Zusammenfassung
Titel täuschte Leser
Der Schweizer Presserat rügt die «Sonntagszeitung», weil sie einen Artikel über Untersuchungsmethoden von Ärzten auf der Frontseite irreführend ankündigte. Dort hiess es: «Hausärzte – So ungenau untersuchen sie». Im Artikel ging es aber gar nicht um die Fertigkeiten und Kompetenz der Hausärzte. Sondern er beschrieb allgemein, dass verschiedene Untersuchungsmethoden wie Darm abhören, Schilddrüse abtasten oder das Gehör prüfen kaum etwas aussagen und oft unzuverlässig seien. Der Titel «Dr. med. Unzuverlässig» über dem Bericht war auch schon ziemlich zugespitzt, wurde aber immerhin durch den Untertitel relativiert und eingeordnet.
Ein ehemaliger Basler Hausarzt beschwerte sich beim Presserat gegen die beiden Titel und beklagte, sie diffamierten einen ganzen Berufsstand und besonders die Hausärzte. Die «SonntagsZeitung» verteidigte sich, die Titel seien wohl zugespitzt, aber nicht überspitzt und vor allem nicht falsch. Der Presserat befand aber den Frontanriss als wahrheitswidrig und falsch: Indem er die Fähigkeiten der Hausärzte generell in Frage stellte, täuschte er die Leser.
Résumé
Titre trompeur
Le Conseil suisse de la presse tance la «SonntagsZeitung» pour avoir annoncé de manière trompeuse en première page un article sur les méthodes d’examen utilisées par les médecins. Le titre: «Hausärzte – So ungenau untersuchen sie» (Médecins de famille – Ils examinent de manière aussi inexacte). En effet, l’article ne portait pas sur les aptitudes et les compétences des généralistes. Il décrivait en général que les différentes méthodes d’examen telles que l’écoute des intestins, la palpation de la glande thyroïde ou l’examen de l’ouïe en disaient peu et étaient souvent peu fiables. Le titre «Dr. med. Unzuverlässig» (Dr. med. Peu-fiable) au-dessus du rapport était déjà bien pointu, mais avait été relativisé et précisé par le sous-titre.
Un ancien médecin de famille bâlois a porté plainte auprès du Conseil de la presse contre les deux titres: il faisait valoir qu’ils diffamaient toute une profession et surtout les médecins de famille. La «SonntagsZeitung» faisait valoir que les titres étaient probablement pointus, mais pas exagérés et surtout pas faux. Cependant, le Conseil de la presse a trouvé l’accroche en «Une» contraire à la vérité et fausse: en remettant généralement en question les capacités des médecins généralistes, elle a trompé les lecteurs.
Riassunto
Titolo inganna i lettori
Il Consiglio svizzero della stampa critica la «SonntagsZeitung» per aver lanciato in modo ingannevole in prima pagina un articolo sui metodi di esame utilizzati dai medici. Si legge: «Hausärzte – So ungenau untersuchen sie» (Medici di famiglia – esaminano in modo impreciso). Tuttavia l’articolo non riguardava tanto le abilità e le competenze dei medici di famiglia. ma descriveva in generale che i diversi metodi di esame come l’ascolto degli intestini, la palpazione della tiroide o il controllo dell’udito dicono poco e sono spesso inaffidabili. Il titolo «Dr. med. Unzuverlässig» (Dr. med. Inaffidabile) sopra l’articolo era sì forte, ma relativizzato e inquadrato dal sottotitolo.
Un ex medico di famiglia basilese si è rivolto al Consiglio della stampa contro i due titoli sostenendo che diffamerebbero un’intera professione e in particolare i medici di famiglia. La «SonntagsZeitung» si è difesa sostenendo che i titoli erano probabilmente forti, ma non esagerati e soprattutto non sbagliati. Il Consiglio della stampa ha ritenuto il titolo in prima pagina contrario alla verità e falso: mettendo in generale in discussione le capacità dei medici di famiglia, ha ingannato i lettori.
I. Sachverhalt
A. Am 7. Januar 2018 veröffentlichte die «SonntagsZeitung» (SoZ) einen Artikel von Martina Frei mit dem Titel «Dr. med. Unzuverlässig». Auf der Titelseite war der Artikel so angerissen: «Hausärzte – So ungenau untersuchen sie».
Der Artikel erläutert, dass gewisse einfache (klinische) Untersuchungsmethoden wie zum Beispiel Herz abhören, Blutdruck messen oder Darmauskultation nicht verlässlich wären. Die Ärzte könnten auch eine Münze werfen, es käme auf dasselbe heraus. Die Medizinredaktorin basiert ihre Aussagen einerseits auf verschiedene Studien, unter anderem eine aus den USA. Zudem schreibt die Autorin, teils werde auch schlampig untersucht; dabei stützt sie sich auf eine Analyse an sechs US-Spitälern, die Fehler beim Zählen der Atemzüge gezeigt hätte. Schliesslich erwähnt sie, mangelndes Training oder fehlerhafte Ausführung könnten die Aussagekraft von klinischen Untersuchungen schwächen.
Frei zitiert zusätzlich Ärzte, welche die klinischen Untersuchungen durchaus als wichtig ansehen, auch wenn einzelne Tests lediglich eine begrenzte Aussagekraft hätten. Diese Untersuchungen würden jedoch helfen, weitere Abklärungen und Massnahmen zu identifizieren. Auch sei der Placebo-Effekt solcher klinischer Untersuchungen bei den Patientinnen und Patienten nicht zu unterschätzen.
B. Am 26. Januar 2018 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat gegen den Artikel der «SonntagsZeitung» ein. Der Beschwerdeführer, ehemaliger Hausarzt, Gründer und Leiter des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Basel, macht eine Verletzung der Ziffern 1, 2 und 5 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend: «Erklärung») geltend. Im Einzelnen nennt er Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche), Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) und Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht).
Dabei konzentriert der Beschwerdeführer seine Beschwerde auf den Frontanriss «Hausärzte – So ungenau untersuchen sie» auf der Titelseite der «SonntagsZeitung» sowie auf den Haupttitel des Artikels «Dr. med. Unzuverlässig».
X. beanstandet, dass nicht die Ärzteschaft, wie dies der Titel «Dr. med. Unzuverlässig» suggeriere, sondern wenn schon die Methoden als unzuverlässig bezeichnet werden sollten. Zudem macht er geltend, dass der Anriss auf der SoZ-Titelseite und der Titel des Artikels nicht dem Inhalt des Artikels entsprächen. Im Artikel ginge es mit einer Ausnahme nicht um Erkenntnisse aus der Hausarztmedizin. Und die eine Studie, welche von Hausärzten spreche, wurde nicht in der Schweiz durchgeführt. Somit werde eine ganze Berufsgruppe von Hausärzten diffamiert. Mit dem Anriss und dem Titel des Artikels würde von unzuverlässigen Methoden auf die Unzuverlässigkeit der Ärzteschaft geschlossen.
Am 10. Januar 2018 hat X. via E-Mail eine Berichtigung bei der «SonntagsZeitung» beantragt, auf welche diese jedoch nicht einging.
C. Am 11. Juni 2018 nahm der Rechtsdienst der Tamedia für die «SonntagsZeitung» Stellung und beantragte, die Beschwerde abzuweisen. Insbesondere erwähne der Beschwerdeführer einige generelle Vorwürfe zum Artikel, jedoch mache er keine konkrete Verletzung der Bestimmungen der «Erklärung» geltend.
Zum Frontanriss «Hausärzte – So ungenau untersuchen sie» auf der Titelseite der SoZ und dem Titel des Artikels «Dr. med Unzuverlässig» meint die Tamedia, dass diese in keiner Weise falsch seien. Die im Artikel genannten Beispiele seien Methoden, die jeder Arzt kenne und – je nach Fachgebiet – auch anwende. Die grosse Mehrheit der Studien, auf die sich der Artikel berufe, seien sehr wohl auf den Praxisalltag der Hausärzte anwendbar. Gerade Hausärzte würden die Mehrheit der im Artikel beschriebenen Untersuchungsmethoden praktizieren.
Tamedia argumentiert, durch den Untertitel des Artikels «Darm abhören, Schilddrüse abtasten, Gehör prüfen: Viele Untersuchungen beim Arzt sagen kaum etwas aus. Trotzdem werden sie seit Jahren gemacht» werde der Leserschaft rasch erkennbar, dass den Hausärzten nicht irgendwelche Fehler unterstellt würden, sondern allein die besagten Untersuchungsmethoden fundiert hinterfragt würden. Für Tamedia ist der Anriss eine Zuspitzung, die weder falsch noch sonst wie unzulässig sei. Im Text des Artikels werde detailliert beschrieben, worin genau die im Anriss erwähnten Ungenauigkeiten bestünden.
Tamedia sieht auch keine Verletzung der Wahrheitspflicht in Bezug auf den Titel «Dr. med. Unzuverlässig». Es handle sich hier um eine zulässige Zuspitzung des Artikelinhalts, die nicht falsch sei. Der Titel sei im Zusammenhang mit dem Untertitel und dem Text zu verstehen, welche sich eindeutig zu medizinischen Untersuchungsmethoden äussern, sodass die Behauptung «Unzuverlässig» für die Leserinnen und Leser inhaltlich nachvollziehbar werde.
Auf die vom Beschwerdeführer monierte fehlende Trennung von Fakten und Kommentar geht die Beschwerdeantwort nicht ein; sie sei nicht näher substantiiert. Die «SonntagsZeitung» habe keine Berichtigung des Artikels vorgenommen, da sich dessen materieller Gehalt als richtig erwiesen hätte.
D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Max Trossmann (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Marianne Biber, Jan Grüebler, Barbara Hintermann, Markus Locher und Simone Rau an. Simone Rau trat von sich aus in den Ausstand.
E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 12. Juli 2018 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des in Ziffer 1 der «Erklärung» verankerten Wahrheitsgebots in Bezug auf zwei Punkte geltend. Ziffer 1 der «Erklärung» verpflichtet Journalistinnen und Journalisten, sich an die Wahrheit zu halten und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten zu lassen, die Wahrheit zu erfahren. Der erste Punkt betrifft den Frontanriss «Hausärzte – So ungenau untersuchen sie» auf der Titelseite der «SonntagsZeitung». Beschwerdeführer X. sagt, der Anriss sei nicht nur irreführend, sondern inhaltlich falsch; zudem diffamiere er die Hausärzte pauschal. Die Redaktion SoZ macht geltend, der Anriss sei zulässig zugespitzt, aber nicht falsch, weil gerade Hausärzte die meisten der im Artikel als ungenau und unzuverlässig eingestuften Untersuchungsmethoden anwendeten.
Der Presserat beurteilt den Frontanriss nach kontroverser Diskussion als irreführend und falsch. Denn er stellt die Fähigkeiten der Hausärzte generell in Frage und bezieht sich nicht auf die Untersuchungsmethoden. Zudem wird der Anriss alleinstehend und ohne direkt nachfolgenden Artikel auf der Titelseite der «SonntagsZeitung» publiziert, was es der Leserschaft nicht erlaubt, sofort einen Bezug zum Inhalt des Artikels herzustellen. Die Relativierung bzw. Präzisierung durch den Untertitel im Innenteil der Zeitung, die Tamedia auch für den Frontanriss reklamiert, greift hier nicht. Somit wirkt der Anriss täuschend und ist wahrheitswidrig. Ziffer 1 der «Erklärung» ist verletzt.
Der zweite Punkt betrifft den Titel des Artikels «Dr. med. Unzuverlässig». Wiederum werden die Ärzte generell in ihren Fähigkeiten kritisiert. Jedoch wird dieser Titel sofort im Untertitel relativiert und erklärt mit dem Vermerk «Darm abhören, Schilddrüse abtasten, Gehör prüfen – viele Untersuchungen beim Arzt sagen kaum etwas aus. Trotzdem werden sie seit Jahrzenten gemacht». Das erlaubt es den Lesenden, zu verstehen, dass es im Lauftext nicht um die Fähigkeiten und das Können der Ärzte allgemein geht, sondern hauptsächlich um die Untersuchungsmethoden. Der Haupttitel verletzt Ziffer 1 (Wahrheit) nicht.
Im Zusammenhang mit diesen beiden Titelsetzungen unterstreicht der Presserat, dass es in der Verantwortung der Abschlussredaktion respektive der Produzenten eines Mediums liegt, inhaltlich korrekte Titel zu setzen. Im vorliegenden Fall geht aus den Unterlagen hervor, dass sowohl den Frontanriss als auch den Haupttitel nicht die Autorin des Artikels getextet hat, sondern ein Redaktionskollege. Zwar dürfen Produzenten einen Titel wohl zuspitzend auf den Punkt bringen. Aber der Titel muss den Inhalt des Artikels im Kern korrekt wiedergeben, er muss wahr sein.
2. Der Beschwerdeführer hat vergeblich eine Berichtigung von Frontanriss und Haupttitel bei der «SonntagsZeitung» beantragt. Der Presserat konstatiert, dass die SoZ die irreführende Schlagzeile «Hausärzte – So ungenau untersuchen sie» auf ihrer Titelseite unmittelbar hätte berichtigen sollen. Denn diese entspricht nicht dem Inhalt des Artikels, in dem es um diverse unzuverlässige Untersuchungsmethoden geht und nicht um die Fähigkeiten der Ärzte. Die Schlagzeile fokussiert zudem unzutreffend auf die Hausärzte und setzt eine ganze Berufsgruppe herab. Somit ist auch Ziffer 5 (Berichtigungspflicht) verletzt.
3. Richtlinie 2.3 zur «Erklärung» verlangt, dass Journalistinnen und Journalisten darauf achten, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden, kritisierenden Einschätzungen unterscheiden kann. Der Beschwerdeführer sieht eine Vermischung von Fakten und Kommentar in Anriss, Titel und Artikel, ohne jedoch im Detail darauf einzugehen. Deshalb kann der Presserat sich nicht näher dazu äussern. Der Presserat befindet aber, dass die Autorin in ihrem Lauftext Studien und Aussagen von Ärzten zitiert und sich ihre Wertungen und Kommentare klar davon abgrenzen. Den Lesenden ist es möglich, die Präsentation von Fakten und die Kommentare der Autorin zu erkennen. Ziffer 2 der «Erklärung» (Trennung von Fakten und Kommentar) ist jedenfalls nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
2. Die «SonntagsZeitung» hat mit einem täuschenden Frontanriss zum Artikel «Dr. med. Unzuverlässig» vom 7. Januar 2018 die Ziffern 1 (Wahrheit) sowie 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
3. Die «SonntagsZeitung» hat die Ziffer 2 der «Erklärung» (Trennung von Fakten und Kommentar) nicht verletzt.