Nr. 15/2018
Wahrheitspflicht

X. c. «Tages-Anzeiger» Stellungnahme des Schweizer Presserats vom 14. Mai 2018

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I. Sachverhalt

A. Am 13. Mai 2017 veröffentlichte der «Tages-Anzeiger» den Artikel «Der Härtetest», verfasst von Christof Münger. Der Untertitel lautet «Der US-Präsident hat mit der Entlassung von FBI-Chef James Comey Amt und Land geschadet. Er stellt die amerikanische Demokratie auf die Probe». Im Artikel beleuchtet Münger die Hintergründe rund um die Entlassung des Direktors des FBI. Offenbar entnervt wegen der Fragen, die Medien und Ermittler zu seinen Russlandverbindungen stellten, habe Donald Trump Comey entlassen. Die Begründung, Comey habe bei der Aufklärung von Hillary Clintons E-Mail-Affäre Fehler begangen, sei ein Witz. Denn derselbe Comey habe wenige Tage vor der Präsidentenwahl mit der Oktoberüberraschung aufgewartet, es habe illegal übermittelte Mails der ehemaligen Aussenministerin gegeben, von denen man bisher nicht gewusst habe. Grundsätzlich sei es dem US-Präsidenten nicht verboten, den Direktor der Bundespolizei zu ersetzen. Trump jedoch habe ein Problem, weil er jenen Mann gefeuert habe, der wegen der Russlandverbindung gegen ihn ermittelt hatte. Und das just zum Zeitpunkt, als Comey beim Justizministerium um mehr Mittel gebeten habe – der Verdacht der Vertuschung liege nahe. Der Autor kommt zum Schluss, dass der Ruf nach einem Sonderermittler lauter werde. Zudem habe der Kreml einen weiteren Teilsieg verbuchen können, weil der US-Präsident ähnlich agiert habe wie ein Autokrat. Die russische Führung mache kein Geheimnis daraus, dass sie westliche Demokratien schädigen möchte. Weiter rücke nun, da der russische Schatten über Trump länger werde und die unangenehmen Fragen zu seinen Verbindungen nach Moskau sich häuften, vieles in den Hintergrund, was er sich vorgenommen habe. Und zu guter Letzt habe sich Trump Feinde gemacht beim FBI. Der Autor schliesst, Trump habe weder sich noch seinem Land einen Gefallen getan, als er sich mit dem FBI angelegt habe.

B. Am 20. Mai 2017 reichte X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den Artikel des «Tages-Anzeiger» ein. Er macht geltend, der Autor stelle die folgende falsche Tatsachenbehauptung auf: «Die russische Führung macht kein Geheimnis daraus, dass sie westliche Demokratien schädigen möchte.» Damit werde behauptet, es gebe öffentliche Äusserungen, mit welchen die russische Regierung dazu stehe, dass sie westliche Demokratien schwächen wolle. Dies sei offensichtlich falsch, denn es gebe zahllose Äusserungen des russischen Präsidenten und anderer Vertreter der russischen Regierung, dass man die demokratischen Systeme anderer Länder respektiere und sich nicht in deren innere Angelegenheiten einmische. Der Autor betont, es gehe ihm nicht um die Frage, ob die russische Regierung die Absicht habe, westliche Demokratien zu schwächen. Dazu gebe es sehr verschiedene Meinungen, und wenn Christof Münger der Meinung sei, dass dies der Fall sei, sei er damit sicher nicht alleine. Eine solche Meinung könne – wenn auch umstritten – im «Tages-Anzeiger» Platz haben. X. sieht jedoch mit dem von ihm kritisierten Satz Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt. Denn für Leser, welche die Originalaussagen von Vertretern der russischen Regierung nicht kennten, entstehe der falsche Eindruck, es gäbe öffentliche Äusserungen von deren Vertretern, dass man das Ziel verfolge, westliche Demokratien zu schwächen. Während tatsächlich verschiedene Personen den Verdacht geäussert hätten, die russische Regierung verfolge das Ziel, westliche Demokratien zu schwächen, handle es sich dabei aber offensichtlich um Interpre-tationen, Meinungsäusserungen und Mutmassungen. Mit seiner falschen Behauptung versuche Münger im Gegensatz dazu, es nicht nur so darzustellen, dass es sich dabei um eine Tatsache handle, sondern sogar um eine unbestrittene Tatsache.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presserats-präsidium, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, Francesca Snider, Vizepräsidentin, und Max Trossmann, Vizepräsident, Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 14. Mai 2018 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 11 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, die offensichtlich unbegründet ist.

2. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung» geltend. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt von Journalistinnen und Journalisten, dass sie sich an die Wahrheit halten und sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten lassen, die Wahrheit zu erfahren. Der Beschwerdeführer sieht in der Aussage, die russische Führung mache kein Geheimnis daraus, dass sie westliche Demokratien schädigen möchte, eine Tatsachenbehauptung. Er konzediert, wenn der Autor der Meinung sei, die russische Regierung habe die Absicht, westliche Demokratien zu schwächen, so habe diese Meinung durchaus ihren Platz und könne – gerade auch im Teil «Analyse & Debatte» –ihren Platz haben. Als privates Medium sei der «Tages-Anzeiger» auch nicht unbedingt zu Ausgewogenheit verpflichtet. Dem pflichtet der Presserat bei. Der Artikel «Der Härtetest» findet sich exakt auf der vom Beschwerdeführer genannten Seite «Analyse & Debatte». Der Autor hat somit eine Analyse bzw. einen Leitartikel verfasst. Dieser ist aufgemacht, wie der «Tages-Anzeiger» jeweils solche Beiträge aufmacht: Titel und Untertitel sind anders gestaltet als für «normale» Artikel, der Autor ist im Untertitel in kursiver und verhältnismässig grosser Schrift integriert, der Artikel erscheint in einer anderen, breiteren Spaltenbreite im Flattersatz, ein Umlauftitel sowie ein Bild des Autors inklusive dessen Funktion heben den Meinungsbeitrag weiter von Normal-artikeln ab. Für die Leserschaft des «Tages-Anzeiger» ist der vom Beschwerdeführer monierte Satz «Die russische Führung macht kein Geheimnis daraus, dass sie westliche Demokratien schädigen möchte» als ganz normale Kommentierung und Einschätzung des Autors erkennbar und somit unangreifbar. Damit ist der medien-ethischen Forderung, dass das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden, kritisierenden Einschätzungen unterscheiden kann (vgl. die zur «Erklärung» gehörende Richtlinie 2.3) Genüge getan. Eine Verletzung der durch Ziffer 1 der «Erklärung» statuierten Wahrheitspflicht liegt somit offensichtlich nicht vor.

III. Feststellungen

Der Presserat tritt auf die Beschwerde nicht ein.