des jurassischen Naturschutzbunds, der auf seiner eingezäunten Weide zwei tote Kälber «drei bis fünf Tage lang» liegen liess, «als Futter für die Wildtiere», mit einem Tierarzt vom Baselbieter Veterinäramt. Der hatte den Bauern gemäss Vorschriften und Gesetz mit einer Verzeigung sowie einem Strafbefehl über 450 Franken belegt.
Gleich zu Beginn wird der Veterinär als Dutt tragender Deutscher beschrieben, der «im Mai eingebürgert» worden sei. Später heisst es, «nicht der ortskundige Veterinär, sondern der deutsche Dutt-Träger» sei «ungefragt mit örtlichen Gemeindebehörden aufs private Feld hinaus» marschiert, habe Fotos gemacht und «offenbar auch noch umliegende Gemeindebehörden mit dem amtlichen Bildmaterial» beliefert.
Der Richter habe «ein gewisses Verständnis» für den Biobauern gezeigt, den Strafbefehl aber bestätigt, da von Gesetzes wegen «eine rasche Beseitigung der Kadaver» vorgeschrieben sei, bei einer Reaktionszeit von drei bis fünf Tagen aber kaum von «rasch» die Rede sein könne. Der letzte Absatz lautet: «Weshalb der Amtstierarzt Fotos der Kadaver an Verantwortungsträger in umliegenden Gemeinden per Mail versandte und damit den Bauern anschwärzte, bleibt sein Geheimnis: ‹Diese Geschichte ist erledigt›, sagte der Dutt-Träger der BaZ und erklärte darauf das Gespräch ‹für beendet›.»
B. Am 10. August 2018 reichte der im Artikel der «Basler Zeitung» (nicht namentlich) genannte Tierarzt Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er sieht Ziffer 1 («Journalisten halten sich an die Wahrheit») der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt, da der Autor Anschuldigungen gegen ihn erhebe, «die bereits einer … gerichtlichen Prüfung unterzogen und … im Oktober 2017 als völlig haltlos beurteilt» worden seien. Die Wiederholung dieser längst widerlegten Sachverhalte diene «ausschliesslich der Herabwürdigung und Diskreditierung meiner Person, des Veterinärdienstes Basel-Landschaft und der Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion». Zudem verletze sie Ziffer 3 der «Erklärung», die eine «Unterschlagung von wichtigen Elementen» verbietet. Der Beschwerdeführer spricht damit das im Bericht geschilderte unangemeldete Betreten des Feldes an (BaZ: «statt sich beim Bauern zuerst vorzustellen»), das Fotografieren der Tierleichen, seine Erwähnung einer von ihnen ausgehenden BSE-Gefahr vor Gericht und die Weitergabe der Aufnahmen, nicht zuletzt die Unterstellung amtlicher Willkür und der Absicht, den Bauern mit alledem «anzuschwärzen».
Der Vorwurf böswilligen Handelns stelle im Übrigen eine Verletzung von Ziffer 7 (Unterlassen nicht gerechtfertigter Anschuldigungen) dar. Auch, dass der Autor den Eindruck erzeuge, die Verzeigung des Landwirts sei ihm ein persönliches Anliegen, wertet der Tierarzt als Unterschlagen wichtiger Elemente, denn: «Wir führen keine persönlichen ‹Rachefeldzüge›.» Ähnlich verhalte es sich mit der Behauptung, er habe gesagt, von den Kadavern könne eine BSE-Gefahr ausgehen. Die gefährliche Tierseuche habe er bei der Verhandlung zwar tatsächlich erwähnt, jedoch lediglich zur Erläuterung einer Rechtsnorm, keineswegs als Begründung des Strafbefehls.
Ziffer 7 der «Erklärung» sei zudem durch die Darstellung berührt, er habe sich ungerechtfertigt Zutritt zum privaten Feld des Landwirts verschafft: «Tatsächlich», so der Beschwerdeführer, «haben die Veterinärdienste … ein umfassendes Zutrittsrecht im (Rahmen) der Tierseuchengesetzgebung.»
Für verletzt hält der Veterinär auch Ziffer 4 (unlautere Methoden bei der Informationsbeschaffung) der «Erklärung»: Während einer Verhandlungspause sei Daniel Wahl «ungefragt und ungebeten» in einem Raum erschienen, in dem er sich aufhielt, und habe Fragen gestellt, «ohne sich und seine Funktion zu benennen. Erst auf meine konkrete Nachfrage, wer er denn sei, nannte er seinen Namen und das Medium, für das er arbeitet.» Als der BaZ-Autor immer weiter versucht habe, «ein Statement von mir zu erzwingen …, habe ich das Gespräch für beendet erklärt». Der Beschwerdeführer sieht dadurch zusätzlich zu allen anderen Verstössen gegen presseethische Standards auch Richtlinie 4.1 (Verschleierung des Berufs) verletzt.
Dass der Autor «aus dem kurzen Gespräch, das er mir im Gericht aufgedrängt hat», zitiere und nicht darauf hingewiesen habe, dass er die daraus stammenden Informationen für eine Veröffentlichung verwenden wolle, wertet der Beschwerdeführer als Verstoss gegen Richtlinie 4.5 (Interview): «Ein eigentliches Interview, das als solches gekennzeichnet gewesen wäre, hat nie stattgefunden.» Da der Wortwechsel eher als Recherchegespräch zu betrachten gewesen sei, moniert der Beschwerdeführer auch eine Verletzung von Richtlinie 4.6 (Recherchegespräche): Weder habe ihn der Autor über das Ziel des Gesprächs informiert, noch darauf hingewiesen, «dass allfällige Äusserungen meinerseits einer Autorisierung bedürfen».
Zusätzlich beklagt der Veterinär Ziffer 8 (Menschenwürde) als verletzt, insbesondere durch die Nennung seiner Nationalität. Die mehrfache Erwähnung seiner deutschen Herkunft sowie seiner gerade erst erfolgten Einbürgerung – obwohl «diese für den vorliegenden Sachverhalt völlig unerheblich sind» – diene «einzig der Herabwürdigung meiner Person … Auch bin ich Veterinär und nicht nur deutscher ‹Dutt-Träger›».
Die Verletzung der Presserats-Richtlinien 8.1 (Achtung der Menschenwürde) und 8.2 (Diskriminierungsverbot) zeigt der Beschwerdeführer lediglich summarisch an, ohne diesen Vorwurf gesondert zu begründen.
C. Am 19. Oktober 2018 legte der Rechtsvertreter der «Basler Zeitung» seine Stellungnahme vor. Darin weist er zunächst auf die fehlende Präzision der Beschwerde hin: «So unterlässt es der Beschwerdeführer, nachvollziehbar darzulegen, inwiefern die Beschwerdegegnerin die angerufenen Ziffern der Erklärung verletzt hat.» Die Behauptungen seien unbelegt und nicht überprüfbar. Insbesondere sei in dem Absatz des Berichts, in dem es um die amtliche Begehung des landwirtschaftlichen Grundstücks gehe, keine Verletzung der Wahrheitspflicht zu erkennen. Dass sie ungefragt geschehen sei, bestätige der Veterinär selbst. Andererseits habe die BaZ keine Kenntnis von einem Urteil gehabt, das ein Zutrittsrecht für veterinäramtlich Tätige in diesem Fall ausdrücklich bejaht. Auch die diesbezügliche gesetzliche Vorschrift sei dem Autor zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht bekannt gewesen.
Im Bericht wird der Biobauer (ebenfalls ohne Namensnennung) in indirekter Rede zitiert: «Der BSE-Vorwurf. Die Fotos – das sei Rufmord, eine Schmutzkampagne, um ihn fertig zu machen.» Genau so habe es der Landwirt vor Gericht ausgeführt, argumentiert die «Basler Zeitung», auch das Thema BSE sei «hinsichtlich der vorgesehenen Entsorgungsvorschriften von Rindern» angesprochen worden. Zudem treffe zu, dass der Veterinär das Anfertigen von Fotos der Kadaver und deren Weiterleitung nicht begründet habe; auch hier berichte die BaZ die Wahrheit.
Im Übrigen behaupte der Tierarzt, der inkriminierte Artikel erwecke den Eindruck, die Anzeige sei Bestandteil eines persönlichen Rachefeldzugs. Da man im Text jedoch «klar und deutlich» lesen könne, dass der Bauer vor Gericht verurteilt worden und die Anzeige begründet gewesen sei, widerspreche die Beschwerde auch hier den Fakten.
Generell, betont die BaZ, seien in keinem der vom Beschwerdeführer benannten Absätze wichtige Elemente unterschlagen worden.
Auch die Anwendung unlauterer Methoden bei der Informationsbeschaffung bestreitet die BaZ. Dass der Autor seine Identität und Funktion bekannt gegeben habe, sei für den Beschwerdeführer ja gerade der Grund dafür gewesen, die Fortsetzung der Unterhaltung zu verweigern. Über den Gesprächsabbruch hinausgehende Informationen aus dieser Begegnung seien nicht in den Artikel eingeflossen. Sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen enthalte der Text ebenso wenig.
D. Der Presserat wies die Beschwerde seiner 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Kammerpräsidentin), Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini und Casper Selg angehören.
E. Die 1. Kammer des Presserats beriet den Fall an ihrer Sitzung vom 11. Februar 2019. Sie beantragte dem Präsidium des Presserats, die Beschwerde ans Plenum des Presserats zu überweisen.
F. Das Plenum des Presserats behandelte die Beschwerde an seiner Sitzung vom 23. Mai 2019.
II. Erwägungen
1. a) Als ersten und wesentlichen Punkt seiner Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die «Basler Zeitung» habe (vor allem durch Nicht-Erwähnung des früheren Urteils) die Pflicht zur Wahrheit verletzt: die vor Gericht verhandelten Vorgänge würden dadurch «verdreht oder zumindest nicht korrekt wiedergegeben».
Die «Erklärung» schreibt Journalistinnen und Journalisten vor, sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten zu lassen, die Wahrheit zu erfahren; sie nennt die Pflicht zur Wahrheit gleich in Ziffer 1. Die erläuternde Richtlinie 1.1 ist mit dem Begriff «Wahrheitssuche» überschrieben. Die «Basler Zeitung» argumentiert, dass Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt sein könne, da ihrem Autor weder das vorangegangene Urteil noch dessen gesetzliche Grundlage bekannt war, bevor er seinen Bericht verfasste.
b) Wie die BaZ feststellt, vermag der Veterinär nicht nachzuweisen, dass der Autor wider besseres Wissen gehandelt hat. Auch die hilfsweise vom Beschwerdeführer ins Feld geführte Ziffer 3 der «Erklärung», welche die Entstellung von Tatsachen und die Unterschlagung wichtiger Informationen verbietet, entspricht nicht dem Sachverhalt, der in diesem Beschwerdefall zu prüfen ist: Unterschlagen oder entstellen kann man nur Informationen, über die man verfügt. Doch hat der Berichterstatter der BaZ darauf verzichtet, den Leser über einen früheren Prozess zu informieren, bei dem die gleichen Protagonisten im gleichen Zusammenhang schon einmal vor Gericht standen. Diese Informationen hätte das Publikum gebraucht, um die im BaZ-Bericht erwähnten Tatsachen zu einem der Wirklichkeit entsprechenden Gesamtbild zusammenzufügen.
c) Allerdings hat es der Beschwerdeführer unterlassen, eine Verletzung von Richtlinie 1.1 anzuzeigen. Er moniert die Verletzung von insgesamt fünf anderen Richtlinien, belässt es jedoch in seiner Beschwerde bei einem Hinweis auf Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung». Worauf zielt die Vorschrift in Ziffer 1, Journalisten «halten sich an die Wahrheit»? Wie die BaZ in ihrer Beschwerdeantwort zu Recht betont, hat der Autor nicht gelogen. Hingegen hat er ein wichtiges Faktum unerwähnt gelassen. Weder «Erklärung» noch Richtlinien fordern jedoch die vollständige Wiedergabe sämtlicher Fakten bei einer Medienveröffentlichung. Der Presserat muss daher eine Abwägung treffen: War die Unterlassung der «Basler Zeitung» im Fall der entsorgten Kalbs-Kadaver entscheidend für das (möglicherweise falsche) Verständnis ihrer Leser vom geschilderten Sachverhalt?
Richtlinie 1.1 besagt, die Pflicht zur Wahrheitssuche setze voraus, dass die verfügbaren und zugänglichen Angaben berücksichtigt und geprüft werden. In Stellungnahme 17/1998 hält der Schweizer Presserat unmissverständlich fest: «Gerichtsreportagen, die in erster Linie aus der Perspektive der Angeschuldigten geschrieben werden, sind zulässig, sofern das Publikum in der Lage ist, zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden und die im Beitrag enthaltenen Informationen zu gewichten und einzuordnen.»
Und in Entscheid 57/2009 heisst es: «Der Presserat hat in seiner jüngeren Praxis wiederholt darauf hingewiesen, dass eine formale oder inhaltliche Ungenauigkeit (…) aus Sicht der Leserschaft eine gewisse Relevanz aufweisen muss, um … eine Verletzung von Ziffer 1 der ‹Erklärung› als verhältnismässig erscheinen zu lassen.»
Zwar muss sich die «Basler Zeitung» den Vorwurf gefallen lassen, ihr Autor habe den Lesern kein vollständiges Bild der Ereignisse geliefert. Aber hätte die Kenntnis des dem aktuellen Prozess vorangegangenen Urteils – laut dem der Veterinär berechtigt war, die Weide des Biobauern ohne Ankündigung zu betreten – an der Sicht der Leserschaft über diesen Vorgang etwas geändert? Hat diese inhaltliche Ungenauigkeit genügend Relevanz, um eine Rüge zu begründen?
Zu fragen ist, ob der Autor des BaZ-Gerichtsberichts effektiv die Unwahrheit geschrieben hat. Oder ob er lediglich riskierte, dass durch seine Interpretation der Abläufe bei den Lesern ein tendenziös gefärbter Eindruck entsteht. Darauf pocht der Veterinär in seiner Beschwerde: «In Absatz 2 erzeugt der Autor den Eindruck, als wäre die Anzeige gegen den Landwirt mein persönliches Anliegen.»
Der Presserat hält fest, dass der Autor der «Basler Zeitung» bei der Gegenüberstellung der Ausgangspositionen im verhandelten Rechtsstreit in zahlreichen Andeutungen erkennen lässt, dass ihm die Sicht des Landwirts sympathischer ist als die des Tierarztes. Hinzu kommt die Beschreibung der beiden Prozessgegner, in der neben der Haartracht auch die gerade erst erfolgte Einbürgerung des Beschwerdeführers erwähnt wird. Manifest wird die Haltung des Autors gegenüber dem Veterinär in der Mitte des Artikels – dem bereits zitierten Absatz 7 –, wo es heisst: «Aber da war nicht der ortskundige Veterinär, sondern der deutsche Dutt-Träger. Statt sich beim Bauern zuerst vorzustellen, marschierte dieser ungefragt mit örtlichen Gemeindebehörden aufs private Feld hinaus, machte Fotos und belieferte offenbar auch noch umliegende Gemeindebehörden mit dem amtlichen Bildmaterial. Dazu kam eine Verzeigung und ein Strafbefehl von 450 Franken.» Reduziert man diese Darstellung aber auf die reinen Fakten, so liegt kein Verstoss gegen Ziffer 1 der «Erklärung» vor. Denn auch der Tierarzt bestreitet nicht, das Feld des Bauern ohne Voranmeldung betreten zu haben. Die Wahrheitspflicht ist somit nicht verletzt.
2. Fragt man jedoch nach dem Bild, das durch diese Schilderung im Kopf eines unbefangenen Lesers entsteht – wie es der Presserat in ständiger Spruchpraxis fordert –, lässt sich nicht bestreiten, dass die Tonlage dieser Passage, ihre einzelnen Sätze, die Wortwahl und die Komposition der Fakten von Unverständnis über die Handlungen des Tierarztes geprägt sind. Dies sind denn auch die Formulierungen, die den Beschwerdeführer empören. Aber sind diese Inhalte auch presseethisch bedenklich?
Zunächst ist bei der Beantwortung dieser Frage festzustellen, dass der Veterinär weder im Bild gezeigt noch namentlich genannt wird. Allerdings stellt ihn der Artikel als «eingebürgerter Tierarzt vom Baselbieter Veterinäramt» vor, der sein Haar «zum Dutt» gebunden trägt.
Der Beschwerdeführer fokussiert in seiner Beschwerde auf die mehrfache Erwähnung seiner deutschen Herkunft und weist zu Recht darauf hin, dass diese «für den vorliegenden Sachverhalt völlig unbedeutend» ist. Aber handelt es sich hier (gemäss Ziffer 8 der «Erklärung») tatsächlich um eine diskriminierende Anspielung, «welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit … zum Gegenstand» hat, die (gemäss Richtlinie 8.2) «negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt»?
Ob Autor Wahl die in Richtlinie 8.2 vorgeschriebene Abwägung zwischen «Informationswert» und «Gefahr einer Diskriminierung» getroffen hat und die ebenfalls vorgeschriebene «Verhältnismässigkeit» gewahrt bleibt, ist dem Text nicht zu entnehmen. Der BaZ-Redaktor hat an keiner Stelle deutlich werden lassen, weshalb er die Nationalität oder die Einbürgerung des Tierarztes überhaupt zum Thema machte.
Der Presserat betont, dass nicht jede Erwähnung einer ethnischen, nationalen oder anderen Gruppenidentität automatisch den Tatbestand der unzulässigen Diskriminierung erfüllt. Es sei daher, so heisst es bereits in Stellungnahme 22/1999, «bei jeder Aussage … kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob … die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird».
Erstmals in Entscheid 32/2001 präzisiert der Presserat, dass für eine Verletzung von Ziffer 8 «eine Mindestintensität der abwertenden Äusserung … zu verlangen ist, damit von einer Herabwürdigung oder Diskriminierung … die Rede sein kann». Das Verbot diskriminierender Anspielungen dürfe die Meinungsäusserungsfreiheit nicht einer strengen Political correctness unterwerfen.
So gesehen wäre nicht nur zu prüfen, ob und wie BaZ-Autor Wahl mit seinem wiederholten Verweis auf die deutsche Herkunft «eine kulturell erworbene Eigenschaft» des Tierarztes «kollektiv zuordnet», sondern auch, ob damit die erwähnte diskriminatorische «Mindestintensität» erreicht wird (Stellungnahme 37/2004 präzisiert, dazu sei «ein erheblich verletzendes Unwerturteil» erforderlich). Erst dann sei auf einen Verstoss gegen Ziffer 8 der «Erklärung» zu erkennen.
Einen Mitmenschen als Deutschen zu bezeichnen, ist für sich genommen keine Schmähung. Wahls Bericht ist zwar von einem wahrnehmbaren Ressentiment durchzogen, liegt aber weit diesseits eines radikalen Nationalismus oder gar Rassismus. Auch «diskriminierende Anspielungen» im Sinne von Ziffer 8 der «Erklärung» enthält dieser Text. Doch die vom Presserat geforderte «Mindestintensität» der Diskriminierung oder gar «erheblich verletzende Unwerturteile» sind den vom Beschwerdeführer beanstandeten Formulierungen nicht zu entnehmen. Ziffer 8 der «Erklärung» ist somit nicht verletzt.
3. Bleibt die Frage nach der Gesprächstaktik des Autors der «Basler Zeitung». Hat er tatsächlich, wie der Beschwerdeführer beklagt, «unlautere Methoden bei der Informationsbeschaffung» angewendet und damit Ziffer 4 der «Erklärung» sowie die Richtlinien 4.1, 4.5 und 4.6 verletzt?
Richtlinie 4.5 («Interview») kann unberücksichtigt bleiben, denn es hat – wie der Beschwerdeführer selbst einräumt – «ein eigentliches Interview, das als solches gekennzeichnet gewesen wäre, … nie stattgefunden». Beziehungsweise: «Das im Gericht geführte Gespräch ist wohl am ehesten als Recherchegespräch einzuordnen.»
Von Ziffer 4 der «Erklärung» ist in diesem Fall lediglich der erste Satz massgebend: «Sie bedienen sich bei der Beschaffung von Informationen, Tönen, Bildern und Dokumenten keiner unlauteren Methoden.» Dazu wäre zunächst zu klären, ob der Verzicht auf eine Methode – also, wie der Beschwerdeführer beklagt, «ungefragt und ungebeten» «ein Gespräch» zu beginnen «und Fragen zu stellen» – bereits als unlauter zu werten ist oder lediglich als unhöflich.
Die «Basler Zeitung» betont, ihr Autor habe «seine Identität und seine Funktion bekannt» gegeben, «was letztendlich auch der Grund für die Verweigerung einer Stellungnahme war». Dieser Ablauf erscheint nicht nur plausibel, sondern ist auch durch die Schilderung des Beschwerdeführers gedeckt. Entscheidend wäre möglicherweise die Frage, zu welchem Zeitpunkt Wahl sich als BaZ-Autor zu erkennen gab. Dieser Aspekt wiederum ist im Zusammenhang mit Richtlinie 4.1 unerheblich, da dort nicht etwa eine «zeitweise» Verschleierung des Berufs als illegitim betrachtet wird, sondern – ohne Präzisierung – einfach nur die «Verschleierung», worunter eine gelungene Täuschung zu verstehen ist.
Der einzige Vorwurf, der in diesem Zusammenhang plausibel erscheint, wäre eine Verletzung von Richtlinie 4.6 (Recherchegespräch). Die Redaktion dementiert nicht, dass Autor Wahl Fragen gestellt hat, ohne zuvor seine Funktion zu nennen, weist jedoch zutreffend darauf hin, dass der Veterinär am Ende des Artikels lediglich mit den Sätzen zitiert wird: «Diese Geschichte ist erledigt», er erkläre das Gespräch «für beendet». Hier steht einerseits Aussage gegen Aussage, andererseits weist der Presserat konsistent darauf hin, dass unter «Recherchegespräch» nicht etwa ein kurzer Wortwechsel, sondern eine längere Unterredung zu verstehen ist. Zudem beschreiben die von der BaZ zitierten Äusserungen des Tierarztes nur dessen Verweigerung jeglicher Stellungnahme, sind also für sich genommen nicht autorisierungswürdig. Auch Ziffer 4 der «Erklärung» ist somit nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die «Basler Zeitung» hat mit ihrem Beitrag «Tote Kälber für Aasfresser ausgelegt» vom 8. August 2018 die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen), 4 (Unlautere Methoden bei der Informationsbeschaffung), 7 (ungerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.
Im Interesse einer wahrheitsgemässen Berichterstattung wäre allerdings wünschenswert gewesen, wenn die BaZ in ihrem Gerichtsbericht ein vorangegangenes Urteil in gleicher Sache sowie dessen rechtliche Grundlagen erwähnt hätte.